
„Hit hard and early“ ist angesagt
Unsere Gesprächspartner:
Prof Dr. Markus Böhm
Leiter der Poliklinik und Leiter der AG Neuroendokrinologie der Haut Klinik für Hautkrankheiten
Universitätsklinikum Münster (UKM)
Univ.-Prof. Dr. Adrian Tanew
Facharzt für Dermatologie und Venerologie, Wien
Universitätsklinikum Münster (UKM)
Die Interviews führte
Dr. med. Felicitas Witte
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Vitiligo wird zu wenig beachtet und Patienten werden mitunter zu spät oder nicht optimal behandelt. Deshalb war es notwendig, eine Vitiligo-Leitlinie1 zu schreiben, erklärte Prof. Böhm aus Münster. Was die wichtigsten Punkte sind und was man dem Patienten unbedingt erklären sollte lesen Sie hier.
Warum war es notwendig, eine Leitlinie zu schreiben? Die Behandlung der Vitiligo scheint nicht besonders schwierig.
M. Böhm: Vitiligo ist bisher in den deutschen Leitlinien stiefmütterlich behandelt worden. Leider kommen zu mir immer wieder Patienten, die eine wahre Arzt-Odyssee hinter sich haben. Die niedergelassenen Kollegen hätten gesagt, erzählen die Betroffenen, man könne eh nichts machen oder man solle sich nicht so anstellen, weil es sich nur um eine kosmetische Störung handelt. Nicht selten erhalten die Patienten zudem keine optimale Therapie oder sie wird viel zu spät begonnen. Deshalb haben wir die Leitlinie geschrieben: Wir wollten den niedergelassenen Kollegen eine wissenschaftlich fundierte Basis geben mit dem Schwerpunkt auf evidenzbasierter Diagnostik und Therapie.
Wenn einzelne Kollegen nicht richtig therapieren, kann man ja nicht davon ausgehen, dass generell schlecht therapiert oder Vitiligo banalisiert wird.
M. Böhm:Sie haben völlig recht. Es gibt schon Daten aus anderen Ländern, die das nahelegen,2,3 in den deutschsprachigen Ländern stehen wir aber noch am Anfang dieser Versorgungsforschung. Meiner Meinung nach behandeln viele Kollegen die Vitiligo am Anfang zudem nicht aggressiv genug oder halbherzig. Das Motto ist: „Hit hard and early“ – so wie bei anderen Erkrankungen auch, zum Beispiel rheumatoider Arthritis. Dabei soll die frühe aggressive Therapie bleibenden Destruktionen der Gelenke vorbeugen. Bei Vitiligo reicht es nicht, nur mal schnell eine Creme zu rezeptieren. Man muss sie ausreichend stark und lange genug auftragen, sonst schreitet die Vitiligo immer weiter fort. Hat der Patient erst einmal weiße Haare in den weißen Flecken der Haut, kann man die nur mit sehr geringer Wahrscheinlichkeit repigmentieren. Eine rasch progrediente, nichtsegmentale Vitiligo sollte am besten sogar mit einer Dreifachtherapie behandelt werden: systemische Steroide plus potente Steroide Klasse III topisch oder alternativ topische Calcineurin-Inhibitoren plus Schmalband-UVB-Phototherapie.
Manche Menschen meinen, Vitiligo sei ein rein kosmetisches Problem. Was sagen Sie dazu?
M. Böhm: Vitiligo ist eine Krankheit und erfüllt alle Voraussetzungen der Krankheitsdefinition der WHO. Sie ist zudem mit einer hohen Stigmatisierung verbunden und führt oft zu psychosozialen Problemen. Wie belastend die Krankheit ist, kommt darauf an, welchen Hauttyp der Patient hat, wie dunkel seine normale Hautfarbe ist, wo und wie ausgedehnt die Hautveränderungen sind und wie sehr sie den Patienten individuell stören, was für einen Beruf er hat und was er privat so tut. Haben Sie schon mal einen Nachrichtensprecher mit Vitiligo gesehen oder einen Friseur oder eine Verkäuferin? Ich jedenfalls nicht. Anders herum vermarkten sogar manche Patienten ihre Weißfleckenkrankheit, zum Beispiel in der Mode. Das kann sogar ein positiver Abwehrmechanismus sein. Im Gespräch mit dem Patienten müssen wir auf all diese Sorgen und Probleme eingehen. Aber zumindest hier in Deutschland gibt es dafür kaum Zeit, weil das Gespräch mit dem Patienten nicht ausreichend honoriert wird. Dabei wäre es nicht nur wegen der psychosozialen Aspekte wichtig, sich Zeit für den Patienten zu nehmen.
Warum noch?
M. Böhm: Man muss dem Patienten genau erklären, wie die Behandlung funktioniert. Er muss etwa wissen, dass er die Kortison-Creme einmal pro Tag über drei Monate auftragen muss oder einmal täglich für jeweils 15 Tage gefolgt von zwei Wochen Pause, wenn die Behandlung 6 Monate dauert. Er muss wissen, dass sich damit die Vitiligo im Gesicht und Hals am besten behandeln lässt, während Kortison auf Handrücken oder Fußrücken kaum etwas wirkt. Auch die Phototherapie hilft am besten gegen Läsionen im Kopf- und Halsbereich, etwas weniger gut gegen Areale am Stamm und an den Extremitäten und kaum gegen solche an Händen und Füßen. Manche Patienten sind auch erstaunt, wie lange eine solche Behandlung dauert. Phototherapie wird üblicherweise mit einer diskret erythematogenen Dosis über viele Monate zwei- bis dreimal pro Woche in speziellen Ambulanzen oder Facharztpraxen durchgeführt.
Was ist mit dem Krebsrisiko durch die Lichttherapien?
M. Böhm: Ich höre immer wieder von Patienten die Sorge, die Phototherapie könne Hautkrebs auslösen. Hierfür haben wir aber keine klare Evidenz. Die wenigen in der Literatur berichteten Fälle von Hautkrebs bei Vitiligo bezogen sich fast ausschließlich auf Patienten, die mit PUVA behandelt wurden. Verblüffenderweise gibt es sogar wissenschaftliche Belege, dass in der weißen Haut bei Vitiligo Mechanismen installiert sind, die vor weisßem Hautkrebs eher schützen könnten!4
Was sind für Sie die wichtigsten Aspekte in der Leitlinie?
M. Böhm: Zum einen, dass jeder Dermatologe weiß, wie er eine akute Vitiligo erkennt, und dass er die aktuellen Scoring-Systeme anwendet, um den Schweregrad exakt einzuschätzen. Das ist nicht nur für die Auswahl der Therapie notwendig, sondern dient auch zur Verlaufskontrolle. Zum anderen die korrekte Auswahl der Behandlungsmöglichkeiten. Hierzu muss man selbstverständlich auch den Leidensdruck und die Beeinträchtigung der Lebensqualität des betroffenen Patienten mit einbeziehen. Hat eine Patientin beispielsweise Vitiligo-Stellen nur im Bereich des Unterleibes oder der Schamlippen und stört sie das gar nicht oder hat ein Patient eine sehr helle Haut, kann eine spezifische Behandlung bis auf bestimmte supportive Massnahmen (z.B. Lichtschutz) zurückgestellt werden.
Was halten Sie von den neuen Ansätzen zu gezielten Therapien?
M. Böhm: Am meisten verspreche ich mir aktuell von den JAK-Hemmern. Ruxolitinib zeigte kürzlich in einer randomisierten klinischen Studie mit 157 Patienten signifikante Veränderungen im fazialen VASI50 im Vergleich zu Placebo.5 Wir haben Patienten in der Folgestudie mit dieser Creme eingeschlossen und ich bin gespannt, ob sich die initialen positiven Effekte weiter untermauern lassen, sodass womöglich bald das Mittel zugelassen wird.
Wo sehen Sie den Einsatz der JAK-Inhibitoren?
M. Böhm: Vermutlich werden wir Patienten mit limitierter Vitiligo zukünftig mit topischen JAK-Hemmern behandeln, später vielleicht auch in Kombination mit Phototherapie. Patienten mit ausgedehnter und/oder aktiver Vitiligo dürften die Zielpopulation für systemische JAK-Hemmer sein, im zweiten Schritt eventuell kombiniert auch mit der Phototherapie.
Wir danken für das Gespräch!
Literatur:
1 S1-Leitlinie. Diagnostik und Therapie der Vitiligo. AWMF-Register-Nr.: 013-093, 202. 2021. https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/013-093.html 2 AlGhamdi KM et al.: Indian J Dermatol Venereol Leprol 2012; 78: 74-81 3 Ongenae K et al.: Eur J Dermatol. 2004; 14: 177-81 4 Salem MM et al.: FASEB J 2009; 23: 3790-807 5 Rosmarin D et al.: Lancet 2020; 396: 110-20
„Wir befinden uns in einer therapeutischen Umbruchphase“
Manche Menschen meinen, Vitiligo sei ein rein kosmetisches Problem. Was sagen Sie dazu?
A. Tanew: Das ist von Person zu Person sehr unterschiedlich. Manche meiner Patienten haben nur einen minimalen oder geringen Leidensdruck, andere leiden extrem. Das scheint weniger mit dem Ausmaß der Vitiligo zusammenzuhängen als mit anderen Faktoren: Alter, Verteilung der Vitiligo, ethnische Zugehörigkeit, psychosoziales Umfeld und Persönlichkeitsstruktur des Patienten. Ein Teenager kann bisweilen selbst unter kleinen Vitiligostellen furchtbar leiden, während ältere Patienten mit langjähriger Vitiligo sich oft schon mit der Erkrankung abgefunden haben. Es gibt Patienten, die durch Vitiligo an nicht sichtbaren Körperstellen, etwa am Gesäß oder im Genitalbereich, nicht oder kaum belastet sind, während sich andere dadurch möglicherweise sehr beeinträchtigt fühlen. Wie sehr die Patienten darunter leiden, hängt aber auch von der Führung durch uns Ärzte ab.
Wie meinen Sie das?
A. Tanew: Manchmal höre ich von Patienten, dass ihre Erkrankung von anderen Ärzten nicht wirklich ernst genommen oder als rein kosmetisches Problem bagatellisiert wurde. Bemerkungen wie „Sie sind ja ohnehin bereits verheiratet“ oder „Da kann man nichts machen“ helfen dem Patienten entweder nicht oder treffen nicht zu. Inadäquate Informationen und mangelnde Empathie von Ärzten führen nicht selten zu Verunsicherung und Frustration bei den Patienten und dem Gefühl, von der Medizin im Stich gelassen worden zu sein.
Was halten Sie von der neuen Leitlinie?
A. Tanew: Dafür war es höchste Zeit. Vitiligo ist eine häufige Hauterkrankung, deren Einfluss auf die Lebensqualität der Betroffenen unterschätzt wird, weshalb Vitiligo oft nicht ausreichend behandelt wird. Wir wissen zunehmend mehr über die pathophysiologischen Abläufe und Therapiemöglichkeiten der Vitiligo und brauchen jetzt eine Leitlinie, die die vorhandene Evidenz zusammenfasst. Ich denke auch, dass wir die Leitlinie in ein paar Jahren erneut aktualisieren werden, da wir uns therapeutisch in einer Umbruchphase befinden. Die klassische Therapie besteht zwar immer noch vor allem aus topischer Therapie und dem Einsatz der Phototherapie, aber es werden mittlerweile auch zielgerichtete Therapien untersucht, einige bereits in Phase-III-Studien.
Was sind für Sie die wichtigsten Aspekte in der neuen Leitlinie?
A. Tanew: Vor allem zwei Punkte. Erstens der korrekte Einsatz der äußerlichen Therapien. Man muss die richtige Therapie für die richtige Lokalisation wählen. Calcineurin-Inhibitoren eignen sich zum Beispiel wunderbar für Gesicht und Hals, aber sie wirken so gut wie nicht an anderen Körperstellen. Dort müssen wir Kortikosteroide anwenden. Ich sehe aber immer wieder Patienten, denen aus Angst vor einer Cortisontherapie ausschließlich Calcineurin-Inhibitoren verschrieben wurden. Die modernen Kortikosteroide sind sehr effektiv und auch in der Langzeitanwendung sicher. Sie verursachen bei korrekter Anwendung und regelmäßigem Monitoring – also alle drei Monate – nur selten Nebenwirkungen, die überdies meist reversibel sind. Man muss die Patienten auch über die richtige Anwendung der äußerlichen Präparate instruieren. Während bei topischen Kortikosteroiden die Anwendungeinmal täglichausreicht, müssen Calcineurin-Inhibitoren zweimal pro Tag angewendet werden. Wichtig ist auch die Information, dass es oft drei Monate und länger dauern kann, bis eine sichtbare Verbesserung des Hautbildes eintritt.
Was ist der zweite Punkt?
A. Tanew: Die Lichttherapie korrekt anzuwenden. Sie wird einerseits als Kurzzeitbehandlung (zum Beispiel zweimal pro Woche über 12 Wochen) durchgeführt, um die Erkrankungsaktivität bei rasch progredienter Vitiligo zu stoppen. Andererseits kann man die Phototherapie über viele Monate anwenden, um bei ausgedehnter Vitiligo eine Repigmentierung hervorzurufen. Auch wenn selten komplette Repigmentierungen zu erzielen sind, können wir bei korrekter Patientenauswahl und richtiger Durchführung der Lichttherapie oft ganz erhebliche Verbesserungen des Hautzustandes erzielen. Es ist wichtig, zu verstehen, dass auch unvollständige Repigmentierungen für die Patienten subjektiv zumeist sehr bedeutsam sind.
Aber der Patient sieht dann ja trotzdem noch weiße Stellen.
A. Tanew: Das ist richtig. Aber wenn bei einem Patienten 15 Prozent der Hautoberfläche befallen sind und sich die Vitiligo dann um 70 bis 80 Prozent verringert, ist das für die Patienten oft ein unglaublicher Gewinn an Lebensqualität und sehr ermutigend.
Bei Psoriasis und atopischer Dermatitis gehören gezielte Medikamente inzwischen zum Standard. Warum gibt es noch keine gegen Vitiligo?
A. Tanew: Die Vitiligo hinkt anderen Krankheiten wie Psoriasis oder atopischem Ekzem in Bezug auf die komplette Aufschlüsselung des Pathomechanismus hinterher. Wir kennen bisher nur einige Zytokine, die in der Pathogenese eine zentrale Rolle spielen und gegen die dann zielgerichtete Medikamente entwickelt werden können. Die Grundlagenforschung auf dem Gebiet der Vitiligo schreitet etwas langsamer fort, was neben der Komplexität dieser Erkrankung auch daran liegt, dass Vitiligo im Gegensatz zu Psoriasis oder atopischer Dermatitis seltener ist und bisher auch weniger als beeinträchtigende Krankheit wahrgenommen wurde.
Wann stellen Sie die Indikation zu einer chirurgischen Therapie?
A. Tanew: Chirurgische Therapieoptionen gehören zu den effektivsten Interventionen bei stabiler Vitiligo, werden aber im deutschsprachigen Raum nur selten angewendet. Die Techniken sind aufwendig und die Nachfrage ist im Vergleich zu Ländern, wo dunkle Hauttypen vorherrschen oder wesentlich häufiger sind wie in Südamerika, Indien oder den USA und die Stigmatisierung durch Vitiligo ungleich ausgeprägter ist, gering. Eine Indikation zur chirurgischen Therapie besteht für die segmentale und fokale Vitiligo, im Prinzip kann sie aber bei allen stabilen Formen der Vitiligo erwogen werden, wenn eine konservative Behandlung erfolglos geblieben ist.
Wir danken für das Gespräch!
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