
Der diabetische Fuß aus internistischer, orthopädischer und dermatologischer Sicht
Autor:innen:
Dr. Marlies Frank1
Prof. Dr. Hans-Jörg Trnka2
PD Dr. Barbara Binder3
1 Medizinische Abteilung der Klinik Landstraße, Wien
2 Fusszentrum Wien
3 Univ.-Klinik für Dermatologie und Venerologie, Medizinische Universität Graz
Korrespondierende Autorin:
PD Dr. Barbara Binder
Univ.-Klinik für Dermatologie und Venerologie
Medizinische Universität Graz
E-Mail: barbara.binder@medunigraz.at
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Unter einem „diabetischen Fuß“ werden diabetische Folgeschäden mit erhöhtem Risiko für Verletzungen, Infektion, Ulkus, Gangrän und der Gefahr der Amputation zusammengefasst. Diabetische Fußprobleme stellen eine häufige und schwerwiegende Komplikation dar. Die Genese ist verschieden, die Therapie soll interdisziplinär und interprofessionell erfolgen. Derzeit sind ca. 18 Millionen Menschen weltweit von einem diabetischen Fußsyndrom betroffen. Das lebenslange Risiko eines Diabetespatienten, ein Fußulkus zu entwickeln, beträgt 15–25%; das Rezidivrisiko ist sehr hoch, mit deutlich erhöhter Morbidität und Mortalität.
Keypoints
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Der diabetische Fuß ist häufig, die Morbidität, Mortalität und das Rezidivrisiko sind hoch, mit Gefahr der Amputation.
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Regelmäßige Fußinspektionen und das Erkennen einer Neuropathie und oder PAVK, sowie spezifischer Hautveränderungen sind wichtig, um frühzeitig die geeignete Therapie einzuleiten.
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Der Charcot-Fuß ist eine spezifische Diagnose. Hierbei muss unbedingt die Differenzierung zum diabetischen Fuß beachtet werden, da die Therapie unterschiedlich ist.
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Die Therapie muss interdisziplinär/interprofessionell erfolgen.
Häufigste Ursache für das Auftreten einer Fußkomplikation ist die diabetische Neuropathie, gefolgt vomVorliegen einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit und einer Kombination aus beiden Komponenten.
Die diabetische Polyneuropathie führt zu einem Sensibilitätsverlust, v.a. im Bereich der Füße, was ein erhöhtes Verletzungsrisiko zur Folge hat. Durch die motorische Neuropathie kommt es zu einer muskulären Imbalance im Bereich der Zehen-/Fußmuskulatur, die in einer Fehlstellung im Sinne von Krallen-und Hammerzehen und im Zusammenbruch des Fußskelettes resultiert; Maximalvariante ist der Charcot-Fuß. Durch eine autonome Neuropathie werden Talg- und Schweißproduktion reduziert, was zu einer trockenen, rissigen Haut führen kann. Durch die Fehlstellungen kommt es zu Arealen erhöhter Druckbelastung mit Ausbildung von Hornhautschwielen/Hyperkeratosen, gefolgt von Einblutung und Bildung von Fußulzerationen (siehe Abb. 1). Ein regelmäßiges neurologisches Screening ist notwendig. Mittels Einmal-Nadel, Tip-Therm-Sonde, Semmes-Weinstein-Monofilament, Rydel-Seifferscher Stimmgabel und/oder Reflexhammer kann eine Neuropathie einfach diagnostiziert werden.
Auch die typische klinische Symptomatik – Taubheitsgefühl, verminderte Schmerz- und Temperaturempfindung in den Füßen, Gangstörungen oder nächtlich betonte einschießende Nervenschmerzen – ist wegweisend. Bestätigt wird eine Neuropathie durch die Bestimmung der Nervenleitgeschwindigkeit. Die Einleitung einer entsprechenden Therapie sollte umgehend erfolgen (u.a. Druckentlastung, Lokaltherapie und bei Vorliegen einer Wundinfektion deren Behandlung). Die diabetische Stoffwechsellage sollte optimiert werden, da eine hyperglykämische Stoffwechsellage die Wundheilung beeinträchtigt. Eine gute Blutzuckereinstellung ist daher unbedingt erforderlich.
Weitere neurologische/kardiovaskuläre Risikofaktoren wie Rauchen, Alkoholabusus, Mangel an Vitamin B12 und Folsäure, Hypertonie sollen behandelt werden.
Anders verhält es sich beim Vorliegen einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (PAVK). Typische Symptome sind fehlende Fußpulse, eine blasse oder livide Haut mit Fehlen des subkutanen Fettgewebes und der Hautanhangsgebilde. Durch Kombination von Neuropathie und PAVK kann eine typische Claudicatio intermittens fehlen. Die primäre Diagnostik erfolgt mittels klinischer Untersuchung und Doppler-Sonografie (arterieller Doppler-Index), Duplexsonografie und Oszillometrie. Besteht eine PAVK, sind eine entsprechende Rekanalisierung und/oder Verbesserung der Durchblutung anzustreben (PTA, Bypass, Gehtraining, durchblutungsfördernde Medikation).
Dermatologische Behandlung
Die dermatologische Behandlung beinhaltet die Therapie des Ulkus sowie auch die Behandlung von spezifischen Hauterkrankungen. Bestehen eine Hyperkeratose oder starke Beläge/Nekrose am Ulkus, so muss ein Débridement durchgeführt werden; erstdadurch kann die tatsächliche Ausdehnung des Defektes erfasst werden, denn typischerweise besteht oft eine tiefe Wundhöhle, die sich über den Weichteilmantel bis zum Knochen fortsetzt. Das Débridement muss entsprechend großzügig durchgeführt werden, am besten mit scharfem Löffel, Kürette und/oder Skalpell, wobei dies aufgrund der Polyneuropathie meist schmerzlos ist (siehe Abb. 2). Anschließend wird mittels Sonde die Tiefenausdehnung bestimmt (Weichteil-und/oder Knochenbeteiligung?).Reicht das Ulcus bis zum Knochen, sind weitere diagnostische Maßnahmen notwendig (Röntgen, MRT etc.),um eine Osteomyelitis zu bestätigen oder auszuschließen. Unterstützt wird die mechanische Nekrektomie durch Enzymexterna, wie Streptokinase und Streptodornase, Fibrolysin oder Kollagenasen.
Auch bewirken beim täglichen Verbandswechsel Umschläge mit Antiseptika oder Wundspüllösungen wie NaCl 0,9% bzw. Ringerlösung eine Reinigung des Ulkus. Bei hartnäckigen, ausgedehnten, tiefen Belägen kann eine Madentherapie angedacht werden. Die weitere Behandlung entspricht dem Prinzip der feuchten Wundbehandlung. Kalziumalginat- und Hydrofaserverbände wie auch Hydropolymerverbände können zum Austamponieren von Wundhöhlen verwendet oder direkt auf die Wunde angebracht werden. Bei geringer Sekretion erfolgt die Rehydrierung mittels Hydrogelen. Schaumstoffverbände bieten eine gute Absorption von Exsudat und polstern die Wunde. Bei starker Sekretion sollten Superabsorber verwendet werden. Sind Zeichen einer kritischen Kolonisation und/oder einer lokalen Infektion vorhanden (vermehrter Geruch und Sekretion), muss lokal antiseptisch/antibakteriell behandelt werden (Silber- oder Kupferverbände, medizinischer Honig, DDAC-Technik etc). Als Ultima Ratio kann bei sehr therapieresistenten Fällen mit arterieller Durchblutungsstörung eine hyperbare Sauerstofftherapie angedacht werden. Der entscheidende Faktor in der Behandlung des diabetischen Ulkus ist die konsequente Druckentlastung.
Begünstigt durch den Diabetes mellitus kommt es immer wieder zum Auftreten von Dermato- und/oder Onychomykosen, welche Eintrittspforten für Keime darstellen können; daher sind diese entsprechend zu behandeln (lokal oder systemisch). Eine Bullosis diabeticorum erfordert ein steriles Abpunktieren der Blase und einen sterilen, nicht verklebenden Verband. Eine regelmäßige Hautpflege sollte ebenso durchgeführt werden, um eine rissige, trockene Haut und Ekzeme zu verhindern.
Charcot-Arthropathie
In der täglichen Praxis wird bei Überweisungen an den Orthopäden oftmals der „diabetische Fuß“ mit dem „Charcot-Fuß“ verwechselt. Beim Charcot-Fuß handelt es sich um eine aseptische Nekrose von Knochen; außerdem besteht eine gute Durchblutung. Zur Entstehung des Charcot-Fußes gibt es zwei Theorien:
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die neurotraumatische Theorie, in welcher die traumatische Genese als Ausgangspunkt für später auftretende Deformitäten verantwortlich sein soll.
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die neurovaskuläre Theorie mit der Knochenzerstörung aufgrund übermäßiger Durchblutung. Als Folge kommt es zu einem Einbruch des Fußgewölbes und es entstehen Druckulzerationen.
Die Charcot-Arthropathie läuft in drei Stadien nach Eichenholtz ab. Das Stadium I ist durch klassische Entzündungszeichen wie Schwellung und Rötung erkennbar. Im Stadium II kommt es zu Luxationen der kleinen Fußgelenke und zu Frakturen. Durch die Neuropathie verspüren die Patienten keine Schmerzen und nehmen oft die zunehmende Fehlstellung nicht wahr. Druckstellen und Ulzerationen sind die Folge, die Fehldiagnose Osteomyelitis ist ein Risiko. Das Stadium III ist die Regenerationsphase, in welcher es zur Konsolidierung des nun deformierten Knochens kommt und die Fehlstellung fixiert wird. Aus orthopädischer Sicht ist die Erhaltung bzw. Wiederherstellung der Belastbarkeit des Fußes ohne übermäßige Druckstellen das ultimative Ziel. In der Akutphase bedeutet dies unbedingte vollkommene Entlastung. Dies erfolgt entweder mit einem Gips oder in weiterer Folge mit einem Charcot-Walker; immer in Kombination mit Krücken. Nach Erreichenvon Stadium III sollte eine orthopädische Schuhversorgung erfolgen. Die chirurgische Therapie erfolgt, wenn das konservative Management erfolglos war und ein Ulkus bereits entstanden ist oder im Entstehen ist. Die Operation erfolgt im ruhigen Eichenholtz-Stadium III (siehe Abb. 3, 4). Bei isolierten Knochenprominenzen und stabiler Knochensituation ist eine reine Exostosenabtragung, oftmals mit einer perkutanen Achillessehnenverlängerung, um die Spitzfußstellung aufzuheben, indiziert. Bei massiven Fehlstellungen mit Instabilität ist eine komplexe Rekonstruktion notwendig. Hier ist das Ziel, eine Situation herzustellen, bei der eine druckfreie orthopädische Schuhversorgung möglich ist.
Abb. 3: Präoperatives klinisches Bild bei Sprunggelenksluxation und Ulkus über der Fibula
Abb. 4: Röntgenbild nach einer Rekonstruktion mit einer Tibia-talocalcanearen Versteifung
Prophylaxe
Eine wichtige prophylaktische Maßnahme gegen dasdiabetische Fußsyndrom ist die Patientenschulung.
Diese beinhaltet tägliche Inspektion der Füße durch den Patienten selbst bzw. durch eine Pflegeperson, die sorgfältige Fußpflege (Vermeidung von Verletzungen)sowie die Berücksichtigung des fehlenden Schmerz- und Temperaturempfindens (heißes Wasser, Barfußlaufen etc.) im Alltagsleben. Das rechtzeitige Erkennen einer diabetischen Neuropathie oder einer peripheren arteriellen Durchblutungsstörung, idealerweise noch vor Auftreten einer Fußkomplikation, ist essenziell. Erreicht wird dies durch regelmäßige ärztliche Fußkontrollen, mindestens 1x jährlich im Rahmen der Diabetes-Sprechstunde. Die Intervalle der weiteren Fuß-Checks richten sich nach dem Vorhandensein einer Fußfehlstellung, der Vorgeschichte einer Fußkomplikation und dem Vorliegen einer Neuropathie oder PAVK.
Literatur:
1 Armstrong DG et al.: Diabetic foot ulcers: a review. JAMA 2023. 330: 62-75 2 Ziegeler D et al.: Screening, diagnosis and management of diabetic sensomotor polyneuropathy in clinical practice. Diabetes Res Clin Pract 2022; 186: 1-23 3 Hines A et al.: Cutaneous manifestations of diabetes. Med Clin North AM 2021. 105: 681-97 4 S3-AWMF-Leitlinie der DGFM: Lokaltherapie schwerheilender und/oder chronischer Wunden aufgrund von peripherer arterieller Verschlusskrankheit, Diabetes mellitus oder chronischer venöser Insuffizienz. https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/091-001 (letzter Zugriff: 8. April 2024) 5 Schaper NC et al.: Practical guidelines on the prevention and management of diabetes-related foot disease (IWGDF 2023 update). Diabetes Metab Res Rev 2024; 40:e3657 6 Coffey L et al.: Perceptions and experiences of diabetic foot ulceration and foot care in people with diabetes: a qualitative meta-synthesis. Int Wound J 2029. 16: 183-210 7 Pinzur MS.: The modern treatment of Charcot foot arthropathy. J Am Acad Orthopedic Surg 2023; 31: 71-9 8 Rabe C et al.: Fractures and osteoporosis in patients with Charcot foot. Diabetes Care 2021: 44: 2033-8
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