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Zirkulierende Tumor-DNA als Biomarker beim Urothelkarzinom

Entscheidungen zum Management von Patienten mit Urothelkarzinom basieren hauptsächlich auf klinisch-pathologischen Parametern. Genauere prognostische und prädiktive Werkzeuge könnten jedoch die Patientenselektion und das Outcome der Patienten verbessern. So bietet die Liquid Biopsy, insbesondere zirkulierende Tumor-DNA (ctDNA), als minimalinvasives Werkzeug eine vielversprechende Möglichkeit zur präziseren Überwachung und Therapieanpassung beim Urothelkarzinom.

Keypoints

  • ctDNA hat das Potenzial zur Erkennung minimaler Resterkrankung bei Urothelkarzinom.

  • ctDNA hat einen starken prognostischen Wert bei Patienten mit Urothelkarzinom.

  • ctDNA kann als Werkzeug zur Überwachung der Reaktion auf systemische Therapien verwendet werden.

Zellfreie DNA (cfDNA) ist fragmentierte, extrazelluläre DNA, die von sterbenden Zellen freigesetzt wird und in verschiedenen Körperflüssigkeiten, einschließlich Serum und Urin, vorkommen kann. Zirkulierende Tumor-DNA (ctDNA) ist der Anteil der cfDNA, der mutierte DNA enthält, die von sterbenden Tumorzellen freigesetzt wird. In den letzten zehn Jahren hat ctDNA aufgrund ihres Potenzials, die Tumorlast bei verschiedenen malignen Erkrankungen zu bewerten, Aufmerksamkeit erlangt.1 Diese nichtinvasive Methode verspricht, mehrere ungedeckte Bedürfnisse im Management des Urothelkarzinoms zu adressieren, einschließlich Prognose und personalisierter Behandlung.

Erkennung minimaler Resterkrankung

Im Zusammenhang mit dem muskelinvasiven Blasenkrebs wurde über das Potenzial von ctDNA zur Erkennung minimaler Resterkrankung berichtet. Daten aus früheren Studien deuten darauf hin, dass Patienten mit erhöhtem Rückfallrisiko nach radikaler Zystektomie mithilfe von ctDNA identifiziert werden könnten. Zum Beispiel zeigten Lindskrog et al., dass ctDNA nach radikaler Zystektomie mit einer Sensitivität von 94% und einer Spezifität von 98% einen metastatischen Rückfall identifiziert.2 Außerdem demonstrierten Christensen et al., dass das Vorhandensein von ctDNA bei der Diagnose vor neoadjuvanter Chemotherapie (NAC) hoch prognostisch war (HR: 29,1; p=0,001).3 Interessanterweise trat bei keinem der ctDNA-negativen Patienten in dieser Studie ein Krankheitsrückfall auf. In der jüngsten Studie identifizierte die auf Ganzgenomsequenzierung (WGS) basierende ctDNA-Bewertung einen Rückfall nach radikaler Zystektomie mit einer Sensitivität von 91% und einer Spezifität von 92%.4

Eine der am meisten erwarteten Studien auf diesem Gebiet ist IMvigor011, eine doppelblinde, randomisierte Phase-III-Studie, die die Wirksamkeit von Atezolizumab (Anti-PD-L1) gegenüber Placebo bei Patienten mit muskelinvasivem Hochrisiko-Blasenkrebs untersucht, die nach der Zystektomie ctDNA-positiv sind. Die Teilnehmer werden basierend auf ihrem ctDNA-Status als positiv oder negativ klassifiziert. CtDNA-positive Patienten erhalten entweder Atezolizumab oder Placebo, während ctDNA-negative Patienten unter Überwachung stehen. Auf dem EAU-Kongress 2024 präsentierte Prof. Powles vorläufige Daten von Patienten mit persistierendem ctDNA-negativem Status bei serieller ctDNA-Überwachung in der IMvigor011-Kohorte. Insgesamt 286 Patienten waren nach radikaler Zystektomie ctDNA-negativ, wobei bei 115 Patienten die Nachbeobachtung noch im Gange ist, 171 Patienten erfüllten die Kriterien und wurden in die Analyse aufgenommen. Die Rate des 12-monatigen krankheitsfreien Überlebens betrug 92%, die Rate des krankheitsfreien Überlebens nach 18 Monaten88%.Die Rate des Gesamtüberlebens nach 12Monaten betrug 100%, nach 18 Monaten98%.

Diese Daten zeigen, dass Patienten mit muskelinvasivem Hochrisiko-Blasenkrebs, die nach der Zystektomie einen anhaltend negativen ctDNA-Status aufweisen, möglicherweise keine zwingende Indikation für eine adjuvante Behandlung haben könnten. Laufende prospektive Studien wie TOMBOLA, MODERN und IMvigor011 werden voraussichtlich die Rolle von ctDNA als Instrument zur Stratifikation für die klinische Entscheidungsfindung bei Patienten mit muskelinvasivem Blasenkrebs weiter klären. Die ctDNA hat das Potenzial, in Zukunft die Patienten zu identifizieren, denen mit onkologischer Sicherheit ein blasenerhaltendes Vorgehen angeboten werden kann, im Gegensatz zu jenen, die radikal behandelt werden sollten. Darüber hinaus könnte die ctDNA auch diejenigen Patienten erkennen, die von einer intensiveren Therapie, wie einer perioperativen systemischen Therapie, profitieren könnten.

Prognostischer Wert

Unter den ersten großen Studien, die die prognostische Bedeutung von ctDNA im perioperativen Umfeld bei Patienten mit Urothelkarzinom hervorhoben, war die IMvigor010-Studie. Sie zeigte, dass das Vorhandensein von ctDNA mit einem Nutzen einer adjuvanten Therapie mit Atezolizumab verbunden war, während Patienten mit nicht nachweisbarer ctDNA keinen Nutzen von der adjuvanten Therapie hatten. Waren Patienten ctDNA-positiv, so hatten sie einen Überlebensvorteil mit Atezolizumab im Vergleich zur Beobachtung (HR: 0,59; 95% CI: 0,42–0,83).5

Eine aktuelle Metaanalyse zeigte einen starken Zusammenhang zwischen hohen Ausgangswerten von ctDNA und den Überlebensraten bei Urothelkarzinompatienten, die mit systemischer Therapie behandelt wurden.6 Darüber hinaus wiesen Patienten mit abnehmenden ctDNA-Werten als Reaktion auf eine Immuntherapie höhere Überlebensraten auf im Vergleich zu Patienten, die keinen Rückgang der ctDNA zeigten. Unabhängig von den verwendeten Therapiemitteln und Therapieansätzen konnten stets ähnliche Ergebnisse beobachtet werden. Diese Erkenntnisse unterstützen ctDNA als effektives Werkzeug zur Überwachung der Krankheitsprognose bei Urothelkarzinompatienten.

Auf dem ASCO 2024 präsentierte Prof. Powles eine retrospektive Analyse von ctDNA-Daten vor und während der Behandlung mit Pembrolizumab-Monotherapie im Vergleich zu Chemotherapie bei Patienten mit fortgeschrittenem Urothelkarzinom aus der Phase-III-Studie KEYNOTE-361.7 ctDNA-Proben von 263 Patienten wurden analysiert. Bei der Analyse des Gesamtüberlebens abhängig vom ctDNA-Ausgangswert zeigte sich, dass Patienten mit niedrigen ctDNA-Ausgangswerten, die mit Pembrolizumab behandelt wurden, höhere Gesamtüberlebensraten aufwiesen als diejenigen, die nur Chemotherapie erhielten. Im Gegensatz dazu gab es bei Patienten mit hohen ctDNA-Ausgangswerten keine Unterschiede in den Gesamtüberlebensraten zwischen den beiden Gruppen.

Die verfügbare Evidenz unterstützt somit stark den prognostischen Wert von ctDNA bei Urothelkarzinompatienten, die mit systemischer Therapie behandelt werden, und hebt die Machbarkeit der Verwendung von ctDNA zur Unterstützung personalisierter Behandlungsentscheidungen hervor.

Behandlungsansprechen

Über das Potenzial von ctDNA zur Identifizierung minimaler Resterkrankung und zur Prognose von Patientenergebnissen hinaus kann sie auch zur Messung des Behandlungsansprechens verwendet werden. Zum Beispiel untersuchte die Studie von Christens et al. die Verwendung der Plasma- und Urin-DNA-Mutationsanalyse zur Vorhersage des Ansprechens auf eine neoadjuvante Chemotherapie (NAC) und des onkologischen Ergebnisses bei Patienten mit muskelinvasivem Blasenkrebs.8 Der Nachweis von ctDNA im Plasma, Urin-Supernatant und Urin-Pellet nach NAC war mit niedrigeren Ansprechraten verbunden (alle p<0,05). Die Dynamik der Tumor-DNA im Urin-Supernatant und Plasma während der NAC war prädiktiv für das NAC-Ansprechen und den weiteren Verlauf der Erkrankung.

ctDNA zeigt somit das Potenzial für die serielle Krankheitsüberwachung, mit der frühzeitig zwischen Patienten mit Ansprechen, stabiler Krankheit und Progression unterschieden werden kann. Dies ermöglicht die frühzeitige Einleitung eines Therapiewechsels bei den Patienten, die davon profitieren könnten.

Überlegungen

Trotz dieser vielversprechenden Erkenntnisse besteht Bedarf an standardisierten Protokollen für die Handhabung von Plasma, präanalytischen Variablen und Unterschieden zwischen ctDNA-Tests, um die ctDNA-Analyse in die klinische Praxis einführen zu können.

Die Notwendigkeit, ausreichendes Tumorgewebe aus transurethraler Blasenresektion (TURBT) für die Entwicklung von ctDNA-Tests zur Verfügung zu haben, ist eine wesentliche Einschränkung tumorinformierter Tests zur Messung von ctDNA. Darüber hinaus wird die Wahrscheinlichkeit, ctDNA in Situationen mit geringer Tumorlast zu erkennen, durch die Anzahl der analysierten Mutationen und das verfügbare Plasmavolumen begrenzt. Die WGS-basierte ctDNA-Detektion stellt eine vielversprechende Option für die klinische Anwendung dar, da nur ein geringes Plasmavolumen benötigt wird und die Durchführung der WGS einfach ist. Darüber hinaus ermöglicht die WGS-Strategie zur ctDNA-Detektion die direkte genomische Charakterisierung von Plasma-cfDNA unabhängig von der initialen Tumorbiopsie.4 Solche Ansätze könnten eine breitere Anwendbarkeit der ctDNA-Analyse im perioperativen Umfeld zur Erkennung minimaler Resterkrankung ermöglichen.

Fazit

Zusammengefasst unterstützt die verfügbare Literatur stark den prognostischen Wert nichtinvasiver Liquid Biopsies, wobei ctDNA als vielversprechendes Werkzeug zur Steuerung der systemischen Therapie in allen Krankheitsphasen des Urothelkarzinoms hervorgeht. ctDNA ist ein leistungsstarker Biomarker und bietet viele Möglichkeiten, die Betreuung von Patienten mit Blasenkrebs zu verbessern, einschließlich der Risikobewertung vor der Behandlung, der frühen Diagnose minimaler Resterkrankung nach radikaler Zystektomie und der Überwachung der Ergebnisse während der systemischen Therapie.

1 Pessoa LS et al.: ctDNA as a cancer biomarker: A broad overview. Crit Rev Oncol Hematol 2020; 155: 103109 2 Lindskrog SV et al.: Circulating tumor DNA analysis in advanced urothelial carcinoma: insights from biological analysis and extended clinical follow-up. Clin Cancer Res 2023; 29(23): 4797-807 3 Christensen E et al.: Early detection of metastatic relapse and monitoring of therapeutic efficacy by ultra-deep sequencing of plasma cell-free DNA in patients with urothelial bladder carcinoma. J Clin Oncol 2019; 37(18): 1547-57 4 Nordentoft Iet al.: Whole-genome mutational analysis for tumor-informed detection of circulating tumor DNA in patients with urothelial carcinoma. Eur Urol 2024 5 Powles T et al.: Updated overall survival by circulating tumor DNA status from the phase 3 IMvigor010 trial: Adjuvant atezolizumab versus observation in muscle-invasive urothelial carcinoma. Eur Urol 2024; 85(2): 114-22 6 Laukhtina E et al.: Circulating tumour dnais a strong predictor of outcomes in patients treated with systemic therapy for urothelial carcinoma. Eur Urol Focus 2022 7 Powles T et al.: Quantitative circulating tumor DNA (ctDNA) assessment in patients (pts) with advanced urothelial carcinoma (UC) treated with pembrolizumab (pembro) or platinum-based chemotherapy (chemo) from the phase 3 KEYNOTE-361 trial. J Clin Oncol 2024; 42: 4518 8 Christensen E et al.: Cell-free urine and plasma dnamutational analysis predicts neoadjuvant chemotherapy response and outcome in patients with muscle-invasive bladder cancer. Clin Cancer Res 2023; 29(8): 1582-91

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