
Zwei Sorgenkinder: Patientenversorgung und Ausbildung in funktioneller Urologie
Autor:
OA Dr. Michael Rutkowski
Vorsitz d. AK Blasenfunktionsstörungen (ÖGU)
Präsidentmedizinische Kontinenzgesellschaft Österreich (MKÖ)
Landesklinikum Korneuburg
Betrachtet man die demografische Entwicklung in Europa, so zeigt sich auf den ersten Blick, dass unsere Gesellschaft immer älter wird. Mit höherem Lebensalter nimmt die Anzahl an Blasenfunktionsstörungen aller Art zu und daher suchen immer mehr Patienten eine Versorgung im Bereich der funktionellen Urologie auf – mit einem weiteren Anstieg ist zurechnen. Dies führt zu massiven Versorgungsengpässen.
Viele Patienten mit funktionellen, urologischen Störungen könnten oft tatsächlich schon mittels einfacher Anamnese, urologischem Status kombiniert mit einem 2x24-Stunden-Blasentagebuch leicht abgeklärt werden. Die Probleme sind häufig leicht behebbar und machen in vielen Fällen nicht immer eine Überweisung an eine Spitalsambulanz zur urodynamischen Abklärung notwendig.
Versorgungsengpässe in der funktionellen Urologie
Kommt es aber zu komplexeren Störungen – wenn z.B. Speicher- und Entleerungssymptome kombiniert vorliegen oder neurologische Erkrankungen eine vertiefende Abklärung und konsequentere Patientenführung erfordern –, so wird die Versorgungssituation dieser Patienten kontinuierlich schwieriger: Personalmangel in allen Berufsgruppen führt dazu, dass Spezialambulanzen nicht mehr besetzt werden können und Termine von Patienten, die bereits mehrere Monate auf eine urodynamische Abklärung warten, wieder verschoben werden müssen. Dazu kommt, dass an vielen Abteilungen urodynamische Messungen gar nicht mehr angeboten oder nur in sehr beschränktem Ausmaß durchgeführt werden. Dies führt dann wiederum zu verstärkten Anfragen an den Abteilungen, wo noch urodynamische Messungen durchgeführt werden – mit entsprechendem Anstieg der Wartezeiten. Nachdem unsere Gesellschaft immer älter wird, ist es unverständlich, dass gerade auf diesem Gebiet der Urologie als Erstes eingespart wird und Leistungen heruntergefahren werden.
Ausbildungsprobleme
Da nun an vielen Abteilungen die funktionelle Urologie eine zunehmend untergeordnete Rolle spielt, ist auch die Ausbildung auf diesem Gebiet immer schwieriger zu gewährleisten. Im Rahmen der Facharztprüfung sind Fragen aus diesem Gebiet der Urologie durchaus relevant und auch in der täglichen Praxis ist man später mit diesen Patienten konfrontiert. Fehlt die Expertise in der funktionellen Urologie, so ist es naheliegend, diese Patienten an eine Spezialambulanz zu überweisen. Hier schließt sich der Kreis, denn diese Ambulanzen werden immer weniger und im niedergelassenen Bereich sind urodynamische Untersuchungen als Kassenleistung derzeit nicht möglich.
Was bleibt, sind unzureichend versorgte Patienten mit überlangen Wartezeiten auf eine urodynamische Abklärung und eine unbefriedigende Ausbildungssituation des urologischen Nachwuchses.
Aber auch auf dem Gebiet der operativen Behandlungsmöglichkeiten bestehen Defizite: Inkontinenzoperationen werden an vielen Abteilungen nur mehr eingeschränkt angeboten: einerseits aufgrund von fehlenden OP-Kapazitäten, andererseits wegen fehlender Expertise und keiner Ausbildungsmöglichkeit auf diesem Gebiet.
Urodynamikseminare des AK Blasenfunktionsstörungen
Urodynamische Untersuchungen und Befunde mögen manchmal kompliziert erscheinen, sind aber bei entsprechender Erklärung keine Quantenphysik. Der Arbeitskreis (AK) Blasenfunktionsstörungen bietet daher schon seit mehreren Jahren Urodynamikseminare an: Neben Vermittlung des theoretischen Hintergrundes werden urodynamische Kurven praktisch anhand von Fallbeispielen erklärt, die Kurveninterpretation geübt und Therapiemöglichkeiten anhand realer Patientenfälle besprochen. Pandemiebedingt war eine Durchführung fast zwei Jahre lang nicht möglich. Im September 2022 konnte dann am Landesklinikum Korneuburg wieder ein ausgebuchtes Seminar mit 20 Teilnehmern durchgeführt werden.
Auch im Rahmen der ASU (Austrian School of Urology) im Juni 2023konnten wir ein Seminar für Assistenzärzte mit ausschließlich positiven Rückmeldungen anbieten. Als Vorsitzender des Arbeitskreises freut mich besonders das Engagement, das viele unserer Mitglieder aufbringen, um die Seminare zu planen, die Vorträge vorzubereiten und schließlich das Wissen um funktionelle Urologie zu vermitteln. In Zeiten von Personalmangel und Mehrbelastungen im Spitalsalltag ist dies nicht selbstverständlich. Aufgrund der großen Nachfrage für weitere Termine war das für den 30. September in Innsbruck terminisierte Seminar ebenfalls schnell ausgebucht.
Komplexe Fälle: Online-Meetings des Arbeitskreises
Im Bereich der funktionellen Urologie kommt es aber auch immer wieder zu schwierigen Fällen mit komplexen urodynamischen Konstellationen und oft mehrfach vortherapierten Patienten. Gerade bei diesen Patienten ist es sinnvoll, die therapeutischen Optionen zu besprechen und Möglichkeiten zu diskutieren. Da ein persönliches Treffen der AK-Mitglieder nicht immer kurzfristig möglich ist, haben wir begonnen, Fallbesprechungen per Online-Meetings im Abstand von etwa 2 Monaten durchzuführen: Komplexe Fälle können so schnell und unproblematisch besprochen und die Therapiemöglichkeiten diskutiert werden. Es hat sich gezeigt, dass dieser unkomplizierte Erfahrungsaustausch ein gutes Format bietet, um schwierige Fälle in größerer Runde diskutieren zu können und das eigene Wissen zu erweitern. Diese Möglichkeiten spiegeln auch den Trend der Zeit wider: Telemedizin wird zunehmend als Option diskutiert und könnte abteilungsübergreifend eine sinnvolle Ergänzung zum klassischen Ambulanzalltag darstellen. Es müssen aber dazu sicher noch datenschutzrechtliche und arbeitsrechtliche Aspekte geklärt werden.
Statutenänderung
Im Rahmen des letzten AK-Wochenendes im November 2022 kam es zur Anpassung der AK-Statuten: Alle österreichischen Kolleginnen und Kollegen, die sich für funktionelle Urologie interessieren, können einen Antrag per E-Mail an den amtierenden Vorsitzenden des Arbeitskreises mit Aufnahmeersuchen stellen.Eine aktive Teilnahme an 2 AK-Veranstaltungen oder -Sitzungen jährlich ist dann Voraussetzung für die Mitgliedschaft. Für die Vernetzung und den Erhalt der österreichischen Expertise in funktioneller Urologie liegt meine Vision darin, dass sich in jeder urologischen Abteilung eine Kollegin oder ein Kollege als Schwerpunkt für die funktionelle Urologie begeistern kann.
Ausblick auf 2024
Auch im kommenden Jahr wird der Fokus des Arbeitskreises auf der Vermittlung von urodynamischem Wissen bzw. der Ausbildung auf dem Gebiet der funktionellen Urologie liegen. Da aber nicht nur das theoretische Wissen, sondern auch die praktische Umsetzung von Therapiemöglichkeiten relevant ist, planen wir für den Winter 2024 ein Arbeitskreisseminar zur operativen Behandlung der Harninkontinenz: Es sollen die wesentlichen Implantate mit OP-Technik, Indikationen und differenzialdiagnostische Überlegungen vermittelt werden. Nur wenn wir es schaffen, unsere jüngeren Kolleginnen und Kollegen in Diagnostik und Therapie auch entsprechend auszubilden und für die funktionelle Urologie zu begeistern, können wir von ärztlicher Seite zur optimalen Versorgung unserer Patienten beitragen. Ich sehe es daher als die Hauptaufgabe des Arbeitskreises für Blasenfunktionsstörung, urodynamisches Wissen in Theorie und Praxis zu vermitteln und die Expertise auf diesem Gebiet für die österreichische Urologie zu erhalten.