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Update und rechtliche Aspekte

Verdacht auf eine Berufskrankheit

Das Berufskrankheiten-Modernisierungs-Gesetz brachte 2024 den Einschluss vier neuer Berufskrankheiten (BK) und eine Umgestaltung der bisherigen BK-Liste. Bei Verdacht auf eine Berufskrankheit sind behandelnde Ärzte verpflichtet, diese binnen fünf Tagen zu melden. Eine unterlassene oder verspätete Meldung kann erhebliche finanzielle Folgen haben.

Unter Patienten findet sich vielfach die Meinung, jegliche beruflich verursachte Erkrankung sei eine Berufskrankheit, für die eine Entschädigung gebührt. Erfahrungsgemäß unterliegt auch die Ärzteschaft nicht selten diesem Irrglauben. Was sind also Berufskrankheiten? Und weshalb ist es wichtig, darüber Bescheid zu wissen?

Einstufung als Berufskrankheit

Die Einstufung als Berufskrankheit (BK) folgt nicht nur medizinischen, sondern auch rechtlichen Kriterien (Abb.1). Erste rechtliche Voraussetzung ist die Verursachung der Erkrankung durch eine versicherte Tätigkeit (Näheres siehe rechtliche Eckpunkte). Zweite Voraussetzung ist die Erfassung der BK in der Berufskrankheitenliste (BK-Liste auf www.auva.at ). Die Liste bildet den Anhang 1 des ASVG. Sie regelt auch die dritte Voraussetzung, nämlich in welchen Betrieben die BK erworben werden kann, um anerkannt zu werden. So wird etwa eine Erkrankung durch Blei in allen Unternehmen als BK anerkannt, das Adenokarzinom der Nasennebenhöhlen hingegen nur in holzbe- und -verarbeitenden Betrieben.

Abb. 1: Vorgehen bei Verdacht auf eine Berufskrankheit (BK)

Nicht gelistete Erkrankungen sind in Einzelfällen als BK anzuerkennen, jedoch nur dann, wenn die Krankheit auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse ausschließlich oder überwiegend durch die Verwendung schädigender Stoffe oder Strahlen bei der versicherten Tätigkeit entstanden ist (sog. Generalklausel). Voraussetzung sind also chemische Substanzen und/oder Strahlen als Krankheitsursache. Folglich kann etwa ein Burnout-Syndrom nicht anerkannt werden, da es nicht in der BK-Liste steht und die Psyche belastende berufliche Einflüsse weder chemische Substanzen noch Strahlen sind.

Meldepflicht

BK sind bereits bei begründetem Verdacht des Vorliegens meldepflichtig. Eine unterlassene oder verspätete Meldung kann eine Verwaltungsstrafe mit noch überschaubaren Kosten nach sich ziehen. Richtig teuer kann es hingegen werden, wenn dem Patienten durch verspätete oder unterlassene Meldung eine Entschädigung entgeht. Der Verlust kann als Schadenersatz aus dem Behandlungsvertrag eingeklagt werden. Durch unterlassene oder verspätete Meldung können dem behandelnden Arzt daher erhebliche finanzielle Belastungen entstehen! Rechtzeitig ist die Meldung, wenn sie binnen fünf Tagen ab Entstehen des begründeten Verdachts erstattet wird (§ 363 Abs 2 ASVG).

Ein Beispiel mag dies verdeutlichen: Beginn einer BK im Jahr 2000, Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) damals 80%. Verspätete Meldung im Jahr 2015, MdE jetzt nur mehr 30%. Entschädigung daher ab 2015 im Ausmaß der MdE von 30%. Dem Patienten entging eine BK-Rente über rund 15 Jahre auf der Basis einer MdE von 80%. Schaden: rund 300000 Euro! Daher: Es ist größtes Augenmerk auf die rechtzeitige Meldung einer BK zu legen!

Einteilung in acht Hauptgruppen und vier neue BK

Bis Ende Februar 2024 enthielt die österreichische BK-Liste 53 Positionen. Die häufigsten im Jahr 2023 zeigt die Abbildung 2. Seit dem 1.3.2024 wurden vier weitere Erkrankungen hinzugefügt und die Bezifferung der BK-Liste wurde geändert. Statt einer chronologisch gewachsenen, dynamischen Liste wurde eine Systematik eingeführt, welche acht Hauptgruppen aufweist:

  1. Erkrankungen der Atemwege und der Lunge

  2. Erkrankungen der Haut

  3. Infektionskrankheiten, Erkrankungen durch Parasiten, Tropenkrankheiten

  4. Erkrankungen des Bewegungs- und Stützapparates

  5. Durch physikalische Einwirkungen verursachte Krankheiten

  6. Durch chemische Einwirkungen verursachte Krankheiten

  7. Maligne Erkrankungen

  8. Sonstige Erkrankungen

Abb. 2: Die häufigsten Berufskrankheiten in Österreich im Jahr 2023 (Quelle: AUVA)

Diese Systematik erlaubt – im Gegensatz zur alten Bezifferung – das rasche Auffinden zutreffender Positionen. Sie ist somit deutlich anwendungsfreundlicher. Da die vier neuen BK in der Medizin noch nicht zur Routine gehören, soll im Folgenden auf sie eingegangen werden.

BK Lfd. Nr. 5.2.3 Fokale Dystonie bei Instrumentalmusiker:innen

Allgemein wird unter fokaler Dystonie eine unwillkürliche Überaktivität regionaler Muskelgruppen verstanden. Sie kann zu Störungen der Feinmotorik führen. Diese neurologische Erkrankung tritt bei Berufsmusikern im Vergleich zur allgemeinen Bevölkerung gehäuft auf. Die durch feinmotorische Störungen verringerte Qualität der Ausführung kann in Berufsunfähigkeit enden.

Neben anlagebedingten kommen auch berufsbedingte Belastungen als kausale Faktoren infrage. Das täglich mehrstündige, intensive Üben, oft kombiniert mit hohem Erfolgsdruck, wird als typische Teilursache gesehen. Je nach verwendetem Instrument unterscheidet sich die Lokalisation der Störung: Während bei Tasteninstrumenten eher die rechte Hand betroffen ist, sieht man die Erkrankung bei Streichern gehäuft an der linken Hand. Musiker, die Blasinstrumente spielen, können im Bereich der Lippen oder Mundmuskulatur betroffen sein. Man spricht hier von Ansatzdystonie.

Historisch wurden diese Erkrankungen als psychisch bedingte Beschäftigungsneurosen angesehen. Aktuell wird davon ausgegangen, dass allfällige psychische Störungen bei betroffenen Personen die Folge und nicht die Ursache der Erkrankung sind. Differenzialdiagnostisch sind Überbeanspruchungssyndrome des Stütz- und Bewegungsapparates sowie kompressionsbedingte Erkrankungen, z.B. das Karpaltunnelsyndrom, davon abzugrenzen.

BK Lfd. Nr. 5.2.2 Hypothenar-/Thenar-Hammer-Syndrom (HHS)

Es handelt sich um eine Kombination vaskulärer und neurologischer Schädigungen, die beim Gebrauch der Hand als Schlagwerkzeug entstehen können. Im Fall des Hypothenar-Hammer-Syndroms ist der Kleinfingerballen betroffen, im Fall des Thenar-Hammer-Syndroms der Daumenballen. Beispiele beruflicher Tätigkeiten sind in diesem Zusammenhang das Schlagen auf eine Heftmaschine beim Klammern von Papierstapeln, das Schlagen auf Werkzeuge wie Schraubenschlüssel oder Zangen, aber auch Tätigkeiten mit physikalischen Belastungen durch niederfrequente Schwingungen, z.B. Arbeiten mit Aufbruchhämmern. Auch im Berufssport können solche Schädigungen auftreten, beispielsweise bei Karatesportlern.

Die grundlegende Schädigung besteht in einer Alteration des Endothels der Arterien im jeweiligen Handbereich mit Thrombosen, Embolien oder Aneurysmen als Folge. Die daraus resultierende Minderperfusion peripherer Gefäße im Handbereich ist für die Symptomatik, bestehend aus Schmerzen oder Kältegefühlen oder Nekrosen, verantwortlich. Entsprechende Schäden am Nervensystem können Hypästhesien oder Parästhesien bewirken.

Erkrankungen mit ähnlicher Symptomatik wie vibrationsbedingte vasospastische Erkrankungen (BK 5.2.1) sind davon abzugrenzen, ihnen liegt ein anderer Pathomechanismus zugrunde.

BK Lfd. Nr. 7.4.2 Plattenepithelkarzinom, aktinische Keratosen der Haut durch UV-Exposition

Diese neue BK konnte bisher nur über die Generalklausel anerkannt werden. Bekannt ist, dass UV-Licht infolge hoher Energie DNA-Schäden hervorrufen kann. Langjährige Expositionen gegenüber UVA- und UVB-Strahlen des Sonnenlichtspektrums können neben einer vorzeitigen Hautalterung auch Karzinome sowie aktinische Keratosen als deren Vorstufen verursachen. Prädisponierende Faktoren sind heller Hauttyp, chronische Entzündungen der Haut, Belastungen durch chemische Substanzen oder ionisierende Strahlungen. Männer sind vermehrt anfällig. Hauptbetroffene Tätigkeiten sind solche in der Bau-, Land- und Forstwirtschaft, im Gartenbau oder im Zusammenhang mit Berufen, die vorwiegend im Freien ausgeübt werden.

Erwartungsgemäß finden sich die Schäden an exponierten Körperstellen wie Gesicht und Ohrmuscheln oder im Schulterbereich. Typisch ist auch der Befall der unbehaarten oder wenig behaarten Kopfhaut. Obwohl sich aktinische Keratosen selten zu Karzinomen entwickeln, erhöht sich bei multiplem Auftreten das Karzinomrisiko.

BK Lfd. Nr. 7.7.1 Ovarialkarzinom nach Asbestexposition

Bei dieser wohl seltenen BK interessiert in erster Linie, auf welchem Weg Asbestfasern in die Ovarien gelangen. Es wird vermutet, dass die Fasern im Rahmen beruflicher, inhalativer Belastung und nachfolgender Deposition in den Atemwegen über die Transportmechanismen der Bronchialschleimhaut den Kehlkopf erreichen und dort verschluckt werden. In weiterer Folge können sie offenbar vom Verdauungstrakt auf dem Blut- oder Lymphweg in die Eierstöcke gelangen und dort kanzerogenes Potenzial entfalten.

Erwähnenswert ist, dass der österreichische Gesetzgeber im Gegensatz zum deutschen das Ausmaß der Asbestexposition, gemessen in sogenannten Faserjahren, nicht als Anerkennungskriterium festgelegt hat. Vielmehr ist entscheidend, ob es wahrscheinlicher ist, dass die berufliche Asbestbelastung im Vergleich zu außerberuflichen Faktoren krankheitskausal ist.

Rechtliche Eckpunkte

Versicherte

Versicherte im Berufskrankheitenrecht sind Personen, die eine selbstständige oder unselbstständige Erwerbstätigkeit ausüben. Diese kann privatrechtlich (Arbeiter, Angestellte, Vertragsbedienstete) oder öffentlich-rechtlich (Beamte) sein. In gleicher Weise sind Lehrlinge versichert. Selbstständig tätige Personen sind, wenn auch mit Ausnahmen1, in den Schutzbereich einbezogen, ebenso Bauern.

Neben den dargestellten Versicherten schütztdas Gesetz in großem Umfang weitere Personenkreise: beispielsweise Kinder im letzten Jahr in einer institutionellen Kinderbetreuungseinrichtung2, Schüler und Studenten und sogenannte Versorgungsfälle. Letztere umfassen hauptsächlich altruistische Aktionen wie Blutspenden, Lebensrettung, Versuchder Lebensrettung oder gemeinnützige Tätigkeiten bei Hilfsorganisationen wie Feuerwehren oder Rettungsgesellschaften.

Der Arzt, der den begründeten Verdacht einer BK hegt, hat nicht die Verpflichtung, rechtliche Überlegungen zum Versicherungsverhältnis anzustellen! Der Verdacht ist einfach anzuzeigen!3 Der Rest ist Angelegenheit des Versicherungsträgers, im Streitfall des Gerichts.

Verfahrensgang

Niemandem wird ein Verfahren zur Feststellung eines Leistungsanspruchs aufgedrängt! Daher fragt der Unfallversicherungsträger beim Versicherten an, ob er überhaupt ein Verfahren will. Nur im Falle der Bejahung wird es eingeleitet.

Leistungen

Das Vorliegen einer BK verpflichtet den Versicherungsträger zu diversen Leistungen. Hier können nur die wichtigsten angeführt werden.4 Die Heilbehandlung zielt auf Beseitigung oder Besserung der BK oder Verhütung einer Verschlimmerung. Wenn eine aufrechte Krankenversicherung besteht, ist diese vorleistungspflichtig. Der Unfallversicherungsträger leistet nur, wenn der Erkrankte über keine Krankenversicherung verfügt oder die im Unfallversicherungsrecht zu erbringenden Leistungen gegenüber jenen der Krankenversicherung höher sind. Das kann bei Körperersatzstücken, orthopädischen Behelfen und anderen Hilfsmitteln der Fall sein.Berufliche Rehabilitationsmaßnahmen bezwecken eine Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess. Der bisherige Beruf soll weiter ausgeübt werden – wenn das nicht möglich ist, soll ein anderer Beruf erlernt und ausgeübt werden. Der Zielerreichung dienen Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen, finanzielle Unterstützungen (die auch Dienstgebern gewährt werden können), Zuschüsse oder Darlehen.

Eine Versehrtenrente wird gewährt, wenn die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) als Folge der BK mindestens 20 von 100 (vH) beträgt. Allerdings ist Vorsicht geboten: Der Begriff MdE umfasst je nach rechtlichem Zusammenhang5 verschiedene Inhalte. Hier wird nur die MdE in der gesetzlichen Unfallversicherung erklärt.

Die Versehrtenrente entschädigt den Versicherten für die MdE, die trotz Heilbehandlung und Rehabilitation zurückbleibt. Entschädigt wird somit die Minderung der Erwerbsfähigkeit, nicht ein etwaiger Einkommensausfall. Dieser kann wohl Hand in Hand gehen mit der Erkrankung und deren Folgen, ist aber keine Voraussetzung für die Rentengewährung.

In der Praxis wird ein medizinisches Gutachten eingeholt. Der Sachverständige erhebt die Auswirkungen der Krankheitsfolgen auf die Erwerbsfähigkeit. Zur Feststellung der MdE werden Rententabellen herangezogen, umgangssprachlich auch „Glieder- oder Knochentaxen“. Sind solche im Einzelfall nicht vorhanden oder bestehende nicht (mehr) nachvollziehbar, stellt der Gutachter fest, von welchen der am Arbeitsmarkt vorkommenden Tätigkeiten der Versicherte aufgrund der Krankheitsfolgen ausgeschlossen ist. Diese Ausschlüsse setzt anschließend ein berufskundlicher Sachverständiger in Bezug zu allen Tätigkeiten des Arbeitsmarktes. Die Zahl der ausgeschlossenen im Verhältnis zu sämtlichen Tätigkeiten ergibt den Grad der MdE. Demgegenüber ist die persönliche Betroffenheit eines Versicherten durch Krankheitsfolgen oder auch deren Fehlen ohne Belang.

Die Versehrtenrente wird grundsätzlich so lange gewährt, solange die MdE mindestens 20vH beträgt. Bei Erfüllung dieser Voraussetzung kann der Bezug unabhängig von einer Erwerbstätigkeit bis zum Lebensende reichen. Ab einer MdE von 50vH spricht das Gesetz von Schwerversehrten. Ihnen gebührt eine Zusatzrente von 20vH, bei einer MdE ab 70vH von 50vH.

Die sogenannte Integritätsabgeltung ist eine einmalige Leistung, welche unter besonderen Voraussetzungen zusätzlich zur Versehrtenrente entrichtet wird.

Pflegegeld nach herkömmlichen Kriterien gebührt Versehrten, die eine Vollrente (MdE von 100vH) beziehen, sofern der Pflegebedarf durch die BK verursacht worden ist.

1 Zum Beispiel Rechtsanwälte
2 Im Wesentlichen sind dies öffentliche und private Kindergärten.
3 https://auva.at/auva-ihre-leistungen/leistungen-auf-einen-blick/versicherungsschutz/aerztliche-meldung-einer-berufskrankheit/ ; zuletzt aufgerufen am 15. 5. 2025
4 Eine umfassende Darstellung findet sich bei Wolf/Schneider/Gerstl-Fladerer: Handbuch der Berufskrankheiten. 53 ff.
5 Zu nennen sind: private Unfallversicherung, Kriegsopfer­versorgungsgesetz, Behindertenwesen. Die MdE darf ferner nicht verwechselt werden mit dem Grad der Behinderung (GdB) nach dem Behinderteneinstellungsgesetz.

bei den Verfassern

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