
Akzidentelle Hypothermie

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Eine akzidentelle Hypothermie ist der unbeabsichtigte Abfall der Körperkerntemperatur (KKT) auf unter 35°C. Tritt die Unterkühlung durch Umgebungskälte auf, spricht man von primärer Hypothermie. Verursachen endogene Faktoren die Unterkühlung, so spricht man von sekundärer Hypothermie. Mit abnehmender KKT nehmen die Vitalfunktionen Bewusstsein, Atmung und Kreislauf ab und erlöschen schlussendlich; ein Herzstillstand tritt ein. Bei Jungen und Gesunden kann ein Herzstillstand bei einer KKT unter 30°C eintreten, bei Alten und Kranken bereits bei unter 32°C.
Epidemiologie
In Europa tritt die akzidentelle Hypothermie hauptsächlich bei der Ausübung von Outdoor-Sportarten im alpinen Gelände und im urbanen Bereich durch Intoxikation und Krankheit auf. Niedrige Umgebungstemperaturen und Höhe erhöhen das Risiko für eine akzidentelle Hypothermie. Es gibt aber auch zahlreiche Fallberichte einer sekundären Hypothermie in mediterranen und subtropischen Klimazonen, insbesondere bei Alten und Kranken. In Japan resultiert dies aus einer Zunahme von Alter und Fragilität in der Bevölkerung. Europa wird voraussichtlich einen ähnlichen Trend erleben. Die Inzidenz liegt in Europa derzeit bei 0,13–6,9 Fällen pro 100000 Einwohnern/Jahr. Ursächlich für die Inzidenzunterschiede sind Klima, Lebensstil und Diagnostik. Häufig wird eine akzidentelle Hypothermie nicht diagnostiziert, weil Fachwissen oder feldtaugliche, ausreichend tief messende Thermometer fehlen.
Pathophysiologie
Menschen sind homoiotherm und halten die KKT mit geringer Schwankungsbreite bei 37°C±0,5°C. Die zentraleRegulierung der KKT erfolgt durch den Hypothalamus. Bei Kälte erfolgt der Erhalt der KKT durch periphere Vasokonstriktion, Kältezittern (bis zu 500% Steigerung der Wärmeproduktion gegenüber dem Ruhestoffwechsel) und bei Erwachsenen zu einem sehr geringen Anteil durch Thermogenese im braunen Fettgewebe. Isolierende Kleidung sowie aktive Bewegung tragen ebenfalls zur Wärmeerhaltung bei (Abb. 1).
Kinder und schlanke Menschen sind durch das ungünstigere Verhältnis von „Wärme produzierendem Körperkern zu Wärme abstrahlender Körperoberfläche“ einem höheren Risiko für eine Unterkühlung ausgesetzt. Dünne, einschichtige Bekleidung, Schwitzen während der Kälteexposition und Erschöpfung beschleunigen die Abkühlung. Hohe Luftfeuchtigkeit und Wind erhöhen ebenso die Wahrscheinlichkeit einer Hypothermie. In einer Lawine kann die Abkühlung bis zu 9°C/h betragen, im Wasser erfolgt die Abkühlung wesentlich schneller. In weniger als 15°C kaltem Wasser kann ein Herzstillstand bereits nach 30 Minuten eintreten. Besonders abkühlungsgefährdet sind polytraumatisierte Patienten durch eine reduzierte zentrale und periphere Thermoregulation. Bei einer KKT unter 30°C bei Krankenhausaufnahme beträgt die Mortalität in dieser Personengruppe über 50%.
Nach einer Rettung kann der Körperkern durch die kalte Körperperipherie weiter auskühlen, dieses Phänomen bezeichnet man als Afterdrop. Ein Afterdrop kann zu einem Hypothermie-bedingten Herzstillstand führen (Bergungstod=beobachteter Herzstillstand).
Diagnostik
Anamnese und körperliche Untersuchung (Rumpf fühlt sich bei Berührung kalt an) sind essenziell. Kann keine KKT gemessen werden, muss man sich auf Anamnese, Hauttemperatur des Rumpfes und Vitalfunktionen verlassen. Kältezittern ist kein sicherer Parameter für den Schweregrad einer Hypothermie, da viele Faktoren das Kältezittern unterdrücken können. Bei rein klinischer Diagnosemöglichkeit ist der Bewusstseinsgrad der wichtigste Parameter zur Bestimmung des Hypothermie-Stadiums. Dabei ist zu berücksichtigen, dass zahlreiche Faktoren darauf Einfluss nehmen können (z.B. Intoxikation, Schädelhirntrauma).
Die überarbeitete Schweizer Stadieneinteilung basiert auf der Evaluierung des Bewusstseinszustandes und sollte immer dann verwendet werden, wenn die KKT nicht gemessen werden kann und zusätzliche Faktoren, welche den Bewusstseinszustand beeinflussen, ausgeschlossen werden können (Tab.1). Eine definitive Diagnose und Bestimmung des Hypothermie-Stadiums kann nur mit einer KKT-Messung erfolgen. Die Messung erfolgt möglichst zentral (z.B. epitympanisch thermistorbasiert bei wachen, ösophageal bei intubierten Patienten). Empfohlen sind Thermometer mit einem Messbereich bis unter 24°C.
Abb. 1: Zentrale und periphere Thermoregulation bei kalten Umgebungsbedingungen: Ein erhöhter Sympathikotonus führt zu einer peripheren Vasokonstriktion mit Durchblutungsminderung der Haut und reduzierter Wärmeabgabe (oben links). Durch Kältezittern der Skelettmuskulatur wird bei einem bis auf das 5-fache erhöhten Energieverbrauch Wärme generiert (oben rechts). Die endogene Thermogenese ohne Kältezittern findet im braunen Fettgewebe statt (Entkopplung der oxidativen Phosphorylierung – UncouplingProtein 1 (UCP)) (unten links). Kälteschutz kann den Wärmeverlust reduzieren und körperliche Aktivität Wärme erzeugen (steigert den Ruheumsatz um das 15–20-Fache; unten rechts). (Modifiziert nach Paal P et al.: Int J Environ Res Public Health 2021; 19[1]: 501)
Behandlung
Prähospital
Wichtig ist, eine Hypothermie in Betracht zu ziehen, mit KKT-Messung zu diagnostizieren und eine weitere Auskühlung zu verhindern. Anzustreben sind eine rasche Bergung aus der Kälte, warme Umgebungstemperatur (warmes Transportmittel) und ein rascher Krankentransport. Maßnahmen, welche die Auskühlung beschleunigen (z.B. Anästhesieeinleitung), sollten nur nach strenger Indikation erfolgen. Nasse Bekleidung sollte entfernt und der Körper durch mehrere Schichten vor Kälte geschützt werden (Abb. 2). Alternativ kann der Patient mit wasserdichten Folien eng umwickelt werden (Dampfsperre). Kann der Patient noch gehen, sollte man ihn mit Unterstützung gehen lassen, da Bewegung die Wiedererwärmung fördert. Glukose sollte verabreicht werden, um die endogene Wärmeproduktion durch Kältezittern zu unterstützen, wenn der Patient unverletzt ist und keine Kontraindikationen vorliegen. Die weitere prähospitale Behandlung richtet sich nach dem Hypothermie-Stadium.
Tab. 1: Überarbeitete Schweizer Stadieneinteilung der akzidentellen Hypothermie (modifiziert nach Musi ME et al.: Resuscitation 2021; 162: 182-7)
Stadium 1 (milde Hypothermie)
Die Patienten sind voll orientiert, können vor Ort behandelt werden und benötigen, falls unverletzt, keinen Krankenhaustransport. Aktive Bewegung, Transport in warme Umgebung und Kohlenhydrate sind in der Regel ausreichend.
Stadium 2 und 3 (moderate bis schwere Hypothermie)
Diese Patienten sind bewusstseinsgetrübt. Patienten mit Spontankreislauf sollten, unter Vermeidung grober Bewegungen, horizontal gelagert und transportiert werden, um einen Herzstillstand zu vermeiden. Der gesamte Körper sollte vor Kälte isoliert werden, um das Risiko für einen Afterdrop zu mindern (Abb. 2). Wichtig sind Sauerstoffzufuhr und EKG-Monitoring, um im Fall eines Herzstillstandes eine kardiopulmonale Reanimation (CPR) umgehend einleiten zu können. Defibrillation-Pads und EKG sollten frühzeitig angelegt werden. Die Anlage eines intravenösen (IV) Zugangs ist wünschenswert, kann aber aufgrund Vasokonstriktion schwierig sein und sollte den Transport nicht verzögern. Ein intraossärer Zugang sollte frühzeitig in Betracht gezogen werden. IV Flüssigkeit sollte zurückhaltend gegeben werden, da sie meist kälter ist als der Patient und die weitere Abkühlung fördert. Eine Bradykardie ist bei Hypothermie physiologisch und bedarf keiner Behandlung. Ist der Kreislauf stabil und eine spontane Atmung vorhanden, sollten eine Narkoseeinleitung und endotracheale Intubation zurückhaltend indiziert und nur von Erfahrenen durchgeführt werden. Eine vigilanzbedingte Atemwegsverlegung muss jedoch vermieden werden.
Stadium 4 (schwere Hypothermie)
Die Feststellung von Vitalfunktionen kann bei schwerer Hypothermie anspruchsvoll sein. Der Carotispuls kann minimal sein und das Vorhandensein von Vitalzeichen sollte deshalb eine Minute lang kontrolliert werden. EKG, endtidales CO2 (EtCO2) und Point-of-Care-Ultraschall (POCUS) können helfen, einen Minimalkreislauf festzustellen.
Kardiopulmonale Reanimation (CPR)
Herzdruckmassage und Beatmung sollten entsprechend der CPR bei Normothermen erfolgen. Bei Kammerflimmern oder pulsloser ventrikulärer Tachykardie können bei KKT unter 30°C bis zu drei Defibrillationen abgegeben werden, weitere Defibrillationen sollten erst nach Wiedererwärmung auf eine KKT über 30°C verabreicht werden. Adrenalin und Amiodaron sollten bei unter 30°C KKT nicht verabreicht werden. Bei einer KKT ab 30°C sollte das Verabreichungsintervall für Adrenalin auf 6–10 Minuten verlängert werden oder die entsprechende Dosis halbiert werden. Ab einer KKT von 35°C erfolgt die CPR wie bei normothermen Patienten.
Prähospitale Triage
Bei eindeutigen Todeszeichen (z.B. mit dem Leben nicht vereinbare Verletzungen, gefrorener, nicht komprimierbarer Thorax), Lebensgefahr für oder Erschöpfung der Retter, Lawinenverschüttung über 60min mit Asystolie und verlegten Atemwegen sollte eine CPR nicht gestartet werden.
Folgende Faktoren sind keine Kontraindikation für CPR und Wiedererwärmung:
-
Asystolie,
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unbeobachteter Herzstillstand,
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dilatierte und fixierte Pupillen,
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lange „low-“ oder „no-flow time“,
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Hypokapnie (EtCO2<10mmHg),
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hohes Alter,
-
gefrorene Extremitäten oder
-
Polytrauma.
Transport
Neben einem Hypothermie-bedingten Herzstillstand soll bei folgenden Kriterien ein Transport in ein Zentrum mit extrakorporaler Wiederbelebung („extracorporeal life support“, ECLS) erfolgen:
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KKT unter 30°C bei jungen und gesunden bzw. KKT unter 32°C bei alten und kranken Patienten,
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systolischer Blutdruck unter 90mmHg oder
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Herz-Kreislauf-Instabilität.
Eine mechanische Herzdruckmassage kann bei technisch schwieriger Rettung und langem Transport hilfreich sein. Falls eine kontinuierliche Herzdruckmassage während einer technisch schwierigen Rettung (z.B. terrestrischer Transport, Tau- oder Windenbergung) nicht möglich ist, sollte eine intermittierende CPR in Betracht gezogen werden: Bei einem Patienten mit einer KKT unter 28°C oder unbekannter KKT und Verdacht auf einen hypothermen Herzstillstand kann nach 5min CPR eine CPR-Pause von bis zu 5min für den Abtransport genutzt werden.
Abb. 2: Die Isolierung sollte mit einer äußeren robusten, wind- und wasserdichten Dampfsperre erfolgen, innen isolieren z.B. Decken. Es sollten chemische Wärmebeutel am Rumpf sowie Fäustlinge oder Handschuhe an den Händen angebracht werden. Kopf und Gesicht sollten zusätzlich vor Kälte geschützt werden. Bei feuchter Bekleidung sollte darüber eine eng anliegende Dampfsperre angelegt werden. (Modifiziert nach Paal P et al.: Int J Environ Res Public Health 2021; 19[1]: 501)
Intrahospitale Behandlung
Die intrahospitale Therapie hängt vom Vorhandensein von Kreislauf, dem Hypothermie-Stadium und den vorhandenen Ressourcen ab. Bei der Wiedererwärmung sollte folgende Ziel-KKT angestrebt werden: bei noch vorhandenem Kreislauf 37°C, nach hypothermen Herzstillstand 32–37°C je nach Postreanimationsprotokoll des Krankenhauses.
Die Erwärmung ist passiv, wenn der Patient die KKT durch den eigenen Metabolismus (inkl. Kältezittern, Bewegung und Decken) anhebt und normalisiert. Eine aktive Erwärmung kann in eine äußere und innere unterteilt werden, je nachdem wie Wärmeenergie dem Körper zugeführt wird. Bei Patienten mit KKT unter 35°C ist eine aktive Erwärmung empfohlen. Patienten im Herzstillstand benötigen eine aktive interne Wiedererwärmung.
Patienten im Hypothermie-Stadium 1 sollten passiv und aktiv extern (z.B. Warmluftdecken) und ggf. minimal invasiv intern (warme Infusionen) wiedererwärmt werden. Kältezittern sollte toleriert werden, wenn keine Kontraindikationen (z.B. Risiko für kardiale Ischämie, Verletzungen) bestehen.
Patienten im Stadium 2–3 sollten aktiv extern wiedererwärmt werden. Falls Patienten sich nicht ausreichend erwärmen oder verschlechtern, sollte auch aktiv intern gewärmt werden. Zeichen einer insuffizienten Wiedererwärmung inkludieren z.B. KKT unverändert oder abfallend, abnehmendes Bewusstsein, fallender Blutdruck, neu aufgetretene ventrikuläre Arrhythmie, steigendes Laktat. Aktive interne Erwärmung sollte hierbei mit z.B. intravaskulären Wärmekathetern oder über kontinuierliche Nierenersatzverfahren durchgeführt werden. Komplikationen wie z.B. Blutung, Thrombose und Infektion sind mit diesen Verfahren häufiger als mit aktiv externen Verfahren. Bei instabilen Patienten (systolischer Blutdruck unter 90mmHg, ventrikuläre Herzrhythmusstörungen) ist der direkte Transport in ein Zentrum mit Möglichkeit einer extrakorporalen Kreislaufunterstützung notwendig.
Patienten in Hypothermie-Stadium 4 sind im Herzstillstand und benötigen eine extrakorporale Herz-Kreislauf-Unterstützung, wobei die beste Methode die ECLS mittels venoarterieller extrakorporaler Membranoxygenierung (VA-ECMO) ist. Mit dem „Hypothermia outcome prediction after extracorporeal life support“(HOPE)-Score kann die Überlebenswahrscheinlichkeit nach ECLS-Erwärmung geschätzt werden ( www.hypothermiascore.org ). Bei über 10% soll eine ECLS initiiert werden. Die Wiedererwärmungsrate sollte 5°C/h nicht überschreiten, eine langsame Wiedererwärmung von 2°C/h scheint mit einem besseren neurologischen Outcome verbunden zu sein. Ein gutes neurologisches Outcome ist auch nach mehreren Stunden „no-“ und „low-flow“ (Herzstillstand bzw. CPR) möglich, da der Sauerstoffbedarf des Gehirns um 6–7% pro abfallendem °C KKT sinkt. Ein Abbruch der ECLS sollte erwogen werden, wenn trotz Erreichen von 37°C KKT kein Spontankreislauf erreicht wird.
Auch andere Faktoren, wie z.B. eine unkontrollierbare Blutung oder ein schwerer hypoxischer Hirnschaden, können zu einem Abbruch der VA-ECMO führen. Ein irreversibler Hirnfunktionsausfall ist trotz Prognostizierung mittels HOPE häufig, eine Organexplantation sollte in diesem Fall in Betracht gezogen werden.
Zusammenfassung
Die Diagnose einer Hypothermie sollte mit einem adäquaten Thermometer oder – falls nicht verfügbar – klinisch mittels der überarbeiteten Schweizer Stadieneinteilung erfolgen. Hypotherme Patienten mit Risiko für einen kälteinduzierten Herzstillstand sollten primär in ein Zentrum mit ECLS zur Wiedererwärmung gebracht werden. Im Unterschied zu normothermen Patienten haben Patienten mit hypothermem Herzstillstand sogar bei unbeobachtetem Herzstillstand und Asystolie gute Chancen für ein neurologisch intaktes Outcome.
Autoren:
Peter Paal
Abteilung für Anästhesie und Intensivmedizin, Krankenhaus Barmherzige Brüder Salzburg, Paracelsus Medizinische Privatuniversität Salzburg
Raimund Lechner
Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie, Bundeswehrkrankenhaus Ulm
Bernd Wallner
Universitätsklinik für Anästhesie und Intensivmedizin, Medizinische Universität Innsbruck
Simon Rauch
Institut für Alpine Notfallmedizin, Eurac Research, Bozen; Abteilung für Anästhesie und Intensivmedizin, Krankenhaus „Tappeiner“, Meran
Hermann Brugger
Institut für Alpine Notfallmedizin, Eurac Research, Bozen; Universitätsklinik für Anästhesie und Intensivmedizin, Medizinische Universität Innsbruck
Literatur:
bei den Verfassern