
Einordnung der ProtecT-Studie aus radioonkologischer Sicht
Autor:
apl. Prof. Dr. Frank Wolf, PhD
Universitätsklinik für Radiotherapie und Radio-Onkologie, Salzburger Landeskliniken Universitätsklinikum der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität
E-Mail: f.wolf@salk.at
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Das Kunststück, 1643 Patienten mit einer Krebsdiagnose in einen Arm ohne jegliche Therapie sowie zwei Arme mit höchst unterschiedlicher Therapie zu randomisieren, kann nicht hoch genug eingeschätzt werden und hat sich in mehrerlei Hinsicht ausgezahlt: Die ProtecT-Studie zeigt ein nicht zu unterschätzendes Defizit im Management des Prostatakarzinoms auf, und zwar die Überdiagnostik und Übertherapie bei „Low risk“-Karzinom,1 wie im folgenden Kommentar dargelegt wird.
Noch bessere Selektion der Patienten notwendig
Seit der Rekrutierung bis ins Jahr 2009 hat sich in Bezug auf ein defensiveres PSA-Screening sowie das Angebot einer „active surveillance“ (AS) einiges getan. Dennoch bestehen vor allem im hausärztlichen und niedergelassenen Bereich Schwierigkeiten, die über Jahrzehnte gelebte Praxis des uneingeschränkten PSA-Screenings zu ändern und auf selektionierte Patienten einzuschränken, so wie es in den Leitlinien empfohlen wird.
Von entscheidender Bedeutung ist es allerdings, sich das eingeschlossene Patientenkollektiv zu vergegenwärtigen: Es handelt sich um ein fast lupenreines Low- Risk-Kollektiv. Nur 6% waren in der Kategorie „unfavorable intermediate risk“ oder hatten ein höheres Risiko. Die ermutigenden Ergebnisse der ProtecT-Studie sollte daher keinesfalls auch zu einer Therapiedeeskalation bei Patienten mit höherem Risiko führen – ganz im Gegenteil.
Rezente hochqualitative Phase-III-Daten zeigen, dass in Hochrisikokollektiven eine Eskalation in Bezug auf Bestrahlungsdosis, bestrahlte Volumina (Stichwort: pelvine Bestrahlung) sowie Hormontherapie einen signifikanten Vorteil bringen.2–4 Die Ausdehnung der Einschlusskriterien für eine AS in höhere Risikostadien als „favorable intermediate risk“ ist daher abzulehnen.
In diesem Zusammenhang ist die Unterscheidung in „favorable“ und „unfavorable intermediate risk“ wichtig, die leider in den EAU- und den S3-Leitlinien nach wie vor nicht vorgenommen wird. Das ist aus meiner Sicht unverständlich, da hier ein großer Unterschied in Prognose und Therapieempfehlung (u.a. Verzicht auf Hormontherapie bei „favorable intermediate risk“) besteht und in den meisten rezenteren internationalen Studien die 6-teilige NCCN-Klassifikation verwendet wird, in der zusätzlich auch weiter in „low“ und „high risk“ unterschieden wird.
Eine weitere Verbesserung in der Selektion von Kandiaten für eine AS wird in Zukunft durch die verbesserte Verfügbarkeit von „genomic classifiers“ (GC) wie Decipher oder Prolaris kommen. Der GC-Score ist ein unabhängiger prognostischer Faktor für biochemische Kontrolle, Prostatakrebs-spezifisches Überleben, metastasenfreies Überleben und Gesamtüberleben und kann daher vor allem bei „intermediate risk“ das Management bei AS steuern.5
Vergleich chirurgische Therapie und Radiotherapie
ProtecT ist die erste und einzige Studie, in der zwischen Operation und Bestrahlung randomisiert worden ist, und bietet daher eine wertvolle Entscheidungshilfe für behandelnde Ärzte und Patienten bei der Wahl des geeignetsten Therapieverfahrens. Die onkologische Gleichwertigkeit von Prostatektomie und Bestrahlung ist nach einem medianen Follow-up von 15 Jahren nicht zu bestreiten. Dadurch rückt bei der Therapieentscheidung der Fokus auf deren Verträglichkeit und unterschiedliche Nebenwirkungsprofile.
Hier bietet die ProtecT-Studie einen einmaligen und höchst interessanten Vergleich der Nebenwirkungsprofile der beiden Therapien mit einigen überraschenden Erkenntnissen.6,7 Einerseits besteht zwischen den beiden Therapiemodalitäten kein signifikanter Unterschied in der globalen „health-related quality of life“. Andererseits bestehen in den verschiedenen Domänen der Harn-, Sexual- und Darmfunktion zum Teil erhebliche Unterschiede, die dem Patienten vor einer Therapieentscheidung dargelegt werden sollten.
So ist nach 12 Jahren die Inkontinenzrate nach Operation dreimal höher als unter Radiotherapie (24% vs. 8%), die Rate an erektiler Dysfunktion lag nach 7 Jahren bei 12%.
Auf der anderen Seite sind obstruktive Symptome wie Nykturie ≥2x im OP-Arm deutlich niedriger (34%) als im Strahlentherapiearm (48%), der sich auf einem ähnlichen Level bewegt wie die AS (47%). Das heißt, dass vor allem Patienten mit vorbestehender obstruktiver Symptomatik durch eine Operation eine anhaltende Symptomkontrolle haben dürften, die im Falle einer Bestrahlung durch eine anschließende TUR-P hergestellt werden müsste.
„Fecal leakage“ tratt 12 Jahre nach Strahlentherapie doppelt so häufig auf (12%) wie nach OP oder AS (jeweils 6%), was allerdings auch der verwendeten Bestrahlungstechnik geschuldet sein dürfte. Diese wurde ohne Rektum-Spacer, Planung mittels MR und IMRT-Technik durchgeführt, wobei zumindest die beiden letzteren Verfahren heutzutage als Standard bezeichnet werden können.
Ein weiterer Makel im Radiotherapiearm ist die Verabreichung einer neoadjuvanten Hormontherapie, von der das eingeschlossene Kollektiv nicht profitiert, mit Ausnahme der erwähnten 6% mit „unfavorable intermediate risk“, und die in diesem Arm eine unnötige Einschränkung der „sexual quality of life“ sowie eine Erhöhung des kardiovaskulären Risikos mit sich bringt.
Fazit
Die ProtecT-Studie ist ein Landmark- Trial und dürfte Grundlage einer Änderung in der Praxis beim Low-Risk-Prostatakarzinom sein. Bei älteren Patienten ohne Risikofaktoren sollte „active surveillance“ nicht nur angeboten werden, sondern es sollte die bevorzugte Alternative sein. Falls ein Wechsel auf eine Therapie indiziert ist, sind die Daten zur Lebensqualität der ProtecT-Studie bei der Wahl des geeignetsten Therapieverfahrens eine wertvolle Hilfe für den Patienten sowie den behandelnden Arzt.
Die seit der Rekrutierungsphase der Studie erzielten Verbesserungen in Patientenselektion (GC) und Behandlunstechniken lassen uns optimistisch in die Zukunft blicken. Es sieht ganz danach aus, als würde das Low-Risk-Prostatakarzinom nicht nur die Lebenserwartung kaum einschränken, sondern auch als würde dessen Behandlung (bzw. Nichtbehandlung) die Lebensqualität nur in sehr geringem Maß beeinträchtigen.
Literatur:
1 Hamdy FC et al.: Fifteen-year outcomes after monitoring, surgery, or radiotherapy for prostate cancer. N Engl J Med 2023; 388(17): 1547-58 2 Kerkmeijer LGW et al.: Focal boost to the intraprostatic tumor in external beam radiotherapy for patients with localized prostate cancer: Results from the FLAME-randomized phase III trial. J Clin Oncol 2021; 39(7): 787-96 3 Murthy V et al.: Prostate-only versus whole-pelvic radiation therapy in high-risk and very high-risk prostate cancer (POP-RT): Outcomes from phase III randomized controlled trial. J Clin Oncol 2021; 39(11): 1234-42 4 Kishan AU et al.: Androgen deprivation therapy use and duration with definitive radiotherapy for localised prostate cancer: An individual patient data meta-analysis. Lancet Oncol 2022; 23(2): 304-16 5 Jairath NK et al.: A systematic review of the evidence for the decipher genomic classifier in prostate cancer. Eur Urol 2021; 79(3): 374-83 6 Donovan JL et al.: Patient-reported outcomes after monitoring, surgery, or radiotherapy for prostate cancer. N Engl J Med 2016; 375(15): 1425-37 7 Donovan JL et al.: Patient-reported outcomes 12 years after localized prostate cancer treatment. N Engl J Med Evidence 2023, 2(3): doi: 10.1056/EVIDoa2300018
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