
Fortschritte in der psychiatrischen Forschung und Therapie
Bericht:
Torsten U. Banisch, PhD
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Vom 11. bis 12. November 2023 fand die 25. Tagung der Österreichischen Gesellschaft für Neuro-psychopharmakologie und Biologische Psychiatrie (ÖGPB) in Wien statt. Im Festsaal der Universität wurden aktuelle Fortschritte in Forschung und Therapie von 37 Sprechern aus Österreich, der Schweiz und Deutschland vorgestellt. Die Tagung startete mit einer Vortragsreihe zu neuen Entwicklungen, welche mit rezenten und unpublizierten Daten einen spannenden und diskussionsanregenden Einstieg lieferte.
Sonnenschein für das psychische Wohlempfinden
Dr. Patricia Anna Handschuh referierte über die Herbst-Winter-Depression, die einem saisonalen Muster folgt, wobei Symptome hauptsächlich im Herbst/Winter auftreten, mit einer vollständigen Remission im Frühjahr/Sommer. In Österreich sind 2–3% der Bevölkerung betroffen.1 Eine Behandlung erfolgt bisher mit Lichttherapie und Serotonin-Wiederaufnahme-Inhibitoren, da das Serotonin-System mit verschiedenen Komponenten wie der Monoaminooxidase-A (MAO-A) und Serotonin-Transportern (SERT) involviert ist.2–5 Die Grundlagen der Erkrankung sind in der Epigenetik zu finden, also dem äußeren Einfluss von Umwelt und Stress auf die DNA-Methylierung, welche Genexpressionsmuster moduliert. Die Methylierung von MAO-A zum Beispiel kann sowohl von Umwelteinflüssen als auch von Risikofaktoren für eine psychologische Störung beeinflusst werden,6 wobei bei gesunden Probanden eine Zunahme von MAO-A-Methylierungen mit geringeren MAO-A-Proteinleveln korreliert.7
Saisonale Veränderung von MAO-A-Methylierungen
Die Studie sollte untersuchen, wie sich die Methylierung von MAO-A saisonal auf die Expressionsdichte bei kranken Patient:innen auswirkt. Es wurde ein signifikanter geschlechtsspezifischer Unterschied ermittelt: Frauen wiesen mehr MAO-A-Methylierungen auf, auch im saisonalen Kontext, mit höheren Werten im Frühjahr/Sommer. Jedoch konnte kein signifikanter Effekt der Methylierung auf MAO-A-Proteinlevel festgestellt werden.8
Sonnenscheindauer hat negativen Effekt auf SLC6A4-Methylierungen
SERT unterliegen in ihrer Aktivität der Lichtmenge und spielen eine zentrale Rolle in der Depression.9 Die Methylierung des SERT SLC6A4 ist mit Stress und Depression assoziiert.10 Um zu ermitteln, ob SLC6A4 der gleichen Lichtregulierung unterliegt, wurde 4 Wochen vor Ermittlung des SLC6A4-Methylierungsstatus von 68 Patient:innen die tägliche Sonnenscheindauer in ihrer Umgebung erhoben. In der Tat wurde ein signifikanter Effekt ermittelt, wobei mehr Sonnenlicht zu einer verringerten Methylierung am SLC6A4-Promoter führt, was jedoch nicht krankheitsspezifisch war.8 Weitere Forschung ist nötig, aber die Studie lieferte bereits einen großen Pool an Daten, welche es erlauben, den Methylierungsstatus vieler auch für die Depression relevanter Gene in Korrelation mit der Sonnenscheindauer zu analysieren.
Mit körpereigenen Cannabinoiden psychotischen Störungen entgegentreten
Dr. Ana Weidenauer berichtete von einer erfolgreichen Zusammenarbeit mit Prof. Romina Mizrahi aus Montreal, Kanada. Die Forschung befasste sich mit den bedeutsamsten Endocannabinoiden: Anandamid (AEA) und 2-Arachidonoylglycerol (2-AG). Diese haben, wie ihre pflanzlichen Vertreter, eine entspannende Wirkung, regulieren die Homöostase und werden bei Stress oder Sport ausgeschüttet, um das Auffüllen verbrauchter Energiereserven anzuregen.11
Aktivität des Endocannabinoidsystems korreliert mit Schizophreniesymptomen
AEA und 2-AG wirken an der Postsynapse, wo sie nach Ausschüttung an den CB1-Rezeptor binden und die Aktivität anderer Transmitter inhibieren. Ihre Funktion wird durch abbauende Enzyme reguliert, im Falle von AEA die Fettsäureamid-Hydrolase (FAAH).11 Für die Forschung relevant: FAAH kann mittels eines Tracers markiert und mit PET gemessen werden, was einen einzigartigen Einblick in die Aktivität des Endocannabinoidsystems erlaubt. Zwar konnte keine signifikant erhöhte FAAH-Aktivität bei Patient:innen mit einer Psychose ermittelt werden, die gemessenen FAAH-Level korrelierten jedoch mit Positivsymptomen der Schizophrenie: je mehr FAAH, desto weniger Symptome. Zudem korrelierten höhere AEA-Level mit einer längeren Erkrankung.12
FAAH-Inhibitoren mit möglicher Anwendung bei PTSD und Angst
Zudem wurde untersucht, ob FAAH-Aktivität mit kognitiven Symptomen in Zusammenhang gebracht werden kann. Erste Daten zeigten, dass hohe FAAH-Level mit einer schlechteren Aufnahmefähigkeit und Kognition korrelieren, was im Gegensatz zu obigen Ergebnissen steht. Es wird angenommen, dass AEA die Kognition fördert und höhere AEA-Level bei Psychosen als eine adaptive Response anzusehen sind, die dem Schutz von Neuronen dienen könnte. Erste Studien stützen diese Annahme und zeigen, dass AEA protektiv bei Demenz wirkt.13 Eine mögliche Anwendung von FAAH-Inhibitoren bei Angst und posttraumatischen Belastungsstörungen ist ebenfalls denkbar.
Wechselwirkung zwischen Endo- und Phytocannabinoiden
Wichtig für schizophrene Patient:innen ist die Frage, welche Wirkung Phytocannabinoide auf das Endocannabinoidsystem haben. Hier führt THC-Einnahme zu geringeren AEA-Leveln, was das Auftreten von Psychosen erklären könnte. Interessanterweise regt CBD das Endocannabinoidsystem an, unter anderem mittels Herunterregulierung der abbauenden Enzyme.
Anspruchsvolle operative Eingriffe bei psychischen Störungen
Antidepressive Vagusnervstimulation
Zwei Beispiele zur Kooperation zwischen Psychiatrie und Neurochirurgie in der Behandlung psychiatrischer Erkrankungen brachte Prof. Christoph Kraus. 2005 erteilte die FDA die Zulassung der Vagusnervstimulation zur Behandlung der unipolaren oder bipolaren Depression, wobei sich die Therapie als eine Add-on-Therapie zu einer medikamentösen Behandlung versteht. Eine antidepressive Vagusnervstimulation benötigt jahrelange Vorbehandlungen und Nachbeobachtungen.14,15 Zugelassen werden nur Patient:innen, die eine laufende Psychotherapie mit >20 Stunden nachweisen können. Es sollten zudem keine weiteren psychiatrischen Erkrankungen vorliegen. Generell sind Patient:innen mit Psychosen, Herzrhythmusstörungen oder progressiven neurologischen Erkrankungen nicht zugelassen. Das Device wird von einem Neurochirurgen implantiert und die Elektroden am Vagusnerv befestigt. Am AKH Wien wird dieser Eingriff in Kooperation mit Dr. Klaus Novak durchgeführt. Bereits 2 Wochen nach erfolgter Operation kann die Dosis via Funkbedienung eingestellt werden.
Von 12 Patient:innen am AKH, die seit mindestens 12 Monaten ein Implantat haben, sind 7 Responder und 5 Remitter und zeigen signifikante Wirkeffekte im Vergleich zu den Standardbehandlungen. Die Rolle eines Placeboeffektes ist hierbei noch unklar, aber eine scheinkontrollierte Studie aus den USA soll 2024 veröffentlicht werden.
Tiefe Hirnstimulation
Die tiefe Hirnstimulation wird am AKH Wien seit 20 Jahren durchgeführt. Es handelt sich um eine 8–9 Stunden dauernde, komplizierte Operation, da die Elektroden millimetergenau im Gehirn platziert werden müssen.16 Das primäre Einsatzgebiet sind Bewegungsstörungen (Morbus Parkinson, essenzieller Tremor und Dystonie). Am AKH wurden bisher Operationen bei OCD („obsessive-compulsive disorder“), Tourette-Syndrom und Anorexie durchgeführt. Um das Behandlungsprofil klarer zu umgrenzen, wurde eine Metaanalyse, welche neurologische und psychiatrische Indikationen vergleicht, angefertigt. Signifikante Ergebnisse mit moderaten Effektstärken wurden bei Patient:innen mit Parkinson, Dystonie und OCD ermittelt, die Datenlage bei der Depression ist noch unübersichtlich.
Seit 2022 wird am AKH auch die Behandlung bei schwerer Zwangserkrankung mit wissenschaftlicher Begleitung im Rahmen einer klinischen Studie angeboten.17 Die Kriterien für eine Aufnahme sind streng, und normalerweise geht eine 1- bis 2-jährige Behandlung voraus. Das Verfahren selbst ist reversibel und relativ komplikationsarm.
Quelle:
ÖGPB-Jahrestagung, 11.–12. November 2023, Wien
Literatur:
1 Pjrek E et al.: Epidemiology and socioeconomic impact of seasonal affective disorder in Austria. Eur Psychiatry 2016; 32: 28-33 2 Pjrek E et al.: Epidemiology and socioeconomic impact of seasonal affective disorder in Austria. J Psychiatr Res 2009; 43(8): 792-7 3 Golden RN et al.: The efficacy of light therapy in the treatment of mood disorders: a review and meta-analysis of the evidence. Am J Psychiatry 2005; 162(4): 656-62 4 Spies M et al.: Brain monoamine oxidase A in seasonal affective disorder and treatment with bright light therapy. Transl Psychiatry 2018; 8(1): 198 5 Praschak-Rieder N et al.: Seasonal variation in human brain serotonin transporter binding. Arch Gen Psychiatry 2008; 65(9): 1072-8 6 Brenet F et al.: DNA methylation of the first exon is tightly linked to transcriptional silencing. PLoS One 2011; 6(1): e14524 7 Shumay E et al.: Evidence that the methylation state of the monoamine oxidase A (MAOA) gene predicts brain activity of MAO A enzyme in healthy men. Epigenetics 2012; 7(10): 1151-60 8 Handschuh PA et al.: Int J Neuropsychopharmacol 2023; 26(2): 116-24 9 Tyrer AE et al.: Neuropsychopharmacology 2016; 41(10): 2447-54 10 Booij L et al.: DNA methylation of the serotonin transporter gene in peripheral cells and stress-related changes in hippocampal volume: a study in depressed patients and healthy controls. PLoS One 2015; 10(3): e0119061 11 Garani R et al.: Endocannabinoid system in psychotic and mood disorders, a review of human studies. Prog Neuropsychopharmacol Biol Psychiatry 2021; 106: 110096 12 Watts JJ et al.: Imaging brain fatty acid amide hydrolase in untreated patients with psychosis. Biol Psychiatry 2020; 88(9): 727-35 13 Shade R et al.: Targeting the cannabinoid system to counteract the deleterious effects of stress in Alzheimer’s disease. Front Aging Neurosci 2022; 14: 949361 14 Marangell LB et al.: Vagus nerve stimulation (VNS) for major depressive episodes: one year outcomes. Biol Psychiatry 2002; 51(4): 280-7 15 Aaronson ST et al.: A 5-year observational study of patients with treatment-resistant depression treated with vagus nerve stimulation or treatment as usual: comparison of response, remission, and suicidality. Am J Psychiatry 2017; 174(7): 640-8 16 Krauss JK et al.: Technology of deep brain stimulation: current status and future directions. Nature Reviews Neurology 2021; 17(2): 75-87 17 https://generalpsychiatry.meduniwien.ac.at/patientinnenversorgung/klinische-studienprogramme/tiefe-hirnstimulation/