© Getty Images/iStockphoto

ProtecT-Studie für Prostatakrebs

Unsere Interpretation der ersten Ergebnisse

<p class="article-intro">Die Veröffentlichung der Ergebnisse der ProtecT-Studie wurde mit Spannung erwartet. Verschiedene Interessenvertreter im Zusammenhang mit dem Thema Prostatakrebs haben geduldig auf eine Antwort gewartet, ob Bestrahlung oder Chirurgie besser geeignet wäre, um Patienten mit lokalisiertem Prostatakarzinom zu behandeln, und – die wohl brennendere Frage – ob eine der beiden Therapieoptionen der aktiven Überwachung vorzuziehen wäre.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Die ProtecT-Studie liefert uns zum ersten Mal eine Grad-1-Evidenz, indem sie die relativen Langzeiteinfl&uuml;sse von Chirurgie, Strahlentherapie und aktiver &Uuml;berwachung mit den Outcomes und der Lebensqualit&auml;t von Patienten mit lokalisiertem Prostatakarzinom vergleicht.</li> <li>Es zeigte sich kein Unterschied zwischen dem metastasenfreien &Uuml;berleben und dem Gesamt&uuml;berleben bei Patienten, die eine radikale Prostatektomie oder externe Strahlentherapie (EBRT) erhalten haben. Dementsprechend kann keine Strategie zum &bdquo;Therapiesieger&ldquo; erkl&auml;rt werden. Die Nebenwirkungen zeigten jedoch hinsichtlich ihrer Art, Dauer und des Einflusses auf die Lebensqualit&auml;t Unterschiede zwischen den Studienarmen und bed&uuml;rfen einer Diskussion.</li> <li>Obwohl die Ergebnisse die Praxis nicht grundlegend &auml;ndern werden, unterst&uuml;tzen die Daten doch eine fundierte Entscheidungsfindung vonseiten aller Beteiligten. Die Ergebnisse bekr&auml;ftigen au&szlig;erdem die gerade etablierte Stellung der aktiven &Uuml;berwachung als die dritte Behandlungsform f&uuml;r das lokalisierte Prostatakarzinom.</li> </ul> </div> <p>Als erste und wahrscheinlich einzige Grad-I-Evidenzstudie, die die langfristigen Auswirkungen von Chirurgie, Bestrahlung und aktiver &Uuml;berwachung auf das Therapie-Outcome und die Lebensqualit&auml;t von Prostatakrebspatienten vergleicht, ist die bisher erfolgreiche Durchf&uuml;hrung der Studie eine Meisterleistung. Mehr als 1600 M&auml;nner mit lokalisiertem Prostatakrebs, die aus einer gr&ouml;&szlig;eren Gruppe von mehr als 2600 M&auml;nnern mit lokalisiertem Prostatakarzinom in die Studie inkludiert wurden, erhielten nach Randomisierung in 3 Gruppen entweder eine aktive &Uuml;berwachung (n=545), eine radikale Prostatektomie (n=553) oder eine externe Bestrahlung (RT) (n=545). Der prim&auml;re Endpunkt war dabei die Prostatakrebs-spezifische Mortalit&auml;t; die sekund&auml;ren Endpunkte beinhalteten die Progressionsrate, aufgetretene Metastasen und Todesf&auml;lle aus jeglichem Grund.<br /> Es gab in keiner der drei Gruppen einen signifikanten Unterschied bezogen auf die Prostatakrebs-spezifische Mortalit&auml;t oder die Gesamtmortalit&auml;t innerhalb des medianen Follow-up von 10 Jahren. Bemerkenswerterweise war die Sterblichkeitsrate der Prostatakarzinompatienten in allen drei Gruppen niedrig, was wir sp&auml;ter noch ausf&uuml;hrlicher er&ouml;rtern werden. Die Autoren haben bei den von den Patienten berichteten Outcomes viele Bereiche erfasst, darunter die Funktion des Harnsystems und der Sexualit&auml;t, allgemeine Komponenten der Lebensqualit&auml;t sowie die krebsspezifische Lebensqualit&auml;t. Die sexuelle Funktion sank in allen drei Gruppen, wobei sich jedoch die geringste Verschlechterung bei Patienten in der &bdquo;Active surveillance&ldquo;-Gruppe zeigte. Die radikale Prostatektomie war mit den gr&ouml;&szlig;ten und anhaltend negativsten Auswirkungen auf die sexuelle Funktion und Harnfunktion verbunden, w&auml;hrend die Patienten im RT-Arm &uuml;ber eine schlechte Darm- und Harnfunktion berichteten, wovon sie sich nach 6 Monaten erholten. Interessanterweise zeigte sich zwischen den Gruppen kein signifikanter Unterschied bezogen auf Angst, Depression und Lebensqualit&auml;t.<br /> Die Studiendurchf&uuml;hrung war ein schwieriges Unterfangen mit einem akribischen Langzeit-Follow-up, was unseren h&ouml;chsten Respekt verdient. Trotzdem sollten wir einige wichtige Einschr&auml;nkungen ber&uuml;cksichtigen. Das urspr&uuml;ngliche Studiendesign basierte auf einer angenommenen Prostatakrebs-spezifischen 10-Jahres-Mortalit&auml;t von 15 % und sp&auml;ter 10 % . Aber mit nur 17 Todesf&auml;llen, die auf Prostatakrebs zur&uuml;ckzuf&uuml;hren sind, ist die Studie nicht ausreichend gepowert, um den prim&auml;ren Endpunkt zu bewerten.</p> <h2>Aktive &Uuml;berwachung: was es zu ber&uuml;cksichtigen gilt</h2> <p>Wesentlichen die derzeitige Praxis der aktiven &Uuml;berwachung f&uuml;r Patienten mit einem Low-Risk-Prostatakrebs. Die Ergebnisse unterst&uuml;tzen die langfristige Sicherheit und Vertr&auml;glichkeit der aktiven &Uuml;berwachung bei entsprechend beratenen Patienten mit lokalisiertem Prostatakrebs, wenn als prim&auml;rer Endpunkt der ursachenspezifische Tod von Interesse ist und nicht nach der biochemischen Progression oder der Krankheitsprogression gesucht wird. Aber wie bei jeder hochkar&auml;tigen Studie, die sowohl von der Fach- als auch der Laienpresse Aufmerksamkeit bekommt, m&uuml;ssen &Auml;rzte und Patienten die Nuancen ber&uuml;cksichtigen. Insbesondere dann, wenn die Ergebnisse interpretiert und im personalisierten Krankheitsmanagement zur optimalen Entscheidungsfindung herangezogen werden sollen.<br /> Zum Beispiel haben einige Medien eine Warnung verbreitet, dass Patienten, die in Studien nach dem Zufallsprinzip der aktiven &Uuml;berwachungsgruppe zugeordnet wurden, eine &bdquo;mehr als doppelt so hohe Wahrscheinlichkeit&ldquo; h&auml;tten, eine Krebsprogression zu erleiden und Metastasen zu entwickeln, verglichen mit Patienten, die einer sofortigen Behandlung unterzogen wurden. Obwohl die Krankheitsprogression und die Entwicklung von Metastasen im aktiven &Uuml;berwachungsarm im Vergleich zu den beiden Behandlungsarmen signifikant h&ouml;her waren (p&lt;0,001 bzw. p=0,004), f&uuml;hrten sie bemerkenswerterweise nicht zu einer gr&ouml;&szlig;eren ursachenspezifischen Mortalit&auml;t.<br /> Zum heutigen Kenntnisstand ist es sicherlich wichtig, die sorgf&auml;ltig ausgew&auml;hlten Kandidaten f&uuml;r eine aktive &Uuml;berwachung &uuml;ber dieses relative Risiko im Vergleich zu den anderen Studienteilnehmern, die einer sofortigen Behandlung zugeteilt werden, zu informieren. Die Patienten sollten auch den Unterschied zwischen dem absoluten Risiko im Kontext und dem relativen Risiko erkl&auml;rt bekommen.<br /> Es ist sicherlich eine Herausforderung &ndash; aber von immenser Bedeutung &ndash;, dass die Patienten einen klinischen Einblick in die Statistiken bekommen, damit sie pers&ouml;nliche Priorit&auml;ten und Pr&auml;rogative f&uuml;r sich entsprechend definieren k&ouml;nnen. Wenn das absolute Risiko einer PCKrankheitsprogression bei Behandlung niedrig ist &ndash; wie in diesem Fall bei etwa 3 % &ndash;, dann kann die statistische Verdoppelung auf 6 % ohne Behandlung f&uuml;r bestimmte Patienten sogar akzeptabel sein &ndash; insbesondere angesichts der Tatsache, dass weder eine radikale Prostatektomie noch eine Radiotherapie ein Garant f&uuml;r Heilung ist, auch nicht im fr&uuml;hen, auf ein Organ beschr&auml;nkten Stadium.<br /> Umgekehrt ist f&uuml;r andere Patienten jede Intervention zur Minimierung des Risikos einer Strategie ohne Intervention vorzuziehen. Daf&uuml;r werden die Daten des 15- und 20-Jahres-Follow-up relevant werden, um etwa im Alter von 50 Jahren die Entscheidung f&uuml;r aktive &Uuml;berwachung im Kontext mit den Daten zum krankheitsfreien &Uuml;berleben richtig abw&auml;gen zu k&ouml;nnen. Zudem sollten auch die logistischen und finanziellen Kosten ber&uuml;cksichtigt werden, aber auch die psychosozialen Stressoren f&uuml;r Angeh&ouml;rige. Diese Faktoren sind nicht Teil der Studie, allerdings sind sie f&uuml;r einige Patienten von Bedeutung. Leider geben die ver&ouml;ffentlichten Berichte keine Details bekannt &uuml;ber den Gleason-Score und andere pathologische Merkmale von Patienten, deren Krankheit fortgeschritten ist. Dies w&auml;re allerdings bei der Beratung einzelner Patienten n&uuml;tzlich.<br /> Bei der Umlegung der Erkenntnisse aus den Daten zur aktiven &Uuml;berwachung aus der ProtecT-Studie in die Klinik m&uuml;ssen zwei weitere Aspekte ber&uuml;cksichtigt werden.<br /> 1. &bdquo;Real-World-Cross-over-Rate&ldquo;: Etwa ein Drittel der Patienten im Arm der aktiven &Uuml;berwachung erhielt sekund&auml;r eine Behandlung aufgrund von Angst und Misstrauen. Ein weiteres F&uuml;nftel erhielt eine Behandlung aufgrund einer Krankheitsprogression, sodass 44 % der urspr&uuml;nglichen Patienten f&uuml;r 10 Jahre in der Gruppe der aktiven &Uuml;berwachungsgruppe verblieben.<br /> 2. Moderne Protokolle der aktiven &Uuml;berwachung: In den Vereinigten Staaten sind diese in Bezug auf die PSA-Bestimmung und Biopsie-Entnahmen strenger als die Protokolle, die in der ProtecTStudie genutzt wurden. Au&szlig;erdem waren damals naturgem&auml;&szlig; die aktuellen molekularen und radiologischen Fortschritte nicht verf&uuml;gbar. Wie bei jeder klinischen Studie m&uuml;ssen die Vorteile des langfristigen Follow-up abgewogen werden, da klarerweise nicht jeder Fortschritt in das urspr&uuml;ngliche Studienprotokoll einbezogen werden kann.</p> <h2>Sofortige Behandlung: was es zu ber&uuml;cksichtigen gilt</h2> <p>Die oben angef&uuml;hrte Aussage gilt selbstverst&auml;ndlich auch f&uuml;r beide Behandlungsarme, vor allem in Bezug auf die relativ hohen Toxizit&auml;tsraten. Wird ein positiver Resektionsrand als Qualit&auml;tskriterium gew&auml;hlt, zeigen heutige Studien durchschnittlich einen Anteil von 15 % . (Dieser Anteil ist deutlich niedriger innerhalb hochvolumiger, qualitativ hochwertiger Serien). Die 24 % T3- bzw. T4-Befunde im Chirurgie-Arm werfen einiges an Sorgen auf. W&auml;hrend heute f&uuml;r gew&ouml;hnlich von urologischen Chirurgen die Prostatektomie roboterassistiert durchgef&uuml;hrt wird, wurden in dieser Studie beinahe alle Patienten einer traditionelleren offenen, retropubischen, nerverhaltenden radikalen Prostatektomie unterzogen. Genauso w&uuml;rden heute Radiologen eher davon sprechen, dass eine 3D-gezielte RT und die Verwendung einer Androgendeprivationstherapie von 3 bis 6 Monaten zu einer gr&ouml;&szlig;eren Toxizit&auml;t beitragen. Daher findet dieses Therapiekonzept heutzutage in den Vereinigten Staaten keine Anwendung mehr. Im Falle der Bestrahlungstechnik wurde die Verwendung von intensit&auml;tsmodulierter Bestrahlung sowohl mit reduzierten Rezidivraten als auch mit niedrigerer Toxizit&auml;t assoziiert, wenngleich ohne Unterschiede hinsichtlich des Gesamt&uuml;berlebens.<br /> Wie bereits erw&auml;hnt, z&auml;hlte ein erheblicher Anteil der Patienten der ProtecTStudie nach heutigem Standard zu den klaren Kandidaten f&uuml;r eine aktive &Uuml;berwachung (aktives PSA &ge;4,6ng/mL, cT1c und Gleason Score 6). Um klinisch signifikante Unterschiede zwischen Chirurgie und RT zu bestimmen, braucht man idealerweise eine ausreichende Anzahl der Population mit krankheitsbezogenen Ereignissen, d.h. Mittel- und Hochrisiko- Patienten mit lokalisiertem Prostatakrebs. Deren Anteil war innerhalb der Studie allerdings sehr gering. Zusammenfassend l&auml;sst sich aus dem vorhandenen Datensatz kein Unterschied in Bezug auf das metastasierungsfreie &Uuml;berleben oder das Gesamt&uuml;berleben zwischen den beiden Behandlungsgruppen herauslesen. Demnach kann man keine der beiden Behandlungsstrategien als vorteilhafter ansehen.<br /> F&uuml;r viele Strahlentherapeuten, die es gewohnt sind, zu h&ouml;ren, dass der Goldstandard f&uuml;r die Prostatakrebstherapie die Chirurgie ist, bedeutet die Gleichsetzung der Gruppen ohnehin bereits einen Mehrwert. Allerdings gibt es gro&szlig;e Unterschiede zwischen der radikalen Prostatektomie und der RT hinsichtlich der Nebenwirkungen in Art, Dauer und Wirkung auf die Lebensqualit&auml;t. Dies rechtfertigt eine faire und ehrliche Diskussion. Die zus&auml;tzlichen Follow-up-Daten werden zeigen, ob sich am Ende die Therapieergebnisse angleichen, wie die &bdquo;Prostata Cancer Outcomes&ldquo;-Studie bereits zeigte. Letztlich erinnern beide Ergebnisse aus der ProtecT-Studie an zwei wichtige Dinge: an die therapeutischen Einschr&auml;nkungen der Sofortbehandlung und an das Potenzial, Patienten zu schaden, die eine geringe Wahrscheinlichkeit haben, an ihrem Prostatakrebs zu sterben.</p> <h2>Zusammenfassung</h2> <p>Die ProtecT-Studie liefert uns einen noch nie zuvor dagewesenen Umfang an Daten, was wahrscheinlich in dieser Gr&ouml;&szlig;enordnung kaum wieder zustande gebracht werden wird. Obwohl die Ergebnisse keine Trendwende in der klinischen Praxis bedeuten werden und der Stellenwert von radikaler Prostatektomie und RT als allgemeines Management f&uuml;r Prostatakrebspatienten bestehen bleibt &ndash; wohl auch f&uuml;r einige Patienten im Fr&uuml;hstadium &ndash;, unterst&uuml;tzen diese Daten eine fundiertere Entscheidungsfindung durch alle Beteiligten. Die Ergebnisse verst&auml;rken auch die gerade etablierte Rolle der aktiven &Uuml;berwachung als die dritte Strategie &ndash; f&uuml;r viele vielleicht sogar die bevorzugte Form der Behandlung von lokalisiertem Prostatakrebs.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p>Hamdy FC et al: 10-year outcomes after monitoring, surgery, or radiotherapy for localized prostate cancer. N Engl J Med 2016; 375: 1415-24</p> </div> </p>
Back to top