
Frauen konsumieren mehr, Jugendliche sind abstinenter
Bericht:
Mag. Andrea Fallent
Die aktuellen Publikationen „Drogenbericht 2022“ und „Epidemiologiebericht Sucht 2022“ des Kompetenzzentrums Sucht (KOSU) der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) wurden im Auftrag des Sozialministeriums erstellt und evaluierten unter anderem die Fragen: Wie viele und welche Menschen sind von Sucht betroffen? Welche Konsummuster herrschen vor? Wie hat die Pandemie das Suchtverhalten beeinflusst und welche aktuellen Trends gibt es?
Tabak, Alkohol und illegale Drogen
Der am 2.März 2023 veröffentlichte „Epidemiologiebericht Sucht 2022“ untersuchte konkret den Konsum von Tabak, Alkohol und illegalen Drogen in Österreich. Das Ergebnis fällt laut Dr. Martin Busch, Leiter des Kompetenzzentrums Sucht an der GÖG, auf den ersten Blick positiv aus: „Insgesamt ist im Bereich Tabak und Alkohol von einer sich verbessernden Situation auszugehen. Das tägliche Rauchen von Zigaretten ist speziell bei Jugendlichen weiterhin rückläufig und die Menge des in Österreich pro Kopf konsumierten Alkohols geht im langfristigen Vergleich ebenfalls zurück. Auch im Bereich illegale Drogen deuten die meisten Indikatoren in Richtung stabile Situation.“
Allerdings könnte der deutliche Anstieg der Zahl drogenbezogener Todesfälle im Jahr 2021 ein erstes Anzeichen einer Verschärfung der Drogensituation sein. „Der Anstieg ist aber auch im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie zu sehen, die für die vulnerable Gruppe der Menschen mit Suchterkrankung eine besondere zusätzliche Belastung darstellte“, so Busch.
Jeder Fünfte raucht täglich
Rauchen ist die am weitesten verbreitete Sucht in Österreich. Etwa jede fünfte Person (21%) raucht täglich. Trotz eines Rückgangs des Zigarettenkonsums liegt Österreich über dem europäischen Durchschnitt. In den letzten Jahren ist insbesondere ein Konsumrückgang bei Jugendlichen zu verzeichnen: Bei den 15-Jährigen hat sich der Anteil der Raucher seit 2003 mehr als halbiert (von 30% 2003 auf 12% 2019).
Tabakrauchen (inklusive Passivrauchen) ist in Österreich gemäß aktuellen Schätzungen für 16% aller Todesfälle verantwortlich. Frauen rauchen nach wie vor etwas seltener und im Durchschnitt weniger Zigaretten pro Tag als Männer, ihr Rauchverhalten hat sich jedoch jenem von Männern über die vergangenen Jahrzehnte angeglichen.
Viele sind willig, das Laster aufzugeben, schaffen es aber nicht, wie die aktuelle Statistik unterstreicht: Ein gutes Drittel der täglich Rauchenden hat vor Kurzem erfolglos versucht, mit dem Rauchen aufzuhören. „Hier liegt ein großes Potenzial zur Verbesserung der Situation, wenn diese Menschen adäquat unterstützt werden, ihr selbst gesetztes Ziel zu erreichen“ so Busch. Obwohl die Kontaktdaten des „Rauchfrei Telefons“ auf jeder Zigarettenpackung aufgedruckt sind, kennt diese Einrichtung nur jeder zweite befragte Raucher.
Produkte wie Shishas, E-Zigaretten oder sogenannte „neue“ Produkte wie Nikotinbeutel sowieder Konsum von Tabak über Tabakerhitzer werden eher probiert oder eher gelegentlich als täglich konsumiert. Allerdings ändert sich die Situation insbesondere hinsichtlich „neuer“ Produkte erfahrungsgemäß relativ schnell, was fundierte Aussagen erst zeitverzögert möglich macht.
Etwa 15 % der Bevölkerung in Österreich trinken in einem gesundheitsgefährdenden Ausmaß.
Alkohol: Österreich ist Hochkonsumland
Alkohol ist jene psychoaktive Substanz, mit der in Österreich die meisten Menschen Erfahrungen machen. Grundsätzlich sei Österreich in puncto Alkohol im Europavergleich im oberen Drittel zu finden und ein „Hochkonsumland“, so Busch. Etwa 15% der Bevölkerung in Österreich trinken in einem gesundheitsgefährdenden Ausmaß, wobei ein solches Verhalten bei Männern doppelt so häufig feststellbar ist wie bei Frauen. Konkret ist das als täglicher Konsum von 40 Gramm Reinalkohol für Frauen (ca. 1l Bier oder 0,5l Wein) bzw. 60 Gramm Reinalkohol für Männer definiert (1,5l Bier bzw. 0,75l Wein). Diese Grenzwerte gelten aber nur für gesunde Menschen. Busch: „Bei jenen mit Vorerkrankungen ist schon viel weniger schädlich.“ Im Jahr 2020 wurden 1,4% aller Todesfälle explizit mit Alkoholkonsum in Verbindung gebracht. Die tatsächliche Zahl der Todesfälle, bei denen exzessiver Alkoholkonsum eine wesentliche Rolle gespielt hat, wird jedoch höher liegen.
Corona-Auswirkungen auf den Alkoholkonsum
Dennoch sind positive Entwicklungen zu vermelden: „Die Menge an pro Kopf konsumiertem Alkohol sowie die Zahl alkoholassoziierter Erkrankungen und Todesfälle sind in Österreich seit Jahren rückläufig. Auch bei den Jugendlichen zeigt sich insgesamt im Einklang mit der Entwicklung in vielen anderen EU‐Ländern ein Rückgang des Alkoholkonsums.“
Die pandemiebedingten Einschränkungen haben zudem insgesamt zu einem relevanten Rückgang des durchschnittlichen Pro‐Kopf‐Konsums von Alkohol in Österreich geführt. Bei genauerer Betrachtung wurden aber dennoch Auswirkungen – vor allem in Lockdown-Zeiten – deutlich sichtbar. Denn Frauen, die davor schon geraucht und getrunken hatten, konsumierten in diesen Phasen deutlich mehr Nikotin und Alkohol. „Das kann vielleicht darauf zurückgeführt werden, dass sie offensichtlich mehr Stress hatten, weil sie für manche Bereiche, wie etwa Homeschooling, oft alleine zuständig waren“, resümiert der Psychologe Busch. Ein weiterer Anstieg wurde zudem bei Personen mit niedrigem Bildungsabschluss sowie bei jenen Personen, die ohnehin schon in erhöhtem Maße Alkohol getrunken hatten, festgestellt. Die Zunahme steht dabei vor allem in Zusammenhang mit Depressionen, fehlenden Sozialkontakten, existenzieller Unsicherheit und demAndauern der Pandemie.
Zudem kam es pandemiebedingt im Jahr 2020 zu einem deutlichen Rückgang der Zahl der Behandlungen von Patienten mit einer alkoholassoziierten Erkrankung im Krankenhaus. Daher ist davon auszugehen, dass in den nächsten Jahren die Versorgung von Menschen mit alkoholassoziierten Problemen mit deutlichen Herausforderungen und einem erhöhten Betreuungsbedarf verbunden sein wird.
Illegale Drogen: stabile Lage
Der risikoreiche Drogenkonsum wird in Österreich vom Opioidkonsum (z. B. Heroin) dominiert, zumeist als Mischkonsum in Verbindung mit anderen legalen und illegalen Substanzen. Dies zeigt sich unter anderem darin, dass der weitaus größte Teil aller drogenspezifischen Behandlungen Menschen mit Opioidproblematik betrifft. Von Opioidabhängigkeit sind vorwiegend Männer (drei Viertel), Personen ab 25 Jahren (92%) und Menschen in Ballungszentren betroffen. Etwas weniger als die Hälfte der Abhängigen lebt in Wien.
Schätzungen gehen davon aus, dass in Österreich 35000 bis 40000 Menschen einen risikoreichen Opioidkonsum aufweisen (Prävalenzschätzung). Insgesamt ist derzeit von einer stabilen Situation auszugehen. „Die Daten aus dem Drogenmonitoring zeigen bei den unter 25-Jährigen weiterhin eine stagnierende Zahl an Einsteiger*innen und es fehlen derzeit auch Anzeichen einer signifikanten Verlagerung hin zu anderen Substanzen. Darüber hinaus sehen wir eine kontinuierliche Alterung der Personengruppe mit risikoreichem Opioidkonsum aufgrund der verbesserten therapeutischen Versorgung“, so Suchtexperte Busch. Etwas mehr als die Hälfte der Personen mit risikoreichem Opioidkonsum befinden sich in drogenspezifischer Behandlung, großteils in Opioidsubstitutionsbehandlung. Für Martin Busch ein Erfolg der österreichischen Suchthilfe: „Es ist in den letzten Jahrzenten gelungen, die Behandlungsrate bei opioidabhängigen Personen massiv zu erhöhen. 2021 befanden sich 20138 Personen in Opioidsubstitutionsbehandlung, die in Österreich in rund drei Viertel aller Fälle von Allgemeinmedizinern durchgeführt wird. Dennoch ist es notwendig, die Behandlungsquote noch weiter zu erhöhen.“
Mehr Drogentote durch die Pandemie?
Im Jahr 2021 waren insgesamt 235 drogenbezogene Todesfälle, also tödliche Überdosierungen, zu verzeichnen, das bedeutet einen Anstieg gegenüber den Vorjahren (2020: 191; 2019: 196).
Der Anteil der Personen unter 25 Jahren war im letzten Jahrzehnt bei den drogenbezogenen Todesfällen niedrig und stieg in jüngster Vergangenheit wieder leicht an. In Zusammenschau mit der insgesamt angestiegenen Zahl der drogenbezogenen Todesfälle könnte das ein erstes Anzeichen für eine Verschärfung der Drogensituation sein, erläutert Busch. Er hält es aber auch für realistisch, dass es sich bei dieser Entwicklung um eine vorübergehende Folge der Covid-19-Pandemie handeln könnte beziehungsweise dass beides zutrifft: „Endgültig werden wir die Ursachen für den Anstieg erst in einigen Jahren kennen. Klar ist aber, dass suchtkranke Menschen in vielerlei Hinsicht eine sehr vulnerable Gruppe sind, deren Situation sich in der Pandemie großteils massiv verschlechtert hat. Die zusätzlichen Belastungen und Ängste dürften zu einer Erhöhung der psychiatrischen Komorbidität geführt haben. Das wurde uns von drogenspezifischen Einrichtungen auch bereits mitgeteilt“, so der GÖG-Experte.
Da mehr als die Hälfte der an einer Überdosierung verstorbenen Menschen nie in Opioidsubstitutionsbehandlung waren, stellt die wichtigste Maßnahme zur Senkung der Zahl eine weitere Erhöhung der Behandlungsrate dar. Der Ausbau von sogenannten Peer-Naloxon-Programmen, in denen Betroffene und deren Angehörige in Erster Hilfe und der Verabreichung von Naloxon geschult werden, und die Möglichkeit zum „Drug Checking“ sind weitere sinnvolle Maßnahmen. Wichtig ist es aber auch, die oben angesprochenen psychosozialen Belastungen für die Gruppe der suchtkranken Menschen entsprechend abzufedern.
Zusammenfassung und Ausblick
Insgesamt zeigt sich hinsichtlich der rezenten Entwicklung der Suchtsituation bezüglich illegaler Drogen, Tabak und Alkohol mit Ausnahme der drogenbezogenen Todesfälle ein relativ stabiles Bild.
Neben den Folgen durch die Coronakrise und ihrer Bewältigung gibt es aber darüber hinaus in vielen Bereichen Herausforderungen: etwa Hepatitis C bei Opiatabhängigen, die alternde Generation suchtkranker Menschen, neue Produkte im Bereich Tabak‐ und verwandte Erzeugnisse, die steigende Bedeutung von Kokain und die Entwicklung von Maßnahmen zur Verhinderung tödlicher Überdosierungen.
Quelle:
Pressegespräch „Drogensituation in Österreich“ der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) am 2. März 2023
Literatur:
Bericht zur Drogensituation 2022 und Epidemiologiebericht Sucht 2022: https://goeg.at/drogenberichte_2022 ; zuletzt aufgerufen am 6. 3. 2023
Das Experten-Interview
5 Fragen an:
Dr. Martin Busch
Leiter des Kompetenzzentrums Sucht
der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG)
Leiter des österreichischen REITOX Focal Point
E-Mail:
martin.busch@goeg.at
Web:
https://www.goeg.at/martin_busch
Welche Aufgaben hat das Kompetenzentrum Sucht?
M. Busch: Wir bereiten die epidemiologischen Grundlagen zur Einschätzung der Suchtsituation in Österreich auf und führen anwendungsorientierte Forschung durch. So haben wir vor einem Jahr das Factsheet „Berauscht durch die Krise“ herausgegeben mit dem Schwerpunktthema Covid-19, weiters lief das Projekt „Suchtbehandlung in der Krise“, in dem die Therapiemaßnahmen während der Pandemie beleuchtet wurden. Wir machen zudem auch Politikberatung, d.h., wir versuchen, die wissenschaftlichen Ergebnisse der Politik näherzubringen.
Wie sieht die Suchtprävention in Österreich aus?
M. Busch: Präventive Maßnahmen werden in Österreich zum Großteil auf lokaler oder regionaler Ebene implementiert, wobei die auf Länderebene angesiedelten Fachstellen für Suchtprävention eine zentrale Rolle einnehmen. Sowohl die Österreichische Suchtpräventionsstrategie als auch die Sucht-/Drogenstrategien der Bundesländer verfolgen einen ganzheitlichen Ansatz und differenzieren zwischen der Anerkennung von Sucht als Erkrankung einerseits und dem Drogenhandel andererseits.
Welche Aktivitäten werden dafür gesetzt?
M. Busch: Ein langjähriger Schwerpunkt der Suchtprävention in Österreich sind suchtübergreifende Maßnahmen sowie Aktivitäten im Bereich der legalen Substanzen. Das Spektrum der Aktivitäten hat sich im Laufe der Zeit weiterentwickelt, sodass inzwischen auch Themen wie Glücksspiel, Gewaltprävention, Suizidprävention oder die Prävention der Entwicklung psychischer Störungen an den Fachstellen angesiedelt sind. Bewährte Maßnahmen werden dabei in einem kontinuierlichen Prozess fortgeführt und weiterentwickelt.
Können Sie dazu beispielhaft Projekte nennen?
M. Busch: Beispiele für etablierte österreichweite Maßnahmen sind Lebenskompetenzprogramme im Schulsetting und Fortbildungen für Personen, die regelmäßig mit Zielgruppen in Kontakt kommen. Die ARGE Suchtvorbeugung hat diesbezüglich zwei neue Maßnahmen zur österreichweiten Umsetzung initiiert: das Lebenskompetenzprogramm „Wetterfest“ für Schüler*innen ab der 9. Schulstufe sowie eine Fortbildung unter dem Namen „Switch“ für Ärztinnen und Ärzte in der Primärversorgung. Die Teilnehmer*innen werden mit Techniken des „Motivational Interviewing“ vertraut gemacht und dadurch befähigt, in ihrer hausärztlichen Praxis bzw. bei Vorsorgeuntersuchungen adäquate und zielgerichtete Kurzinterventionen mit Patient*innen in Bezug auf problematischen Alkohol‐ und Nikotinkonsum zu setzen.
Welche Trends zeichnen sich zum Thema Suchtprävention ab?
M. Busch: Suchtpräventive Aktivitäten in Österreich sind mittlerweile überwiegend substanzunspezifisch ausgerichtet. Während früher spezifische Maßnahmen zur Suchtvorbeugung im Zusammenhang mit illegalen Substanzen im Vordergrund standen, spielen diese inzwischen eine eher untergeordnete Rolle, da sich das Problemverständnis weiterentwickelt hat – von der „Drogenprävention“ zur „Suchtprävention“. So finden legale Substanzen wie bspw. Tabak vermehrt Berücksichtigung. Hier ergeben sich durch neue Produkte wie E-Zigaretten und Nikotinbeutel neue Herausforderungen für die Suchtprävention. Auch rücken andere Verhaltensweisen mit Suchtpotenzial, wie bspw. Glücksspiel, vermehrt ins Blickfeld. Ein aktuelles Anliegen der Suchtprävention ist es, verhältnispräventive bzw. strukturelle Maßnahmen weiter auszubauen, um die Lebensbedingungen und Handlungsspielräume von Zielgruppen positiv zu beeinflussen. Zudem nehmen digitale Medien einen immerhöheren Stellenwert in der Suchtprävention ein, und zwar sowohl als Problemfeld als auch in der Angebotslandschaft im Rahmen von Maßnahmen. Dieser Trend hat sich im Berichtszeitraum durch die Auswirkungen der Covid‐19‐Pandemie noch weiter verstärkt. In diesem Zusammenhang veröffentlichte die Österreichische ARGE Suchtvorbeugung eine Stellungnahme zur „Frage der Anerkennung von E‐Sport/Gaming als Sport bzw. der Gemeinnützigkeit von E‐Sport und einhergehender Gesundheitsgefährdungen und Suchtprävention“, welche die Notwendigkeit verhältnispräventiver Maßnahmen betont.
Österreichischer Suchthilfekompass
Der Suchthilfekompass ist ein elektronisches Verzeichnis von ambulanten oder stationären Einrichtungen, die für die Durchführung gesundheitsbezogener Maßnahmen zur Verfügung stehen, sowie von Einrichtungen zur Therapie von Alkoholabhängigkeitserkrankungen. Weiters bietet die Website zahlreiche themenverwandte Links.
Kostenloses Seminar für Mediziner*innen
Patienten auf problematischen Nikotin- oder Alkoholkonsum anzusprechen, ist oftmals eine heikle Herausforderung. In einem neuen Seminar der Sucht- und Drogenkoordination Wien (SDW) für niedergelassene Ärzt*innen werden Interventionsschritte für Patientengespräche vorgestellt, um problematischen Substanzkonsum gezielt und angemessen zu thematisieren.
Diese unterstützen Sie dabei, den Alkohol- bzw. Nikotinkonsum anzusprechen, Patienten zu sensibilisieren und dadurch gesundheitsbewusste Veränderungen zu initiieren, sachlich zu informieren und das Thema beim nächsten Kontakt gezielt wieder aufzugreifen.
Die Teilnahme ist kostenlos.
Weitere Informationen: https://sdw.wien/