
Sind wir nach ProtecT wirklich schlauer als zuvor?
Autor:
Dr. Wolfgang Loidl
Prostate Cancer Center
Robotische Chirurgie, Wiener Privatklinik
Gastprofessor Medizinische Universität Wien
Lehrbeauftragter LMU München Großhadern
E-Mail: loidl@wpk.at
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Zu allererst muss den Autoren gratuliert werden. Eine Randomisierung in einen Beobachtungsarm versus einen Operationsarm und einen Strahlentherapiearm ist eine enorme Herausforderung für alle Beteiligten (Patienten und Angehörige sowie Ärzte und Studienassistenten), ein lückenloses (98%) Follow-up über 15 Jahre bei 1643 Patienten ist eine Meisterleistung. Es finden sich jedoch einige Schwachstellen in ProtecT,1 die nicht unbedeutend sind und die unbedingt kommentiert werden müssen.
Expertise der Zentren
In den Jahren zwischen 1999 und 2009 wurde in 9 Zentren des Vereinigen Königreichs insgesamt bei 82429 Männern ein PSA-Test durchgeführt, das heißt 915,7 Tests/Jahr/Zentrum – eine sehr niedrige Zahl. Es wurden in 10 Jahren 2664 Männer mit einem lokalisierten Prostatakarzinom diagnostiziert, d.h. 266,4 pro Jahr und wiederum nur 29 Fälle pro Jahr und Zentrum. Wenn man alle diagnostizierten Fälle in die Studie eingebracht hätte, hätte dies 10 Beobachtungsfälle, 10 radikale Prostatektomien und 10 Strahlentherapien pro Jahr pro Zentrum bedeutet. Heruntergebrochen auf die in die Studie inkludierten Patienten reduziert sich die Gesamtfallzahl von 2664 auf 1643 Patienten und somit auf 18 Patienten/Jahr/Zentrum und daher auf jeweils 6 Patienten für Beobachtung, Operation oder Bestrahlung. Die Deutsche Krebsgesellschaft fordert ein Minimum von 100 neu diagnostizierten Fällen pro Jahr pro Zentrum, um ein Zertifikat für ein Prostatazentrum auszustellen. Somit ist eine Expertise bei den teilnehmenden Zentren der Studie zu hinterfragen.
Patientencharakteristika
Die Biopsie zur Diagnostik des Prostatakarzinoms wurde in der ProtecT-Studie nicht näher definiert. Anzunehmen ist, dass diese TRUS-gesteuert randomisiert durchgeführt wurde. Für den Ausgang der Studie entscheidend ist die hohe Anzahl an Gleason-Score-Gruppe-1-Patienten von 1268 Männern bzw. 77,17%.
75% (1239) der Patienten wurden mit klinischem Stadium cT1c in die Studie eingebracht. Im CAPRA-Risiko-Score (der moderner als die D’Amico-Klassifikation ist) sind über 70% im Niedrigrisiko-Bereich.
Definition der einzelnen Studienarme
In der Publikation wird nicht auf das genaue Follow-up (obligate Konfirmationsbiopsie etc.) im Beobachtungsarm eingegangen, lediglich das Intervall der PSA-Bestimmungen wird erwähnt. Die radikale Prostatektomie wird ebenfalls nicht näher beschrieben. Die Dosis der Strahlentherapie wird definiert, weiters wird eine neoadjuvante Antideprivationstherapie (ADT) für 3–6 Monate im Protokoll und keine adjuvante Hormontherapie gefordert.
Änderung des Managements unter der Studie
Bei 333 Männern (61,1%) kam es zum Cross-over vom Beobachtungsarm zur aktiven Therapie (Operation oder Strahlentherapie). Dies ist deutlich höher als in der Studie von Klotz et al. (50%). Änderungen des Managements wurden durch eine Progression ausgelöst. In den meisten Fällen wurde ein Undergrading und/oder Understaging festgestellt. Besonders die Fälle, die in den ersten 12 Monaten nach Randomisierung operiert wurden, zeigten höhere Gleason-Grade.
Was können wir aus den Ergebnissen der Studie ableiten?
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Eine randomisierte Studie zum Thema Therapie des lokal begrenzten Prostatakarzinoms mit drei Armen wie Beobachtung, Operation und Bestrahlung ist möglich.
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Die Mortalität des lokal begrenzten Prostatakarzinoms ist sehr niedrig (4,5 % in 15 Jahren).
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Drei Viertel der randomisierten Patienten würden 2023 in Active-Surveillance- Protokolle eingegeben werden.
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Aktive Beobachtungs-Protokolle beinhalten 2023 in jedem Fall noch Konfirmationsbiopsien.
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Eine Metaanalyse aus dem Jahr 2021 zeigt, dass eine neoadjuvante Hormontherapie vor Strahlentherapie bei Low-Risk-Patienten keinen Vorteil bringt und bei „intermediate risk“ nachteilig wirkt.
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In Summe gesehen wurde bei einer großen Anzahl von Männern mit Niedrigrisiko-Prostatakarzinom eine (heute schlechte) Beobachtung mit der Operation und der Strahlentherapie (+ unnötiger neoadjuvanter Hormontherapie) verglichen. Durch eine verzögerte Prostatektomie in 61,1 % der Fälle konnte das äquivalente Überleben erreicht werden.
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Das Auftreten von Metastasen beeinflusste das krebsspezifische Überleben in der Studie nicht. Mehrere Implikationen können hier aufgeführt werden. Synchrone Metastasierung erhöht die Mortalität signifikant im Vergleich mit metachroner Metastasierung. Beim Karzinom mit primär niedrigem oder intermediärem Risiko bestätigt sich dies offensichtlich. Die neuen medikamentösen Therapien haben hier ihren Einfluss.
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Heutzutage, im Jahr 2023, behandelt man ganz andere Männer mit aktiver Beobachtung, Operation oder Bestrahlung. Es werden MRT, MRT Fusion, PSMA-PET/CT, Hochfrequenzultraschall, molekulargenetische Untersuchungsmethoden (PROLARIS etc.) eingesetzt.
Vieles hat sich in der Zwischenzeit geändert
Leider ist es bei Studien zum Prostatakarzinom ähnlich wie mit Beobachtungen in der Astronomie. Jedes Ereignis am Sternenhimmel, das beobachtet werden kann, hat Jahre zuvor stattgefunden. Auch für ProtecT gilt, dass die Jetztzeit oft nur mehr wenig zu tun hat mit den aus der Studie zu lesenden Erkenntnissen. In 15 Jahren Beobachtungszeit hat sich die Lebenserwartung von Männern zum Beispiel in ihren 60ern um 4 Jahre verlängert. Diagnostik, Operation und Strahlentherapie sind in den letzten 20 Jahren enorm verbessert worden. Eine wahre Explosion von Medikamenten führt zur Lebensverlängerung im metastasierten Stadium.
Viele Fragestellungen werden durch diese Studie aber weiter nicht oder nur unzureichend beantwortbar gemacht.
Literatur:
1 Hamdy FC et al.: Fifteen-year outcomes after monitoring, surgery or radiotherapy for prostate cancer. N Engl J Med 2023; 388; 1547-1558, präsentiert im Rahmen des EAU-Kongresses 2023, 11. März 2023, Mailand
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