
Best of ICS 2022 und ESGURS 2022
Autoren:
Dr. Ghazal Ameli
Urologieabteilung
Landesklinikum Korneuburg - Stockerau
E-Mail: ghazal.ameli@korneuburg.lknoe.at
Univ. Prof. Dr. Wilhelm Alexander Hübner
Ehem. Leiter des LK Korneuburg
Facharzt für Urologie
Korneuburg
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Die 52. Jahrestagung der International Continence Society (ICS) fand von 7. bis 10. September 2022 in Wien statt und war sowohl vor Ort als auch virtuell zu besuchen. Der Kongress der EAU Section of Genito-Urinary Reconstructive Surgeons (ESGURS) fand das erste Mal seit der Pandemie mit vielen spannenden Liveoperationen in Madrid statt. Hier das Wichtigste von beiden Kongressen.
Keypoints
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Die Jahrestagung der ICS 2022 und der Kongress der ESGURS 2022 zeigten insgesamt das breite Spektrum der funktionellen und rekonstruktiven Urologie mit Schwerpunkt Inkontinenz und Urogenitalrekonstruktion beim Mann.
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Einige neue Therapieansätze wurden in präklinischen und Phase-II-Studien präsentiert, die Hoffnung auf zukünftige klinische Anwendungen machen.
Grundlagenforschung und Overactive Bladder
Der Einsatz von autologen Materialien hat sich in der plastischen Rekonstruktion von Urethrastrikturen etabliert, mit sehr guten Ergebnissen.1 Probleme sind jedoch die begrenzte Verfügbarkeit sowie die Morbidität und die möglichen Komplikationen an der Entnahmestelle.
Im Rahmen des diesjährigen ICS stellte eine holländische Arbeitsgruppe mehrere Arbeiten zum Thema „tissue engineering“ zur Harnröhren-Rekonstruktion vor. Unter anderem beschäftigen sich die Autoren mit der Möglichkeit der Prävention und Gewebsreproduktion, indem sie Strukturen der extrazellulären Matrix isoliert und mit gesundem Gewebe verglichen. Diese Proteine könnten in Zukunft zur gezielten Therapie bzw. zur Gewebsreproduktion verwendet werden.2
Ikeda et al. präsentierten einen neuen Ansatz bei der Therapie der radiogenen Zystitis. Mit einmaliger Instillation des intravesikal radioprotektiven Wirkstoffs XJB-5-13 ist im Tiermodell eine deutliche Reduktion der Symptome ohne Beeinträchtigung der Effektivität der Radiotherapie erreicht worden.3
Klinisch relevant könnte die neue Gentherapie mit URO-902, pVAX/hSlo, bei Frauen mit überaktiver Blase und Drangsymptomatik sein, denn in der Phase-IIa-Studie von Peters K et al. konnte eine klinisch relevante Verbesserung bei Miktionsfrequenz, Drangsymptomatik und Dranginkontinenz im Vergleich zur Placebo erreicht werden.4
Zur transkutanen Tibialisstimulation (TENS) gibt es in der Literatur kontroverse Ergebnisse und unzureichende Evidenz. Die drei im Rahmen der ICS vorgestellten Studien stimmten trotz unterschiedlichen Studiendesigns im Ergebnis überein und fanden keine signifikante Verbesserung der Symptome im Vergleich zu Verhaltenstraining und Beckenbodenübungen.5,6 Außerdem war TENS in der randomisierten, placebokontrollierten Einfachblindstudie von Brücher et al. dem Placebo weder bezüglich der klinischen Symptomen noch bei der Patientenzufriedenheitsrate überlegen.7
Therapie der Harninkontinenz
Bei der chirurgischen Therapie der männlichen Inkontinenz wurden zwar im Rahmen der beiden Kongresse keine neuen Therapiestrategien vorgestellt, jedoch gab es interessante Subgruppenanalysen und Updates.
Ziel der EAU-Registerstudie SATURN („Surgery for mAle incontinence with arTificial Urinary sphincter and slings“) ist es, die Effektivität der aktuellen chirurgischen Konzepte bei der Therapie der männlichen Inkontinenz zu evaluieren. Es wurden die prospektiven Daten von insgesamt 500 Patienten nach einem Follow-up (FU) von einem Jahr präsentiert. Postoperative Komplikationen (<12 Wochen) waren in der Gruppe mit AMS800® am häufigsten, jedoch wurden hier einerseits nur Komplikationen, die einer chirurgische Revision bedurften, erhoben, andererseits kann die hohe Anzahl an AMS800®-Operationen (n=332) in dieser Kohorte ein Bias darstellen. Somit könnten Komplikationen bei anderen Inkontinenzsysteme unterpräsentiert sein.8 Da es sich bei SATURN nicht um eine Registerstudie handelt, sollten die Resultate mit Bedacht interpretiert werden, außerdem lassen sich aufgrund der Heterogenität der Daten keine statistische Analyse sowie kein direkter Vergleich zwischen den Implantaten und klinischen Outcomes durchführen. Trotz dieser Limitationen werden in den nächsten Jahren vollständige Daten zur Effektivität, Sicherheit und Lebensqualität vorliegen, die in der Therapieentscheidung hilfreich sein könnten (Tab. 1).8,9
Tab. 1: Prozentsatz an Komplikationen in der SATURN-Registerstudie, bei denen eine chirurgische Revision erforderlich war
In der von Riaza et al. präsentierten multizentrischen Studie erwies sich in der Subgruppenanalyse der Body-Mass-Index (BMI) als alleiniger Risikofaktor für das Versagen von Advance- und AdvanceXP- Schlingen im Langzeitverlauf. Dieses Ergebnis war zwar statistisch signifikant, deckt sich jedoch nicht mit den Resultaten in der Literatur.10
Bei den adjustierbaren „male slings“ gab es einige Abstracts zum ATOMS, hier stimmten die funktionellen Ergebnisse der vorgestellten Studien mit den Resultaten aus der bisherigen Literatur überein und konnten die Wirksamkeit dieser Schlinge zeigen.11–13
Die Langzeitergebnisse einer der größten Datenbanken zur suburethralen ARGUS-Schlinge, mit einem mittleren Follow-up von 95 Monaten, sind bereits im Rahmen der ICS-Tagung 2021 präsentiert worden,14 dieses Jahr gab es zwei Subgruppenanalysen derselben Arbeitsgruppe. Einerseits konnte eine hohe RLPP („retrograde leak point pressure“) als unabhängiger Risikofaktor für eine Harnröhrenarrosion definiert werden, andererseits zeigten sich die funktionellen Ergebnisse der Patienten mit Voroperationen und/oder Radiotherapie vergleichbar mit denen der Indexpatienten (77% vs. 79%).15 Dieses Ergebnis ist deutlich besser als bei anderen vergleichbaren Studien16 und zeigt, dass mit der adjustierbare suburethrale ARGUS-Schlinge bei richtiger Indikation und in geübter Hand auch bei Risikopatienten sehr gute Ergebnisse erzielt werden können.
Eine Zwischenanalyse der prospektiven Studie adjustierbaren artifiziellen Sphinkter Victo zeigte nach insgesamt 30 Patienten eine Kontinenzrate von 100% bei den Indexpatienten. In dieser Kohorte waren aber vorwiegend Hochrisikopatienten eingeschlossen (83% hatten vorangegangene Inkontinenzoperationen und/oder adjuvante Radiotherapie), hier war die Kontinenzrate mit 62% zwar niedriger, jedoch lag die Erfolgsrate gemäß PGI-I („patient global impression of improvement“) bei 83%. Aufgrund der kleinen Studienpopulation lassen sich derzeit keine suffizienten Vergleiche mit der Literatur durchzuführen, hier bleibt das Endergebnis nach Ablauf von geplanten 5 Studienjahren abzuwarten.17
Abseits von den klinischen Studien präsentierte Hoedl M. eine Querschnittsstudie zum Thema Inkontinenz bei Männern über 65 Jahre. Hierzu wurden Daten aus „Nursing Care Quality“, einer österreichweiten Datenbank von Krankenhäusern und Geriatriezentren, evaluiert. Diese Datenerhebung zeigte, dass bei über 25% der Männer ≥65 Jahre eine unbehandelte Inkontinenzform (Harn, Stuhl oder beides) vorliegt. Hoedl wies auch auf den Mangel an Daten in der internationalen Literatur zu diesem Thema hin.18
Peyronie-Krankheit und die chirurgische Therapie
Es gibt eine Vielzahl unterschiedlicherchirurgischer Techniken zur Behandlung der Induratio penis plastica (IPP). Auf der ESGURS 2022 sind bekannte Techniken von Experten im Rahmen von Live- und Semilive-Operationen präsentiert worden. Wie in den meisten Expertenrunden zu diesem Thema waren Grafting-Technik und die Frage, welche Materialen zur Rekonstruktion der IPP benützt werden sollten, im Fokus der Vortragenden. Das Panel war sich über die Vor- und Nachteile der verschiedenen Grafts einig, da es sich hierbei meistens aber nur um „Expertenmeinungen“ und keine evidenzbasierte Therapie handelt, empfahl das Panel, die rekonstruktive Therapie in Expertenzentren mit mehr Erfahrung zu verlagern. Zusammengefasst zeigt jedoch der Einsatz von allen autologen Grafts ähnliche Ergebnisse, die auch mit denen der Allografts vergleichbar sind.
Neben Begradigung und Erhalt der Penislänge ist der Erhalt der erektilen Funktion bei der Therapie der IPP von großer Bedeutung. Das Konzept der multiplen transversalen Inzisionen der Tunica albuginea mit oder ohne Grafting beruht auf der Limitation der Schädigung der subtunikalen Venen und Muskeln und der daraus resultierenden Prävention der erektilen Funktion. In der prospektiven multizentrischen Serie von Hegarty et al. konnte mit dieser Technik eine signifikante Verbesserung der Kurvatur mit Erhalt der erektilen Funktion und hoher Patientenzufriedenheit erreicht werden (Tab. 2).19
Harnröhrenstrikturen und rekonstruktive Techniken
Zum Optilume, einem mit Paclitaxel überzogenen Dilatationskatheter, sind sowohl die Resultate der ROBUST-I-Studie mit einem Follow-up von 4 Jahren als auch die 2-Jahres-Ergebnisse der ROBUST III (Optilume vs. „standard of care“, SOC) präsentiert worden.20 Auch wenn das Studiendesign gut gewählt und die Ergebnisse sowohl in Bezug auf IPSS (International Prostate Symptom Score) als auch interventionsfreies Überleben statistisch signifikant waren, müssen die Ergebnisse im Langzeit-Follow-up im Vergleich zum SOC (endoskopische Intervention oder Dilatation) abgewartet werden (Abb. 1).21, 22
Die „Autologe nanofat grafting“ wurde als innovative Technik zur Behandlung von kurzstreckigen nicht obstruktiven Harnröhrenstrikturen sowohl im Rahmen der anterioren Urethraplastik als auch bei Lichen sclerosus vorgestellt. Die Arbeiten von Berdondini et al. umfassten beide eine kleine Patientenkohorte mit kurzem Follow-up, zeigten aber akzeptable Ergebnisse.23, 24 Eine prospektive Studie derselben Arbeitsgruppe rekrutiert derzeit noch Patienten und soll die Wirksamkeit in einer größeren Kohorte mit längerem Follow-up demonstrieren.
Die wichtigsten Arbeiten bei der nicht operativen Behandlung von Strikturen waren der systematische Übersichtsarbeit und Metaanalyse von Verla et al. Hier zeigte der Einsatz von topischen Kortikosteroiden bei der Harnröhrendilation zur Stabilisierung von Strikturen einen signifikanten Vorteil gegenüber alleiniger Dilatation (Level-1a-Evidenz).25, 26 Trotz hoher Evidenz sollte aber die Gefahr einer Harnröhrenverletzung bei der Selbstdilatation nicht unterschätzt werden.
Bei der chirurgischen Harnröhrenrekonstruktion war sich das Panel einig, dass die Erfolgsrate operateurabhängig ist und mit den meisten Techniken in geübten Händen gute Ergebnisse erzielt werden können. Diese Aussage wurde auch durch die präsentierten Arbeiten (vorwiegend Einzelfallberichte oder kleine Kohorten) unterstützt.
Quereda-Flores F. präsentierte einen Vergleich zwischen ventraler „Non-transecting“- und „Transecting“-Technik bei kurzstreckigen bulbären Strikturen und konnte keinen signifikanten Unterschied bezüglich der gemessenen Parameter in den Kohorten finden.27
Der Einsatz von Präputialhaut als vaskularisierter, tubularisierter Flap wurde in zwei Fallberichten demonstriert.28, 29Die Harnröhrenrekonstruktion mit tubularisierter Präputialhaut ist ein komplexes Prozedere und zeigte in der Vergangenheit Komplikationen wie Nekrosen, DivertikelbiIdung etc. Ihr Stellenwert bleibt jedoch bei langstreckigen Strikturen, wenn z.B. keine orale Mukosa verfügbar ist, erhalten. Die Indikation sollte jedoch streng gestellt und der Patient umfassend informiert werden. Diese Technik ist Zentren mit entsprechender Erfahrung vorbehalten.
Penile Rekonstruktion nach organerhaltender Chirurgie
Die Genitalrekonstruktion nach organerhaltender Penis-Chirurgie ist bei richtiger Indikation onkologisch sicher und kann die sexuelle Funktion verbessern. Hierzu sind gleich 2 Arbeiten mit einem EAU-Preis belegt worden.
Murànyi et al. präsentierten einen Vergleich zwischen Patienten mit „Split-thickness skin graft“(STSG)-Rekonstruktion nach Glansektomie bzw. partieller Penektomie und Patienten ohne Glansrekonstruktion. Die Operationszeit und die Zeit des Krankenhausaufenthalts waren aufgrund der Komplexität des Eingriffs gegenüber dem Prozedere ohne Rekonstruktion bei Patienten mit STSG zwar länger, jedoch war sowohl die Zufriedenheitsrate als auch die sexuelle Funktion in dieser Gruppe im Vergleich zu den Patienten ohne Rekonstruktion besser.30
Ein Video zur Rekonstruktion von erworbenem „buried penis“ bei einem komplexen Fall nach organerhaltenden Eingriffen aufgrund eines Peniskarzinoms zeigt die Prinzipien der Rekonstruktion mit STGS, präpubischer Lipektomie, Durchtrennung der Ligg. suspensorium gefolgt von der Implantation einer Hodenprothese im präpubischen Raum zum Schutz vor einer Adhäsion der Ligamenta.31
Das primäre Ziel beider Arbeiten war der Erhalt der sexuellen Funktion des des Organs. Die Autoren konnten zeigen, dass das kosmetische Ergebnis nach Eingriffen am äußeren Genitale einen großen Einfluss auf die sexuelle Funktion und das psychische Wohlergehen der Patienten haben kann.
Literatur:
1 Mangera A et al.: Eur Urol 2011; 59(5): 797-814 2 De Graaf P at al.: ICS 2022; Abstr. #5 3 Ikeda Y et al.: ICS 2022; Abstr. #513 4 Peters K et al.: ICS 2022; Abstr. #6 5 Barbosa M et al.: ICS 2022; Abstr. #293; 6 Del Amo E et al.: ICS 2022; Abstr. #65 7 Brücher B, Queissert F: ICS 2022; Abstr. #291 8 Van Der Aa F et al.: Eur Urol Suppl 2019; 18(1): e1063 9 Martens F et al.: ICS 2022 Abstr. #1 10 Riaza M et al.: ICS 2022 Abstr. #61 11 Padilla-Fernández B et al.: ICS 2022 Abstr. #172 12 Jasarevic S et al.: ICS 2022 Abstr. #173 13 Canagasingham A. et al.: ICS 2022 Abstr. #253 14 Ameli G et al.: Eur Urol 2022; 81: S867 15 Ameli G et al.: ICS 2022 Abstr. #254 16 Aagaard MF et al.: Scand J Urol 2018; 52(5-6): 448-52 17 Ameli G et al.: ICS 2022 Abstr. #256 18 Hoedl M: ICS 2022 Abstr. #58 19 Hegarty PK et al.: BJUI Compass 2022; 3(3): 22025 20 Elliott SP et al.: J Urol 2022; 207(4): 866-875 21 DeLong J et al.: ESGURS 2022; Poster #20 22 DeLong J et al.: ESGURS 2022 Poster #21 23 ESGURS 2022 Video #5 24 ESGURS 2022 Video#11 25 Verla W. et al.: ESGURS 2022 Poster #23 26 Lumen N et al.: EAU Guidelines on Urethral Strictures 2022 27 Quereda-Flores F et al.: ESGURS 2022 Poster #24 28 Miranda M et al.: ESGURS 2022 Video#8 (*Best Video Award ESGURS 2022) 29 Ameli G et al.: ESGURS 2022 Poster #15 30 Murányi M et al.: ESGURS 2022 Poster#17 (*Best Poster Prize ESGURS 2022) 31 Ameli G et al.: ESGURS 2022 Video#6 (*Best Video Award ESGURS 2022)
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