
Wie gut wirkt die Impfung und ist der Booster wirklich nötig?
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In den vergangenen Monaten kursierten in den Medienimmer wieder Meldungen darüber, dass die Covid-19-Impfung unter Real-World-Bedingungen offenbar nicht so effektiv ist, wie in den Zulassungsstudien festgestellt wurde, und dass die Impfung schlechter vor der Deltavariante von SARS-CoV-2 schützt. Prof. Dr. Kim Mulholland, Pädiater, Vakzinologe und Mitglied der Strategic Advisory Group of Experts on Immunization (SAGE) der WHO, ordnete die teilweise unterschiedlichen und widersprüchlichen Daten zur Wirksamkeit der Covid-19-Impfstoffe ein: Für die Zulassungsstudien wurden Teilnehmer in zwei Gruppen randomisiert, sodass die Merkmale von geimpften und ungeimpften Teilnehmern möglichst gleich sind. Eine Gruppe wird geimpft, die zweite Gruppe nicht. Anschließend wurde untersucht, wie viele Teilnehmer in jeder Gruppe erkranken, und daraus die Wirksamkeit unter Studienbedingungen errechnet (engl. für Wirksamkeit unter Studienbedingungen: „efficacy“, engl. für Wirksamkeit unter Real-World-Bedingungen: „effectiveness“). Bei anschließenden Studien unter Real-World-Bedingungen wurde ausgewertet, wie viel Prozent der geimpften und der ungeimpften Bevölkerung erkrankten. Doch unterscheiden sich bei diesen Real-World-Studien die geimpften und die ungeimpften Menschen z.B. hinsichtlich der Altersverteilung, und allein das verändert schon die Ergebnisse gegenüber einer randomisierten Studie, in der die Altersstruktur in beiden Gruppen durch die Randomisierung ähnlich ist. Somit sind die Ergebnisse von klinischen und Real-World-Studien zur Wirksamkeit von Covid-19-Impfstoffen nicht 1:1 vergleichbar.
Ist die Impfung schlechter als gedacht?
Eine Eigenschaft nicht nur der Covid-19-Impfstoffe ist, dass sie besser gegen schwere Erkrankungen wirken als gegen milde. Dieser Effekt kann Studienergebnisse beeinflussen: So ergab die Zulassungsstudie eines Covid-19-Impfstoffes in Brasilien eine Efficacy von nur 51% (Tab. 1), weil aber in dieser Studie sehr viele sehr milde Fälle und vergleichsweise sehr wenige schwere Fälle auftraten, verringerte das die Gesamt-Efficacy stark.
Impfung wirkt gut gegen Delta
Seitdem die vierte Welle mit der Deltavariante rollt, ist auch in Israel, wo inzwischen 68% der Bevölkerung geimpft sind, die Zahl der Covid-19-Erkrankungen wieder stark gestiegen und auch die Zahl der Todesfälle steigt in Israel, wie auch in vielen anderen Ländern, wieder mehr oder weniger stark an. Es stellt sich die Frage, ob die Impfung auch ausreichend vor der Deltavariante schützt. Um diese Frage zu beantworten, wertete eine amerikanische Real-World-Studie die israelischen Daten zur Impfwirksamkeit aus und kam auf eine Efficacy von 67,5% für die Gesamtbevölkerung. Wird die Bevölkerung jedoch nach Alter stratifiziert, ist das Bild ein vollständig anderes (Tab. 2). Der Grund dafür liegt wieder in der Statistik: In der Gruppe unter 50 Jahren gibt es noch viele ungeimpfte Personen, aber verhältnismäßig wenige Fälle, in der älteren Gruppe gibt es einen niedrigen Anteil ungeimpfter, aber relativ viele Fälle. Werden beide Gruppen in der Gesamtanalyse zusammengefasst, ergibt das den falschen Eindruck, die Impfung wirke schlecht. Je feiner stratifiziert wird, desto stärker wird der Effekt der Impfung: Werden 10-Jahres-Altersgruppen untersucht, liegt die Efficacy zwischen 81,1% und 100% und ist damit sehr gut.
Zwei weitere wichtige Punkte sind:
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Es gibt Hinweise darauf, dass der Impfstoff von BioNTech/Pfizer mit der Zeit schlechter gegen eine Infektion, aber trotzdem gut gegen schwere Erkrankung und Tod wirkt. Eine Studie von BioNTech ergab, dass die Efficacy gegen jede Covid-19-Erkrankung nach sechs Monaten nur noch 84% betrug, gegen schwere Erkrankung jedoch 97%.
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Sowohl der Impfstoff von BioNTech/Pfizer als auch von AstraZeneca erzeugt nach der ersten Impfung relativ wenige neutralisierende Antikörper gegen die Deltavariante, nach der zweiten Dosis jedoch steigen die Titer stark. Daher sind Impflinge erst nach der zweiten Impfung gut gegen die Variante geschützt.
Prof. Mulholland fasste zusammen, dass es nicht einfach sei, die Wirksamkeit eines Impfstoffes nach so kurzer Zeit objektiv zu beurteilen. Es zeichne sich aber zusehends ab, dass die Covid-19-Impfstoffe weniger gut gegen milde Erkrankung schützen, die Viruszirkulation nicht verhindern können und dass ihre Wirksamkeit möglicherweise mit der Zeit nachlässt. Das Beispiel Israel habe gezeigt, dass sich die Deltavariante mit der Impfung allein nicht kontrollieren lässt. „Corona“-Schutzmaßnahmen und Einschränkungen seien in Israel zu früh wieder gelockert worden.
Boosterimpfung: Licht und Schatten
Die wichtigsten der bislang verfügbaren Erkenntnisse zur Covid-19-Impfung stellte Prof. Dr. Helen Petousis-Harris, Vakzinologin und frühere Vorsitzende des Global Advisory Committee on Vaccine Safety der WHO, folgendermaßen dar:
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Die Antikörpertiter gegen SARS-CoV-2 sinken mit der Zeit, doch die Immunantwort reift weiter aus.
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Durchbruchsinfektionen zeigen sich in steigendem Maß bei Patienten, die einige Monate zuvor geimpft wurden, doch die Impfung schützt weiterhin gut gegen eine Erkrankung.
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Am stärksten lässt die Wirkung bei älteren Menschen nach.
Eine dritte Boosterimpfung könnte also mehr Infektionen und damit auch Übertragungen verhindern, die Immunität gegen Varianten verbessern und Menschen, die auf die Impfung schlecht angesprochen haben, können von einer dritten Impfung profitieren. Insgesamt würde sie für eine bessere Immunität in der Gesellschaft sorgen, doch es gibt auch Gegenargumente:
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Solange das Infektionsgeschehen nicht überall eingedämmt sei, so Petousis-Harris, werden sich neue Varianten entwickeln, gegen einige könnte die Impfung weniger gut schützen.
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Die Boosterimpfung könnte Impfdosen verbrauchen, die anderenorts für die Erstimpfung nötiger wären. Dr. Michael Ryan, Direktor der WHO, sagte: „Wir planen, Menschen mit Rettungswesten eine zweite zu geben, während wir andere ohne Rettungsweste ertrinken lassen.“
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Sicherheitsdaten zur Boosterimpfung sind bislang limitiert.
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Ein Kompromiss könnte eine Boosterimpfung für Risikopopulationen und Personal sein, das stark gefährdet ist.
Bericht:
Roland Müller-Waldeck
Quelle:
Virtuelles Pressebriefing des Australia Science Media Center am 2. September 2021