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Unkompliziert, aber nicht banal
Urologik
30
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14.09.2017
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<p class="article-intro">Unkomplizierte Infektionen der Harnwege gehören zu den häufigsten Infektionen überhaupt. Schätzungsweise erkrankt jede zweite Frau mindestens einmal im Leben an einer Harnwegsinfektion. Männer sind deutlich seltener betroffen, wobei die Inzidenz bei beiden Geschlechtern mit zunehmendem Alter ansteigt. Die Therapie ist aufgrund vermehrter Antibiotikaresistenzen schwieriger geworden. Worauf es dabei ankommt, erklärt Dr. Zorica Petrovic, Oberärztin an der urologischen Abteilung des Wilhelminenspitals, Wien.</p>
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<p class="article-content"><p><strong>Unkomplizierte Harnwegsinfektionen (HWI) betreffen viele Patienten. Wann wird ein HWI als „unkompliziert“ eingestuft, wann gilt sie als „kompliziert“?<br /> Z. Petrovic:</strong> Von einer unkomplizierten Harnwegsinfektion spricht man, wenn im Harntrakt keine relevanten funktionellen oder anatomischen Störungen, keine relevanten Nierenfunktionsstörungen und keine relevanten Begleiterkrankungen/Differenzialdiagnosen vorliegen, die einen Harnwegsinfekt bzw. gravierende Komplikationen begünstigen. <br />Hingegen sprechen wir von komplizierten Harnwegsinfektionen, wenn angeborene oder erworbene anatomische Änderungen und Begleiterkrankungen vorliegen.</p> <p><strong>Welches sind die häufigsten Ursachen bzw. Erreger unkomplizierter HWI?<br /> Z. Petrovic:</strong> Der häufigste Erreger ist Escherichia coli, gefolgt von Staphylococcus saprophyticus, Klebsiella pneumoniae und Proteus mirabilis. Andere Erreger sind selten. Enterokokken werden am häufigsten bei Mischinfektionen gefunden. <br />Wenn aber beispielsweise das Immunsystem geschwächt ist, kann das Bakterium den Urogenitaltrakt besiedeln und dort Infektionen auslösen. Bei intaktem Immunsystem können weitere Faktoren eine Infektion begünstigen, zum Beispiel eine zu geringe Trinkmenge oder – vor allem im Sommer – das Tragen von nasser Badekleidung. Bei Frauen können die Keime zudem beim Geschlechtsverkehr über die Vagina in die Harnröhre gelangen und von dort aufsteigen.</p> <p><strong>Gibt es abgesehen davon, dass Frauen häufiger unter HWI leiden als Männer, weitere Unterschiede (andere Symptome, Schwere der HWI etc.)?<br /> Z. Petrovic:</strong> Auch bei Männern unterscheiden wir, ob es sich um einen komplizierten oder einen unkomplizierten Harnwegsinfekt handelt.</p> <p><strong>Wie gehen Sie bei der Diagnose vor, um die optimale Therapie zu finden?<br /> Z. Petrovic:</strong> Die Diagnostik hängt davon ab, welche Patientengruppe betroffen ist: schwangere oder nicht schwangere Frauen, jüngere Männer ohne sonstige relevante Begleiterkrankungen, Patienten mit Diabetes mellitus und instabiler Stoffwechsellage. Die Diagnostik ausgehend von Harnstatus mit Uricult<sup>®</sup>, klinischer Begutachtung und Ultraschallbefund von Niere und Blase geht bis zur Zystoskopie und weiterführenden Untersuchungen.</p> <p><strong>Wegen der zunehmenden Antibiotikaresistenzen wird vor einer unkritischen Gabe der Medikamente gewarnt. Wie gehen Sie bei der Therapie vor?<br /> Z. Petrovic:</strong> Laut „EAU Guidelines on urological infections (update March 2017)“ sind als erste Wahl Fosfomycin (3g/1d), Nitrofurantoin (100mg/5d) oder Pivmecillinam (400mg/3–5d) anzuwenden. Als Alternativen stehen Cephalosporine (500mg/3d) und Trimethoprim (200mg/5d) zur Verfügung. Bei rezidivierenden Harnwegsinfekten sollte man auf alle Fälle das Ergebnis der Urinkultur berücksichtigen.</p> <p><strong>Es kommen auch Bakteriurien vor, die keine Symptome verursachen. Müssen sie trotzdem behandelt werden?<br /> Z. Petrovic:</strong> Das kommt auf die Begleitumstände an. Eine reine Bakteriurie bei ansonsten gesunden Personen wird nicht behandelt, aber es gibt Ausnahmen. Dazu zählen geplante urologische Eingriffe, bei welchen mit Schleimhautblutungen zu rechnen ist, wie Prostatabiopsie oder TUR/P. Weiterhin sollte die Bakteriurie bei schwangeren Frauen behandelt werden sowie bei Patienten nach einer Nierentransplantation ein bis sechs Monate nach der OP. <br />Dauerkatheterträger, die keine Beschwerden haben, benötigen keine Therapie. Man weiß, dass der Katheter innerhalb von 24 Stunden von Bakterien besiedelt ist. Bei Harnuntersuchungen werden daher immer Keime nachgewiesen. Eine Behandlung ist jedoch nur dann erforderlich, wenn die Patienten unter Fieber leiden oder man ein erhöhtes CRP– oder einen Leukozytenanstieg feststellt. Ansonsten ist die Antibiotikagabe nicht erforderlich.</p> <p><strong>Sind alle symptomatischen HWI behandlungsbedürftig oder besteht die Möglichkeit, dass sie von selbst ausheilen?<br /> Z. Petrovic:</strong> Diese Möglichkeit besteht vor allem bei unkomplizierten Harnwegsinfekten. Es gibt Studien, die eine Antibiotikatherapie mit der symptomatischen Behandlung mit nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) verglichen haben. Dabei war die Krankheitsdauer unter der schmerz- und entzündungshemmenden Therapie nur geringfügig länger als unter Antibiotikaeinnahme. Solche Maßnahmen müssen aber immer unter ärztlicher Kontrolle erfolgen. Unterstützend rate ich den Patienten immer zu reichlicher Flüssigkeitsaufnahme.</p> <p><strong>Welche Alternativen gibt es zur Antibiotikatherapie, zum Beispiel pflanzliche Mittel?<br /> Z. Petrovic:</strong> In vielen Fällen ist die derzeitige Studienlage für solche Mittel nicht ausreichend belegt. Angewendet werden zum Beispiel Cranberryprodukte, D-Mannose, Utipro<sup>®</sup>Plus sowie Spasmo Urgenin.</p> <p><strong>Bei HWI kommt es oft zu Rezidiven. Wie können sie verhindert werden?<br /> Z. Petrovic:</strong> Das ist ein sehr wichtiges Thema, denn abgesehen von der Behandlung der akuten Infektionen ist es unser Ziel, weitere HWI zu verhindern. Inzwischen gibt es zahlreiche Verfahren und Maßnahmen, die man einsetzen kann. Sehr wirksam ist zum Beispiel die Instillation von Glykosaminoglykanen. Diese Substanzen werden von der gesunden Blase selbst produziert und bilden eine Schutzschicht auf der Schleimhaut. Infektionen, Umweltgifte oder eine Bestrahlung können diese Schicht zerstören. Führt man dann Glykosaminoglykane in Form einer Instillation wie Gepan<sup>®</sup> instill, Cystistat<sup>®</sup> oder Ialuril<sup>®</sup> zu, werden die Beschwerden reduziert. Zusätzlich muss man immer untersuchen, ob eventuell das Immunsystem geschwächt ist oder die Infektionen durch andere Krankheiten begünstigt werden. Ein Beispiel ist ein schlecht eingestellter Blutzucker bei Diabetikern. <br />Derzeit wird die Wirkung von Vitamin D diskutiert, welches für das Immunsystem sehr wichtig ist. Wir beobachten, dass es vermehrt Patienten mit einem Vitamin-D-Mangel gibt – vermutlich aufgrund der Empfehlung, die Sonne zu meiden. Ich rate diesen Patienten immer dazu, sich mit unbedecktem Gesicht und entblößten Armen zwei bis drei Mal pro Woche kurz in der Sonne aufzuhalten, damit der Vitamin-D-Spiegel wieder ansteigt. Außerdem können wir eine prophylaktische Therapie in Form von Tabletten oder Injektionen anbieten, zum Beispiel Uro-Vaxom<sup>®</sup> oder StroVac<sup>®</sup>.</p> <p><strong>Und wenn es doch zum Rezidiv kommt, wie wird es behandelt?<br /> Z. Petrovic:</strong> Beim ersten Rezidiv wird wieder eine Urinkultur angelegt und dann auf Basis der Resultate gezielt behandelt. Bei wiederholten Infektionen ist eine erweiterte Untersuchung notwendig, um zu klären, ob es eine Ursache gibt, die diesen Infekt unterhält. Das kann beispielsweise ein Infektstein sein, ein Blasentumor oder eine Verengung der Harnröhre.</p> <p><strong>Vielen Dank für das Gespräch!</strong></p></p>
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