
Psychose aus Perspektive der Primärversorgung
Autor:
Dr. Sebastian Huter, MPH
Allgemeinmediziner, PVE Sonnwendviertel, Wien
Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Institut für Allgemein-, Familien- und Präventivmedizin, PMU Salzburg
E-Mail: sebastian.huter@pmu.ac.at
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Psychotische Erkrankungen sind aufgrund der Konsequenzen für die Betroffenen, ihr Umfeld und die Behandlung auch in der allgemeinmedizinischen Primärversorgung hoch relevant. Dabei ist die Bandbreite groß: Psychosen können als Nebendiagnose mitlaufen oder hochgradige Behandlungshindernisse darstellen. Gerade die Früherkennung in der Allgemeinmedizin ist dabei oft nicht einfach. Wie in vielen Bereichen gilt: Kommunikation zwischen den Betreuer:innen ist essenziell.
Hintergrund
Die häufigste psychotische Störung ist die Schizophrenie, dazu kommen drogeninduzierte Psychosen, schizoaffektive Störungen und Wahnstörungen.1 Laut Daten aus dem Vereinigten Königreich (UK) werden Hausärzt:innen im Durchschnitt etwa mit einer Neudiagnose alle zwei Jahre konfrontiert und betreuen etwa 5–10 Patient:innen mit einer schwereren psychotischen Erkrankung.2
Erstdiagnose Psychose
Besonders die Früherkennung einer Psychose ist in der Primärversorgung relevant und auch möglich. Allerdings sind die Symptome der prodromalen Phase oft unspezifisch und können primär eher an Depression oder Angststörungen denken lassen. Um hier besser zu differenzieren, benötigt es Zeit und eine gute Vertrauensbasis. Nach Positivsymptomatik sollte aktiv gefragt werden. Das Einbeziehen der Perspektive von Angehörigen (mit Wissen und Einverständnis der Patient:innen) kann ebenfalls hilfreich sein.3 Gerade im hausärztlichen Bereich kann ein bereits etabliertes Betreuungsverhältnis helfen, Veränderungen im Verhalten der Person zu erkennen. Die Kenntnis von Umgebungsfaktoren wie der familiären Situation oder den Lebensumständen kann bei der Risikobeurteilung miteinbezogen werden (z.B. Familienanamnese, traumatische Erlebnisse, Substanzgebrauch).4
Bei Verdacht ist eine spezialisierte Abklärung erforderlich. Nach Möglichkeit sollte diese noch ohne Medikation erfolgen und die medikamentöse Ersteinstellung von spezialisierten Stellen durchgeführt werden. Sollte diese nicht verfügbar oder von Patient:innenseite abgelehnt werden, sind eine entsprechende Erstabklärung und der Beginn einer Therapie, manchmal aber auch die Primärversorgung notwendig.5
Neben der direkten Betreuung der betroffenen Person ist oft auch ein großer Gesprächsbedarf bei Angehörigen gegeben. Gerade wenn diese ebenfalls als Patient:innen betreut werden und bereits ein Vertrauensverhältnis besteht, kann ein gemeinsames Gespräch angeboten werden.
Dauerdiagnose Psychose
Die langfristige Betreuung von Menschen mit psychotischen Erkrankungen sollte in Kooperation mit den spezialisierten Stellen der Sozialpsychiatrie (Psychosoziale Dienste) erfolgen. Hier kann erfahrungsgemäß die Kommunikation zwischen Primär- und Sekundärversorgung eine Herausforderung sein, da es selten klare Anforderungen oder Strukturvorgaben für die gegenseitige Kommunikation gibt. Umso wichtiger ist das aktive Suchen dieses Austausches von beiden Seiten, um ein gemeinsames Verständnis von Therapiezielen und Rollenverteilung zu haben. Üblicherweise sind die Aufgaben der Primärversorgung einerseits erkrankungs- bzw. therapiebezogen, andererseits muss den allgemeinen Gesundheitsbedürfnissen entsprechend begegnet werden. Die Lebenserwartung von Menschen mit psychotischen Erkrankungen liegt deutlich unter jener der Allgemeinbevölkerung. Die wichtigsten Gründe sind neben Suizidalität auch unbehandelte kardiovaskuläre Risikofaktoren und eine geringere Inanspruchnahme von Präventions- und Früherkennungsmaßnahmen.5, 6
Somit beinhaltet die allgemeinmedizinische Versorgung regelmäßige Verlaufskontrollen zum Monitoring von Symptomen (insbesondere auch Selbst- und Fremdgefährdungstendenzen) und Labor- bzw. Herz-Kreislauf-Parametern (EKG), die Weiterverschreibung von Medikamenten und allgemeine Präventionsmaßnahmen wie Vorsorgeuntersuchungen oder die Kontrolle des Impfstatus.
Das Thema Selbstbestimmung ist gerade bei Patient:innen mit Psychiatrieerfahrung, die oft auch Zwangsmaßnahmen ausgesetzt waren, ein sehr sensibles. Daher ist es für die Behandler:innen auch wichtig, sich eigene Vorurteile, die vielleicht unbewusst zu diskriminierenden Handlungsweisen führen können, bewusst zu machen und sie zu hinterfragen.
Psychose ohne Diagnose
Eine der herausforderndsten Situationen in der Primärversorgung ist der Umgang mit Menschen, die Zeichen einer aktiven Psychose zeigen, jedoch keinerlei Krankheitseinsicht haben. Dies ist besonders dann schwierig, wenn bei Patient:innen und/oder der Umgebung bereits ein deutlicher Leidensdruck besteht, die Patient:innen jedoch nicht unmittelbar selbst- oder fremdgefährdend sind. Oft ist es dann schwierig, zwischen Behandler:in und Patient:in ein gemeinsames Therapieziel und eine gemeinsame Vorgehensweise zu definieren. Selbst weiterführende Abklärungen durch psychosoziale Anlaufstellen werden oft abgelehnt. In Praxen mit einem erweiterten multiprofessionellen Team (z.B. diplomierte Pflege, Sozialarbeit, Psychotherapie) sind jedenfalls eine Einbindung des Teams und gute Kommunikation z.B. im Rahmen von Fallbesprechungen anzustreben.
Den hausärztlichen Versorger:innen bleibt hier oft nur der Versuch, eine tragfähige Beziehung zu etablieren und die Betreuung aufrechtzuerhalten, um so gut es geht eine Basisabklärung durchzuführen und etwaige weitere Gesundheitsbedürfnisse abzudecken. Gerade das Aufrechterhalten der Betreuung bedarf in vielen Fällen regelmäßiger proaktiver (durch die Behandler:innen initiierter) Kontrolltermine und eines aktiven Nachgehens bei versäumten Terminen.3 Das ist aufgrund der insgesamt hohen Patient:innenzahlen und des üblicherweise sehr hohen Zeitaufwands bei Patient:innen mit Psychosen weder eine Selbstverständlichkeit, noch ist es immer möglich. Umso wichtiger ist der Beziehungsaufbau, um die Hürde für weitere Praxisbesuche zu reduzieren.
Für Behandler:innen ist diese Art der Betreuung oft frustrierend bis belastend. Daher sollte auch die Selbstfürsorge, sei es in der Form von kollegialem Austausch bis hin zu Balint-Gruppen oder Supervision, nicht außer Acht gelassen werden.
Fazit
Die Primärversorgung kann und soll eine wichtige Rolle in der Versorgung von Menschen mit Psychosen spielen. Für eine optimale Versorgungssituation gilt es jedoch, weiterhin ein Augenmerk zu legen auf die Schaffung der entsprechenden Rahmenbedingungen (Zeit, Kontinuität, interdisziplinäres Team) sowie die Stärkung der fachlichen Kompetenzen in diesem Bereich und die Kommunikation zwischen der Primärversorgung und den weiteren Behandlungsstellen ist weiter zu verbessern.
Literatur:
Definition | Background information | Psychosis and schizophrenia | CKS | NICE: https://cks.nice.org.uk/topics/psychosis-schizophrenia/background-information/definition/ ; zuletzt aufgerufen am 30. 8. 2023
Onwumere J et al.: Understanding the needs of carers of people with psychosis in primary care. Br J Gen Pract 2016; 66(649): 400-1
Sami MB et al.: How to approach psychotic symptoms in a non-specialist setting. BMJ 2017; 359: j4752
Identifying someone at risk of a psychotic disorder or experiencing their first episode of psychosis | Diagnosis | Psychosis and schizophrenia | CKS | NICE: https://cks.nice.org.uk/topics/psychosis-schizophrenia/diagnosis/identifying-someone-at-risk-of-a-psychotic-disorder-or-experiencing-their-first-episode-of-psychosis/ ; zuletzt aufgerufen am 30. 8. 2023
Le Bail S et al.: Clinical practical guide for the management of an acute psychiatric crisis in primary care: a meta-review of systematic literature. Presse Médicale Open 2023; 4: 100043
Griswold KS et al.: Recognition and differential diagnosis of psychosis in primary care. Am Fam Physician 2015; 91(12): 856-63
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