
Kommentar zu: Dialog – Diskurs – Debatte zum Thema „Zukunft in der Niederlassung“
Autor:
Prim. Univ.-Prof. Dr. Stephan Madersbacher
Abteilung für Urologie, Klinik Favoriten
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
einige Gedanken zur Dialog-Diskurs-Debatte zum Thema „Zukunft in der Niederlassung“ in der letzten ÖGU-Aktuell- Ausgabe (2/2023),1–5 primär aus der Sicht eines Abteilungsleiters. Die verschiedenen Artikel/Interviews sprechen eine Reihe von Problemen/Aspekten an, auf 4 möchte ich kurz eingehen.
Lehrpraxis
Dies halte ich für ein probates Konzept für Kollegen, die in die Niederlassung gehen wollen. Deshalb glaube ich, dass es Sinn macht, diese an das Ende der Ausbildung zu legen. Es ist aufgrund des Arbeitszeitgesetzes und der verschiedensten Limitationen schon jetzt schwierig, jungen Kollegen eine adäquate chirurgische Ausbildung zu ermöglichen. Würde man nun ALLEN eine Lehrpraxis für 1–2 Jahre angedeihen lassen, müsste man die Ausbildung deutlich verlängern. Deshalb – wie gesagt – selektiv für jene jungen Kollegen, die nach 3–4 Jahren in der Ausbildung entscheiden, in die Niederlassung zu gehen. Für diese kann es durchaus interessant sein, auch länger in der Lehrpraxis zu arbeiten. Für Kollegen, die eine Spitalskarriere anstreben, wird diese Zeit fachlich wenig bringen und sie werden diese eher als Nachteil empfinden.
Gemeinschaftsordination
Ich bin überzeugt, dass das derzeit noch gängige „Einzelkämpfertum“ in der Facharztordination aus einer Reihe von Gründen (Ökonomie, Work-Life-Balance) ein Auslaufmodell darstellt und dass die Zukunft Gruppenordinationen gehört. Diese Gruppenordinationen könnten dann gewisse Leistungen aus den Spitalsambulanzen übernehmen (Urodynamik, minimalinvasive BPS-Therapie, Botox u.Ä.). Die entsprechende Honorierung, aber auch die notwendigen Fallzahlen sind sicher große Herausforderungen für diesen Leistungstransfer. Natürlich könnten z.B. erfahrene Spitalsärzte in diesen Großordinationen Teilzeit arbeiten. Aus standespolitischen Gründen wäre zu fordern, dass diese von Urologen geleitet werden, denkbar wären natürlich auch Versicherungen oder Fonds.
Ich denke, es werden sich jene Strukturen durchsetzen, welche für Patienten, Ärzte und Versicherungen das beste „Paket“ anbieten. Ca. 80% aller Patienten, die wir in der Ambulanz sehen, können von diesen Ordinationen versorgt werden. Ich denke, man muss diese Großordinationen dann auch in die urologische Notfallversorgung bis in den Abend und an den Wochenenden einbinden. Insgesamt wird es zu einem Aufbrechen der Trennung von Niederlassung, ambulanter und stationärer Versorgung kommen.
Nachwuchs
Ich bin der Meinung, dass junge Ärzte, die auf Kosten der Steuerzahler/Gesellschaft studiert haben (ein Studium kostet etwa 600000 Euro), der Gesellschaft durch eine Anstellung im öffentlichen Gesundheitssystem einen Teil der Kosten durch ihre Arbeit refundieren. Ich könnte mir vorstellen, dass junge Ärzte z.B. 10 Jahre Vollzeit im öffentlichen System arbeiten müssen, d.h. 3–5 Jahre Ausbildung und dann nochmals 5 Jahre als Facharzt/praktischer Arzt; jene, die Teilzeit arbeiten, dementsprechend länger. Der politische Wille geht in diese Richtung. Für unser Fach sehe ich kein Nachwuchsproblem, diesbezüglich muss man sich nur die ÖGU-Mitgliederstatistik anschauen. Ich habe sicher 25 Initiativbewerbungen vorliegend. Die Herausforderung besteht vielmehr darin, Rahmenbedingungen zu schaffen, die die erfüllende Arbeit als Spitalsarzt für junge Kollegen attraktiv macht. Das beginnen die Spitalsträger/Bundesländer (wohl reichlich spät) langsam zu verstehen.
Demografie/Versorgung
Hier teile ich die Skepsis von Prim. Doz. Claus Riedl. Die demografische Entwicklung und die immer größer und teurer werdenden medizinischen Möglichkeiten werden unser Gesundheitssystem in absehbarer Zeit überfordern bzw. überfordern es bereits. Mehr Geld ist, in Anbetracht der Staatsfinanzen, unrealistisch und auch nicht sinnvoll. Die letzten 6 Lebensmonate sind die bei Weitem teuersten. Über diese Phase müssen wir mehr lernen. Aus meiner Sicht ist die einzige Lösung eine massive Leistungsreduktion. Einige Gedanken, die unser Fach betreffen: keine kurative Therapie bei Gleason Score 6 ohne AS bei Patienten älter als 60+; keine Operation bei kleinem Nierentumor (SRM) bei 75+ ohne vorangegangenes „wait and see“; keine Systemtherapie jenseits der durch RCTs dokumentierte Effizienz.
Ihr
Stephan Madersbacher
Literatur:
1 Özsoy M: Zukunftskonzepte in der Niederlassung. ÖGU Aktuell 2023; 2: 8-9 2 Huss A (Interview): „Ist es flächendeckend möglich, Leistungen aus dem Spital auszulagern?“ ÖGU Aktuell 2023; 2: 10-11 3 Stöckl C (Interview): „Die größte Hürde in der Umsetzung ist die Finanzierung“. ÖGU Aktuell 2023; 2: 12-3 4 Riedl C (Interview): „Wir sind in einer Umbruchzeit“. ÖGU Aktuell 2023; 2: 14-5 5 Özsoy M: „Uns allen liegt die bestmögliche Patientenversorgung am Herzen“. ÖGU Aktuell 2023; 2: 16-7