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Gesundheit und Medizin

Onkologen drängen auf digitale Expertengremien und Dokumentation

Wien/Graz - Die Medizin muss digitalisiert werden, wenn sie bei immer mehr Informationen aus diagnostischen Verfahren auch eine optimale Therapie bieten will. Das gilt besonders für die Onkologie. Österreichische Krebsspezialisten sprachen sich jetzt im Vorfeld zu den Praevenire-Gesundheitstagen für nationale Online-Tumorboards und eine einheitliche Dokumentation aller wichtigen Informationen aus.

„Wir brauchen digitale Lösungen“, so Philipp Jost, Leiter der Klinischen Abteilung für Onkologie der MedUni Graz. Die Gründe fasst er wie folgt zusammen: „Wir bekommen immer mehr molekulare Daten. Das wird immer einfacher. Danach sucht man infrage kommende Therapien. Aber erst dann muss entschieden werden, welche der vorhandenen Therapien ausgewählt und angewendet wird. Es geht um die Interpretation der Daten.“

Mittlerweile gehört die molekularbiologische Charakterisierung von Tumor-Gewebeproben auf die detaillierten genetischen Mutationen zur Routine in der Onkologie. Gleichzeitig wird die Zahl ganz gezielt und personalisiert einsetzbarer Therapien immer größer. Die Informationsmengen sind enorm. Doch entscheidend sind Interpretation und Schlussfolgerungen. Und hier kommt es vordringlich auf die Expertise von hochspezialisierten Fachleuten an. Vor einigen Jahren wurden deshalb an vielen Kliniken Tumorboards eingerichtet. Doch in Zukunft sollte das Wissen der Fachleute auch überregional gebündelt werden können.

Nationales Tumorboard und gemeinsame Dokumentation

Jost nennt dazu ein Beispiel: „Wir finden typische genetische Veränderungen in vielen Tumoren. Das können zum Beispiel BRCA1/BRCA2-Mutationen sein. Hier gibt es beispielsweise die sogenannten PARP-Inhibitoren, die dann wirken können. Doch nur beim Mamma-, beim Ovarial-, Prostata- und Pankreaskarzinom sind solche Mutationen wirklich bedeutend.“ Dann könnten diese Medikamente wirksam sein, bei anderen Tumorarten mit BRCA-Mutationen offenbar kaum. Für die Entscheidung dafür oder dagegen ist aber die Expertise ausschlaggebend. Und die könnte eben im Rahmen von digitalen Tumorboards in speziellen Fällen eingeholt und diskutiert werden. Mit einem nationalen, digitalen Tumorboard könnte laut dem Experten die klinische Interpretation von Daten österreichweit erfolgen, in schwer zu beurteilenden Fällen wäre das ein Zuwachs an Wissen.

In die gleiche Kerbe schlägt Hannes Kaufmann, Leiter der Abteilung für Onkologie und Hämatologie an der Klinik Favoriten in Wien: „Wir organisieren in Wien bereits Krankenhaus-übergreifende Tumorboards.“ Auch eine Anbindung des Wiener AKH sei in dem Projekt enthalten. Genauso wichtig aber seien ergänzende Aktivitäten. Kaufmann: „Ich glaube, dass wir in unserem kleinen Österreich eine gemeinsame Dokumentation der Daten aller Krebspatienten über alle Bundesländer (und Krankenhausträger; Anm.) hinweg brauchen. Das geht nicht mit einem überlasteten Oberarzt, der Daten eintippt. Das ist keine Qualität. ELGA hat das bisher nicht bieten können. Wir brauchen ein einheitliches Register.“

Das sei der Schlüssel für die Optimierung der Behandlung. In Österreich leben rund 375.000 Menschen, die eine Krebsdiagnose erhalten haben. Ihre medizinische Versorgung von Beginn bis zur Nachsorge ist von der Kenntnis und der Auswertung ihrer Daten durch alle Stellen und Institutionen abhängig, die sie im Rahmen ihrer Erkrankung aufsuchen.

In Oberösterreich habe man das über die Krankenhausträger hinweg bereits geschafft, so Kaufmann. Ein solches Vorgehen müsse auch österreichweit möglich sein. Das Ziel ist für den Experten jedenfalls klar: eine Dokumentation, die jedem Behandler – vom größten Spezialisten in einem Zentrum bis zum Hausarzt – zugänglich ist, die sprichwörtlich „weitergeschrieben“ wird, wenn der Patient vom Krankenhaus zum Fach- oder Hausarzt kommt. Das würde die Versorgung optimieren, ist Kaufmann überzeugt. (APA/red)

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