
Die Anaphylaxie


In diesem Artikel möchten wir Sie strukturiert an die wichtigsten diagnostischen und therapeutischen Schritte heranführen. Apropos Struktur: Sie erinnern sich an unseren Artikel zum „ABCDE-Schema“ aus der letzten Ausgabe von ALLGEMEINE+?
Woher kommt‘s?
Die Anaphylaxie ist eine akute systemische Sofortreaktion des Körpers auf bestimmte Auslöser. Im Erwachsenenalter sind die häufigsten Ursachen Insektengifte (wie Bienen- oder Wespengift) und Arzneimittel, während im Kindesalter die häufigsten Ursachen Nahrungsmittel gefolgt von Insektengiften sind.
Symptome
Die Symptomatik ist mannigfaltig und abhängig vom Befall der Organsysteme. In Tabelle 1 sehen Sie die Schwergradskala zur Klassifizierung der anaphylaktischen Reaktionen anhand der S2k-Leitlinien von 2021.
Keine der in Tabelle 1 beschriebenen Symptomatik ist obligatorisch. In bis zu 10% der Fälle kann eine Hautsymptomatik sogar fehlen.
Was tun?
Bei Verdacht auf Anaphylaxie ist die erste Maßnahme – wenn möglich – das Stoppen der Allergenzufuhr. Bei Reaktion auf eine Infusion muss diese sofort abgedreht und abgehängt werden, im Falle eines Insektenstichs wird der Stachel entfernt.
▷ Fordern Sie Hilfe an, lieber früher als später!
Ersteindruck
Entsteht anhand der Atemfrequenz, der Hautfarbe und des Bewusstseinszustand ein kritischer Ersteindruck, wird der Patient nach dem ABCDE-Schema untersucht. Ziel dieser Untersuchung ist es, den Schwergrad (I–IV) und das Leitsymptom (führendes A-, B- oder C-Problem) der Anaphylaxie zu identifizieren.
▷ Wichtig: Handelt es sich um einen reanimationspflichtigen Patienten, so müssen Reanimationsmaßnahmen nach ERC-Guidelines 2021 durchgeführt werden.
In weiterer Folge möchten wir die leitsymptomorientierte Versorgung anhand des ABCDE-Schemas darstellen.
Das A-Problem
Ein Patient mit einem A-Problem ist auch für uns Notfallmediziner*innen eine richtige Herausforderung. Die Schwellung der Zunge, der Uvula oder des hinteren Rachenraums kann den Atemweg gefährden oder (teil-)verlegen. In diesem Fall ist die intramuskuläre Gabe von Adrenalin indiziert. Zusätzlich soll mittels Verneblermaske die lokal abschwellende Wirkung von Adrenalin inhalativ genutzt werden.
▷ Vorsicht: Eine inhalative Adrenalingabe ersetzt das intramuskuläre Adrenalin nicht!
Das B-Problem
Viele Patienten beklagen subjektive Atemnot im Rahmen einer anaphylaktischen Reaktion. Objektiviert werden respiratorische Beschwerden durch Auskultation, Beurteilung der Atemfrequenz und Atemmechanik (Einsatz der Atemhilfsmuskulatur, Vorhandensein jugulärer oder interkostaler Einziehungen) und Messung der Sauerstoffsättigung.
Bei manifester pulmonaler Reaktion (Stridor, Dyspnoe, Bronchospasmus) ist die Applikation von Adrenalin intramuskulär indiziert. Verabreichen Sie zusätzlich 12–15l/min Sauerstoff über eine Maske mit Reservoir. Die bronchodilatatorische Therapie mit inhalativem Adrenalin oder Beta-2-Sympathomimetika wie z.B. Salbutamol über eine Verneblermaske ist von zentraler Bedeutung.
▷ Haben wir ein B-Problem, wird der Patient mit erhöhtem Oberkörper gelagert!
Das C-Problem
Kreislaufreaktionen können von leichteren Beschwerden wie Tachykardie und leichter Hypotonie im Schweregrad II bis hin zum manifesten Schock im Schweregrad III reichen. In diesen Fällen muss Adrenalin intramuskulär verabreicht werden.
Zusätzlich besteht die Indikation zur intravenösen Flüssigkeitssubstitution von 500–1000ml Vollelektrolytlösung.
▷ Haben wir ein C-Problem, wird der Patient symptomorientiert auf dem Rücken mit erhöhten Beinen gelagert!
Das D-Problem
Die Anaphylaxie verursacht D-Probleme wie Somnolenz oder Bewusstseinstrübung nur sekundär, als Folge von Hypotonie, Hypoxie oder Hyperkapnie. Ist der Patient bewusstlos, kann es schwer sein, rasch die richtige Diagnose zu stellen. Hinweise auf eine Anaphylaxie können Informationen umstehender Personen oder die Fremdanamnese mit Angehörigen liefern. Ein Blick auf die nähere Umgebung lässt auch manchmal auf mögliche Ursachen schließen, z.B. das Herumschwirren von Bienen oder Wespen.
▷ Merke: Messen Sie bei jedem D-Problem den Blutzucker!
Das E-Problem: SAMPLE-Schema
Beim Buchstaben E gehen wir genauer auf die Anamnese des Patienten ein und holen uns strukturiert die wichtigsten Informationen anhand des SAMPLE-Schemas ein.
Die Symptomatik wird erfragt: Was genau sind die Symptome, wann hat es begonnen, wie hat es begonnen, wie hat es sich entwickelt? Das Erfragen bekannter Allergien spielt in diesem Fall eine besondere Rolle und kann die initiale Verdachtsdiagnose erhärten. Beim Erheben der Medikation können Präparate entdeckt werden, die das Risiko für eine schwere Anaphylaxie erhöhen (ACE-Hemmer, Betablocker). Auch die Patientengeschichte inkl. Vorerkrankungen wird vollständigkeitshalber eingeholt. Die Einnahme Letzter Mahlzeiten und Ereignisse, die zum Vorfall geführt haben, ergänzen schließlich das Schema.
Praxis-Tipp:
Die richtige Behandlung einer lebensbedrohlichen Anaphylaxie ist nicht schwer: Adrenalin intramuskulär verabreichen!
Medikamentöse Therapie
Intramuskuläre Adrenalingabe
Das Medikament der Wahl ab Schweregrad II einer Anaphylaxie ist Adrenalin intramuskulär. Verabreicht wird es in den lateralen Oberschenkel.
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Erwachsene: 0,5mg Adrenalin i.m.
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Kinder: 0,01mg/kgKG i.m.
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Autoinjektoren: 0,15mg (<6 Jahren), 0,3mg (>6 Jahre, Erwachsene)
Die Gabe kann nach 5 bis 10 Minuten bei nicht ausreichender Wirkung und/oder Verschlechterung der Symptomatik wiederholt werden (Dosierungen lt. ERC-Guidelines 2021).
Inhalative Adrenalingabe
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3–5mg Adrenalin pur über eine Verneblermaske
Sauerstoffapplikation
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Initial 12–15l/min
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Im Verlauf Zielsättigung 94–98%
Flüssigkeitstherapie
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Erwachsene: 500–1000ml Vollelektrolytlösung i.v.
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Kinder: 10–20ml/kgKG i.v.
Antihistaminika
Die Wirkung von Antihistaminika auf die Atmung und das Kreislaufsystem ist nicht belegt. Somit haben sie keine lebensrettende Wirkung. Im Schweregrad I sind sie aufgrund ihrer potenten Wirkung auf die Hautsymptomatik Therapie der ersten Wahl.
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0,1mg/kgKG Dimetinden i.v.
Glukokortikoide
Aufgrund ihres langsamen Wirkeintritts (10–30min) spielen Glukokortikoide in der Akutphase einer Anaphylaxie eine untergeordnete Rolle. Daher erlangen sie erst nach Stabilisierung der Vitalfunktionen ihre Berechtigung.
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Erwachsene: 250–1000mg Prednisolon i.v.
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Kinder: 2mg/kgKG Prednisolon i.v.
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