
Die medikamentöse Tumortherapie aus urologischer Sicht
Autoren:
Dr. med. univ. Philipp Legat
MR Dr. Franz Stoiber
Prim. Dr. Michael Dunzinger
Abteilung für Urologie und Andrologie
Salzkammergut Klinikum Vöcklabruck
E-Mail: philipp.legat@ooeg.at
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Etwa ein Viertel aller Krebserkrankungen betrifft das Urogenitalsystem. Dabei fällt die operative und medikamentöse Therapie uroonkologischer Erkrankungen in den Kompetenzbereich der Urologie. Trotz der traditionell chirurgischen Prägung unseres Fachgebietes ist es möglich, die medikamentöse Tumortherapie vollumfänglich auch an nicht-universitären urologischen Abteilungen anzubieten.
Keypoints
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Die operative und medikamentöse Tumortherapie onkologischer Erkrankungen des Urogenitalsystems ist eine Kernkompetenz der Urologie.
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Mit der Urologie ist eine ganzheitliche und kontinuierliche Betreuung – von der Früherkennung bis zur spezifischen Palliativmedizin – durch eine Fachdisziplin gewährleistet.
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Interdisziplinarität und Multiprofessionalität sind unabdingbare Voraussetzungen für eine bestmögliche Patient:innenversorgung.
Es gibt nur wenige medizinische Fachgebiete, die ein derart vielfältiges Spektrum aufweisen wie die Urologie. Das Betätigungsfeld der modernen Urologie erstreckt sich von der Kinderurologie über die rekonstruktive und roboterassistierte Chirurgie bis hin zur Andrologie und Uroonkologie. Dabei werden Patient:innen jeden Alters und Geschlechts, sowohl konservativ als auch operativ behandelt. Besonders in der Behandlung ihrer fachspezifischen Krebserkrankungen nimmt die Urologie eine Schlüsselrolle ein. Von der Früherkennung, Diagnostik, definitiven operativen Therapien bis zur Einleitung einer Systemtherapie und Überwachung eben jener, ist eine kontinuierliche Betreuung durch eine Fachdisziplin gegeben. In Anbetracht dessen scheint die Zuordnung der Urologie zu den kleinen Fächern als nicht mehr angemessen.
Die Rolle der Uroonkologie – heute und morgen
Auch zukünftig wird die Urologie eine zentrale Rolle in der medizinischen Versorgung der Bevölkerung einnehmen. Der Urologie wird der größte Zuwachs an relativer (niedergelassener) Mehrbeanspruchung unter allen Fachdisziplinen prognostiziert.1 Ursächlich dafür ist u.a. der sich in Österreich vollziehende demografische Wandel, mit einer Überalterung und Unterjüngung der Bevölkerung.
Aufgrund einer deutlichen Zunahme der Bevölkerungsgruppe der über 65-Jährigen von derzeit 1,80 auf 2,56 Millionen und einem circa 60%igen Zuwachs der über 80-Jährigen (bis 2040) wird mit einem entsprechenden Anstieg an urologischen Erkrankungen zu rechnen sein (z.B. Inkontinenz, LUTS etc.).2 Ferner wird eine Zunahme von urogenitalen Krebserkrankungen, insbesondere des Prostatakrebses, erwartet.3 Gegenwärtig nimmt der Anteil urogenitaler Tumoren circa 25% aller Krebserkrankungen ein. Beachtenswert ist die in österreichischen und deutschen Krebsstatistiken separate Codierung des Carcinoma in situ (ICD 10: D09.0) sowie des pTa-Tumors der Harnblase (ICD 10: D41.4), welche somit nicht zu den bösartigen Neubildungen der Harnblase (ICD 10: C67) gezählt werden.
Eine adäquate Erfassung dieses Umstandes würde eine annähernde Verdoppelung der Neuerkrankungsrate und Prävalenz der bösartigen Neubildungen der Harnblase bedeuten. Eine korrekte epidemiologische Abbildung der Realität wäre sowohl aus klinischer als auch aus standespolitischer und wissenschaftlicher Sicht wünschenswert.4,5
Wandel der Urologie
Die Innovationskraft der Urologie zeigt sich besonders in ihrer Vorreiterrolle auf dem Gebiet der Medizintechnik. Die technischen Fortschritte im Bereich der Endourologie und (roboterassistierten) Laparoskopie haben eine substanzielle Weiterentwicklung der operativen Techniken ermöglicht. Gleichzeitig hat sich ein enormer Wandel der medikamentösen Therapie von urologischen Tumoren vollzogen. Nach Entdeckung der hormonellen Abhängigkeit des Prostatakarzinoms beschränkte sich die Behandlung im metastasierten Stadium für etliche Jahrzehnte vor allem auf die Androgendeprivation. Erst vor circa 20 Jahren konnte mit der Einführung von Docetaxel eine Verlängerung des Überlebens und Verbesserung der Lebensqualität, im Vergleich zur bis dahin bestehenden Standard(chemo)therapie mit Mitoxantrone, erreicht werden.6,7
Mit den darauffolgenden Entwicklungen der neuen Hormontherapie (NHT), von PARP-Inhibitoren und der Radioligandentherapie wurden die Behandlungsmöglichkeiten des metastasierten (kastrationsresistenten) Prostatakarzinoms deutlich erweitert. Heutzutage steht in allen Krankheitsstadien ein breites Armamentarium zur patientenorientierten, personalisierten Behandlung zur Verfügung.8 Auch in weiteren Entitäten zeigten sich in den letzten Jahren bemerkenswerte Fortschritte, wie etwa die Checkpointinhibition beim metastasierten Nierenzellkarzinom oder die rezent publizierten Daten zum Einsatz von Enfortumab-Vedotin/Pembrolizumab beim lokal fortgeschrittenen, metastasierten Urothelkarzinom.9,10
Quantitative Darstellung der parenteralen Tumortherapie
In Österreich zeigt sich eine heterogene Versorgungslandschaft hinsichtlich der medikamentösen Tumortherapie urogenitaler Tumoren durch urologische Abteilungen. In unserem Vortrag „Quantitative annuale Analyse der medikamentösen Tumortherapie einer onkologisch-operativen Abteilung“ bei der Fortbildungstagung der Österreichischen Gesellschaft für Urologie und Andrologie 2023 in Linz wollten wir aufzeigen, dass es trotz einer umfangreichen operativen Tätigkeit weiterhin möglich ist, eine uroonkologische Vollbetreuung (inkl. medikamentöser parenteraler Tumortherapie) zu gewährleisten. An der Abteilung für Urologie und Andrologie am Salzkammergut Klinikum Vöcklabruck bieten wir, mit Ausnahme der pädiatrischen Uroonkologie, das gesamte Spektrum der operativen und medikamentösen Tumortherapie urogenitaler Tumoren (einschließlich Nebennierenkarzinom) an.
An unserer Abteilung wurden im Jahr 2022 94 Patient:innen einer parenteralen Tumortherapie zugeführt. Dabei wurden 567 Zyklen parenteraler Chemo- und Immuntherapie verabreicht (Tab. 1). Hinzukommend 66 Patient:innen, denen 682 Zyklen intravesikaler Chemo- oder Immuntherapie beim nicht invasiven Urothelkarzinom der Harnblase verabreicht wurden. Auf die Darstellung der Patient:innen mit oraler Tumortherapie oder bereits abgeschlossener parenteraler Therapie wird in diesem Beitrag verzichtet.
Tab. 1: Übersicht der parenteralen Chemo- und Immuntherapie an der Abteilung für Urologie und Andrologie am Salzkammergut Klinikum Vöcklabruck im Jahre 2022
Medikamentöse Tumortherapie in der Praxis
Der entscheidende Vorteil in der Versorgung onkologischer Patient:innen durch die Urologie ist die kontinuierliche Betreuung durch eine Abteilung in allen Phasen der Erkrankung. Der Urologie kommt hierbei eine eminente Integrations- und Koordinationsfunktion zu, um den Patient:innen, unter Hinzuziehung weiterer Fachdisziplinen, der bestmöglichen Behandlung zuzuführen. Auch wenn chronische Erkrankungen und Polypharmazie im Alter grundsätzlich zunehmen, ist die stereotype Darstellung von überwiegend gebrechlichen, hilfsbedürftigen Hochaltrigen heute überholt.11 Eine immer leistungsfähiger werdende alternde Bevölkerung ist zu beobachten und das kalendarische Alter als alleinige Therapielimitierung somit obsolet.
Die Wahl des bestgeeignetsten Onkologikums orientiert sich neben dem Performancestatus an den Komorbiditäten und der damit verbundenen Dauermedikation. Nach Einleiten einer Therapie ist ein fortlaufendes Monitoring bezüglich relevanter Nebenwirkungen (bspw. arterielle Hypertonie, Diabetes, Panzytopenie, immunmediierte Erkrankungen) essenziell, um Patient:innen keinen zusätzlichen Schaden zuzufügen und den Gewinn an Lebenszeit nicht mit einer übermäßigen Einschränkung der Lebensqualität zu erkaufen. Trotz der zunehmenden Spezialisierung in der Uro(onko)logie sowie des raschen wissenschaftlichen Fortschrittes ist es nebst der operativen Tätigkeit möglich, die medikamentöse Tumortherapie vollständig an einer urologischen Abteilung anzubieten. Eine entsprechende ärztliche und pflegerische Expertise, das Commitment der Abteilung(sleitung) und stetige Aus-, Fort- und Weiterbildung sind dabei fundamentale Voraussetzungen, um eine bestmögliche Versorgung zu gewährleisten.
Literatur:
1 Schulz M et al.: Zukünftige relative Beanspruchung von Vertragsärzten – eine Projektion nach Fachgruppen für den Zeitraum 2020 bis 2035. https://www.versorgungsatlas.de/fileadmin/ziva_docs/67/VA-16-02-Bericht-Final_V3.pdf ; zuletzt aufgerufen am 13.11.2023 2 Statistik Austria: Demographisches Jahrbuch 2022. Wien: Verlag Österreich GmbH, 2023 3 Winter A et al.: Zunahme des uroonkologischen Versorgungsbedarfs durch demographischen Wandel. Urologe 2015; 54(9): 1261-8 4 Deutsche Krebsgesellschaft, Deutsche Krebshilfe, AWMF: Früherkennung, Diagnose, Therapie und Nachsorge des Harnblasenkarzinoms 2020. https://register.awmf.org/assets/guidelines/032-038OLl_S3_Harnblasenkarzinom_2020-04-verlaengert.pdf ; zuletzt aufgerufen am 13.11.2023 5 Hackl M, Ihle P: Krebserkrankungen in Österreich 2022. https://www.statistik.at/fileadmin/publications/Krebserkrankungen_2022.pdf ; zuletzt aufgerufen am 13.11.2023 6 Huggins C, Hodges CV: Studies on prostatic cancer. Cancer Res 1941; 1(4): 293-7 7 Tannock IF et al.: Docetaxel plus prednisone or mitoxantrone plus prednisone for advanced prostate cancer. N Engl J Med 2004; 351(15): 1502-12 8 Mottet E et al.: EAU-EANM-ESTRO-ESUR-ISUP-SIOG Guidelines on Prostate Cancer 2023. https://d56bochluxqnz.cloudfront.net/documents/full-guideline/EAU-EANM-ESTRO-ESUR-ISUP-SIOG-Guidelines-on-Prostate-Cancer-2023_2023-06-13-141145_owmj.pdf ; zuletzt aufgerufen am 13.11.2023 9 Ljungberg B et al.: EAU Guidelines on renal cell carcinoma. 2023. https://d56bochluxqnz.cloudfront.net/documents/full-guideline/EAU-Guidelines-on-Renal-Cell-Carcinoma-2023.pdf ; zuletzt aufgerufen am 13.11.2023 10 Powles TB et al.: EV-302/KEYNOTE-A39: Open-label, randomized phase III study of Enfortumab vedotin in combination with Pembrolizumab (EV+P) vs chemotherapy (chemo) in previously untreated locally advanced metastatic urothelial carcinoma (la/mUC). präsentiert am ESMO Kongress 2023. Abstract No. LBA6 11 Ruppe G et al.: Österreichische interdisziplinäre Hochaltrigenstudie. Welle III. 2019–2022. Die Herausforderung des hohen Alters. http://www.oepia.at/hochaltrigkeit/wp-content/uploads/2022/07/OEIHS_Welle3-Endbericht_FINAL.pdf ; zuletzt aufgerufen am 13.11.2023
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