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Sex matters

Geschlechterunterschiede bei rheumatischen Erkrankungen rücken zunehmend in den Fokus der Aufmerksamkeit und der Forschung. Woher sie kommen, wie sie sich äußern und welche Auswirkungen sie auf die Behandlung haben, war Thema einer Session bei der Jahrestagung der ÖGR.

Genetik und Autoimmunität

„Generell wird beobachtet, dass Frauen hinsichtlich Infektabwehr, Immunantwort und Impfansprechen besser abschneiden als Männer“, berichtete Mag. Dr. Leonhard Heinz, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Universitätsklinik für Innere Medizin III, Wien. Die Kehrseite dieser Medaille ist das erhöhte Risiko für autoimmune Reaktionen: „70–80 Prozent aller Autoimmunpatienten sind weiblich.“ Man weiß heute, dass bei Männern das angeborene Immunsystem aktiver ist, bei Frauen hingegen das adaptive Immunsystem. Die Forschung fand bereits zahlreiche funktionelle Unterschiede im Immunsystem von Frauen und Männern, etwa bei der Anzahl und Aktivierung von einzelnen Zelltypen des Immunsystems.1

<< Frauen weisen bei rheumatischen Erkrankungen höhere Werte von PROs auf als Männer.>>
H. Lechner-Radner, Wien

Die Geschlechterunterschiede bei Immunreaktionen sind höchstwahrscheinlich sowohl genetisch als auch hormonell bedingt. Die Geschlechtschromosomen scheinen eine wichtige Rolle zu spielen. Das X-Chromosom, das bei Frauen doppelt vorhanden ist, ist nämlich „reich an Genen, die für das Immunsystem relevant sind“, so Heinz. Man hat zum Beispiel auch festgestellt, dass Männer mit zwei X-Chromosomen (Klinefelter-Syndrom) ein ähnlich hohes Risiko für Sjögren-Syndrom und Lupus erythematodes haben wie Frauen. Heinz selbst befasst sich in seiner Forschung derzeit insbesondere mit genetischen Vorgängen bei der Entstehung von Autoimmunerkrankungen wie Lupus erythematodes.2

Schmerzwahrnehmung beeinflusst Outcome-Scores

Nicht nur bei der Entstehung, sondern auch bei der Krankheitsaktivität und Symptomatik von Autoimmunerkrankungen gibt es geschlechtsspezifische Unterschiede, etwa beim Schmerz. „Wir wissen aus vielen Studien zu unterschiedlichsten rheumatischen Erkrankungen – RA, PsA, aber auch SpA und Fibromyalgie –, dass die Schmerzwahrnehmung bei Männern und Frauen unterschiedlich ist“, berichtete Prim. Dr. Judith Sautner, Leiterin der 2. Medizinischen Abteilung im LK Korneuburg-Stockerau mit Schwerpunkt Rheumatologie.3, 4

Insgesamt fühlen sich Frauen durch rheumatische und muskuloskelettale Erkrankungen inklusive Gicht stärker beeinträchtigt als Männer, was unter anderem an höheren HAQ-Werten zu messen ist.

Mögliche Gründe für unterschiedliches Schmerzempfinden werden erforscht. Genetik und Hormone spielen wahrscheinlich eine Rolle, aber auch Umwelteinflüsse, Coping-Strategien und Rollenverständnis könnten als Ursachen infrage kommen.

<< Schmerz als zentrales Symptom von rheumatischen Erkrankungen wird von Frauen und Männern unterschiedlich perzipiert.>>
J. Sautner, Wien

Sautner wies darauf hin, dass durch Schmerzwahrnehmung die „patient-reported outcome measures“ (PROMs) beeinflusst werden. Bei einem hohen PROM sei es daher wichtig, auseinanderzuhalten, ob tatsächlich eine hohe Krankheitsaktivität vorliegt oder der PROM hoch ist, weil die Patientin/der Patient Schmerzen hat.

„Schmerz als zentrales Symptom von rheumatischen Erkrankungen wird von Frauen und Männern unterschiedlich perzipiert“, fasste Sautner zusammen. Dies sollte bei der Diagnosefindung, der Interpretation von PROMs, der Einschätzung der Krankheitsaktivität und bei der Therapiewahl berücksichtigt werden.

Gleiche Diagnose, ungleiches Ansprechen

Frauen weisen bei rheumatischen Erkrankungen höhere Werte von verschiedenen „patient-reported outcomes“ (PROs) auf als Männer, wobei die Schere zwischen den Geschlechtern über den Beobachtungszeitraum immer größer wird, bestätigt Assoc. Prof. Dr. Helga Lechner-Radner, Universitätsklinik für Innere Medizin III, Wien. „Women showed overall higher disease burden“ heißt es zum Beispiel in den Conclusios zweier Abstracts vom ACR 2021, die sich mit Geschlechtsunterschieden bei SpA und PsA befassten.5,6

<< Das X-Chromosom ist reich an Genen, die für das Immunsystem relevant sind.>>
L. Heinz, Wien

Sprechen Frauen auch schlechter auf Rheumamedikamente an? Register- und Studiendaten sagen ja. Schon 2011 wurde weibliches Geschlecht als Prädiktor für schlechteres Ansprechen auf MTX identifiziert.7 Registerdaten aus Dänemark zeigen signifikant niedrigere Ansprechraten auf TNFi bei Frauen: Auch nach Adjustierung von Baseline-Risikofaktoren war bei Männern die Wahrscheinlichkeit, auf TNFi anzusprechen, höher.8 „In unserem österreichischen Register Bioreg haben wir ganz ähnliche Beobachtungen gemacht“, berichtete Lechner-Radner.

Insgesamt zeigen Register- und Real-World-Daten: Frauen haben eine höhere Krankheitslast, auch wenn an objektivierbaren Haut- bzw. Gelenk-Outcomes kein Unterschied zwischen Männern und Frauen gesehen wird. Sie zeigen niedrigere Ansprechraten auf Behandlung und daraus folgend eine geringere Adhärenz und kürzere Therapiedauer. Bestätigt werden diese Beobachtungen durch Studiendaten, etwa durch die EXCEED-Studie, die bei PsA-Patient:innen Geschlechtsunterschiede im ACR50-Ansprechen, aber nicht im PASI fand.9 Eine ganz ähnliche Beobachtung machten Eder et al. bei PsA-Patient:innen unter Tofacitinib: „Females were less likely to achieve minimal disease activity.“10

„Die Unterschiede zwischen Männern und Frauen sind in manchen Studien kleiner, in manchen größer – das hängt wohl von den Outcome-Measures ab“, meinte Lechner-Radner. Hormone, genetische Faktoren, Komorbiditäten, Umwelteinflüsse, Pharmakokinetik, das Mikrobiom, Unterschiede in der Adhärenz sowie auch beim Arzt-Patient-Verhältnis – um die Situation von Rheumapatient:innen zu verbessern, sollten alle diese Faktoren berücksichtigt und weiter erforscht werden, so die Referent:innen.

Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Rheumatologie & Rehabilitation (ÖGR), 30. November bis 2. Dezember 2023, Wien

1 Schafer JM et al.: Sex-biased adaptive immune regulation in cancer development and therapy. iScience 2022; 25(8): 104717 2 Boeszoermenyi A et al.: A conformation-locking inhibitor of SLC15A4 with TASL proteostatic anti-inflammatory activity. Nat Commun 2023; 14(1): 6626 3 Orbai M et al.: Determinants of patient-reported psoriatic arthritis impact of disease. Arthritis Catre Res 2020; 72(12): 1772-9 4 Eder L et al.: Factors explaining the discrepancy between physician and patient global assessment of joint and skin disease activity in psoriatic arthritis patients. Arthritis Care Res 2015; 67(29): 264-72 5 Kiltz U et al.: How does gender affect secukinumab treatment outcomes and retention rates in patients with ankylosing spondylitis? ACR Convergence 2021, Abstract 0909 6 Kiltz U et al.: How does gender affect secukinumab treatment outcomes and retention rates in patients with psoriatic arthritis? ACR Convergence 2021, Abstract 1334 7 Saevarsdottir S et al.: Predictors of response to methotrexate in early DMARD naive rheumatoid arthritis. Ann Rheum Dis 2011; 70(3): 469-75 8 Højgaard P et al.: Gender differences in biologic treatment outcomes. Rheumatology 2018; 57(9): 1651-60 9 Wright G et al.: Comparison of secukinumab versus adalimumab efficacy by sex in psoriatic arthritis from a phase 3b, double-blinded, randomized, active-controlled study. ACR Convergence 2020; Abstract 0507 10 Eder L et al.: Sex differences in the efficacy, safety and persistence of patients with psoriatic arthritis treated with tofacitinib. RMD Open 2023; 9(1): e002718

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