Zukunftskonzepte in der Niederlassung – Dr. Christian Stöckl im Interview

„Die größte Hürde in der Umsetzung ist die Finanzierung“

Im Rahmen unseres neuen Formats „Dialog – Diskurs – Debatte“ erklärte sich der Salzburger Gesundheitslandesrat Dr. Christian Stöckl bereit, in einem Interview mit ÖGU Aktuell Stellung zu den Zukunftskonzepten in der Niederlassung von Priv.-Doz. DDr. Mehmet Özsoy zu beziehen.

An den Artikel von Dr. Özsoy anschließend: Wie können aus Ihrer Sicht der Mangel im Gesundheitssystem und der Schwund an fachlich gut ausgebildetem Personal, in der Pflege und im ärztlichen Bereich behoben werden?

C. Stöckl: Den Artikel von Dr. Özsoy kann ich von A bis Z unterstützen und habe mich bei einigen angesprochenen Ideen bestätigt gefühlt. Hier spreche ich die Ausweitung der Lehrpraxen an, die vor vielen Jahren von Vorarlberg und Salzburg ausgehend eingeführt wurden und die es mittlerweile in ganz Österreich gibt – allerdings nur für die Allgemeinmedizin. In Salzburg haben wir Lehrpraxen zusätzlich in der Pädiatrie eingeführt und damit sehr gute Erfahrungen gemacht, sodass sie auch in den anderen fachärztlichen Gebieten etabliert werden sollten. Wir haben vor einiger Zeit ein Projekt mit unserem Uniklinikum für Kinder- und Jugendheilkunde gestartet, bei dem wir gezielt in engster Zusammenarbeit mit der Ärztekammer und Vertreter*innen der Niedergelassenen die Ausbildung auf zukünftige extramorale Versorgung zugeschnitten haben. Dieses Konzept wollen wir verstärkt ausbauen. Begonnen haben wir in der Pädiatrie, weil wir da die Lehrpraxen füllen können. In anderen Fächern, z.B. in der Urologie und Chirurgie, müssten wir österreichweit noch gesetzliche Anpassungen dafür vornehmen.

Welche Möglichkeiten, Lehrpraxen flexibler zu gestalten, sind demnach aus Ihrer Sicht gut umsetzbar und würden helfen, das Problem des Fachpersonalmangels zu lösen?

C. Stöckl: Im Grunde ist es in der Ausbildung jetzt schon möglich, dass sich Ärzt*innen in Ausbildung auch in eine Praxis im niedergelassenen Bereich begeben. Eine bundesweit gesetzlich festgeschriebene Regelung in der Ausbildungsordnung wäre aber viel besser. Dann gäbe es nicht neun verschiedene Ausbildungen, entsprechend der Zahl an Bundesländern. Derzeit versuche ich, Kolleg*innen aus allen Bundesländern zu überzeugen, dass in der Kinder- und Jugendheilkunde, ähnlich wie bei Allgemeinmediziner*innen diese Form der Lehrpraxis österreichweit eingeführt wird.

Wir haben in der Allgemeinmedizin schon lange Lehrpraxen und zusätzlich Mentoringprogramme. Verschiedenste Maßnahmen haben Wirkung gezeigt, sodass junge Mediziner*innen in niedergelassene Praxen Einblicke bekommen können. Wir haben dadurch so gut wie alle Stellen besetzen können und können dies auch in den nächsten Jahren gewährleisten.

Aber Sie kennen die demografische Situation: Das Leistungsangebot muss erhöht werden, da wir immer älter und die Menschen multimorbider werden.

Gleichzeitig gehen auch viele Ärzt*innen in Pension. Ein Drittel ist nahe der Pension. Wird es notwendig sein, die Ausbildung zu forcieren?



C. Stöckl:Auf jeden Fall. Wir fordern schon lange, dass mehr Personen zum Medizinstudium zugelassen werden. Mit Linz und Salzburg gibt es zwar mehr Plätze, aber damit wir Studienabsolvent*innen halten können, müssen wir uns darüber hinaus auch verstärkt bemühen, die Ausbildungsplätze attraktiver und interessanter zu gestalten. Hier sind wir schon dabei, eine Art Didaktik mit Mentoringprogrammen und Hilfestellungen im zeitlichen Ablauf der Ausbildung einzuführen. Es sollte keine Stehzeiten und eine Abwechslung zwischen großen und kleinen Spitälern geben. Das ist erfahrungsgemäß ganz wichtig, damit die jungen Mediziner*innen auch bleiben.

Chirurgische Schwerpunktordinationen niedergelassener Urologen, mit mehreren Ärzt*innen und längeren Öffnungszeiten können die Patient*in-
nenversorgung besser abdecken als Einzelordinationen und würden einen Teil des Problems lösen. Wie sehen Sie das Konzept?

C. Stöckl: Wir haben momentan den niedergelassenen Bereich und wir haben die Spitäler mit den Ambulanzen. Da wir den linearen Zugang zum Gesundheitssystem, den es früher gegeben hat, abgeschafft haben, kann jeder in die Ambulanz kommen und sich selbst zuweisen. Mit dem linearen Zugang meine ich, dass man beginnen muss, zum/zur niedergelassenen Arzt/Ärztin/Hausarzt/-ärztin zu gehen, um mit einer Überweisung zu weiteren Ärzt*innen oder Zentren bzw. von Fachärzt*innen in Zentren zu gelangen. Wir haben keine Lenkung der Patienten mehr und viele Doppelgleisigkeiten im Gesundheitsbereich bzw. vieles, dass teuer ist, aber nicht notwendig wäre. Der Gesetzgeber müsste beauftragt werden, Ideen oder Vorschläge auszuarbeiten, mit denen die Haftungsfrage im Gesundheitsbereich überdacht wird, damit sie nicht ständig wie ein Damoklesschwert über den Ärzt*innen schwebt.

Erfahrungsgemäß und nachgewiesen sind mindestens 50% der Patient*innen, die in die Spitalsambulanzen kommen, eigentlich dort nicht richtig aufgehoben und gehören stattdessen in den niedergelassenen Bereich. Wir Gesundheitsreferenten haben als Vorbereitung für die Finanzausgleichsverhandlungen sehr intensive Vorschläge erarbeitet, u.a. die dritte Säule im Gesundheitssystem – eine tagesklinisch-ambulante Betreuung nicht nur in Spitälern, sondern gemeinsam finanziert in Vorambulanzen oder im niedergelassenen Bereich.

Wichtig ist uns aber, dass es kein Geschäftsmodell werden darf, sondern diese Einrichtungen, wie Primärversorgungseinheiten, entweder von Ärzt*innen geführt werden oder von gemeinnützigen Gesellschaften. Sonst besteht die Gefahr, dass nur mehr lukrative Leistungen angeboten werden und die allgemeine Versorgung zurückbleibt. Darauf müssen wir im Gesundheitssystem sehr aufpassen, da der Staat in der Grunddaseinsversorgung seine Aufgaben zu erfüllen hat.

Dr. Özsoy weist darauf hin, dass in Deutschland nur noch Investoren das System betreiben. Deshalb schlägt er vor, dass Schwerpunktordinationen von Urolog*innen im niedergelassenen Bereich geführt werden.

C. Stöckl: Das wäre eine Ausweitung der Idee der Primärversorgungseinheiten auf fachärztliche Angebote und würde den jungen Mediziner*innen im Sinne der Work-Life-Balance und des weit verbreiteten Wunsches, keine Einzelkämpfer*in-nen zu sein, sondern im Team zu arbeiten, entgegenkommen. Das ist auch die Idee der dritten Säule.

Meines Erachtens wäre das eine gute Lösung. Dabei müssen die Öffnungszeiten ausgeweitet werden, um das Angebot auch entsprechend attraktiv wirken zu lassen. Die Zusammenarbeit mit den Spitälern müsste sehr eng gestaltet sein. Wenn Sozialversicherung, Bund und Länder gemeinsam finanzieren, hat jeder Finanzträger nicht nur wirtschaftlich das gleiche Ziel, sondern auch das Ziel, das beste Projekt in der Gesundheitsversorgung umzusetzen. Die enge Zusammenarbeit der niedergelassenen Zentren mit den Spitälern wäre sehr wichtig, da bestimmte Leistungen, die leicht auslagerbar sind, dann hauptsächlich im niedergelassenen Bereich angeboten werden. Es könnte dann in der Ausbildung passieren, dass bestimmte Fallzahlen, die absolviert werden müssen, in den Spitälern nicht erworben werden können. Durch die Anpassung der Ausbildungsordnung müsste man gewährleisten, dies dann in einer Lehrpraxis zu erlernen. Momentan ist es so, dass 90% der Facharztausbildung in Spitälern stattfinden. Die Zusammenarbeit zwischen Spital und niedergelassenem Bereich kann funktionieren. Das kann ganz gezielt auch motivieren, später in den niedergelassenen Bereich zu wechseln.

Wo sehen Sie noch Hürden bei der Umsetzung eines solchen Systems?

C. Stöckl: Die größte Hürde in der Umsetzung ist die Finanzierung. Wir haben momentan die Situation, dass Leistungen ganz bewusst verschoben werden, um Ausgaben zu sparen. Die Honorierung ist im niedergelassenen Bereich, z.B. in der Augenheilkunde, seit vielen Jahren derart niedrig, dass gewisse Leistungen nicht mehr angeboten werden. Patient*innen müssen dann automatisch in die Spitäler gehen. Wir stehen hier mit einem Projekt in der Augenheilkunde am Uniklinikum im Süden des Landes in den Startlöchern, wo eine Art niedergelassene Praxis mit mehreren Augenärzt*in-nen eröffnet werden soll und diese Leistungen angeboten werden können. Dabei denken wir an eine Art Außenstelle des Uniklinikums.

Wir müssen mit den Sozialversicherungen über die gemeinsame Finanzierung verhandeln, da das Land es nicht alleine finanzieren kann. Gemeinsam mit Peter Hacker drängen wir ganz massiv darauf, dass mit dem Finanzausgleich die Finanzierung des Gesundheitssystems massiv geändert bzw. auf neue Beine gestellt wird. Im Vergleich zur Stadt haben wir es am Land sicher noch schwieriger, die Kassenstellen nachzubesetzen.

Patienten bevorzugen „One-Stop-Shops“, also Untersuchung und Behandlung möglichst an einem Ort. Wie kann die Versorgungssicherheit in dieser Hinsicht künftig gewährleistet werden?

C. Stöckl: Wir haben ein solches Projekt in Mittersill im Oberpinzgau, wo wir das kleine Krankenhaus komplett generalsanieren und um- bzw. neu bauen. Die stationäre Akutversorgung wird etwas eingeschränkt, dafür werden aber das tagesklinische, das ambulante und auch das allgemeinmedizinische Angebot ausgebaut. In diesem Haus sind dann auch Fachärzt*innen, Physiotherapeut*innen, Hebammen und z.B. eine Primärversorgungseinheit mit Allgemeinmedizin-er*innen untergebracht. Und so kann dieses allgemeine Gesundheitszentrum dann auch in die Seitentäler hineinwirken. Es ist auch geplant, dieses Gesundheitszentrum um Spezialambulanzen wie beispielsweise Ortho-Trauma auszuweiten. Es gibt den regionalen Strukturplan Gesundheit, den wir alle 5 bis 8 Jahre neu evaluieren. Solche Ambulanzen würden in den Strukturplan einfließen, um Spitalsbetten und den niedergelassenen Bereich gemeinsam zu planen. Wichtig wäre, den österreichweiten Strukturplan Gesundheit so zu gestalten, dass intra- und extramurale Leistungen aufeinander abgestimmt werden. Denn es darf nicht passieren, dass wir dann womöglich in einer Region bestehende Strukturen in Konkurrenz zueinander bringen. Das ist uns im Pinzgau ganz wichtig gewesen. Der niedergelassene Bereich und der Spitalsbereich müssen ganz genau aufeinander abgestimmt und alle Stakeholder müssen mit einbezogen werden.

Vielen Dank für das Gespräch!
Back to top