
Perioperatives Management von Patienten mit neuen oralen Antikoagulanzien (NOAK) bei radikaler Prostatektomie
Autoren:
Dr. Randi M. Pose
Priv.-Doz. Dr. Hendrik Isbarn
Martini-Klinik Prostatakrebszentrum
Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
E-Mail: r.pose@uke.de
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Demografischer Wandel und erhöhte Lebenserwartung führen zu einem steigenden Anteil kardiovaskulär vorerkrankter Patienten – damit steigt auch der Anteil an NOAK-Patienten. Die urologischen Leitlinienempfehlungen im perioperativen Bereich sind noch teilweise vage.
Keypoints
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Ein standardisiertes perioperatives Management von NOAKs ist wichtig, um das Risiko für Blutungs- sowie thrombembolische Komplikationen gering zu halten.
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Der von uns vorgestellte Algorithmus zum perioperativen NOAK-Umgang beinhaltet ein relativ geringes perioperatives Komplikationsrisiko.
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Bei guter präoperativer Patientenselektion ist daher eine radikale Prostatektomie ohne erhöhtes Komplikationsrisiko durchführbar.
Das Prostatakarzinom (PCa) stellt weltweit eine der häufigsten Tumorentitäten des Mannes dar.1 Das PCa ist nach wie vor die häufigste bösartige Tumorerkrankung der österreichischen Männer und macht 25% der Inzidenz aus. 2017 erkrankten 5697 Männer an einem PCa und 1260 Männer starben daran. Rund jeder achte Krebstodesfall bei den Männern war auf ein PCa zurückzuführen.2 Die radikale Prostatektomie (RP) ist eine der weltweit am häufigsten eingesetzten, leitliniengetreuen und potenziell kurativen Therapieoptionen des lokalisierten PCa bei Patienten mit einer statistischen Lebenserwartung von mehr als 10 Jahren.
Zahl der Patienten mit dauerhafter Antikoagulation nimmt zu
Als großer urologisch-chirurgischer Eingriff im Unterbauch hat die RP ein entsprechendes Risikoprofil, was das Blutungsrisiko sowie thrombembolische Komplikationen angeht. Pompe et al. berichteten in einer Arbeit mit 4973 Patienten (offen retropubische RP und robotisch-assistierte RP) über eine Transfusionsrate von 3,6% und eine Rate an Revisionseingriffen (bei Hämatom, Nachblutung oder Drainagendislokation) von 0,9% sowie eine Rate an Phlebothrombose <0,5%, Lungenembolie <0,5% und Schlaganfall <0,5%.3 Vor allem die Rate an schwerwiegenden Komplikationen gilt es im peri- und postoperativen Rahmen einer RP möglichst gering zu halten.
Aufgrund des demografischen Wandels und einer steigenden Lebenserwartung der Bevölkerung behandeln Urologen einen zunehmenden Anteil an Patienten mit kardiovaskulären Grunderkrankungen.4 Daher nimmt auch die Anzahl der Patienten mit einer dauerhaften Antikoagulation, zum Beispiel mit den neuen oralen Antikoagulanzien (NOAK) in der Hausmedikation, zu.
In Europa zugelassene NOAKs sind die Faktor-Xa-Inhibitoren Apixaban, Edoxaban, Rivaroxaban sowie der Thrombininhibitor Dabigatran. Ihr Indikationsbereich liegt u.a. in der Prophylaxe von Schlaganfällen und systemischen Embolien bei erwachsenen Patienten mit nicht valvulärem Vorhofflimmern.4 Alternativ zu NOAKs wird die Substanzklasse auch als direkte orale Antikoagulanzien (DOAKs) bezeichnet.
Vorteile und Herausforderungen beim Einsatz von NOAKs
Vorhofflimmern ist die häufigste Herzrhythmusstörung und hat in Europa bei Erwachsenen eine Prävalenz von 2 bis 4%, wobei eine Zunahme um das 2,3-Fache erwartet wird.5 Bei Patienten mit Vorhofflimmern wird international die Indikation zur Verordnung von NOAKs in der Regel anhand des sogenannten CHA2DS2VASc-Scores („congestive heart failure, hypertension, age >75 years, diabetes, prior stroke/transient ischemic attack, vascular disease, age 65–74 years, sex category“) abgeleitet, da ab einem Wert ≥2 ein erhöhtes Schlaganfallrisiko besteht.5,6
Die Interpretation von „klassischen“ Gerinnungslaborwerten ist unter den NOAKs erschwert. Die NOAK-Einnahme beeinflusst herkömmliche Gerinnungstests (INR, aPTT [aktivierte partielle Thromboplastinzeit]), ohne hierbei sichere Rückschlüsse auf Veränderungen der Hämostase zu erlauben.6 Vorteile der NOAKs gegenüber Vitamin-K-Antagonisten sind ein geringeres Blutungsrisiko, weniger Medikamenteninteraktionen, keine Nahrungsmittelinteraktionen, ein schneller Wirkeintritt sowie ein schnelles Ende der Wirkung nach Absetzen.6, 7 Die bisherigen Nachteile,7 wie schwieriges Monitoring und bis vor Kurzem nicht zur Verfügung stehende Antidots, haben sich inzwischen relativiert (Tab. 1).
Für den Thrombininhibitor Dabigatran lässt sich die antikoagulatorische Wirkung durch die „ecarin clotting time“ sicher bestimmen oder alternativ mit der weit verfügbaren Thrombinzeit (über den gesamten Konzentrationsbereich sensitiv) abschätzen.6 Die aPTT steigt mit der Einnahme, es besteht jedoch keine lineare Beziehung zur antikoagulatorischen Wirkung.6
Bei den Faktor-Xa-Inhibitoren (Apixaban, Edoxaban und Rivaroxaban) ist ein sicheres Monitoring nur durch die aufwendige Durchführung eines spezifischen Anti-Faktor-Xa-Aktivitätstests möglich.6 Auch bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion dürfen Rivaroxaban, Apixaban und Edoxaban prinzipiell bis zu einer glomerulären Filtrationsrate (GFR) von 15 ml/min verordnet werden.6 In den relevanten Studien zu allen vier NOAKs waren allerdings nur Patienten mit einer GFR ≥30ml/min (Apixaban ≥25ml/min oder Kreatinin <2,5mg/dl) zugelassen, sodass aussagekräftige Daten nur bei moderater Einschränkung der Nierenfunktion vorliegen.6
Kontaindikationen
NOAKs sind bei Patienten mit mechanischen Herzklappen nicht zugelassen bzw. kontraindiziert, sodass diese Patienten weiterhin Vitamin-K-Antagonisten erhalten. Im Falle einer notwendigen Pausierung der Vitamin-K-Antagonisten-Einnahme, z.B. vor einer anstehenden Operation, empfehlen die Leitlinien die Gabe von unfraktioniertem Heparin oder niedermolekularem Heparin („off-label“) für diese Patientengruppe.8
Peri- und postoperative Thromboseprophylaxe
Bezüglich der peri- und postoperativen Thromboseprophylaxe bei nicht antikoagulierten Patienten sind die aktuellen internationalen Leitlinien sehr unterschiedlich.
Die aktuelle amerikanische Leitlinie zur Prävention von venösen Thrombembolien (VTE) bei OP-assoziiert hospitalisierten Patienten schlägt vor, keine pharmakologische Prophylaxe zu applizieren. Es wurde jedoch angemerkt, dass Patienten mit ausgedehnter Lymphadenektomie und/oder offener RP ein höheres Risiko für VTE haben und potenziell von einer pharmakologischen Prophylaxe profitieren.9
Die britischen Leitlinien empfehlen eine mechanische VTE-Prophylaxe für Patienten mit abdominellen Eingriffen (inklusive urologischer) sowie zusätzlich eine pharmakologische VTE-Prophylaxe für mindestens sieben Tage für Patienten, deren VTE-Risiko das Blutungsrisiko überwiegt (entsprechend der klinischen Einschätzung). Bei großen abdominellen Eingriffen soll auch eine auf vier Wochen verlängerte pharmakologische VTE-Prophylaxe erwogen werden.10
Die europäische urologische Gesellschaft (EAU) beschreibt, dass das postoperative VTE-Risiko die ersten vier postoperativen Wochen nahezu konstant erhöht ist, während 90% der Nachblutungen in den ersten vier Tagen nach erfolgter Operation auftreten. Risikofaktoren für ein erhöhtes VTE-Risiko sind ein Alter >74 Jahre, BMI ≥35kg/m2, Verwandte ersten Grades mit Zustand nach VTE. Patienten, die einen dieser Punkte erfüllen, haben ein mittleres VTE-Risiko. Patienten, die zwei oder mehr Risikofaktoren haben oder bereits eine VTE hatten, haben ein hohes VTE-Risiko.11 Die Empfehlungen hinsichtlich der VTE-Prophylaxe werden jeweils abhängig vom VTE-Risiko sowie der durchgeführten Operationsprozedur (offen retropubische, robotisch-assistierte oder laparoskopische RP ohne oder mit [ausgedehnter] Lymphadenektomie) gestaffelt formuliert.11
Die deutsche S3-Leitlinie zur Prophylaxe der VTE war bis Mitte Oktober 2020 gültig und wird derzeit überabeitet. Aktuell erhalten Patienten in unserer Klinik einmal täglich Enoxaparin 40mg ab dem Abend vor Operation bis vier Wochen nach Operation.
Vage Empfehlungen und Entwicklung eines Algorithmus
Pro Jahr benötigen 10–20% aller Patienten unter oraler Antikoagulation eine Unterbrechung dieser Therapie für Operationen oder interventionelle Prozeduren.6 Es existieren zwar Leitlinienempfehlungen zum perioperativen Umgang mit NOAKs im Rahmen elektiver urologischer Operationen, diese basieren allerdings größtenteils auf pharmakokinetischen und -dynamischen Abschätzungen bzw. auf nicht urologischen Studien.4 Die meisten Leitlinien empfehlen, die NOAKs ein bis drei Tage vor dem geplanten operativen Eingriff zu pausieren – auch abhängig von der Nierenfunktion des Patienten. Gerade was den Neubeginn der Behandlung mit NOAKs nach großen operativen Eingriffen angeht, sind die Empfehlungen aber vage und reichen von einem bis fünf Tage postoperativ.4 Hierbei sollte auch immer die gesicherte Hämostase Berücksichtigung in der klinischen Entscheidung der Behandelnden finden.
Mit unseren Kollegen aus der Gerinnungsambulanz des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf haben wir daher einen Algorithmus für zur Prostatektomie anstehende Patienten erarbeitet, mit dem wir verhindern wollen, dass Patienten präoperativ (unnötig) niedermolekulare Heparine erhalten und postoperativ gegebenenfalls auch aus logistischen Gründen – da sie z.B. ihren ambulanten Arzt nicht zeitnah konsultieren können – nicht gleich wieder auf die NOAKs eingestellt werden.
Algorithmus:4
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Patienten sollen ihre NOAK-Einnahme 48 bis 72 Stunden vor der geplanten RP beenden.
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Am Abend nach dem geplanten Eingriff erhalten die Patienten 1x 40mg Enoxaparin.
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Ab dem ersten postoperativen Tag erhalten sie 2x 0,5mg/kg subkutan.
Bei gesicherter Hämostase erfolgt ab dem dritten postoperativen Tag das Wiederansetzen des NOAKs.
Algorithmus in Studie untersucht
Diesen Algorithmus setzen wir standardmäßig seit Ende 2017 ein. Erfahrungsgemäß zeigen sich schwere thromboembolische Komplikationen bisher nur bei Patienten, die sich nicht an unseren Algorithmus halten. Die Algorithmus-adhärenten Patienten haben wir in einer Studie untersucht.4
Es zeigte sich, dass insbesondere Algorithmus-adhärente Patienten einen komplikationsarmen peri- und postoperativen Verlauf haben, der sich nicht signifikant von dem von Patienten ohne NOAKs unterscheidet. Ferner haben wir unsere Algorithmus-adhärenten Patienten mit einer Propensity-Score-Matching-Kohorte mit in unserem Hause radikal prostatektomierten Patienten ohne dauerhafte NOAK-Einnahme verglichen. Patienten in der Matching-Kohorte erhielten lediglich die normale VTE-Prophylaxe. Hierbei zeigte sich kein statistisch signifikanter Unterschied in den beiden Gruppen (p>0,4) hinsichtlich des intraoperativen Blutverlustes und der Krankenhausverweildauer. Insbesondere zeigte sich kein Unterschied in der Rate an thrombembolischen Komplikationen und Blutungskomplikationen.
Patienten mit kardiovaskulären Vorerkrankungen sowie Patienten im Alter über 69 Jahre bitten wir außerdem, vor dem geplanten elektiven Eingriff eine aktuelle kardiologische Vorstellung durchzuführen.
Bei guter präoperativer Patientenselektion ist daher eine radikale Prostatektomie ohne erhöhtes Komplikationsrisiko auch in dem Patientenkollektiv mit NOAKs in der Hausmedikation durchführbar.
Literatur:
1 Mottet N et al., members of the EAU – ESTRO – ESUR –SIOG Prostate Cancer Guidelines Panel: EAU – ESTRO – ESUR – SIOG Guidelines on prostate cancer. Retrieved from: https://uroweb.org/guideline/prostate-cancer/ [updated 2020; cited 2020 Dec 29] 2 Prostata ( statistik.at ) [letzte Änderung am 21.07.2020; zitiert: 28.12.2020] 3 Pompe RS et al.: Postoperative complications of contemporary open and robot-assisted laparoscopic radical prostatectomy using standardised reporting systems. BJU Int 2018; 122(5): 801-07 4 Beckmann A et al.: Perioperative management of direct oral anticoagulants in patients undergoing radical prostatectomy: results of a prospective assessment. World J Urol 2019; 37(12): 2657-62 5 Hindricks G et al., ESC Scientific Document Group: 2020 ESC Guidelines for the diagnosis and management of atrial fibrillation developed in collaboration with the European Association of Cardio-Thoracic Surgery (EACTS). Eur Heart J 2020; ehaa612 6 Altiok E, Marx N: Orale Antikoagulation. Update zur Antikoagulation mit Vitamin-K-Antagonisten und nicht-Vitamin-K-abhängigen oralen Antikoagulanzien. Dtsch Arztebl Int 2018; 115: 776-83 7 Rose DK, Bar B: Direct oral anticoagulant agents: pharmacologic profile, indications, coagulation monitoring, and reversal agents. J Stroke Cerebrovasc Dis 2018; 27(8): 2049-58 8 Baumgartner H et al.: 2017 ESC/EACTS Guidelines for the management of valvular heart disease. Rev Esp Cardiol (Engl Ed) 2018; 71(2): 110 9 Anderson DR et al.: American Society of Hematology 2019 guidelines for management of venous thromboembolism: prevention of venous thromboembolism in surgical hospitalized patients. Blood Adv 2019; 3(23): 3898-944 10 National Guideline Centre (UK): Venous thromboembolism in over 16s: reducing the risk of hospital-acquired deep vein thrombosis or pulmonary embolism. London: National Institute for Health and Care Excellence (UK); veröffentlicht: www.nice.org.uk/guidance/ng89 [21 March 2018; zitiert: 29.12.2020] 11 Tikkinen KAO et al.: EAU Guidelines. Edn. presented at the EAU Annual Congress Amsterdam, 2020; veröffentlicht: EAU Guidelines: Thromboprophylaxis | Uroweb [2020; zitiert: 29.12.2020]
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