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Mikronährstoffe

„Eine unkritische Einnahme ist nicht sinnvoll“

Viele Menschen nehmen regelmäßig Nahrungsergänzungsmittel ein, um die ausreichende Versorgung mit Vitaminen und Spurenelementen sicherzustellen. Die Grazer Internistin Priv.-Doz. Karin Amrein erklärt im Interview, wann eine ausgewogene Ernährung ausreicht und in welchen Fällen eine gezielte Supplementierung sinnvoll ist.

Priv.-Doz. Dr. Karin Amrein, MSc., beschäftigt sich seit Jahren u.a. mitOsteoporose, Schilddrüsen- und Nebenschilddrüsen-Erkrankungen, Vitamin-D- und Eisen-Mangel, Diabetes, internistischer Beratung bei Kinderwunsch und Beschwerden rund um die Menopause. Nach Tätigkeit im Landeskrankenhaus Graz wechselte sie 2018 als Endokrinologin in den niedergelassenen Bereich, ist aber weiterhin in der klinischen Forschung an der Med Uni Graz tätig und publiziert regelmäßig eigene Forschungsergebnisse. Im Interview mit ALLGEMEINE+spricht Amrein über die sinnvolle Ergänzung von Mikronährstoffen.

Wie bewerten Sie Nahrungsmittelergänzungsmittel mit Mikronährstoffen bei gesunden Menschen?

K. Amrein: Abgesehen von häufiger auftretenden Mängeln, wie zum Beispiel von Vitamin D im Winter, halte ich die unkritische Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln durch gesunde Menschen für nicht sinnvoll. Das klassische Beispiel dafür ist Vitamin C, wo man sich schon sehr anstrengen muss, um einen Mangel zusammenzubringen. Ascorbinsäure ist allein schon als Konservierungsmittel in vielen Lebensmitteln enthalten. Eine ausgewogene Ernährung genügt an sich, um den täglichen Bedarf zu decken, und ist immer sinnvoller, als die Einzelstoffe in Form von Supplementen zu sich zu nehmen.

Anders verhält es sich, wenn ein konkreter Mangel festgestellt worden ist. Gerade bei Frauen ist ein Eisenmangel unabhängig von der Ernährungsweise aufgrund des Blutverlusts sehr häufig. Auch Blutspender sind oft von Eisenmangel betroffen, werden aber kaum über das erhöhte Risiko aufgeklärt. Das sind 2–3 % der Gesamtbevölkerung. In diesen Fällen ist eine Supplementierung empfehlenswert.

Beim Vitamin D ist bei gesunden Erwachsenen eine tägliche Zufuhr von 600 I.E. pro Tag empfohlen, bei älteren gesunden Erwachsenen 800 I.E täglich. Aufgrund der fischarmen Ernährung in Österreich kommt die Bevölkerung in Österreich durchschnittlich auf 100 I.E. täglich, die mit der Ernährung aufgenommen werden.

Was halten Sie von Vitamininfusionen, wie sie häufig angeboten werden, z.B. mit Vitamin C als Prophylaxe gegen Infektionen oder als „Immun-Booster“?

K. Amrein: Im Falle eines Vitamin-C-Mangels, der wie erwähnt bei uns kaum vorkommt, wäre diese Infusionen dann ja theoretisch täglich notwendig, weil das überschüssige Vitamin C ja sofort wieder über den Harn ausgeschieden wird. Es gibt auch keine wissenschaftliche Evidenz dafür, dass solche Infusionen eine entsprechende Wirkung zeigen. In der Intensivmedizin hingegen gibt es berechtigte Indikationen dafür.

Welche Supplementierungen sind in der Schwangerschaft bzw. bei Kinderwunsch relevant?

K. Amrein: Frauen, die schwanger werden möchten oder bereits schwanger sind, wird empfohlen, vor der Schwangerschaft bzw. in den ersten 12 Schwangerschaftswochen täglich 400 mcg Folsäure als Nahrungsergänzung einzunehmen, um das Risiko für Neuralrohrdefekte beim Ungeborenen zu senken. Das ist eine evidenzbasierte Empfehlung.

Zudem zählt Österreich durch den niedrigen Fischkonsum zu den Jodmangelgebieten. Es existiert zwar die Jodsupplementierung im Salz, aber die umgehen mittlerweile viele Menschen, in dem sie bevorzugt unjodiertes oder gar kein Salz verwenden. Abgesehen von Salz sind Milchprodukte eine wichtige Jodquelle. Jod ist speziell für die Schilddrüsengesundheit wichtig und in der Schwangerschaft für die physiologische Entwicklung der Schilddrüse.

Da auch der Eisenmangel bei Frauen im gebärfähigen Alter häufig ist – bis zu 30% sind betroffen – sollte ein bestehender Mangel auch in diesem Zusammenhang ausgeglichen werden. Es besteht bereits physiologisch ein erhöhter Eisenbedarf in der Schwangerschaft durch die zusätzliche Bildung kindlicher Blutzellen sowie den Aufbau der Plazenta. Schwangere mit relevantem Eisenmangel tragen ein erhöhtes Risiko für Komplikationen wie Müdigkeit, vorzeitige Wehen, niedriges Geburtsgewicht oder erhöhte Sterblichkeit.1

Eine österreichische Studie aus dem Jahr 2021 hat die Prävalenz von Eisenmangel bei Schwangeren in verschiedenen Stadien ermittelt.1 Die Prävalenz war 12% zu Beginn der Schwangerschaft und ist im weiteren Verlauf auf bis zu 65% angestiegen. Diese Erkenntnisse rechtfertigen ein Screening, da Eisenmangel leicht zu diagnostizieren und zu behandeln wäre.

Zum Ausgleich eines Eisenmangels bieten sich auch Infusionen an. Für wen würden Sie diese Möglichkeit empfehlen?

K. Amrein: Das hängt vor allem davon ab, wie dringend der Eisenmangel behoben werden soll. Ein häufiges Beispiel für einen dringenden Bedarf sind Schwangerschaft sowie geplante größere chirurgische Eingriffe: Bei einer Hüftoperation wäre es fahrlässig, jemanden mit Eisenmangel bzw. Anämie bei der präoperativen Vorbereitung nicht entsprechend abzuklären und ihm keine Eiseninfusion zu verabreichen. Dazu gibt es detaillierte Qualitätsstandards anhand des „Patient-Blood-Managements“. Wenn genügend Zeit bleibt, um den Eisenmangel auszugleichen, sollte man vorrangig oral substituieren, und zwar nur jeden 2. Tag. Bis zu 30% der Patienten vertragen orale Präparate allerdings nicht, in diesen Fällen ist eine Infusion sinnvoll, ebenso bei gastrointestinalen Erkrankungen wie Zöliakie, wenn die Resorption beeinträchtigt ist.

Stichwort Zöliakie: Welche Mängel kommen bei häufigen Erkrankungen oft vor bzw. sind unterdiagnostiziert?

K. Amrein: Bei einem Mikronährstoffmangel muss man immer genauer hinschauen. Einen guten Überblick über mögliche Mängel bei bestimmten Krankheiten und die sinnvolle Supplementierung findet man in der „ESPEN micronutrient guideline“.2 Hinter einem Mangel können Darmerkrankungen wie Zöliakie stecken, die oft lange unentdeckt bleibt.

Bei Personen mit Hashimoto-Thyreoiditis, hauptsächlich Frauen, spielt die Versorgung mit Eisen eine wichtige Rolle für die Schilddrüsengesundheit. Ich schaue mir bei dieser Gruppe immer die „big five“ an: Eisen, Vitamin D, Selen, Zink,Jod – Letzteres schätze ich anhand des Ernährungsverhaltens ein. Auch bei bariatrisch operierten Patienten mit gewünschter Malabsorption kann es leicht zu einem Mangel kommen. Ebenso ernähren sich adipöse Menschen häufig mikronährstoffarm. In diesem Zuammenhang wurde kürzlich übrigens eine aussagekräftige Metaanalyse zum Thema Vitamin-D-Supplementierung bei Prädiabetes publiziert.3 Es wurden über 4000 Menschen mit Prädiabetes ohne Vitamin-D-Mangel in drei Studien aus den USA, Japan und Norwegen analysiert und verschiedene Dosierungen von Cholecalciferol mit Placebo verglichen.

Kurz zusammengefasst: Die Vitamin-D-Einnahme hat das Risiko für manifesten Diabetes über 3 Jahre um absolut 3,3% und relativ 15% reduziert. Das ist zwar keine bombastische Risikoreduktion. Da diese Maßnahme aber billig und nebenwirkungsarm ist und sehr einfach umzusetzen wäre, hat sie schon Bedeutung. Nicht zuletzt beeinflussen viele Medikamente, die bei häufigen Erkrankungen wie Diabetes eingesetzt werden, die Mikronährstoff-Spiegel. Ein repräsentatives Beispiel dafür ist Metformin, das nachweislich häufig zu einem Vitamin-B12-Mangel führt.4

Wie ist denn der aktuelle Stand bei der Osteoporoseprophylaxe?

K. Amrein: Neben dem wichtigsten Faktor, nämlich ausreichend Bewegung mit verschiedenen Komponenten wie Gleichgewichtsübungen, Kraft- und Ausdauertraining, ist nach wie vor eine ausreichende Zufuhr von Calcium, Vitamin D und Eiweiß essenziell. Da gilt es, die Zufuhr über Ernährung richtig abzuschätzen. Dafür gibt es mittlerweile auch gute Apps, mit deren Hilfe man seine Mahlzeiten analysieren kann.

Welche Parameter zur Vitamin-, Mineralstoff- und Spurenelementeversorgung im Blutkönnen und sollen z.B. beider jährlichen Vorsorgeuntersuchung kontrolliert werden?Bei welchenist das sinnvoll und welche sind nicht repräsentativ?

K. Amrein: Hier gibt es teils ein Problem mit der Refundierung. Grundsätzlich möglich und sinnvoll sind aber der Vitamin-D-Status, also der Wert von 25-Hydroxy-Vitamin-D, und der Eisen-Status mit den Werten von Ferritin und Transferrin-Sättigung. Zusätzlich kann man den Wert von Vitamin B12 bestimmen, der wie erwähnt durch zahlreiche Medikamente wie Metformin oder vegane Ernährung negativ beeinflusst werden kann. Der Folsäure-Status hängt zwar von der Ernährung in der Zeit vor der Messung ab, ihn zu bestimmen ist aber auch sinnvoll.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Hohes Risiko für Vitamin-B12-Mangel durch Metformin

In einer aktuellen Kohortenstudie wurden Risikofaktoren für einen Vitamin-B12-Mangel bei Diabetespatienten untersucht.4 Bei rund 28% der Patienten mit Typ-2-Diabetes wurde ein Vitamin-B12-Mangel (Serum-Vitamin-B12 <150pmol/L) beobachtet, der stark mit der täglichen Metformindosis assoziiert war. Fast jeder 3. Patient, der täglich 1,5g Metformin einnahm, hatte einen Vitamin-B12-Mangel. Bei einer Metformindosis von 3g pro Tag waren sogar 2 von 3 Patienten von einem Mangel betroffen.4 Fachgesellschaften wie die Österreichische Diabetes Gesellschaft empfehlen daher, bei Patienten unter Metformintherapie regelmäßig die Vitamin-B12-Spiegel zu überprüfen.5

Bleibt der Vitamin-B12-Mangel unentdeckt, kann es zu vielfältigen, teils schwerwiegenden Folgen wie funikulärer Myelose, Neuropathien und psychiatrischen Symptomen wie Depressionen und Gedächtnisstörungen bis hin zur Demenz kommen. Zudem können hämatologische Veränderungen bis hin zu einer makrozytären Anämie auftreten. Eine aktuelle Studie zeigte, dass ein Vitamin-B12-Mangel bei Patienten mit Typ-2-Diabetes offensichtlich auch das Risiko für Schlaganfälle erhöht.6 Zum Ausgleich eines Vitamin-B12-Mangels hat sich die hochdosierte orale Supplementation von Vitamin B12 als effektiv erwiesen – selbst bei Resorptionsstörungen, etwa durch Metformineinnahme. Bestehen bereits ein schwerer Mangel mit neurologischen Symptomen oder eine makrozytäre Anämie, sollte initial eine parenterale Vitamin-B12-Applikation erfolgen. Die Behandlung lässt sich im Anschluss durch eine orale Erhaltungstherapie fortsetzen.2

  1. Zeisler H et al.: Prävalenz von Eisenmangel bei Schwangeren: Eine prospektive österreichische Querschnittsstudie. Food Sci Nutr 2021; 9(12): 6559-65

  2. Berger MM et al: ESPEN micronutrient guideline. Clin Nutr 2022; 41(6): 1357-1424

  3. Pittas AG et al.: Vitamin D and risk for type 2 diabetes in people with prediabetes: a systematic review and meta-analysis of individual participant data from 3 randomized clinical trials. Ann Intern Med 2023; 176(3): 355-63

  4. Wee AKH, Sultana R: Determinants of vitamin B12 deficiency in patients with type‑2 diabetes mellitus — A primary‑care retrospective cohort study. BMC Primary Care 2023; 24: 102

  5. Clodi M et al.: Diabetes mellitus – Anleitungen für die Praxis. Wien Klin Wochenschr 2019; 131(1): 1-246

  6. Horrany N et al.: The effect of metformin on vitamin B12 deficiency and stroke. Isr Med Assoc J 2023; 25: 122-5

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