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Sozialversicherungsträger

Ort der „amikalen Aussprache“

Der Mustergesamtvertrag sieht bekanntlich das Institut der sogenannten „amikalen Aussprache“ vor: „Streitigkeiten zwischen dem Vertragsarzt und dem Versicherungsträger sollen einvernehmlich beigelegt werden“, heißt es daher in den jeweiligen Gesamtverträgen der österreichischen Sozialversicherungsträger. Ein Vertragsarzt erstritt für sich persönlich die Regelung, dass „amikale Aussprachen“ abwechselnd am Ordinationssitz bzw. am Sitz des Sozialversicherungsträgers stattzufinden haben.

Die meisten Fragen der Sozialversicherungsträger betreffend die Abrechnungen der Kassenvertragsärzte können kurzerhand telefonisch geklärt werden: Sei es, dass eine Diagnose gefehlt hat, eine Leistung verrechnet wurde, während der Patient im Krankenhaus war (z.B.Rezept an Angehörigen), eine Fachgruppenbeschränkung überschritten wurde etc.

Sieht der Sozialversicherungsträger jedoch erhöhten Aufklärungsbedarf, folgt meist eine Einladung zu einem sogenannten „amikalen Gespräch“. Zumeist können Abrechnungsdifferenzen in einer solchen „amikalen Aussprache“ geklärt werden, sodass nur einige wenige Streitfälle tatsächlich vor der Paritätischen Schiedskommission und in weiterer Folge vor dem Bundesverwaltungsgericht und/oder dem Verfassungsgerichtshof oder dem Verwaltungsgerichtshof landen. Grundsatzfragen werden jedoch meist vor den Höchstgerichten geklärt, so etwa die Unzulässigkeit der Durchschnittswertbetrachtungen. So hat der Verfassungsgerichtshof letztlich ausgesprochen, dass beim Vorwurf unökonomischer Behandlung jeder Einzelfall betrachtet werden muss; Hochrechnungen anhand von Durchschnittswerten sind unzulässig.

Diskussion um den Ort der amikalen Aussprache

Nicht geregelt ist jedoch die Frage, wo diese amikalen Aussprachen, also die Versuche, Streitigkeiten einvernehmlich zu regeln, stattfinden sollen. Beim Sozialversicherungsträger? Immer beim Sozialversicherungsträger? In den Arztordinationen? In den Ärztekammern? Oder etwa abwechselnd beim Sozialversicherungsträger, dann wieder beim Vertragsarzt oder in der zuständigen Ärztekammer?

Mag dies in kleineren Bundesländern wie etwa Vorarlberg oder Wien kaum eine Rolle spielen, weil die An- und Abreise zu und von einer amikalen Aussprache nur wenig ins Gewicht fällt, so beträgt die Distanz in größeren Bundesländern doch im Einzelfall über 120 Kilometer zwischen Ordinationssitz des Vertragsarztes und Sitz der Landesstelle der ÖGK. Ganz zu schweigen von amikalen Aussprachen, die bei den „kleinen“ Kassen in Wien stattfinden. Solche An- und Abreisen sind beschwerlich und nehmen mehrere Stunden in Anspruch.

Vor Jahren hat sich die damalige Niederösterreichische Gebietskrankenkasse (NÖGKK) auf den Standpunkt gestellt, amikale Aussprachen haben immer am Sitz der NÖGKK in St.Pölten stattzufinden.

Verfahren zwischen Vertragsarzt und Landesstelle

Dies wollte ein Vertragsarzt aus dem südlichen Niederösterreich, der bereits in den Vorjahren zu einer amikalen Aussprache nach St.Pölten angereist war, nicht hinnehmen und begehrte, dass eine anstehende amikale Aussprache entweder in seiner Ordination oder doch in den Räumlichkeiten der Ärztekammer für Niederösterreich stattfinden solle, was (damals) von der NÖGKK kategorisch abgelehnt wurde.

Daraufhin stellte der Vertragsarzt einen Feststellungsantrag an die Paritätische Schiedskommission für das Land Niederösterreich, diese möge (u.a.) feststellen, dass amikale Aussprachen zwischen dem Vertragsarzt und der NÖGKK in Hinkunft abwechselnd am Ordinationssitz bzw. am Sitz der NÖGKK in St.Pölten stattfinden sollen.

Im Verfahren argumentierte der Vertragsarzt, es könne nicht angehen, dass die NÖGKK einseitig darauf verweise, dass sie zu einer sparsamen Mittelverwendung angehalten sei. Dasselbe gelte naturgemäß auch für den Vertragsarzt: Auch dieser habe ein größtmögliches Interesse daran, sein Unternehmen nach wirtschaftlichen Kriterien zu führen. Auch ihm könne nicht zugemutet werden, jedes Mal für eine amikale Aussprache nach St. Pölten anzureisen. Was für die NÖGKK nach deren Ansicht gelte, gelte ebenso für den Vertragsarzt.

Unter gleichberechtigten wirtschaftlichen Partnern sei es zudem selbstverständlich, dass nicht einer der Partner unter Hinweis darauf, er sei zur sparsamen Mittelverwendung angehalten, den anderen – gleichberechtigten! – Partner dazu verhalte, nach Wunsch des einen Partners ständig große Entfernungen in Kauf zu nehmen, um allfällig bestehende oder auch nicht bestehende Differenzen zu klären.

Wenn die NÖGKK vermeine, mit zwei, drei, vier oder mehr Personen die amikale Aussprache durchführen zu müssen, sei es deren ureigene Entscheidung, deren wirtschaftliche Konsequenzen sie durch allenfalls erhöhte Reisespesen selbst zu tragen habe. Freilich würde es völlig ausreichen, wenn nur eine informierte Person seitens der NÖGKK an einer amikalen Aussprache teilnehme. Nur weil sich die NÖGKK aus freien Stücken selbst dazu entscheide, bis zu vier Personen zu einer amikalen Aussprache zu entsenden, könne daraus kein Argument dafür gewonnen werden, amikale Aussprachen hätten ständig in St.Pölten stattzufinden.

Aus dem Umstand, dass der kurative Einzelvertrag ein zivilrechtlicher Vertrag, geschlossen zwischen zwei gleichberechtigten Partnern, nämlich einem freien Unternehmer und einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, sei und kein wie auch immer geartetes Subordinationsverhältnis bestehe (wenngleich Sozialversicherungsträger offenbar vermeinen, ein solches bestünde), weil gesamtvertraglich eine wechselseitige Unterstützungspflicht vereinbart sei, und auch in Rückgriff auf die Regelungen des ASVG, wo Verhandlungen vor den ASVG-Schiedsinstanzen stattzufinden haben (nämlich abwechselnd am Sitz entweder der beteiligten Ärztekammer oder der beteiligten Gebietskrankenkasse), sei vielmehr abzuleiten, dass amikale Aussprachen nicht stets am Ort der beteiligten Gebietskrankenkasse stattzufinden hätten, weshalb die gegenteilige Behauptung der NÖGKK unrichtig und ein Beharren auf St.Pölten als ständiger Ort für amikale Aussprachen vertragswidrig sei.

Noch bevor die Paritätische Schiedskommission für das Land Niederösterreich tagen konnte, hat die NGÖKK den Standpunkt des Vertragsarztes anerkannt, dies allerdings nicht allgemein, sondern nur im Verhältnis zum klagenden Vertragsarzt. Eine Verhandlung hat daher vor der Paritätischen Schiedskommission für das Land Niederösterreich nicht mehr stattgefunden. Die folgende amikale Aussprache erfolgte in den Ordinationsräumlichkeiten des Vertragsarztes.

Keine verbindliche Klärung

Allgemein verbindlich geklärt ist die Frage aber bis heute nicht. Nachdem keine für alle Vertragsärzte verbindliche Klärung der Frage erfolgen konnte (eine Entscheidung musste wegen des Anerkenntnisses nicht mehr gefällt werden), sind alle Vertragsärzte, die den Sitz des Sozialversicherungsträgers nicht als ständigen Ort von amikalen Aussprachen akzeptieren wollen, aufgefordert, dem Beispiel des Vertragsarztes aus dem südlichen Niederösterreich zu folgen und auch für sich die Regelung zu erstreiten, dass amikale Aussprachen abwechselnd am Ordinationssitz bzw. am Sitz des Sozialversicherungsträgers stattzufinden haben.

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