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Gesundheit und Politik

Fünf Fragen an den neuen Präsidenten der Ärztekammer für Wien

Wien - Am Dienstag wurde Johannes Steinhart zum Präsidenten der Ärztekammer für Wien gekürt. Im Gespräch mit universimed.com zieht der niedergelassene Facharzt für Urologie eine Zwischenbilanz zur Fusion der Krankenkassen und erläutert seine wichtigsten gesundheitspolitischen Vorhaben.

universimed: Welche drei gesundheitspolitischen Projekte sind aus Sicht der Ärztekammer für Wien für die Bundeshauptstadt vorrangig?

Johannes Steinhart: Auf Spitalsebene benötigen die öffentlichen Wiener Spitäler dringendst mehr Personal – im ärztlichen Bereich wie auch in der Pflege. Eine Forderung, die wir schon seit Jahren stellen. Zusätzlich müssen die Ambulanzen aller Wiener Spitäler entlastet werden. Dafür stehen wir mit dem Ärztefunkdienst bereit, der schon jetzt an einigen Standorten vorgelagerte allgemeinmedizinische Ambulanzen betreibt, damit tatsächlich nur jene Patientinnen und Patienten in die Spitalsambulanzen weitergeleitet werden, die unbedingt eine stationäre Behandlung benötigen. Im niedergelassenen Bereich braucht Wien mehr Kassenstellen. Wir fordern von der ÖGK 300 zusätzliche Planstellen. Dazu gehört auch ein wirklich moderner einheitlicher Leistungskatalog als Grundlage aller kassenärztlichen Leistungen in Österreich. Die Ärztekammern haben einen solchen bereits entwickelt. Ich werde dessen Umsetzung von der Gesundheitskasse vehement einfordern, denn die veralteten Leistungskataloge tragen auch dazu bei, dass sich immer weniger Medizinerinnen und Mediziner für den Schritt in eine Kassenordination entscheiden.

universimed: Welche Rolle werden die niedergelassenen Ärzte – allen voran die Allgemeinmediziner – bei der weiteren Bewältigung der Pandemie spielen? Hintergrund: Die Erwartungen scheinen groß. So hat etwa Gesundheitsstadtrat Peter Hacker jüngst über die Zukunft der Impfstraße im Austria Center nachgedacht – verbunden mit der Überlegung, dass niedergelassene Ärzte stärker in die Impfstrategie eingebunden werden könnten.

Johannes Steinhart: Die Stadt Wien hat in den zwei Jahren der Pandemie in ihrer Strategie alles auf ihre Impfstraßen gesetzt und die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte kaum miteingebunden. Seit die Impfbereitschaft der Bevölkerung nachgelassen hat, herrscht in den teuren Impfstraßen gähnende Leere. Wir haben schon seit Beginn der Pandemie gefordert, dass der Schwerpunkt der Impfstrategie bei den niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten liegen soll – wie auch in fast allen anderen Bundesländern. Nur in den Ordinationen können die Menschen von der Wichtigkeit einer Impfung wie aller möglicher anderer Vorsorgeuntersuchungen etc. überzeugt werden. Denn die Ordinationen werden regelmäßig wegen verschiedenster Beschwerden aufgesucht. Die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte waren immer bereit und werden auch in Zukunft bereit sein, wenn es darum gehen sollte, Impfungen – egal ob gegen Corona oder etwa gegen die Grippe – an die Bevölkerung zu verabreichen.

universimed: Wie stehen Sie als Präsident der ÄK für Wien zur Impfpflicht? Soll sie in der vorhandenen Version beibehalten werden – und, wenn ja: Unter welchen Umständen sollte sie in Kraft treten?

Johannes Steinhart: Die Impfpflicht wurde von der Bundesregierung ausgesetzt. Aus verschiedenen Gründen. Sollte es im Herbst zu einer neuen starken Corona-Welle kommen, müssen die Expertinnen und Experten des Nationalen Impfgremiums (NIG) gemeinsam mit der Generaldirektorin für die Öffentliche Gesundheit und ihrem Beratergremium die Situation neu bewerten und entsprechende Empfehlungen an die Bundesregierung abgeben. Aus aktueller Sicht war das Aussetzen der Impfpflicht der richtige Schritt.

universimed: Die Fusion der Sozialversicherung ist mittlerweile mehr als ein Jahr her. Wien hat als einzige Großstadt Österreichs besondere Herausforderungen zu bewältigen. Wie fällt die Bilanz aus Ihrer Sicht aus – vor allem in Hinblick auf den größten Player und Vertragspartner ÖGK? Funktioniert die Zusammenarbeit besser/schlechter als vor der Fusion?

Johannes Steinhart: Die Bilanz ist durchwachsen bis schlecht. Die Zusammenarbeit mit der ÖGK hat sich durch die Kassenfusion sicher nicht verbessert. Die größte Herausforderung ist – wie schon eingangs erwähnt – die Versorgung der Wiener Bevölkerung mit genügend Angeboten im niedergelassenen Bereich. Da fehlen in Wien zumindest 300 Kassenstellen. In den letzten zehn Jahren ist die Anzahl der Kassenordinationen nämlich um 150 zurückgegangen, das aber bei einer Bevölkerungszunahme von 200.000 Personen. Mit der Freigabe von Kassenplanstellen alleine ist es aber nicht getan. Vor allem in den Fächern Allgemeinmedizin, Kinder- und Jugendheilkunde, mittlerweile auch Gynäkologie, wird es immer schwieriger, frei werdende Ordinationen nachzubesetzen. Da muss bei den Honoraren für Kassenordinationen ordentlich nachgebessert werden, damit wieder mehr junge Medizinerinnen und Mediziner einen Kassenvertrag annehmen. Das beste Beispiel zu den diesbezüglichen Versäumnissen: Die Honorare für die Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen sind seit 28 Jahren nicht einmal der Inflation angepasst worden. Zeigen Sie mir eine Berufsgruppe, die heute noch um dasselbe Gehalt arbeiten würde wie 1994.

universimed: Nach der Kür zum Präsidenten der ÄK für Wien wäre der nächste logische Schritt die Funktion des ÖÄK-Präsidenten. Würde Sie diese Position reizen?

Johannes Steinhart: Ich bin jetzt zum neuen Präsidenten der Wiener Ärztekammer gewählt worden. Ich möchte der Wahl des Österreichischen Ärztekammerpräsidenten nichts vorwegnehmen, die im Juni stattfinden wird. Aber mit der Übernahme der Verantwortung als Standespolitiker für die Interessen der Wiener Ärztinnen und Ärzte, der größten Gruppe unter den Bundesländern, übernehme ich auch schon automatisch eine gewisse Verantwortung auf Bundesebene. Bei allen standespolitischen Forderungen sehe ich natürlich immer über den Wiener Tellerrand hinaus und beziehe die Überlegungen und Forderungen aller österreichischen Ärztinnen und Ärzte in meine Entscheidungen mit ein.

Vielen Dank für das Gespräch!


Autor:
Evelyn Holley-Spieß

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