40 Jahre HIV
Autor:
Dr. Wolfgang Prammer
Stellvertretender Leiter
Institut für Hygiene und Mikrobiologie
Klinikum Wels-Grieskirchen
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Anfang der 1980er-Jahre sorgten erste Fälle von jungen Männern mit Immundefizienz für Aufsehen. Bald zeigte sich, dass es sich um eine neue Viruserkrankung handelt, die einen schweren Immundefekt bewirkt. Bei der Therapie von HIV hat sich mittlerweile viel getan, doch die Erkrankung ist noch immer ein Tabu.
Vor 40 Jahren wurde das menschliche Immunschwäche-Virus HIV entdeckt – genau genommen waren es 1983 die französischen Forscher:innen Françoise Barré-Sinoussi und Luc Montagnier sowie 1984 der US-amerikanische Virologe Robert Gallo, die unabhängig voneinander das Virus entdeckten. Ein jahrelanger Rechtsstreit folgte, letztendlich bekamen Barré-Sinoussi und Montagnier 2008 den Nobelpreis. 1986 wurde der Begriff HIV (humanes Immundefizienz-Virus) etabliert.
Die Geschichte beginnt aber schon früher: 1981 erschien im wöchentlichen Report der Centers for Disease Control and Prevention (CDC) ein Artikel über fünf homosexuelle Männer aus Los Angeles, die innerhalb von wenigen Monaten eine Pneumonie mit Pneumocystis jirovecii erlitten hatten, wobei zwei von ihnen bereits verstorben waren. Eine Pneumonie mit diesem Pilz bekommt man nur, wenn das Immunsystem geschwächt ist. Und so war es bei diesen Patienten, sie hatten alle schlechte Immunwerte. Die Ursache für die Immunschwäche war allerdings völlig unklar. Viren, wie z.B. das Zytomegalievirus (CMV), wurden von Anfang an diskutiert, aber auch Überdosierungen von Party- und Sexdrogen waren Gesprächsstoff. Und für manche religiösen Kreise war es die „Strafe Gottes“.
Sehr bald wurde jedoch klar, dass nicht nur MSM (Männer, die Sex mit Männern haben), sondern auch andere Bevölkerungsgruppen von dieser Krankheit betroffen waren: Hämophiliepatienten, die Blutprodukte als Therapie brauchten, intravenös Drogensüchtige, Frauen, Kinder, letztendlich auch heterosexuelle Männer. Im September 1982 wurde das erste Mal der Begriff Aids („acquired immune deficiency syndrome“) verwendet.
Jahre später, 2005, gelang der wissenschaftliche Beweis, dass HIV vom Schimpansen stammt. Vermutlich hatten sich afrikanische Jäger im Zeitraum zwischen 1900 und 1920 durch den Kontakt mit Schimpansenblut erstmals infiziert. Aus West-Zentralafrika, einem Hauptverbreitungsgebiet von Schimpansen, stammt auch die erste HIV-positive Blutprobe, sie wurde 1959 entnommen und Jahre später analysiert. Die Ausbreitung von HIV dürfte Mitte der 1960er-Jahre durch haitianische Rückkehrer stattgefunden haben, erreichte Ende der 1960er-Jahre Nordamerika, wobei sie anfangs nur langsam unter Heterosexuellen stattfand und später vor allem MSM betraf, und ging dann weiter nach Europa und Asien. Auch Österreich blieb nicht verschont, 1983 wurde der erste Fall von Aids diagnostiziert.
HIV in Österreich
Ab 1985 waren dann auch in Österreich die ersten HIV-Antikörpertests verfügbar. Viele Angehörige der sogenannten Risikogruppen wurden positiv getestet, was angesichts der fehlenden Therapiemöglichkeiten und fehlender Zukunftsperspektiven zu etlichen Suiziden führte.
Meine erste Patientin war 1993 eine 60-jährige Frau, deren Gatte drei Jahre vorher verstorben war und bei einem früheren Unfall Blutkonserven bekommen hatte. Als Therapie erhielt sie das seit 1987 zugelassene Medikament Zidovudin (Retrovir®) in Kombination mit einem zweiten Reverse-Transkriptase-Hemmer, Didanosin (Videx®). Die CD4-Zell-Zahl, ein wichtiger Parameter des Immunsystems, nahm jedoch sukzessive ab und nach etwas mehr als einem Jahr verstarb die Patientin.
Die therapeutischen Möglichkeiten und Erfolge waren Anfang der 1990er-Jahre sehr bescheiden. Einen Umschwung brachte 1996 der erste Proteasehemmer Saquinavir (Invirase®), der als Teil einer Dreifachtherapie erstmals die Virusmenge so weit reduzierte – man spricht dabei von dauerhafter virologischer Kontrolle –, dass eine Rekonstitution des Immunsystems möglich war und die Patient:innen nur mehr selten an Aids erkrankten.
Die erste Patientin bei uns mit dieser Kombinationstherapie („highly active antiretroviral therapy“; HAART) war eine 33-jährige Frau, die von ihrem Ex-Mann mit Drogenvergangenheit infiziert worden war. Sie hatte bereits eine Pneumocystis-Pneumonie und eine Soorösophagitis hinter sich und sprach sehr gut auf die Therapie an. In den folgenden Jahren traten jedoch zunehmend Nebenwirkungen wie Diarrhö, Lipodystrophien und Nierensteine auf. Das größte Problem war jedoch eine zusätzliche chronische Hepatitis C, deren Behandlung sie aus Angst vor weiteren Nebenwirkungen lange abgelehnt hatte. Sie starb 2006 an Leberzirrhose.
Probleme bereiteten auch die verschiedenen Einnahmemodalitäten der HIV-Medikamente: Manche musste man 5x pro Tag einnehmen, manche nüchtern und manche zum Essen. Einige mussten im Kühlschrank aufbewahrt werden, andere bei Raumtemperatur. Die Tablettenanzahl konnte bis zu 15 und mehr pro Tag betragen. Resistenzentwicklungen waren vorprogrammiert, Therapieumstellungen häufig.
Persönliche Schicksale und positive Ereignisse
In den Anfangsjahren meiner Tätigkeit als HIV-Arzt war der Tod ein ständiger Begleiter, sei es durch opportunistische Infektionen wie z.B. Pneumocystis-Pneumonie oder zerebrale Toxoplasmose, Tumorerkrankungen, wie Lymphome oder Sarkome oder Zweiterkrankungen wie die chronische Hepatitis C. Viele persönliche Schicksale und Begebenheiten sind mir in Erinnerung:
Ein 60-jähriger Bauer, der bettlägerig im Delir stationär aufgenommen wurde. Nach der HIV-Diagnose und dem Beginn der HAART erholte er sich sehr rasch und konnte wieder seinem Beruf nachgehen. Er starb kurze Zeit später plötzlich an einer Lungenembolie, möglicherweise eine Nebenwirkung eines Demenzmedikaments.
Ein Patient, der die HIV-Therapie ablehnte, wurde ebenfalls zunehmend dement. Da ihn der Lärm störte, erschoss er eines Tages alle Brieftauben seines Nachbarn. Später stellte sich heraus, dass der Nachbar ein Arztkollege an unserem Klinikum war.
Ein junger Mann aus Ghana, dessen Mutter nichts von seiner HIV-Infektion wusste: Sie hatte für ihn in seiner Heimat eine Ehefrau ausgesucht und diese verlangte einen negativen HIV-Test von ihm.
Eine junge Frau, die eine Untersuchung bei einem niedergelassenen Gynäkologen erbat. Dieser lehnte ab mit der Begründung, „er wolle sich nicht seine ganze Ordination versauen lassen“.
Es gab selbstverständlich auch viele positive Ereignisse: Patient:innen, deren Hepatitis C erfolgreich behandelt werden konnte, Kinder von HIV-positiven Müttern, die gesund auf die Welt kamen. Ein Patient aus Kamerun, dem ich bei seiner Aufenthaltsbewilligung geholfen hatte, lud mich dann immer als Ehrengast zum jährlichen Afrika-Fest ein.
Der Leiterin eines Entwicklungshilfeprojekts in Tansania besorgte ich mit Unterstützung von einigen Pharmafirmen viele Jahre lang HIV-Medikamente und ich durfte 2007 das Projekt vor Ort besuchen (Abb. 1).
Abb. 1: Besuch bei einem Entwicklungshilfeprojekt in Tansania im Jahr 2007
Fragwürdige Hygienemaßnahmen
Über Hygienemaßnahmen beim Umgang mit HIV-Patient:innen wurde schon sehr früh diskutiert, und es wurden bald Empfehlungen von den zuständigen Sanitätsdiensten verfasst. Trotz des Wissens um die Übertragungswege wurden in den Hygienearbeitsgruppen immer wieder Maßnahmen wie Einzelzimmerisolierung, Einmalgeschirr, Kennzeichnung von Zimmer und Probengefäßen sowie die Entsorgung als infektiöser Müll gefordert.
Entwicklung der Therapiemöglichkeiten
Standen in den 1980er-Jahren die opportunistischen Erkrankungen und ihre Therapiemöglichkeiten im Fokus, so lag in den 1990er-Jahren das Hauptaugenmerk auf den antiretroviralen Therapien und ihren Nebenwirkungen. Heute können HIV-Patient:innen im Normalfall mit einer Tablette täglich (Single-Tablet-Regime) ein beschwerdefreies Leben führen, die HIV-Infektion ist zu einer chronischen, gut managebaren Krankheit geworden.
In Zukunft werden injizierbare Medikamente mit langer Wirkdauer (Cabotegravir + Rilpivirin als Depotwirkstoffe sind bereits in Verwendung) die heutige Tablettentherapie ergänzen bzw. ersetzen. Im Mittelpunkt der Behandlung stehen heute, oft altersbedingt, Komorbiditäten wie Diabetes mellitus, Bluthochdruck oder Osteoporose.
Der Status quo
Geblieben ist HIV als Tabuthema: Ein Outing ist für die meisten Betroffenen nicht vorstellbar. Nach wie vor berichten Patient:innen z.B. von Arztterminen, die plötzlich bei der Bekanntgabe von HIV storniert werden, oder von Gewissenskonflikten beim Ausfüllen von Fragebögen, z.B. für eine Jobbewerbung, wenn nach chronischen Erkrankungen oder regelmäßiger Medikamenteneinnahme gefragt wird.
Was sich im Lauf der Zeit immer wieder änderte, ist der Zeitpunkt des Therapiebeginns mit antiretroviralen Medikamenten. Wartete man vor 20 Jahren eher zu, bis die CD4-Zell-Zahl von 200/μl Blut erreicht wurde, so stieg dieser Wert später auf 350 bzw. 500. Heute wird die Therapie sofort nach der HIV-Diagnose begonnen. Das hat zwei Vorteile: Erstens wird eine frühere und bessere Immunrekonstitution erreicht, zweitens sind Patient:innen bald nach Beginn der Therapie sexuell nicht mehr infektiös. Seit den Ergebnissen der PARTNER-2-Studie2018 gilt: U=U („undetectable“ = „untransmittable“)!
Eine weitere durch Studien gut belegte Möglichkeit des Schutzes vor Ansteckung ist die präexpositionelle Prophylaxe (PrEP). Durch die Einnahme von antiretroviralen Medikamenten kann bei Personen mit erhöhtem Infektionsrisiko (vorwiegend MSM) bei hoher Adhärenz eine fast 99%ige Risikoreduktion erreicht werden.
In Österreich ist die Zahl der jährlichen HIV-Neudiagnosen in den letzten 20 Jahren praktisch gleich geblieben (durchschnittlich ca. 400), die Zahl der „late“ bzw. „advanced diagnosed“ Personen in den letzten Jahren sogar gestiegen (Covid-19-bedingt?). Andere sexuell übertragbare Infektionen wie Syphilis oder Gonorrhö werden wieder häufiger diagnostiziert, sowohl bei HIV-negativen als auch HIV-positiven Personen. So wirksam und notwendig die PrEP ist, das Kondom als Schutzmaßnahme muss weiterhin propagiert werden.
Ausblick
Trotz der enormen Fortschritte bei der Bekämpfung von HIV/Aids ist noch viel zu tun, um die neuen Ziele des gemeinsamen Programms der Vereinten Nationen für HIV/Aids (The Joint United Nations Programme on HIV/AIDS; UNAIDS) zu erreichen: Bis 2030 sollen weltweit 95% der Betroffenen von ihrer Infektion wissen, 95% von ihnen therapiert werden und 95% davon unter virologischer Kontrolle sein (95–95–95), sodass die jährliche globale Neuinfektionsrate unter 200000 fällt und eine Beendigung der HIV-Pandemie erreicht werden kann.
Factbox
2022 ...
... wurden laut WHO 1,3 Millionen Menschen weltweit neu mit HIV infiziert.
... lebten rund 39 Millionen Menschen mit HIV.
... starben ca. 630000 Menschen an HIV-bedingten Erkrankungen.
Bis 2030 ...
... sollen weltweit 95% der Betroffenen von ihrer HIV-Infektion wissen, 95% von ihnen therapiert werden und 95% davon unter virologischer Kontrolle sein (95–95–95).
... soll die jährliche Neuinfektionsrate unter 200000 fallen.
... soll Diskriminierung der Vergangenheit angehören.
Literatur:
beim Verfasser
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