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Kunst mit Risiken?

Tätowierungen und Anwendungsbereiche in der Medizin

Tattoos sind seit geraumer Zeit eine Form des Selbstausdruckes und der Körperkunst, die es Menschen ermöglicht, sich mit bedeutsamen Symbolen und Bildern zu schmücken. Doch Tätowierungen haben sich über die reine Ästhetik hinaus weiterentwickelt und werden zunehmend auch in der Medizin, insbesondere in der plastisch-rekonstruktiven Chirurgie, angewandt.

Keypoints

  • Durch Medical Tattooing können bei einer Vielzahl von Indikationen die Haut und verschiedene Körperformen naturgetreu nachgebildet und Defekte kaschiert werden.

  • Neben Infektionen oder allergischen Reaktionen auf Farb- und Konservierungsstoffe könnte die Entstehung diverser Krankheiten durch die Migration pathogener Bestandteile von Tattoo-Farbe begünstigt werden.

  • Mögliche gesundheitliche Langzeitfolgen durch die Ablagerungen diverser Bestandteile von Tattoo-Farbe in anderen Organsystemen sind noch nicht ausreichend erforscht und bedürfen weiterhin intensiver Untersuchungen.

Diese innovative Technik, die als „Medical Tattooing“ bekannt ist, kann bei einer Vielzahl von Indikationen nicht nur rein ästhetische, sondern auch funktionelle Zwecke erfüllen. Nach einer Tätowierung kann es jedoch im Laufe der Zeit zu einem Verblassen des Tattoos und damit der Migration von Farbpigmenten kommen.

Die Untersuchung von damit verbundenen Folgeerscheinungen und möglichen pathogenen Bestandteilen von Tattoo-Farbe ist Gegenstand aktueller Studien.

Medical Tattooing und Anwendungsbereiche

Neben herkömmlichen Tätowierungen hat sich innerhalb der letzten Jahrzehnte eine neue Art von Tätowierungen entwickelt, die im Zusammenhang mit medizinischen Therapien zur Verbesserung des Gesamtergebnisses zum Einsatz kommt. Diese spezielle Art von Tattoo erfüllt im Gegensatz zu klassischen, in erster Linie dekorativen Tattoos meist einen funktionalen Zweck. Das Ziel ist hierbei, nach körperlichen Versehrtheiten in Form von Verletzungen, Operationsnarben oder auch Amputationen die Haut und verschiedene Körperformen möglichst naturgetreu nachzubilden und somit Defekte zu kaschieren. Eine medizinische Tätowierung oder auch Dermopigmentierung ist ein nichtinvasives Verfahren, das in der Regel ambulant von qualifizierten Tätowierkünstlern oder paramedizinischen Fachleuten, die eine spezielle Ausbildung in diesem Bereich erhalten haben, durchgeführt wird.

Diese innovative Technik kann heutzutage bei einer Vielzahl von Indikationen zum Einsatz kommen:

  • Narbenbehandlung: Eine der häufigsten Anwendungen des medizinischen Tätowierens ist die Narbenkaschierung, die insbesondere dann Anwendung findet, wenn durch eine erneute chirurgische Intervention das Ergebnis voraussichtlich nicht weiter verbessert werden kann.Hierbei werden auffällige Narben, die durch Operationen, Unfälle oder Verbrennungen entstanden sind, oder auch störende Striae distensae durch präzises Angleichen von Hautfarbe und -textur erheblich weniger sichtbar gemacht. Insbesondere bei der Behandlung von Narben in sichtbaren, stigmatisierenden Lokalisationen kann so zu einem gesteigerten Wohlbefinden und Selbstbewusstsein von Patient:innen beigetragen werden.

  • Mamillen-Areola-Komplex-Rekonstruktion:Die im Rahmen der Mammakarzinombehandlung häufig durchgeführte Mastektomie erfordert bei entsprechender Indikation auch die Entfernung des Mamillen-Areola-Komplexes (MAK). Die als heutzutage integraler Bestandteil der Mammakarzinomtherapie angebotene Brustrekonstruktion beinhaltet daher häufig auch die Rekonstruktion des MAK, für welche aus verschiedenen Techniken gewählt werden kann.Durch ein Medical Tattooing kann ein chirurgisch rekonstruierter MAK optisch verfeinert oder aber auch vollständig und realistisch mittels 3D-Technik tätowiert werden. Hierdurch kann das funktionell-ästhetische Ergebnis einer Brustrekonstruktion optimiert und Betroffenen geholfen werden, das Gefühl von Vollständigkeit wiederzuerlangen. Auch kann diese Technik bei Transgender-Personen nach Geschlechtsanpassungsoperation angewandt werden, um das Erscheinungsbild des MAK entsprechend ihrer Geschlechtsidentität zu verbessern.

  • Behandlung von Pigmentunterschieden: Pigmentunterschiede jeglicher Art können vor allem in sichtbaren Arealen für Betroffene stark stigmatisierend sein. Durch sorgfältiges Angleichen des Pigments an die umgebende Haut können betroffene Bereiche effektiv kaschiert und ein ebenmäßigeres Hautbild hergestellt werden. Diese spezielle Camouflage-Technik kann bei angeborenen Pigmentstörungen wie Vitiligo, aber auch bei erworbener Hypo- oder Hyperpigmentierung durch z.B. plastisch-chirurgische Hauttransplantationen oder Lappenplastiken zum Einsatz kommen, um das Erscheinungsbild zu verbessern.

  • Lösungen bei Haarausfall: Patient:innen, die an Haarausfall aufgrund einer Alopecia, Chemotherapie, anderer medizinischer Erkrankungen oder postoperativer Komplikationen leiden, kann eine Pigmentierung von Haarfollikeln angeboten werden. Diese können auf der Kopfhaut, den Brauen oder Wimpern tätowiert werden, um eine natürliche Haardichte und Haarlinie zu simulieren. Diese Technik wird jedoch nicht nur zur Behandlung von Haarausfall eingesetzt, sondern auch, um Narben in behaarten Arealen zu kaschieren, die mitunter häufig durch Haartransplantationen entstehen.

Pathogene Bestandteile von Tattoo-Farben

Mit der wachsenden Popularität von Tätowierungen allgemein, aber auch der durch die Entwicklung des Medical Tattooing neu entstandenen Anwendungsbereiche intensivieren sich auch Diskussionen über die Zusammensetzung von Tattoo-Farben und damit verbundene gesundheitliche Risiken. Neben allgemeinen Komplikationen wie Infektionen oder allergischen Reaktionen auf bestimmte Farb- und Konservierungsstoffe können einige Inhaltsstoffe die Entstehung von Erkrankungen wie Morbus Parkinson begünstigen oder sogar mit einem erhöhten Krebsrisiko in Verbindung gebracht werden.

In einer Untersuchung gängiger Tattoo-Farben an der Klinischen Abteilung für Plastische, Ästhetische und Rekonstruktive Chirurgie, Universitätsklinik für Chirurgie, Medizinische Universität Graz, wurden beispielsweise alarmierend hohe Anteile von (Schwer)metallen wie Titan, Kupfer, Chrom und Eisen mit Grenzwerten von bis zu 335g/kg belegt. Die Mechanismen, durch die derartige Metalle zur Krankheitsentstehung beitragen können, sind komplex und reichen von DNA-Mutationen und Störungen der Zellregulation bis hin zur Anregung von Entzündungsprozessen und oxidativem Stress. Neben Metallen als potenzielle gesundheitliche Risikofaktoren gibt es auch Hinweise auf die Entstehung karzinogener Substanzen durch den Abbau von in Tattoo-Farbe enthaltenen Azofarbstoffen oder aromatischen Aminen. Aus diesem Grund wurden durch die Europäische Chemikalienverordnung zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH-Verordnung) im Januar 2022 etliche Chemikalien in Tattoo-Farben, die als potenziell gesundheitsschädlich angesehen werden,in der gesamten Europäischen Union verboten, was zur Entwicklung etlicher zugelassener Nachfolgeprodukte führte. Für die Anfang 2023 verbotenen, jedoch in fast zwei Dritteln aller Tattoo-Farben enthaltenen Pigmente „Blue 15:3“ und „Green7“ muss allerdings erst eine Alternative gefunden werden.

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Abb. 1: Klinisches Bild einer Patientin nach subkutaner Mastektomie und Sofortrekonstruktion mittels Implantaten vor und unmittelbar nach Rekonstruktion des Mamillen-Areola-Komplexes durch Medical Tattooing

Migration von Farbpigmenten

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Abb. 2: Natürliche Rekonstruktion eines Mamillen-Areola-Komplexes durch 3D-Technik des Medical Tattooing

Innerhalb mehrerer Jahre nach einer Tätowierung kann ein bestimmter Anteil der eingebrachten Farbpigmente abgebaut werden, was ein Verblassen des Tattoos zur Folge hat. Das Verblassen ist auf verschiedene Faktoren wie die Qualität des Tattoos, die Hautbeschaffenheit, UV-Exposition oder Verletzungen zurückzuführen. Obwohl das Wissen über die Kinetik von Tattoo-Farbe für die Einschätzung gesundheitlicher Langzeitfolgen durch Migration und Ablagerung pathogener Bestandteile als essenziell erachtet wird, ist diese Thematik bis dato noch wenig erforscht. Bisherige Arbeiten konnten belegen, dass kleinere Partikel insbesondere in lokoregionale Lymphknoten und in geringen Mengen auch in Leber und Milz migrieren können. Überraschenderweise konnte in einer präklinischen Studie der Klinischen Abteilung für Plastische, Ästhetische und Rekonstruktive Chirurgie, Universitätsklinik für Chirurgie, Medizinische Universität Graz, gezeigt werden, dass neben kleinen Partikeln mit einer Größe von maximal 100nm auch größere Bestandteile wie z.B. Titandioxid mit über 300nm in lokoregionale Lymphknoten migrieren können. Die starke Kinetik von eingebrachter Tattoo-Farbe wurde im Zuge dieser Arbeit insbesondere auch dahingehend bestätigt, dass bis zu 50% der insgesamt verwendeten Farbpigmente migrieren und in Lymphknoten zu makroskopischen Veränderungen führen können. Pathogene Bestandteile von Tattoo-Farbe könnten demnach nicht nur lokalisiert im Bereich der Tätowierung selbst, sondern auch in anderen Organsystemen die Entstehung diverser Krankheiten begünstigen. Obwohl es bis dato noch keine Hinweise auf schwerwiegende gesundheitliche Probleme durch Ablagerungen von Tattoo-Pigmenten im Körper gibt, sind mögliche Langzeitfolgen noch immer nicht ausreichend erforscht und bedürfen weiterhin intensiver Untersuchungen.

Fazit

Medical Tattooing stellt eine innovative, nichtinvasive Behandlungsoption für eine Vielzahl von Indikationen dar. Durch eine Verbesserung des äußeren Erscheinungsbildes können Patient:innen wieder wesentlich an Selbstvertrauen und Wohlbefinden zurückgewinnen. Nichtsdestotrotz sind weitere Untersuchungen sowie eine strenge Reglementierung hinsichtlich der Zusammensetzung von Tattoo-Farben erforderlich, um mögliche gesundheitliche Langzeitfolgen durch eine Migration schädlicher Bestandteile besser zu erforschen und damit minimieren zu können.

bei den Verfasser:innen

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