
„A fool with a tool is still a fool“ – Bedeutung der chirurgischen Ausbildung neben zunehmender Technisierung im OP
Autoren:
PD Dr. med. Sophie Knipper, FEBU1
Dr. Marco Paciotti2
Prof. Dr. Anthony Gallagher2
Prof. Dr. Alex Mottrie2
1Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
2ORSI Academy, Melle, Belgien
E-Mail: a.knipper@uke.de
Vielen Dank für Ihr Interesse!
Einige Inhalte sind aufgrund rechtlicher Bestimmungen nur für registrierte Nutzer bzw. medizinisches Fachpersonal zugänglich.
Sie sind bereits registriert?
Loggen Sie sich mit Ihrem Universimed-Benutzerkonto ein:
Sie sind noch nicht registriert?
Registrieren Sie sich jetzt kostenlos auf universimed.com und erhalten Sie Zugang zu allen Artikeln, bewerten Sie Inhalte und speichern Sie interessante Beiträge in Ihrem persönlichen Bereich
zum späteren Lesen. Ihre Registrierung ist für alle Unversimed-Portale gültig. (inkl. allgemeineplus.at & med-Diplom.at)
Die klassische chirurgische Ausbildung ist nicht mehr zeitgemäß. In diesem Artikel wollen wir darlegen, welchen Wandel die Ausbildung im nächsten Jahrzehnt durchmachen muss, damit wir unseren Patient*innen eine zufriedenstellende Behandlung anbieten können.
Keypoints
-
Operative Ergebnisse sowie chirurgische Ausbildung müssen messbar, standardisiert und reproduzierbar sein.
-
Chirurgische Ausbildung sollte zunächst im Trainingszentrum abseits der Patient*innen stattfinden.
-
Fertigkeitsbasierte Progression („proficiency-based progression“) ist ein funktionierendes und validiertes Trainingsprogramm, das die chirurgische Aus- und Weiterbildung verbessert.
Die Revolution der minimalinvasiven Chirurgie in den letzten 20 Jahren zwingt zu kritischen Überlegungen über die chirurgische Ausbildung zukünftiger Generationen von Chirurg*innen.1 Hierbei spielen verschiedene Aspekte eine Rolle: Die gesetzlichen Kürzungen der Arbeitszeiten führen zu einer Verkürzung der Ausbildungszeiten in der Chirurgie. Eine Welle von Innovationen sowie die rasche Verbreitung und Einführung fortschrittlicher Technologien auf Basis von Soft- und Hardware (z.B. „Image-Guidance“, robotische Chirurgie, endovaskuläre Verfahren) zur Unterstützung und Durchführung diagnostischer und interventioneller Verfahren verändern die chirurgische Landschaft erheblich und anhaltend. Zunehmende Bedenken und größereErwartungen von Patient*innenseite sowie wissenschaftliche Daten hinsichtlich der Patient*innensicherheit haben dazu geführt, dass die operative Morbidität und Mortalität stärker mit den operativen Fähigkeiten der Chirurg*innen in Zusammenhang gebracht werden.2 All diese Entwicklungen führen dazu, dass der traditionelle Halsted’sche Ansatz aus dem 19. Jahrhundert (zeitbasiertes Weiterbildungsprogramm, „see one, do one, teach one“) für die heutige chirurgische Ausbildung erheblich infrage gestellt werden muss. Denn im kommenden Jahrzehnt wird sich die Chirurgie dramatischer verändern und erneuern als im letzten Jahrhundert, mit dem Ziel, eine bessere Chirurgie mit weniger Kollateralschäden anbieten zu können.
Innovative Aus- und Fortbildung vs. technische Innovation
Die fundamentale Herausforderung liegt also in der chirurgischen Aus- und Weiterbildung, insbesondere in einer Zeit, in der hochfrequent neue Technologien eingeführt werden. Denn nur weil eine technische Innovation auf den Markt gebracht worden ist, ist dies noch lange kein Garant für eine innovative Behandlung der Patient*innen. Die wichtigste Variable ist und bleiben die Operateur*innen selbst, nach dem Motto: „A fool with a tool is still a fool!“
Wie sollte nun aber eine ideale operative Ausbildung aussehen? Eindeutig ist der menschliche Körper nicht das ideale Trainingsmodul, insbesondere wenn es um die Implementierung von technischen Neuerungen im OP-Saal geht.
In der Ausbildung können verschiedene Stadien benannt werden, beginnend mit den Anfänger*innen überdie fortgeschrittenen Anfänger*innen, die kompetenten Chirurg*innen, die erfahrenen Chirurg*innen bis zu den Expert*innen.3 Wie erlangt man also möglichst schnell ausreichende Fertigkeiten („proficiency“), um mit guten Ergebnissen Patient*innen sicher operieren zu können?
Metrikbasierter Trainingsansatz – PBP-Training
Hier scheint es zunehmend einen Konsens zu geben, dass anstelle einer qualitativ bewerteten (Mindest-)Kompetenz ein validierter und metrikbasierter Trainingsansatz der fertigkeitsbasierten Progression („proficiency-based progression“, PBP) notwendig ist.4 Das PBP-Training ist ein wissenschaftlicher Ansatz zum Erlernen der chirurgischen Fähigkeiten, der objektiv, transparent und fair für sowohl die Auszubildenden als auch die Ausbilder*innen gestaltet ist. Sogenannte Leistungsmetriken („performance metrics“) bilden die Eckpfeiler des PBP-Trainings. Diese werden von erfahrenen Chirurg*innen, die die Operation wirklich gut beherrschen, im Rahmen einer detaillierten Verfahrenscharakterisierung (Beschreibung der Operationsschritte sowie der zu beobachtenden operativen Performance mit möglichen Fehlern) erarbeitet.4,5 Anschließend werden sie zunächst in einer Delphi-Konsenssitzung und dann mittels Konstruktvalidität überprüft. Letzteres setzt voraus, dass 1. die Metriken von unabhängigen Beurteilenden zuverlässig bewertet werden können (d.h. mit einer Inter-Rater-Reliabilität [IRR] >0,8) und 2. die Metriken zuverlässig zwischen der objektiv bewerteten Performance von erfahrenen und weniger erfahrenen Chirurg*innen unterscheiden können.6
Trainingsinhalte & Vorteile
Das PBP-Training beinhaltet als Modultraining außerhalb des OP-Saals sowohl einen theoretischen Teil (z.B. mit eigenständigem E-Learning, anschließenden Vorlesungen und OP-Beobachtungen) als auch einen praktischen Simulationsteil (mit virtueller Simulation, Operationssimulation an Modellen). Hierbei wird sofortiges, eindeutiges Feedback (Leistung erreicht/nicht erreicht) gegeben, denn erst nach erfolgreicher Absolvierung einer Übung kann das Trainingsprogramm fortschreiten. Damit kann der Lernprozess beschleunigt werden, anstatt einfach wiederholtes, unkontrolliertes Üben zu verlangen. Somit ist diese Methode objektiv und transparent für den Auszubildenden und die Ausbilder*innen – in Echtzeit.
Die Belege für Vorteile des PBP-Ansatz in der chirurgischen Ausbildung sind überzeugend: Im Vergleich zum Nicht-PBP-Training zeigte sich eine Reduktion von Ausführungsfehlern um 60% und der Durchführungszeit um 15% im Training.7
Inwieweit sich das verbesserte Training von chirurgischen Fähigkeiten auch auf die intra- und postoperativen Ergebnisse bei Patient*innen auswirkt, ist Bestandteil aktueller Untersuchungen. Für die laparoskopische bariatrische und kolorektale Chirurgie gibt es bereits deutliche Hinweise, dass die Fähigkeiten der Operateur*innen mit den klinischen Ergebnissen zusammenhängen.2,8
„Surgery is no longer an art, it has become a science!“
Zusammenfassend ist unserer Meinung nach chirurgisches Lernen aus alleiniger Erfahrung am OP-Tisch nicht mehr zeitgemäß. Chirurg*innen sollten ihre operativen Fähigkeiten im Trainingszentrum mit messbaren, standardisierten und reproduzierbaren Ausbildungsprogrammen, wie z.B. dem PBP-Training, nachweisen, bevor selbstständiges Operieren möglich ist. Wichtig ist hierbei sicherlich, dass diese Programme von wissenschaftlichen Organisationen bzw. Fachgesellschaften zertifiziert werden und nicht von den Herstellern der Geräte der neuen Technologien.
Das Ziel muss eine sicherere Chirurgie für unsere Patient*innen sein, um Komplikationsraten zu reduzieren und das Gesundheitswesen auch finanziell zu entlasten.
Literatur:
1 Pellegrini CA: Surgical education in the United States: navigating the white waters. Ann Surg 2006; 244(3): 335-42 2 Birkmeyer JD et al.: Surgical skill and complication rates after bariatric surgery. N Engl J Med 2013; 369(15): 1434-42 3 Gallagher AG: Metric-based simulation training to proficiency in medical education: What it is and how to do it. Ulster Med J 2012; 81(3): 107-13 4 Gallagher AG et al.: Virtual reality simulation for the operating room: Proficiency-based training as a paradigm shift in surgical skills training. Annals of Surgery 2005; 241(2): 364-72 5 Gallagher AG, O’Sullivan GC: Fundamentals of surgical simulation: Principles and practice. Springer Science & Business Media 2011: 384 6 Gallagher AG et al.: Proficiency-based progression training: A scientific approach to learning surgical skills. Eur Urol 2022; 81(4): 394-5 7 Mazzone E et al.: A systematic review and meta-analysis on the impact of proficiency-based progression simulation training on performance outcomes. Annals of Surgery 2021; 274(2): 281-9 8 Curtis NJ et al.: Association of surgical skill assessment with clinical outcomes in cancer surgery. JAMA Surgery 2020; 155(7): 590-8
Das könnte Sie auch interessieren:
Aktuelle Entwicklungen und Erkenntnisse beim Urothelkarzinom
Auf dem diesjährigen Genitourinary Cancers Symposium der American Society of Clinical Oncology (ASCO-GU-Kongress) wurden bedeutende Fortschritte in der Diagnose und Behandlung des ...
Aktuelles aus der 7. Version der S3-Leitlinie: wesentliche Leitlinienänderungen
Im Mai 2024 wurde die Prostatakarzinom-S3-Leitlinie unter der Federführung der Deutschen Gesellschaft für Urologie e.V. (DGU) im Rahmen des Leitlinienprogramms Onkologie in ihrer 7. ...
Neues vom ASCO GU zum Prostatakarzinom
Im Rahmen des ASCO GU 2025 in San Francisco wurden eine Vielfalt von neuen praxisrelevanten Studien zum Prostatakarzinom präsentiert. Mit Spannung wurde unter andem auch auf die finalen ...