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25 Jahre Kinderurologie Linz
Urologik
Autor:
Prim. Univ.-Doz. Dr. Josef Oswald, FEAPU
Vorstand der Abteilung für Kinderurologie<br>Leiter des AK für Kinderurologie der ÖGU<br>Ordensklinikum Linz<br>Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern Linz
30
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15.03.2018
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<p class="article-intro">25 Jahre Kinderurologie im Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern: Die Tradition des Ordens, sich in den Dienst der Kranken, der Pflegebedürftigen sowie insbesondere der Kinder und Jugendlichen zu stellen, wurde mit der Spezialisierung auf die Behandlung angeborener Fehlbildungen mit der Gründung des Departments für Kinderurologie 2002 durch Univ.-Doz. M. Riccabona in ganz besonderer Weise sichtbar. Kinder, insbesondere kranke, sind die schwächsten Glieder unserer Gesellschaft und bedürfen der besonderen Zuwendung und Hilfe. Diese Prämissen finden sich in der Charta der Kinderrechtskonvention der UNO und beinhalten neben Schutz- und Förderrechten vor allem das Recht auf körperliche Unversehrtheit. Dieses Bewusstsein wird an der Abteilung für Kinderurologie mit „Herz und Seele“ von Beginn an vermittelt – Kinder sind unsere Zukunft und Hoffnung auf eine bessere Welt.</p>
<p class="article-content"><h2>Voraussetzungen</h2> <p>Auf europäischer Ebene hat sich die Kinderurologie mittlerweile als eine eigene Fachdisziplin etabliert (ESPU, European Society for Paediatric Urology). Diesen Ansprüchen wurde die Abteilung für Kinderurologie bereits vor 25 Jahren gerecht. Eine Voraussetzung für diese Spezialisierung stellt die fachspezifische medizinische und nicht medizinische Infrastruktur dar. Erstere beinhaltet nicht nur die fachliche Expertise von spezialisierten Kinderurologen und Kinderanästhesisten, sondern auch eine pädiatrisch spezialisierte Diagnostik in Form der Kinderradiologie und der Nuklearmedizin. Das zunehmende Wissen um angeborene Fehlbildungen des kindlichen Urogenitaltraktes drängt auf Spezialisierung, die Nutzung dieser Erkenntnisse hat nicht nur eine Professionalisierung zur Folge, sondern auch eine berechtigte Begehrlichkeit der betroffenen Eltern. Eine kindgerechte stationäre Versorgung mit Mutter-Kind-Einheiten und kinderurologische Operationsmöglichkeiten zur Durchführung von minimal invasiven Eingriffen am kindlichen Urogenitaltrakt stellen daher heute eine Selbstverständlichkeit dar.</p> <h2>Spezialisierte kinderurologische Eingriffe</h2> <p>Entsprechend den bescheidenen personellen (ein Oberarzt, ein Assistenzarzt) und infrastrukturellen Ressourcen standen 2002 primär „kleine“ diagnostische und therapeutische kinderurologische Probleme im Mittelpunkt. Dazu zählten „simple“ Krankheitsbilder wie z.B. der Kryptorchismus. Eine Weiterentwicklung der Versorgung dieser Fehlbildung war die tagesstationäre Versorgung von beidseitigen Leistenhoden, vielerorts wurden diese Hodenpathologien ausschließlich stationär, beidseitig sequenziell bis zu einer Woche behandelt. Ein weiterer Entwicklungsschritt war die Behandlung der als sehr schwierig einzustufenden Hypospadien: Diese mit vielen Vorbehalten und Ängsten verbundenen Diagnosen machten in der Anfangszeit mehrzeitige, oft bis zu drei und mehr Re­eingriffe nötig, verbunden war damit naturgemäß eine hohe emotionale elterliche und kindliche Belastung. Durch neue Operationstechniken und pflegerische Optimierung konnte ein Großteil dieser Fehlbildungen in der Folge mit einer Operation behandelt werden. Zunehmend wurden noch ausgeprägter minimal invasive Therapiemodalitäten mit einzeitigen Operationen von Fehlbildungen des oberen und unteren Harntraktes entwickelt, die Aufenthaltsdauer wurde laufend verkürzt. Durch den Ausbau und die Professionalisierung der Isotopenabteilung wurde die funktionelle Komponente dieser (Nieren-)Fehlbildungen erkannt, die Indikation zu einer Operation (z.B. Nierenbeckenplastik) konnte auf signifikante, morphologisch eindeutige Engstellen beschränkt werden. Auch die Refluxdiagnostik bei Kindern mit fieberhaften Harnwegsinfekten wurde beeindruckend weiterentwickelt: Sowohl unnötige Bestrahlungen als auch unnötige Wiederholungen dieser für das Kind durchaus unangenehmen Untersuchungstechnik konnten reduziert werden. Ergänzt wurde dieses diagnostische Tool in den letzten Jahren durch eine „strahlenfreie“ Diagnostik, bei welcher anstatt eines Röntgenkontrastmittels ein Sonografie-„Kontrastmittel“ verwendet wird. Auch die Einführung einer für das Kind absolut schmerzfreien, da „katheterlosen“ intraoperativen Refluxprüfung in Form des sogenannten PIC-Zystogramms („positioning instillation of contrast“) ist eine Innovation, welche eine schmerzlose Diagnostik mit einer höheren Sensitivität und gleichzeitig einer (endoskopischen) Therapiemöglichkeit vereint.</p> <h2>Behandlung von Blasenfehlbildungen</h2> <p>Ohne das Gestern kein Heute, geschweige denn ein Morgen – Medizin bewegt sich in alter wissenschaftlicher analytischer Dynamik nur im Rückblick auf seine Wurzeln vorwärts. So konnte die Behandlung von Blasenfehlbildungen, z.B. schwerer „morphologischer“ Erkrankungen wie die Blasenekstrophie und auch neurologisch bedingter sogenannter „neurogener“ Blasen, weiterentwickelt werden: Neben der aufwendigen konservativen Therapie, welche Medikamente und den (intermittierenden) Fremd- und Eigenkatheterismus (CIC) beinhalten, kann chirurgisch heute eine sogenannte „künstliche“ Blase gebildet werden. Indikationen sind sowohl „Low compliance“-Blasen bei Myelomeningocele (MMC) als auch Blasenekstrophien mit persistierender Inkontinenz (Abb. 1).<br />Da bei einer geschädigten Blase wie auch beim aufgesteppten Darm keine Kontraktion mehr möglich ist, muss diese augmentierte Blase mittels Einmalkatheterismus entleert werden. Dies kann über die noch intakte Harnröhre bei kompetentem Blasenhals erfolgen oder, vor allem bei Patienten mit Spina bifida, welche auf einen Rollstuhl angewiesen sind, über ein Nabelstoma. Dabei schaltet man als Verbindung meist den Appendix (Wurmfortsatz) dazwischen, über diesen Wurmfortsatz wird der Einmalkatheter eingebracht und die Blase entleert. Die meisten Kinder beherrschen dies bereits nach kurzer Zeit selbst und sind damit auch unabhängig von fremder Hilfe (Abb. 2).<br />Erleichtert werden diese Operationen heute durch die einfachere Vorbereitung auf diese Eingriffe: Wurden die Kinder in der Vergangenheit einer belastenden Darmreinigung mit Nüchternheit, Einläufen und Sondierung (Glaubersalz/Golytely) unterzogen, kann heute unmittelbar vor wie auch nach der Operation weitgehend auf diese Prozeduren verzichtet werden. Eine rasche Aufbaukost verhindert eine Schädigung der Dünndarmschleimhaut (Zottenatrophie durch Nüchternheit) und steigert naturgemäß subjektiv das Wohlbefinden des Kindes mit verkürzter Rekonvaleszenz; zusammengefasst wird dies unter dem Begriff „fast track rehabilitation“ oder besser ERAS („enhanced recovery after surgery“). <br />Auch die sehr anspruchsvolle Chirurgie bei Blasenekstrophie und Epispadie beschränkt sich heute nicht mehr auf die plastischchirurgische Wiederherstellung der Blase sowie des äußeren Genitales mit Verschluss der offenen Blasenplatte und der Harnröhre, sondern umfasst auch die funktionelle chirurgische „Rehabilitation“ des äußeren und des inneren Schließmuskels. Diese Wiederherstellung des Kontinenzmechanismus stellt eine chirurgische und funktionelle Herausforderung dar. Sie basiert auf der Grundlagenforschung der Universitätsklinik für Urologie in Erlangen; hier wurde bereits vor Jahren versucht, den Verbund von externen Detrusorfasern und Rhabdosphincter herzustellen. Grundlagenforschung zum einen und moderne Technik zum anderen – hier sei nur die noch am Anfang stehende intraoperative elektrische Stimulation der für die Kontinenz verantwortlichen Muskelfasern erwähnt – gewährleisten heute, im Vergleich zu früheren Jahren, bei diesen Patienten eine deutlich höhere Kontinenzrate. <br />Eine Erweiterung des Therapiespektrums bei inkontinenten Patienten mit sowohl neurogenen Blasen als auch strukturellen Fehlbildungen stellt auch die Implementation von künstlichen Bändern dar; diese werden ähnlich wie beim Erwachsenen von perineal um den hinteren Harnröhrenanteil platziert, um so ein – Kontinenz gewährleistendes – Widerlager zu bilden.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Urologik_Uro_1801_Weblinks_s23_1.jpg" alt="" width="2150" height="896" /></p> <h2>Stellenwert in Europa</h2> <p>Gemeinsam sorgen die Teams verschiedener Disziplinen heute dafür, dass die Kinderurologie am Ordensklinikum in Linz im 25. Jahr ihres Bestehens als eines der größten und aktivsten kinderurologischen Zentren weltweit wahrgenommen wird – vielleicht sogar als das größte in Europa gemessen an der Zahl der Patienten, der Operationsfrequenz und der Größe des Ärzteteams. Die Abteilung ist weiters seit Jahren mit innovativen klinischen und Grundlagenstudien regelmäßig bei regionalen und internationalen Kongressen und Symposien präsent, die Anzahl der jährlich publizierten wissenschaftlichen Arbeiten in diversen Fachzeitschriften ist für eine nicht universitäre Einheit erstaunlich.</p> <div id="keypoints"> <h2>Fazit</h2> <p>Rückblickend muss man die Kinder­urologie als eine Erfolgsgeschichte betrachten; nach dem Beginn mit wenigen Betten und einer bescheidenen OP-Kapazität sowie zwei Mitarbeitern arbeiten wir heute in sieben OPs mit sieben Mitarbeitern sowie Gastärzten – knapp 2000 Patienten werden jährlich operiert. Heute stehen große komplexe Rekonstruktionen von Blasenfehlbildungen (Blasen­ekstrophie, Ersatzblasen bei neurogenen Blasen), Nierenerkrankungen (Tumoren), Fehlbildungen des äußeren Genitales (komplexe Hypospadien, persistierender Sinus urogenitalis, Phalloplastiken) und die wenig belastende Steinentfernung („Mini-Perc“) mit dem Vorteil einer einzeitigen Operationstechnik im Vordergrund. Die Zukunft wird weitere weniger invasive, jedoch effizientere Operationsmethoden durch weitere Spezialisierungen und technisch kindgerechte Hilfsmittel bringen.</p> </div></p>