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Risiko reduzierende Eingriffe an der weiblichen Brust
Jatros
Autor:
Beate Stocker
Brustgesundheitszentrum Wilhelminenspital der Stadt Wien
Autor:
Sara Abayev
Brustgesundheitszentrum Wilhelminenspital der Stadt Wien
Autor:
Rupert Koller
Brustgesundheitszentrum Wilhelminenspital der Stadt Wien
30
Min. Lesezeit
20.09.2018
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<p class="article-intro">Prophylaktische oder – korrekter formuliert – Risiko reduzierende Eingriffe an der weiblichen Brust sind spätestens seit Angelina Jolies Outing in der „New York Times“ im Mai 2013 ein nicht nur in Medizinerkreisen intensiv diskutiertes Thema. Die zunehmende Erweiterung und Verfeinerung der genetischen Tests lassen den Bedarf an derartigen Operationen spürbar ansteigen.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Grundsätzlich unterscheiden wir nach der Indikation mehrere Arten von Risiko reduzierenden Eingriffen:</p> <ul> <li>Brustverkleinerungen</li> <li>Risiko reduzierende Eingriffe bei familiärem Hochrisiko</li> <li>kontralaterale prophylaktische Mastektomie bei einseitigem Tumor</li> <li>Risiko reduzierende Eingriffe bei Läsionen unsicheren Verhaltens (B3-Läsionen)</li> </ul> <h2>Indikationsstellungen</h2> <p><strong>Mammareduktionsplastik</strong><br /> Auch eine signifikante Verminderung des Brustdrüsengewebes führt zu einer – allerdings limitierten – Reduktion der Brustkrebsinzidenz. Eine retrospektive schwedische Studie untersuchte über 30 000 Frauen nach Mammareduktion und konnte zeigen, dass die Karzinomhäufigkeit deutlich niedriger im Vergleich zur Normalbevölkerung ohne Reduktionsplastik war (Fryzek 2006).<sup>1</sup> Bei dieser retrospektiven Analyse ist einschränkend zu bemerken, dass Frauen, bei denen eine elektive Mammareduktionsplastik durchgeführt wird, generell weniger gesundheitliche Risikofaktoren aufweisen.<br /><br /> <strong>Familiäres Hochrisiko</strong><br /> Wir gehen heute davon aus, dass etwa 10 % der Brustkrebsfälle erblich bedingt sind, davon die Hälfte durch die BRCA1- und BRCA2-Mutationen. Mutationsträgerinnen wird die beidseitige Risiko minimierende Mastektomie als Alternative zu engmaschigen MRT-Kontrollen angeboten. In einer viel zitierten niederländischen Vergleichsstudie (Heemskerk-Gerritsen 2013) konnte gezeigt werden, dass diese prophylaktische Operation tatsächlich die Brustkrebsinzidenz und -mortalität signifikant senken kann.<sup>2</sup><br /><br /><strong> Kontralaterale prophylaktische Mastektomie (CPM)</strong><br /> Hier sehen wir uns als Chirurgen mit einer zunehmenden Zahl von Frauen konfrontiert, die an einer Brust erkrankt sind und sich das kontralaterale gesunde Organ entweder aus onkologischen oder Symmetriegründen entfernen lassen wollen. Diesem vor allem aus den USA kommenden Trend ist generell entgegenzutreten, da die CPM zwar das kontralaterale Erkrankungsrisiko ein wenig senkt, aber nur bei bestimmten Mutationsträgerinnen einen Überlebensvorteil zeigt und daher auch nur diesen Frauen angeboten werden sollte (Fayanju 2014).<sup>3</sup> Da auch das chirurgische Risiko an der gesunden Brust nicht unerheblich ist, ist die Indikation zur CPM außerhalb der Hochrisikosituation nur in ausgewählten Individualfällen (z.B. radiologisch schlecht beurteilbare Brust) zu stellen.<br /><br /> <strong>Risiko reduzierende Eingriffe bei B3-Läsionen</strong><br /> Patientinnen, die wegen unklarer radiologischer Befunde wiederholten Biopsien ausgesetzt sind, bei denen lediglich Veränderungen unsicheren Verhaltens wie atypische duktale Hyperplasien, radiäre Narben oder „low grade“ lobuläre intraepitheliale Neoplasien festgestellt werden, haben oft den Wunsch nach einer prophylaktischen Mastektomie, um „dem Spuk ein Ende zu machen“. Diesem Ansinnen ist ebenfalls nur in begründeten Einzelfällen und immer nach Beratung im Tumorboard nachzugeben.</p> <h2>Chirurgische Techniken</h2> <p>Bei kleinen und wenig ptotischen Brüsten haben sich Verfahren, die den Hautmantel zumindest subtotal erhalten, konkret die Brustwarzen erhaltende („nipple sparing“, NSM), oder die Hautmantel erhaltende Mastektomie („skin sparing“, SSM) durchgesetzt (Abb. 1, 2). Der Trend bei Operationen an klinisch gesunden Mammae geht dahin, den Mamillen-Areola- Komplex (MAK) zu erhalten, da dies bei sorgfältiger Entfernung allen Brustdrüsengewebes keine wesentliche Erhöhung des Tumorrisikos bringt.<br /> Bei großen oder ptotischen Brüsten sieht man sich auch entsprechend größeren chirurgischen Herausforderungen ausgesetzt, da die oft notwendige Reduktion des Hautmantels und die Versetzung des MAK das Risiko einer Wundheilungsstörung deutlich ansteigen lassen. Bewährt haben sich in eigenen Händen eine Geweberesektion mit einer umgekehrten TNarbe („Wise pattern“) und eine freie Transplantation des MAK. Eine Stielung des MAK an einem dermoglandulären Lappen ist onkologisch bedenklich und einem rein dermalen Stiel sind wegen der Gefahr der Mangeldurchblutung Grenzen gesetzt.<br /> In jedem Fall ist eine Sofortrekonstruktion indiziert, da es normalerweise keine adjuvante Therapie gibt. Hier gelten dieselben Indikationskriterien wie für Mammarekonstruktionen nach onkologischen Eingriffen. Bei kleinen, wenig ptotischen Brüsten kann man mit Implantaten – entweder einzeitig oder zweizeitig über den Umweg eines Expanders – sehr gute Ergebnisse erzielen, wobei das zweizeitige Verfahren sicherer, aber eben auch langwieriger und aufwendiger ist (Dikmans 2014) (Abb. 1, 2).<sup>4</sup> Die einzeitige Sofortrekonstruktion mit einem Implantat definierter Größe stellt hohe Ansprüche an Indikationsstellung, chirurgische Technik und Nachbehandlung und ist in großen nicht auf Einzelchirurgen fokussierten Studien mit Implantatverlustraten von bis zu 20 % assoziiert (Dikmans 2014, Lardi 2014).<sup>4, 5</sup> Unsere eigene diesbezügliche Verlustrate im BGZ Wilhelminenspital beträgt 5 % .<br /><br /> Wir legen besonderen Wert auf Patientinnenselektion, schonende chirurgische Technik, zurückhaltende Auswahl des Implantatvolumens und eine die Hautdurchblutung nicht kompromittierende Verbandstechnik.<br /> Eigengeweberekonstruktionen sind primär aufwendiger, aber sicherer und nachhaltiger als Implantat-basierte Verfahren und sind bei großen und ptotischen Brüsten zu bevorzugen (Abb. 3).<br /> Einen speziellen Fall stellen Frauen dar, die bereits ein einseitiges Karzinom mit brusterhaltender Therapie und Radiatio hinter sich haben, dann positiv auf familiäres Risiko getestet werden und sich in dieser Situation für eine beidseitige Risiko reduzierende Operation entscheiden. Hier muss im Einzelfall in Diskussion mit der Patientin entschieden werden, ob die Lokalsituation nach Bestrahlung eine Implantat- basierte Rekonstruktion zulässt. Die Komplikationsrate ist jedenfalls erhöht und eine Symmetrie nur schwer zu erzielen (Abb. 4).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Derma_1803_Weblinks_s46_abb1.jpg" alt="" width="1417" height="582" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Derma_1803_Weblinks_s46_abb2.jpg" alt="" width="1417" height="640" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Derma_1803_Weblinks_s46_abb3.jpg" alt="" width="1417" height="831" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Derma_1803_Weblinks_s46_abb4.jpg" alt="" width="2150" height="554" /></p> <h2>Juridische Aspekte und Ausblick</h2> <p>Risiko reduzierende Eingriffe unterliegen als Operationen an gesunden Organen speziellen Kriterien für präoperative Aufklärung und Indikationsstellung, die besonders im Falle der gar nicht so seltenen Komplikationen besondere Bedeutung – vergleichbar mit rein kosmetischen Operationen – gewinnen.<br /> Die Österreichische Gesellschaft für Senologie – Interdisziplinäres Forum für Brustgesundheit hat aus diesem Grund eine Expertengruppe aus Medizinern, Juristen und einer Psychoonkologin ins Leben gerufen, mit dem Ziel, klare Indikationsstellungen und Behandlungsstrategien zu definieren und den betroffenen Ärzten ein entsprechendes Rüstzeug für die Behandlung von Frauen mit dem Wunsch nach einem Risiko reduzierenden Eingriff an der Mamma anzubieten.</p></p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Fryzek JP et al.: A nationwide epidemiologic study of breast cancer incidence following breast reduction surgery in a large cohort of Swedish women. Breast Cancer Res Treat 2006; 97(2): 131-4 <strong>2</strong> Heemskerk-Gerritsen BA et al.: Substantial breast cancer risk reduction and potential survival benefit after bilateral mastectomy when compared with surveillance in healthy BRCA1 and BRCA2 mutation carriers: a prospective analysis. Ann Oncol 2013; 24(8): 2029-35 <strong>3</strong> Fayanju OM et al.: Contralateral prophylactic mastectomy after unilateral breast cancer: a systematic review and meta-analysis. Ann Surg 2014; 260(6): 1000-10 <strong>4</strong> Dikmans RE et al.: Two-stage implant-based breast reconstruction compared with immediate onestage implant-based breast reconstruction augmented with an acellular dermal matrix: an open-label, phase 4, multicentre, randomised, controlled trial. Lancet Oncol 2017; 18(2): 251-58 <strong>5</strong> Lardi AM et al.: Immediate breast reconstruction with acellular dermal matrix: factors affecting outcome. J Plast Reconstr Aesthet Surg 2014; 67(8): 1098-105</p>
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