
Gespräche zum assistierten Suizid
Bericht:
Hanna Gabriel, MSc
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Das Sterbeverfügungsgesetz ist beschlossen, aber der breite Diskurs fängt gerade erst an. Wir befragen vier Experten, wie sie zu den Regelungen stehen und auf welche Themen man in der Diskussion nicht vergessen darf. Machen Sie sich mit uns ein Bild.
Der Palliativmediziner
Für Prim. Univ.-Prof. Dr. Rudolf Likar beginnen die Probleme schon beim Namen. „Der Terminus ,Verfügung‘ ist in meinen Augen ein bisschen danebengeraten. Bei einer Patientenverfügung lehne ich Dinge ab – bei der Sterbeverfügung fordere ich“, sagt der Leiter des Zentrums für Interdisziplinäre Schmerztherapie und Palliativmedizin am Klinikum Klagenfurt. Dabei geht es nicht um Wortklauberei, auch bei einem Diskussionsabend der Gesellschaft der Ärzte in Wien, an dem Likar teilnahm, ist von einem Paradigmenwechsel die Rede. Das Selbstbestimmungsrecht bewege sich weg von einem rein defensiven, abwehrenden Recht hin zu einem aktiven, fordernden.
Bisher konnten Patienten am Lebensende eine Behandlung ablehnen oder sich palliativ versorgen lassen. Gerade die Palliativmedizin weckt aber bei Patienten und Angehörigen oft Ängste. Eine Sorge, die auch Likar kennt. „Das Problem ist, dass ,palliativ‘ falsch verstanden wird. Die Palliativstation ist es, wo die Menschen Hilfe bekommen und dementsprechend auch Lebensqualität. Die Entlassung nach Hause ist das eigentliche Ziel.“ Nicht zuletzt die Pandemie hätte dieses Bild getrübt. „In letzter Zeit sind viele Menschen auf der Palliativstation verstorben. Und viele durften sich in ihrer letzten Lebensphase nicht verabschieden.“ Likar ergänzt: „Bei uns hat man sich immer verabschieden dürfen, auch bei Covid-positiven Patienten.“
Neben Stationen wie seiner werden auch Pflege- und Hospizeinrichtungen vom neuen Gesetz betroffen sein. Dabei geht die Debatte Likar zufolge an der eigentlichen Sache vorbei. „Momentan glaubt jeder, dass der assistierte Suizid die einzige Möglichkeit wäre, zu sterben, wenn man eine medizinische Behandlung nicht will. Das stimmt nicht. Es gab immer auch andere Instrumente: Patientenverfügung, Vorsorgedialog, Vorsorgevollmacht, Erwachsenenvertretung, Therapiezieländerungsprotokolle usw.“ Dennoch sieht er in der Sterbeverfügung einen guten Weg, den assistierten Suizid „in juridisch dokumentierte Bahnen zu lenken“. Das Gesetz sei mittlerweile ausgereift. „Man sollte die Menschen nicht alleine lassen. Und nicht sagen, es gäbe keinen Arzt, oder wir legen keine Ärzteliste auf.“ Auch Hospize oder Pflegeeinrichtungen müssten bei Patienten, die ihren Wohnsitz dort haben, die neuen Regelungen akzeptieren. „Und werden es auch tun“, glaubt Likar.
Was ihm eher Sorgen bereite, sei der geplante Ausbau der Palliativ- und Hospizeinrichtungen. Dafür wurde eigens der Hospiz- und Palliativfonds eingerichtet. Dennoch bleibt Likar skeptisch. „Das ist zwar nett, aber eine Drittelfinanzierung. Das heißt ein Drittel muss das Land aufbringen, ein Drittel der Bund, ein Drittel die Sozialversicherung.“ Vor allem aufgrund der Pandemie rechnet er nicht damit, dass die Länder hier die Initiative ergreifen. „Im Endeffekt ist das zahnlos, weil wir nicht die Strukturen festgelegt haben, die jedes Krankenhaus und jede Pflegeeinrichtung haben müssen, sondern einfach gesagt wurde: Das gehört ausgebaut.“
Ungeachtet dessen wird weiterhin jeder Arzt selbst gefordert sein, seinen Patienten ein Sterben in Würde zu ermöglichen. Dafür empfiehlt Likar vor allem ehrliche Kommunikation. „Ängste gehören angesprochen. Oft hat man selbst so ein Knäuel im Bauch und fragt sich, ob man das ansprechen soll. Ja, freilich soll man! Und die Menschen – das kann ich aus meiner 30-jährigen Erfahrung sagen – sind dankbar, wenn man mit ihnen offen übers Lebensende spricht.“ Es wäre an der Zeit, den Tod zu enttabuisieren und zurück ins Leben zu holen. „Dann sind wir eine offene Gesellschaft, eine wärmende Gesellschaft. Und dann haben die Menschen auch keine Angst vor dem letzten Weg – weil wir ihn gemeinsam gehen.“
Unser Gesprächspartner:
Prim. Univ.-Prof. Dr. Rudolf Likar, Klagenfurt
1. Vizepräsident der Österreichischen
Palliativgesellschaft (OPG), Facharzt für Anästhesiologie und allgemeine Intensivmedizin, Spezialisierung auf den Gebieten der Schmerztherapie und Palliativmedizin
Was leistet die Palliativmedizin?
„Palliativmedizin bedeutet sowohl von der schmerztherapeutischen als auch der psychologischen, pflegerischen und spirituellen Seite zu betreuen. Es geht nicht darum, das Leben zu verlängern, sondern die Lebensqualität zu verbessern. Das Ziel ist die Entlassung nach Hause und nicht das Sterben auf der Palliativstation. Seit 2004 haben wir 5000 Patienten betreut, davon wollten 3 oder 4 einen assistierten Suizid. Einer bis zum Schluss. Für die anderen war es kein Thema mehr, als sie wussten, was man mit Palliativmedizin machen kann. Aber auch wenn wir wirklich alles angeboten haben, werden immer noch Menschen übrigbleiben, die den assistierten Suizid wollen. Auch denen muss man irgendwie die Hand reichen.“ (Prim. Univ.-Prof. Dr. Rudolf Likar)
Der Aktivist
Eine offene Gesellschaft würde sich auch Wolfgang Obermüller wünschen. Er engagiert sich seit 10 Jahren für die Suizidbeihilfe und ist Politiksprecher der Österreichischen Gesellschaft für ein humanes Lebensende (ÖGHL). Im Sterbeverfügungsgesetz sieht er „einen großen Schritt vorwärts für mehr Menschlichkeit“. Es wären aber noch ein paar mehr davon zu gehen, bis alle Forderungen der ÖGHL berücksichtigt sind. Darunter fällt insbesondere, dass die Sterbeverfügung auf kranke Menschen beschränkt ist – ein Umstand der Gesunde per se ausschließt. „Natürlich ist es in der Praxis so, dass es in aller Regel schwerkranke Menschen mit begrenzter Lebenserwartung sind. Insofern sind die meisten Fälle mit dem neuen Gesetz abgedeckt. Aber an der Stelle ist es einfach noch nicht zu Ende gedacht“, erklärt Obermüller. „Es gibt viele Fragen, die auch innerhalb der ÖGHL noch diskutiert werden. Sie sind aus ethischer, juristischer und auch menschlicher Sicht schwierig.“ Er selbst würde es begrüßen, wenn die Suizidassistenz allen – auch handlungsunfähigen – Menschen ermöglicht würde. Der ÖGHL ginge es vordergründig um den assistierten Suizid am Lebensende bei unausweichlichem körperlichem oder psychischem Leid.
Dass gerade Ärzte eine solche Ausweitung teils kritisch sehen, ist Obermüller natürlich bekannt. „Letztlich geht es um das Selbstverständnis der Ärzteschaft. Sie ist gefordert, neu über sich selbst nachzudenken.“ Auch hinsichtlich ihrer Ethik. „Kein Arzt schwört mehr auf den hippokratischen Eid, insofern hat er keine praktische Bedeutung. Maßgeblich ist seine zeitgemäße Form – das Genfer Gelöbnis. Darin wird gerade die Autonomie des Individuums in den Vordergrund gestellt.“ Womöglich um den Ärzten ihre Rolle weniger problematisch zu machen, habe man im Gesetz gewisse Untiefen vermieden. Beispielsweise, dass Natrium-Pentobarbital nicht verschrieben werden muss. „Das ist ein bemerkenswert unkonventioneller Zugang, um zu umschiffen, welcher Arzt das Rezept ausstellt. Es geht ja hier nicht um eine Heilbehandlung, sondern es ist ein Präparat für einen sanften Tod.“ Ein weiterer Punkt sei, wer denn überhaupt als hilfeleistende Person gelte. „Die Aufklärung durch die Ärzte bzw. beim Notar und auch die Herausgabe des Präparats stellen dezidiert keine Hilfeleistung dar“, erklärt Obermüller. Das treffe erst auf jemanden zu, der etwa das Präparat für einen Dritten aus der Apotheke abholt. Obgleich sich Obermüller nicht sicher ist, dass das in der Praxis einen wesentlichen Unterschied machen würde. Spannend wird es hingegen beim Missbrauchsschutz, für den sich gerade die Ärzteschaft im Vorfeld stark gemacht hatte. Deren Sorge kann Obermüller nicht teilen. „Ich beschäftige mich seit 2012 mit dem Thema und mir ist kein einziger bewiesener Fall von Missbrauch bekannt.“ Man könne die Gefahr natürlich nicht ausschließen. „Aber die Tatsache, dass man einen Missbrauch nicht ausschließen kann – bei keinem Gesetz –, ist kein Grund, sinnvolle und wichtige Gesetze nicht zu erlassen.“ Das Ergebnis dieser Sorgen ist laut Obermüller eher zu viel statt zu wenig Missbrauchsschutz. Das erschwere nicht nur den Zugang, sondern erhöhe auch mit jeder bürokratischen Hürde die Kosten. Schon eine einzige ärztliche Aufklärung würde voraussichtlich etwa 500 Euro ausmachen. In Summe müssten Sterbewillige wohl künftig mehrere Tausend Euro stemmen. Bei der ÖGHL ist man sich einig, wie diese Kosten gedeckt werden sollten. „Im Rahmen der Regelfinanzierung. Eine gute palliativmedizinische Versorgung und auch ein sanfter, sicherer Freitod sollten vollständig von unserem Sozialsystem getragen werden.“ Zudem will man auch den geplanten Ausbau von Palliativ- und Hospizeinrichtungen mit der Sterbeverfügung verbunden sehen. „Es stehen endlich höhere Geldmittel für den palliativmedizinischen Bereich zur Verfügung. Ihre Vergabe sollte daran geknüpft werden, ob die Einrichtung assistierten Suizid in ihren Räumlichkeiten zulässt oder nicht.“ Ebenso unbegründet wie der übermäßige Missbrauchsschutz sei Obermüller zufolge das Werbeverbot. Im Gegenteil. „Wer sollte denn mit der Suizidassistenz werben wollen?“ Er habe vielmehr die Sorge, dass das Werbeverbot in ein Informationsverbot umschlägt – was allein schon aufgrund der Meinungsfreiheit unzulässig wäre.
Dennoch zeigt sich Obermüller optimistisch. „Wir haben 87 Jahre was anderes, sehr Restriktives gehabt. Jetzt kann man nicht – schon gar nicht in der kurzen Zeit – alles Denkmögliche berücksichtigen. Insofern verstehe ich, dass es jetzt einer Phase bedarf, in der Erfahrungen gesammelt werden, auf deren Basis das Gesetz später nachgeschärft werden kann.“ Mit dem Sterbeverfügungsgesetz habe man den Menschen mehr Selbstbestimmung zugestanden, und mehr Respekt vor dem Individuum gezeigt. „Letztlich geht es darum, dass die medizinische Kunst dem Kranken helfen soll. Und in gewissen Situationen ist die beste Hilfe, ihm zu ermöglichen, sanft und sicher zu gehen.“
Unser Gesprächspartner:
Wolfgang Obermüller, Kitzbühel
Bereichssprecher „Politik & Gesellschaft“ der Österreichischen Gesellschaft für ein humanes Lebensende (ÖGHL), selbstständiger Unternehmer und Sterbehilfe-Aktivist seit 2012
Wie sehen die nächsten Schritte aus?
„Wichtig ist, wie Menschen, die ihr Leben sanft und sicher beenden wollen, das auch tatsächlich tun können. Beginnend mit der Information, welcher Arzt mit palliativmedizinischer Kompetenz einen aufklärt. Das bedeutet, dass die Ärztekammern Listen führen sollten, welche Ärzte dazu bereit sind. Die Notariatskammern das Gleiche bei den Notaren und die Apothekerkammern bei den Apotheken. Die Menschen müssen diese Informationen niederschwellig zur Verfügung haben.“ (Wolfgang Obermüller)
Die Psychiaterin
Die Bioethikkommission im Bundeskanzleramt widmet sich schon seit Jahren dem Thema „Sterben in Würde“. Eines ihrer Mitglieder ist Dr. Andrea Bronner, Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie. Uns erzählt sie, welche Punkte die Kommission besonders beschäftigen.
„Es ist die Frage zu stellen, warum ausgerechnet ein Palliativmediziner bei der Entscheidungsfindung dabei sein muss. Schließlich wird mit dem assistierten Suizid ja deren Raison d’Être infrage gestellt. Und auch wenn die Ärztekammer jetzt eine Liste von Ärzten aufsetzt, die eine Sterbeverfügung ausstellen möchten, so wird es doch vermutlich so sein, dass es ganze Landstriche gibt, wo es keine Ärzte gibt, die eine Sterbeverfügung auszustellen bereit sind.“ Ebenso problematisch sind die Kosten einer Sterbeverfügung. So gibt Bronner zu bedenken, dass nicht allein bessergestellte Menschen diese Möglichkeit haben sollten. Auch den Wert der Pflege streicht sie hervor. „Im Zusammenhang mit diesem Gesetz sollte man sich mehr darum kümmern, dass die Menschen bessere, vermehrt oder überhaupt Pflege bekommen. Und, dass das nicht zulasten der Angehörigen passiert.“
Vor allem aber sieht Bronner Schwierigkeiten hinsichtlich der Aufgabe, psychiatrisch Erkrankte in die Sterbeverfügung mitaufzunehmen. Das Gesetz lässt das zwar grundsätzlich zu – aber wo zieht man die Grenze? „Sagt man nach 10 Jahren massiver Depression, es soll sein. Oder sagt man dem Patienten, er muss noch weitere 5 Jahre leiden?“ Solche Fragen ließen sich nicht so einfach beantworten. Außerdem sei es oft nicht mit einer einzigen Krankheit getan. „Das sind wirklich sehr schwer kranke Menschen, die meistens kombinierte Diagnosen haben. Zum Beispiel eine Depression und eine schwere Persönlichkeitsstörung mit der Unmöglichkeit, mit anderen Menschen zu kommunizieren. Wer bin ich, diesen Menschen zu sagen, sie müssten das aushalten, bis sie auf natürliche Weise sterben?“
Solche Einzelfälle könnten Psychiater künftig besonders fordern. Umso wichtiger sei es, diejenigen Fachleute zu Rate zu ziehen, die den jeweiligen Patienten schon länger kennen. „Ich glaube, dass es keinen Sinn macht, einen neuen Psychiater hinzuzuziehen, der die Leidensgeschichte nicht kennt. Außerdem muss er Erfahrung haben und sich viel Zeit nehmen, vielleicht öfter Zeit nehmen, um das alles beurteilen zu können.“
Die Entscheidung, ob eine sterbewillige Person aber überhaupt psychiatrisch bzw. psychologisch betreut wird, obliegt denjenigen Ärzten, die die Aufklärungsgespräche führen. Erst wenn der Verdacht aufkommt, dass die Person wegen einer psychischen Erkrankung nicht urteilsfähig ist, muss ein Gutachten eingeholt werden. Eine sinnvolle Regelung, meint Bronner. „Bei einem Menschen, der terminal krank ist und nicht die 35. Chemo haben möchte, kann ich mir vorstellen, dass man kein psychiatrisches Gutachten benötigt. Aber wenn sich die Frage stellt, ob ein Mensch urteilsfähig ist, dann sollte auf jeden Fall auch psychiatrisch begutachtet werden.“
Dem einzelnen Arzt rät die Psychiaterin, mit seinen Patienten im Gespräch zu bleiben. „Es ist wichtig, dem Patienten zuzuhören. Ihn nach seinen Ideen zu fragen, nach seinen Vorstellungen, nach dem Warum.“ Wie in jedem Arztgespräch bräuchte es vor allem Zeit und vertrauensbildende Maßnahmen. „Manche Ärzte haben eine etwas rüde Art, mit Menschen umzugehen. Vielleicht wäre es gut, dies mehr in der Ausbildung zu berücksichtigen und bereits Medizinstudenten, aber auch fertig ausgebildete Ärzte in Gesprächsführung zu unterrichten. Diese Anliegen könnte man an die Medizin-Unis oder die Gesellschaft herantragen.“
Auch untereinander sollten Ärzte vermehrt das Gespräch suchen. Insbesondere, wenn sie sich künftig am Prozess des assistierten Suizids beteiligen wollen. Um auf die eigene psychische Gesundheit zu achten, würden sich vor allem Selbsthilfegruppen eignen. „Was ich sehr ans Herz legen würde, sind Balint-Gruppen. Hier können 10 bis 12 Ärzte (oder auch Pflegepersonal) über Patienten reden, mit denen sie besondere Probleme haben.“ Begleitet werden solche Gruppen von einem Supervisor, der helfen soll, innere Konflikte zu thematisieren. „Wie in jeder Beziehung ist das Arzt-Patienten-Verhältnis eine Frage von Übertragung und Gegenübertragung. Da kommen auch sehr unbewusste Mechanismen zutage. Natürlich umso mehr bei so heiklen Themen wie dem assistierten Suizid.“ Solche Angebote für Ärzte vermehrt auszubauen, wäre gerade jetzt besonders wichtig, ist sich Bronner sicher.
Unsere Gesprächspartnerin:
Dr. Andrea Bronner, Wien
Mitglied der Bioethikkommission im Bundeskanzleramt, Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie, ÄK-Diplom für Psychotherapie und Psychosomatik und Psychoanalytikerin
Was bedeuten psychiatrische Erkrankungen für eine Sterbeverfügung?
„Das mit den psychiatrischen Diagnosen ist ein großes Problem – eigentlich ein ungelöstes Problem. Es gibt chronische psychiatrische Krankheiten, die unendliches Leid verursachen, bei denen nicht geholfen werden kann. Wenn nichts nützt, dann ist das auch unerträgliches Leid. Und doch kann ich mich in der Frage nicht festlegen, muss ich zugeben. Einerseits, warum soll ich psychische oder psychiatrische Erkrankungen anders behandeln als alle anderen Erkrankungen? Warum sollte ich psychische unaushaltbare Schmerzen nicht als solche anerkennen? Die gibt es! Aber auf der anderen Seite steht natürlich die Frage, wie weit der Mensch beeinträchtigt ist. Letztendlich geht es darum: Was ist der freie Wille und gibt’s den überhaupt?“ (Dr. Andrea Bronner)
Die Ärztekammer
Zum Schluss sprechen wir noch mit Dr.Karl Forstner, Präsident der Ärztekammer für Salzburg und Leiter des Referats „Medizinethik und Gesundheitsberufe“ bei der Österreichischen Ärztekammer. Dort ist man mit dem Gesetz relativ zufrieden. „Es wurde vieles berücksichtigt, was von der Ärztekammer als ganz wesentlich gesehen wurde.“ Dazu gehört zunächst, dass jedem Arzt freigestellt ist, an einer Sterbeverfügung mitzuwirken oder nicht. Außerdem sollte es für diejenigen Ärzte, die hierbei Aufklärung leisten, ein „hohes Maß an Rechtssicherheit“ geben – auch das sieht Forstner durch die klaren gesetzlichen Regelungen erfüllt. Der Schutz der Patienten sei berücksichtigt, ebenso das Werbeverbot. So war es „von Anbeginn ein Wunsch der Ärztekammer, aus einer Sterbehilfe keinesfalls ein Geschäft zu machen“.
Wenngleich die Bedenken der Ärztekammer also ausreichend eingearbeitet wurden, sei die Sterbeverfügung per se schwer mit dem Berufsbild von Ärzten zu vereinen. Der Arzt kümmere sich eben in erster Linie um das Leben. „Das ist die ungebrochene Tradition unseres Berufsstandes und auch das Berufsverständnis.“ Einen gewissen Pluralismus gebe es aber. „Als Ärzte haben wir sicherlich sehr unterschiedliche Vorstellungen von unserem Berufsbild. Wir haben unterschiedliche Werthaltungen. Je nach diesen Grundpositionen wird jemand bereit sein, an diesem Prozess auch nur in der zugewiesenen Rolle mitzuwirken oder nicht.“
Die vorgesehenen Aufgaben erfüllen Ärzte größtenteils ohnehin schon – nur eben nicht für eine Sterbeverfügung. „Und es ist ja nicht so, dass hier zwingend eine Vorbereitung für den Suizid getroffen wird. Es können von ärztlicher Seite auch noch Perspektiven aufgezeigt werden.“ Konkret fällt dem Dermatologen hierzu das Beispiel Epidermolysis bullosa ein – die „Schmetterlingskinder“. „In diesem Bereich gibt es eine derartig famose wissenschaftliche Entwicklung, die es rechtfertigt, den Betroffenen Mut zu machen, dass sich in relativ kurzer Zeit immer wieder Aussichten auftun. Das ist, was wir als Mediziner eigentlich vermitteln sollten – die Perspektive für das Leben und nicht unbedingt fürs Sterben.“
Während die Dermatologie wohl eher in Ausnahmefällen mit dem Sterbeverfügungsgesetz zu tun haben wird, würde es sich in anderen Fachbereichen vermutlich häufen. „Das betrifft mit Sicherheit die Hausärzte, die in einer besonderen Vertrauenssituation und jahrelangen Kenntnis des Patienten sind. Auf der anderen Seite werden es wohl Fächer sein, in denen die Bedingungen für solche Krankheitsverläufe eher gegeben sind – die Onkologie oder Neurologie zum Beispiel.“ Außerdem die im Gesetz genannten Fächer – Palliativmediziner einerseits und Psychiater bzw. klinische Psychologen andererseits.
Und doch sollten sich Mediziner aus allen Fachbereichen mit dem Thema auseinandersetzen. „Ich würde mir eine stärkere und breitere Beteiligung der Ärzteschaft an solchen Diskursen wünschen. Das betrifft nicht nur den assistierten Suizid, sondern auch eine Unzahl von anderen Ethik-Themen“, meint Forstner. Dazu bräuchte es sicherlich noch mehr Information seitens der Ärztekammern ebenso wie von Universitäten und anderen Institutionen. „Wenn ich über unseren Beruf und über das Verständnis unseres Berufsbildes nachdenke, dann halte ich das für zwingend erforderlich. Was die Ärzteschaft immer ausgezeichnet hat – und das seit 2500 Jahren, seit es überhaupt schriftliche Aufzeichnungen gibt –, ist, dass es eben auch um Werthaltungen geht. Diese Tradition sollten wir auf keinen Fall verlieren.“ Hierfür einen Beitrag zu leisten, hat jeder Arzt selbst in der Hand.
Unser Gesprächspartner:
Dr. Karl Forstner, Salzburg
Leiter des Referats Medizinethik und Gesundheitsberufe der Österreichischen Ärztekammer, Präsident der Ärztekammer für Salzburg, Facharzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten, Facharzt im Additivfach Angiologie
Wie ändert sich der Alltag für Ärzte?
„Es ist eine durchaus paradoxe Situation, in die hier die Ärzteschaft kommt. Natürlich fühlen sich Ärzte als Anwälte des Lebens und nicht des Todes. Wenn Ärzte hier bei der Aufklärung beteiligt sind, dann erbringen sie aber grundsätzlich eine Leistung, die nicht wesentlich anders ist als andere Leistungen unseres Berufsstandes. Wir prüfen die Einsichtsfähigkeit und dass eine Entscheidung auch überlegt und frei getroffen werden kann. Ebenso das Krankheitsbild, Therapieoptionen und palliative Möglichkeiten. Unser Alltag wird sich also nicht wesentlich ändern, denke ich. Daß, was hier Ärzten zugewiesen ist, kann man schon als ärztliche Tätigkeit sehen.“ (Dr. Karl Forstner)
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Senden Sie uns Ihren Leserbrief zum Thema assistierter Suizid an: office@universimed.com Kennwort: Sterbeverfügung
Weiterführende Informationen finden Sie unter Das neue Sterbeverfügungsgesetz .
Quelle:
„Wer kümmert sich in Österreich ums Sterben? Wer soll, wer kann und wer darf?“ Diskussionsabend der Gesellschaft der Ärzte in Wien, 26. Jänner 2022
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