
...weil Sucht Hilfe braucht
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Umfassende medizinische und soziale Betreuung, Infektionsprophylaxe u.a. durch ein Spritzentauschprogramm, indessen Rahmen bis zu 10000 Spritzen pro Tag mit einer Rücklaufquote von über 98% ausgegeben werden, der Rückgang von der Gruppe mit den häufigsten zur Gruppe mit den niedrigsten HIV-Neuinfektionen, soziale Wiedereingliederung, das Schaffen von Perspektiven – das alles darf sich die Suchthilfe Wien zuschreiben, und Dr. Hans Haltmayer war und ist daran maßgeblich beteiligt.
Er ist Allgemeinmediziner, Arzt für Psychosomatik und Psychotherapie, der ärztliche Leiter des Ambulatoriums Suchthilfe Wien, Beauftragter der Stadt Wien für Sucht- und Drogenfragen und mitverantwortlich dafür, dass Wien europaweit eine Vorreiterrolle in der Versorgung suchtkranker Menschen einnimmt.
Die ersten Schritte
Geboren und aufgewachsen in Linz, studierte Haltmayer Medizin in Wien. Um die damals relativ lange Wartezeit auf einen Turnusplatz zu überbrücken, nahm er eine Stelle als Arztpfleger in einer Suchthilfeeinrichtung der Stadt Wien an. Er erkannte schnell, dass die Behandlung von und der Umgang mit suchtmittelabhängigen Menschen ein forderndes Betätigungsfeld darstellen, es jedoch in der etablierten Medizin kaum fundierte Behandlungsangebote gab. Auch später, als Turnusarzt im Krankenhaus Floridsdorf, wo er immer wieder mit Suchtkranken zu tun hatte, bemerkte er den Bedarf an klinischer und sozialer Expertise im Umgang mit diesen Patienten. Es war nicht weiter verwunderlich, dass Haltmayer, ausgestattet mit Erfahrung in diesem Betätigungsfeld und vor allem Leidenschaft dafür, nach dem Turnus sofort wieder in den Suchtbereich wechselte. Er landete beim „Ganslwirt“, war dort u.a. in die Konzeption des „Harm reduction“-Ansatzes eingebunden und konnte sich beim Aufbau dieser wichtigen sozialmedizinischen Einrichtung beweisen.
Jedmayer
Heute gibt es den „Ganslwirt“ nicht mehr. Seinen Platz hat das Jedmayer eingenommen, ein 5-stöckiges Zentrum der Suchthilfe Wien, das sich ganz der Betreuung und der Versorgung von Suchtkranken, insbesondere Konsumenten von Opiaten, Benzodiazepinen, Kokain, etc. widmet. Der Name dieses Versorgungszentrums ist übrigens bewusst gewählt – „Ganslwirt“ oder „Jedmayer“ klingt für Klienten, die an Hilfsangeboten interessiert sind, wesentlich einladender als „Suchthilfe Wien“. Ein Tageszentrum mit Ambulatorium, Notschlafstelle, Hygienebereich, 24h Möglichkeit zumSpritzentausch, Krisenintervention, Beratungs- und freizeitpädagogische Angebote – das alles beherbergt das Jedmayer, das aus gutem Grund mitten in Wien angesiedelt wurde. Obwohl die Standortfrage immer wieder Zankapfel politischer Parteien war, hat die Stadt Wien, von der die Suchthilfe überwiegend finanziert wird, mit der Standortauswahl ein wichtiges Zeichen gesetzt, erklärt Haltmayer. „Es macht nur dann Sinn, das Angebot zu schaffen, wenn es auch angenommen werden kann, sprich: gut erreichbar ist.“ Die Suchtbehandlung ist in Wien systematisiert, d.h., der Behandlungsalgorithmus ist stufenförmig aufgebaut. Die Mitarbeiter des Ambulatoriums der Suchthilfe kümmern sich um die, die am schwersten getroffen sind.
Verbesserung der Lebensqualität im Fokus
Hier werden Menschen behandelt, die aufgrund der Schwere ihrer Suchterkrankung nicht nur gesundheitliche, sondern auch massive soziale Probleme haben. Erkrankungen dieses Schweregrads sind meist mit einer psychiatrischen Grund- oder Begleiterkrankung assoziiert. Viele Patienten sind depressiv, schizophren, leiden an einer Angststörung oder einer posttraumatischen Belastungsstörung. Der Konsum von Suchtmitteln ist dabei ein Versuch, die Grunderkrankung selbst zu behandeln. Opiate z.B. wirken antipsychotisch, angstlösend und stimmungsstabilisierend – der unerträgliche innere Zustand wird durch deren Einnahme erträglicher, und dies führt dazu, dass immer und immer wieder zu dieser Substanz gegriffen wird, wie Haltmayer erzählt. Dennoch ist die Abhängigkeit von illegalen Substanzen wie Opiaten multidisziplinär gut behandelbar. Wie bei jedem chronisch schwer Kranken ist die Frage jedoch, mit welchem Anspruch man als Arzt an die Aufgabe herangeht. 80–90% aller Suchtkranken können nicht vollständig geheilt werden, was in diesen Fällen vollständige Abstinenz bedeuten würde. Nicht die Heilserwartung, sondern die Verbesserung der Lebensqualität steht hier an erster Stelle.
Ambulatorium der Suchthilfe Wien
Wie Haltmayer erörtert, wurde bei der Konzeptionierung des Ambulatoriums darauf abgezielt, alles unter ein Dach zu bringen. Nach dem Motto „one stop, one shop“ werden suchtkranke Patienten hier nicht nur psychologisch, pflegerisch und allgemeinmedizinisch betreut, auch Spezialambulanzen gibt es vor Ort. Seine Erfahrung hat gezeigt, dass suchtkranke Patienten aus verschiedenen Gründen nicht in Spezialambulanzen gehen bzw. nicht die dort erforderliche Terminstabilität aufbringen. Daher kommt Univ.-Prof. Dr. Michael Gschwantler, Vorstand der Abteilung für Gastroenterologie & Hepatologie der Klinik Ottakring, einmal die Woche ins Ambulatorium der Suchthilfe und betreut Suchtkranke, die z.B. von chronischer Hepatitis B und/oder C betroffen sind. Von der kompletten Serologie bis zum Fibroscan wird hier alles angeboten. Ebenso gibt es eine HIV-Ambulanz, die die komplette medizinische Abklärung sowie die medikamentöse Ein- oder Umstellung bewerkstelligt, zweimal im Monat ist außerdem eine Gynäkologin vor Ort.
Es herrscht ein offenes Ambulanzsetting: Patienten kommen während der Öffnungszeiten ohne Anmeldung und schildern ihre Probleme. Auch wenn ein großes Augenmerk auf die psychiatrischen Aspekte der Suchterkrankung gelegt wird, ist es Haltmayer wichtig zu betonen, dass vor allem die allgemeinmedizinische Betreuung der Patienten von größter Wichtigkeit ist. Suchtspezifische Erkrankungen bzw. „blood-borne diseases“, wie Aids, Virus-Hepatitiden oder bakterielle Endokarditiden, stehen im Vordergrund. Aber wie bei Nicht-Suchtkranken auch, zeigt sich bei Haltmayers Patienten ein umfassendes Spektrum verschiedener Beschwerdebilder. Hypertonie, COPD, Diabetes, Beschwerden des Bewegungsapparates – da aufgrund der guten Versorgung auch suchtkranke Pateinten immer älter werden, offenbaren sich bei ihnen genauso altersbedingte Erkrankungen.
Phänomen Stigmatisierung oder „Die im Lichte sieht man nicht“
Das Ziel dabei ist die Stabilisierung der Patienten, um sie dann wieder in den niedergelassenen Bereich weitervermitteln zu können. Ca. 70% der Patienten unter Substitutionstherapie werden durch niedergelassene Allgemeinmediziner weiterbetreut. Das funktioniert gut und ist auch beabsichtigt, berichtet Haltmayer, denn es geht darum, suchtkranke Patienten eben nicht in Spezialeinrichtungen „abzuschieben“, um sie nicht noch weiter auszugrenzen.
Das Phänomen der Stigmatisierung ist besonders bei von illegalen Suchtmitteln Abhängigen zu beobachten, die öffentliche Darstellung trägt meist nicht viel zu einer Entschärfung dieser Situation bei. Die Frage, die zugegeben dieser öffentlichen Wahrnehmung entspringt, ob die medizinische Behandlung von Suchtkranken gefährlich sei, beantwortet Haltmayer klar mit Nein. Manchmal erfahrene Respektlosigkeit oder eine geringe Frustationstoleranz, die in Aggression mündet, beschreibt er als gesellschaftliche Erscheinung, die man aus vielen Spitalsambulanzen kennt und nicht spezifisch Suchtkranken zugeschrieben werden kann.
Explizit weist er darauf hin, dass die oft vor der Suchthilfeeinrichtung anzutreffenden Grüppchen von Menschen nicht die typischen Klienten der Suchthilfe sind. Ganz im Gegenteil. Gut behandelte Suchtkranke unter Substitutionstherapie erkennt man nicht. Sie haben keinerlei Interesse, in der Öffentlichkeit als solche wahrgenommen zu werden, denn wie schon erwähnt sind sie diejenigen, die das größte erdenkliche Ausmaß an Stigmatisierung erfahren. Auf den Punkt gebracht, schildert Haltmayer, dass hier eine Umkehrung des Brecht’schen Zitats zutreffend ist: „Die im Lichte sieht man nicht!“
„Zusammen wirken“ – arbeiten in der Suchthilfe
Dass man nicht auf den ersten Blick sieht, was im Jedmayer eigentlich geleistet wird, spiegelt sich auch in der Problematik der Gewinnung von ärztlichen Mitarbeitern wider. Lange als „dirty medicine“ missachtet, ist die Substitutionstherapie heute eine evidenzbasierte Behandlung und die Therapie der Wahl bei Opiatabhängigkeit. Was früher eher belächelt wurde, hat Anerkennung in der medizinischen Landschaft gefunden und ist heute auch Teil der medizinischen Grundausbildung. Ein Praktikum im Rahmen des klinischen praktischen Jahres kann daher auch am Ambulatorium der Suchthilfe Wien absolviert werden. Die Rückmeldungen von Medizinstudenten seien dabei immer mehr als positiv, erzählt Haltmayer, der Aussagen wie: „Wahnsinn, was hier medizinisch, sozial und pflegerisch alles Tolles passiert!“ schon öfters gehört hat.
Als eine extrem lohnende, befriedigende Arbeit auf hohem medizinischem Niveau unter sehr guten Arbeitsbedingungen beschreibt Haltmayer die Tätigkeiten im Ambulatorium und fügt an, dass jeder Mediziner, der Interesse hat, herzlich willkommen sei, in den Arbeitsalltag reinzuschnuppern. Das ärztliche Team ist ein bunter Mix aus Allgemeinmedizinern, Internisten, Psychiatern und anderen, unterstützt von Pflegekräften, Ordinationsgehilfen und Sozialarbeitern. Hier werden Neulinge oder Quereinsteiger nicht einfach ins kalte Wasser geworfen – auch nach einer ausreichenden Einschulungszeit arbeitet hier niemand alleine. Neben täglichen Morgenbesprechungen gibt es Einzel- und Teamsupervision sowie viel fachlichen, aber auch emotionalen Austausch.
Haltmayers Antwort auf die abschließende Frage, ob er sich rückblickend wieder für die Arbeit im Suchthilfebereich entscheiden würde, verwundert daher nicht: „Es gibt nicht viele Bereiche, die einerseits medizinisch-fachlich so fordernd und andererseits von so hohem Wert für die Gesellschaft sind – das war die absolut richtige Entscheidung und ich würde sie jederzeit wieder treffen!“
Mehr Informationen zur Arbeit der Suchthilfe Wien GmbH finden Sie unter
www.suchthilfe.wien
.
Bericht:
Dr. Katrin Spiesberger, MSc.
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