
Wer von den neuen Antikörpern profitiert
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Migräne schränkt nicht nur die Lebensqualität enorm ein, sondern führt durch Arbeitsausfälle auch zu hohen Kosten. In den vergangenen Jahren wurden neue Medikamente entwickelt, die das therapeutische Spektrum deutlich erweitern, und zwar vor allem was die Prophylaxe angeht. Doch welchem Patienten verschreibt man die neuen Medikamente?
In der Europäischen Union und in der Schweiz sind bisher drei Antikörper zur Prophylaxe der Migräne zugelassen. Experten betonen nicht nur die hohe Wirksamkeit, sondern auch die gute Verträglichkeit. Denn das erhöht die Chance, dass die Patienten ihre Prophylaxe auch nehmen. Doch ob ein Patient von den neuen Präparaten profitiert, sollte sorgfältig überlegt sein. Denn nicht bei allen haben die Antikörper bahnbrechende Erfolge, und die teure Therapie könnte zudem das Gesundheitssystem unnötig belasten.
Alle Antikörper setzen am „calcitonin gene-related peptide“ (CGRP) an. CGRP fungiert als Neurotransmitter im Hirn und wirkt vasodilatatorisch. Anfang der 1990er-Jahre entdeckten Prof. Peter Goadsby, damals in Australien, und Prof. Lars Edvinsson aus Schweden, dass CGRP während einer Migräneattacke ausgeschüttet wird und dass Sumatriptan dies bremsen kann. Anhand dieser Erkenntnisse entwickelten Forscher kleine Moleküle, die gegen den CGRP-Rezeptor gerichtet sind – sogenannte Gepante, sowie monoklonale Antikörper. Eptinezumab, Fremanezumab und Galcanezumab richten sich gegen das CGRP-Protein selbst, während Erenumab am CGRP-Rezeptor angreift. Eptinezumab ist in den Vereinigten Staaten zugelassen, aber noch nicht in der Schweiz oder in der Europäischen Union. Alle vier Antikörper wurden bei der episodischen und chronischen Migräne untersucht. Kürzlich ergänzte die Deutsche Gesellschaft für Neurologie ihre Migräne-Leitlinie um ein PDF zu den Antikörpern.1 Übersichtlich und prägnant sind hier die Empfehlungen und Studienergebnisse zusammengefasst.
Sowohl bei episodischer als auch bei chronischer Migräne schnitten die Antikörper besser ab als Placebo. Patienten mit episodischer Migräne litten im Schnitt zwischen 2,9 und 4,7 Tagen pro Monat seltener unter Migräne, diejenigen mit chronischer Migräne 4,3 bis 6,6 Tage weniger. Es gibt bisher keine direkten Vergleiche, welcher der drei Antikörper besser ist oder ob sie wirksamer sind als bisherige Prophylaktika. Man behandelt zunächst drei Monate lang. Als Therapieerfolg gilt, wenn der Patient pro Monat an durchschnittlich halb so vielen Tagen wie unter der Vorbehandlung unter Migräne leidet. Hilft demnach der Antikörper, kann man nach einem halben bis einem Jahr versuchen, ihn zu stoppen, und schauen, ob die Behandlung noch notwendig ist.
Die Antikörper zeichnen sich durch ein günstiges Nebenwirkungsprofil aus. In den Studien wurden wenige behandlungsabhängige Nebenwirkungen über einen Anwendungszeitraum von einem Jahr beobachtet. Wir haben Prof. Diener aus Essen gefragt, wie er die Antikörper in der Praxis einsetzt und was er von den neuen Substanzen hält, die zurzeit getestet werden.
Herr Doktor Diener, wie haben sich Prophylaxe und Therapie der Migräne durch die neuen Medikamente verändert?
H. Diener: Zur medikamentösen Prophylaxe der episodischen Migräne standen bisher folgende Medikamente zur Verfügung: die Betarezeptorenblocker Propranolol und Metoprolol, das trizyklische Antidepressivum Amitriptylin, der Kalziumantagonist Flunarizin und die beiden Antikonvulsiva Valproinsäure und Topiramat. Zur Prophylaxe der chronischen Migräne ist zusätzlich Onabotulinumtoxin A zugelassen.
All diese Medikamente wirken erwiesenermaßen, aber die Patienten nehmen sie oft nicht wegen der Nebenwirkungen. Die neuen monoklonalen Antikörper sind dagegen viel besser verträglich und die Compliance ist höher.
Wie sah die Therapie der akuten Attacken bisher aus?
H. Diener: Wir behandeln mit Analgetika und nichtsteroidalen Antirheumatika. Bei Patienten mit mittelschweren oder schweren Migräneattacken, bei denen diese Medikamente nicht wirken oder die sie nicht vertragen, setzen wir Triptane ein. Triptane wirken sehr gut und haben nur wenige Nebenwirkungen. Sämtliche Triptane sind nicht mehr patentgeschützt, deshalb sind die Präparate jetzt viel preiswerter als noch vor einigen Jahren. Aufgrund der vasokonstriktiven Eigenschaften sind Triptane bei Patienten mit Migräne und schwerwiegenden vaskulären Erkrankungen kontraindiziert. Wir brauchen daher Migränemittel ohne vasokonstriktive Eigenschaften.
Sind all die neuen Medikamente wirklich so ein Durchbruch, wie es oft bezeichnet wird?
H. Diener: Aus wissenschaftlicher Sicht eindeutig ja. In der Prophylaxe ist es zum ersten Mal gelungen, basierend auf der Pathophysiologie der Migräne gezielt Medikamente zur Migräneprophylaxe zu entwickeln. Bei den bisherigen Migräneprophylaktika wurde die vorbeugende Wirkung in aller Regel zufällig entdeckt, als diese Substanzen für andere Indikationen eingesetzt worden waren.
Welchen Patienten empfehlen Sie die Antikörper?
H. Diener: Aufgrund der geringen Nebenwirkungsraten eignen sie sich am ehesten für Patienten, die ihre Migräneprophylaxe wegen Nebenwirkungen nicht weiter nehmen wollen oder die Nebenwirkungen fürchten. Besonders geeignet sind die Präparate bei chronischer Migräne und bei Patienten mit chronischem Kopfschmerz durch Übergebrauch von Schmerz- oder Migränemitteln. Bei uns in Deutschland ist aber aufgrund der hohen Kosten mit rund 8300 Euro pro Jahr die Erstattung durch die gesetzlichen Kassen stark eingeschränkt.
Welcher der Antikörper ist am besten?
H. Diener: In indirekten Vergleichen wirken alle drei gleich gut. Vergleichsstudien mit den bisher eingesetzten Migränemitteln gibt es nicht.
Aber so wissen wir nicht, wie groß der Zusatznutzen im Vergleich zu den herkömmlichen Prophylaktika wirklich ist. Warum macht keiner eine derartige Vergleichsstudie?
H. Diener: Für die Kostenerstattung müssten die herkömmlichen Migräneprophylaktika mit den neuen Migränemitteln verglichen werden. Da die klassischen Migräneprophylaktika sehr preiswert sind, können die Antikörper keinen Vorteil zeigen.
Wie beurteilen Sie das Kosten-Nutzen- Verhältnis?
H. Diener: Die traditionellen Migräneprophylaktika sind allepreiswerter. Die monatlichen Behandlungskosten – außer bei Onabotulinumtoxin A – bewegen sich zwischen 240 und 600 Euro pro Monat. Die Antikörper sind mit Apothekenpreisen von 8200 bis 8500 Euro Jahreskosten deutlich teurer.
Was für neue Medikamente sind in Aussicht?
H. Diener: Die neuen Substanzen zur Akutbehandlung von Migräneattacken gliedern sich in sogenannte „Ditane“ mit agonistischer Wirkung am Serotonin-5-HT1F-Rezeptor und die „Gepante“, das sind direkte Antagonisten am CGRP-Rezeptor. Ditane und Gepante sind im Gegensatz zu den monoklonalen Antikörpern kleine Moleküle. Beide wirken bei akuten Migräneattacken, wobei die Gepante ein sehr gutes Nebenwirkungsverhältnis aufweisen. Lasmiditan als Vertreter der Ditane geht mit zentralen Nebenwirkungen in Form von Müdigkeit, Konzentrationsstörungen und Schwindel einher. In den Vereinigten Staaten ist das Medikament schon zugelassen, in der Europäischen Union noch nicht. In den Vereinigten Staaten dürfen Patienten, die das Medikament eingenommen haben, in den darauf folgenden 8 Stunden nicht Auto fahren und an keiner Maschine arbeiten.
Was halten Sie von den Gepanten?
H. Diener: In den Vereinigten Staaten sind Ubrogepant und Rimegepant zugelassen. Die Medikamente haben in den randomisierten Studien zur Akuttherapie von Migräneattacken eine signifikante Überlegenheit gegenüber Placebo für den primären Endpunkt „schmerzfrei nach zwei Stunden“ gezeigt. In indirekten Vergleichen wirken sie allerdings eindeutig weniger stark als beispielsweise Suma-triptan oder Rizatriptan. Die Patienten vertrugen die Gepante gut und vaskuläre Erkrankungen stellen keine Kontraindikation dar.
Warum wurden die früheren Studien zu anderen Gepanten abgebrochen?
H. Diener: Die initialen Studien beispielsweise mit Telcegepant wurden abgebrochen, da die Substanz nur zur intravenösen Gabe verfügbar war. Bei anderen Gepanten wurden so viele Interaktionen mit anderen Medikamenten beobachtet, dass ein praktischer Einsatz nicht möglich war. Drei der Gepante wurden im Rahmen der Entwicklung gestoppt, da es bei langfristiger Anwendung bei einzelnen Patienten zu einer Erhöhung von Leberenzymen kam.
Was ist besser – Gepante oder Triptane?
H. Diener: In indirekten Vergleichen sind die Triptane wirksamer als die Gepante. Direkte Vergleichsstudien zwischen Gepanten und Triptanen liegen allerdings ebenso wenig vor wie Studien zum Einsatz von Gepanten bei „Triptanversagern“.
Wie ordnen Sie Lasmiditan ein?
H. Diener: Lasmiditan wirkt vergleichbar gut wie die Triptane. Es hat allerdings zentrale Nebenwirkungen.
Meinen Sie, die Kassen würden Gepante und Ditane eher erstatten als die Antikörper?
H. Diener: Ich vermute nicht, wenn wir uns die Preise in den Vereinigten Staaten anschauen. Lasmiditan und Ubrogepant kosten dort 80 beziehungsweise 85 Dollar pro Tablette, umgerechnet 71 beziehungsweise 76 Euro. Suma-triptan als Generikum kostet dagegen gerade einmal drei bis sieben Euro pro Tablette.
Wie beurteilen Sie das Problem von Medikamentenübergebrauchskopfschmerz durch die neuen Medikamente?
H. Diener: Bei den monoklonalen Antikörpern gegen CGRP sehe ich kein Problem, da diese bei Patienten mit Medikamentenübergebrauchs-Dauerkopfschmerzen eindeutig besser wirken als Placebo. Aus rein wissenschaftlicher und pharmakologischer Sicht dürften zumindest die Gepante keinen Dauerkopfschmerz auslösen. Ob dies auch für Lasmiditan gilt, wissen wir noch nicht, weil das Präparat so neu ist.
Es gibt erstaunliche Fortschritte in den letzten 30 Jahren in der Akuttherapie und Prophylaxe der Migräne. Ich habe aber Sorge, dass bei all den neuen Präparaten die nichtmedikamentöse Therapie etwas zu kurz kommt. Denn auch hier haben wir in den vergangenen Jahren einige neue Erkenntnisse gesammelt. Nichtmedikamentöse Behandlungen wirken vermutlich genauso gut wie Medikamente. Dazu zählen regelmäßige körperliche Betätigung, Entspannungsverfahren und Stressbewältigung. Wir sollten unsere Patienten darauf immer wieder hinweisen.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
Unser Gesprächspartner:
Prof. Dr. Hans-Christoph Diener
Seniorprofessor für
Klinische Neurowissenschaften
Universität Duisburg-Essen
Sprecher der Kommission Leitlinien
der DGN
Das Interview führte
Dr. Felicitas Witte
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