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Lebensqualität und Alltagsbewältigung im Fokus
Jatros
30
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28.03.2019
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<p class="article-intro">Von den klassischen Late-onset-Rheumaerkrankungen – wie chronischer Polyarthritis, Polymyalgia rheumatica und Sarkoidose – sind Frauen häufiger betroffen als Männer. Doz. Christina Duftner aus Innsbruck erklärt, was bei der Behandlung von älteren Patienten mit rheumatischen Erkrankungen besonders zu beachten ist.</p>
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<p class="article-content"><p><strong>Wie verändern sich rheumatische Erkrankungen im Alter? Welche Probleme können auftreten?</strong><br /> <strong>C. Duftner:</strong> Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten. Es gibt nicht viel Literatur dazu. Dieses Thema wird von der Forschung bisher kaum aufgegriffen, obwohl es natürlich sehr relevant ist. In der Praxis haben wir zwei Szenarien: erstens Patienten, die schon seit vielen Jahren mit einer rheumatischen Erkrankung leben und damit älter werden, und zweitens Menschen, die im hohen Alter die Erstmanifestation einer chronisch-entzündlichen rheumatischen Erkrankung erleben. Wenn man die erste Gruppe betrachtet, kommt im Alter noch einiges dazu, vor allem degenerative Probleme – das ist in dieser Gruppe das Hauptproblem. Bei den anderen, die erst im hohen Alter erkranken, sind eher die vorbestehenden Morbiditäten das Problem. Wenn dann noch eine rheumatische Erkrankung dazukommt, bedeutet das eine zusätzliche und oft sehr große Einschränkung der Lebensqualität. Hier besteht die Schwierigkeit darin, im Rahmen der bestehenden Komorbiditäten die individuell beste Behandlung der rheumatischen Erkrankung für den Patienten zu finden.</p> <p><strong>Aber auch bei den Patienten, die schon lange eine rheumatische Erkrankung haben, kommen doch im Alter Komorbiditäten dazu …</strong><br /> <strong>C. Duftner:</strong> Ganz genau. Aber diese Patienten kennen sich mit ihrer rheumatischen Erkrankung schon gut aus. In der Regel sind sie auch medikamentös gut eingestellt. Bei den Late-onset-Patienten dagegen gibt es oft schon degenerative Veränderungen im Rahmen anderer Erkrankungen. Wenn dann noch die chronisch-entzündliche rheumatische Erkrankung dazukommt, ist man als Arzt oft mit Einschränkungen in der Behandlung konfrontiert, z. B. wegen eingeschränkter Nierenfunktion. Da muss man überlegen: Welche Medikamente darf ich da überhaupt geben? Diese Patienten sind oft unterversorgt, weil man bei der Therapie viel vorsichtiger und zurückhaltender vorgeht. Eine gute Behandlung ist aber sehr wichtig. Die chronische Polyarthritis im höheren Alter zum Beispiel ist früher oft als Alterserscheinung abgetan worden, aber wir wissen, dass sie im Alter mindestens genauso aggressiv ist wie bei Jüngeren.</p> <p><strong>Welche Rheumamedikamente sollte man bei Patienten im höheren Alter nicht anwenden?</strong><br /> <strong>C. Duftner:</strong> Prinzipiell können alle Rheumamedikamente auch im Alter eingesetzt werden. Man muss nur das Nebenwirkungsrisiko und Komorbiditäten bedenken, etwa ein erhöhtes Infektionsrisiko oder eine vorbestehende eingeschränkte Nierenfunktion. Aber wenn solche Einschränkungen nicht bestehen, wirken die Medikamente genauso gut und sind genauso gut verträglich wie bei jüngeren Patienten.</p> <p><strong>Können Biologika auch im höheren Alter eingesetzt werden?</strong><br /> <strong>C. Duftner:</strong> Das Problem ist, dass Patienten höheren Alters aus großen Studien ausgeschlossen sind. Daher hat man wenig Studiendaten dafür. Von den Registerdaten her, die es gibt, scheinen Biologika im Alter gleich effektiv und sicher zu sein. Die entzündliche Aktivität bekommt man also in den meisten Fällen sehr gut in den Griff. Die Herausforderung bei älteren Patienten besteht eher darin, den Sekundärarthrosen besser entgegenzuwirken. Denn diese bedeuten eine große Einschränkung in der Alltagsbewältigung.</p> <p><strong>Welche nicht medikamentösen Optionen kann man den Patienten anbieten?</strong><br /> <strong>C. Duftner:</strong> Es ist ganz wichtig, dass die Patienten nicht nur allgemein körperlich aktiv bleiben, sondern auch ein ganz gezieltes Muskeltraining machen. Man verliert ja schon ab dem 30. Lebensjahr an Muskelmasse und damit an körperlicher Kraft. Deswegen ist es sehr wichtig, dass man wirklich den Muskelaufbau trainiert. Das Bewusstsein für diese Komponente der Behandlung sollten wir bei den Patienten eindringlich schärfen. Noch besser wäre es, wenn wir dazu auch entsprechende Angebote hätten, die die Patienten aufgreifen können, sodass das auch wirklich umgesetzt wird. Dass Muskelaufbau von den Patienten nicht nur als gut gemeinter Ratschlag aufgenommen wird, sondern als wesentlicher Bestandteil der Therapie, daran sollten wir Rheumatologen intensiver arbeiten. Dann würden die älteren Patienten im Alltag viel besser zurechtkommen.</p> <p><strong>Gibt es im höheren Alter noch genderspezifische Unterschiede bei rheumatischen Erkrankungen?</strong> <strong>C. Duftner:</strong> Das ist schwierig zu beantworten, weil es dazu überhaupt keine Daten gibt. In der Praxis habe ich den Eindruck, dass bei Frauen öfter eine depressive Komponente dazukommt. Sie finden sich manchmal schlechter zurecht mit der Erkrankung als Männer. Was Gicht betrifft, gibt es auch insofern einen Gender-Unterschied, als bei Frauen oft nicht daran gedacht wird. Dabei ist die Prävalenz auch bei Frauen im Alter erhöht. Die Pseudogicht – die Chondrokalzinose – tritt bei Frauen sogar häufiger auf als bei Männern.</p> <p><strong>Betreuen Sie hochbetagte Rheumapatienten?</strong><br /> <strong>C. Duftner:</strong> Ja, etwa 10–20 % unserer Patienten sind in einem höheren Lebensalter. Es gibt ja auch rheumatische Erkrankungen, die einen klassischen Altersgipfel haben, wie z. B. die Polymyalgia rheumatica oder die Riesenzellarteriitis. Da haben wir auch Patienten zwischen 80 und 90.</p> <p><strong>Wie kann man solche Erkrankungen identifizieren? Wird die Diagnostik durch Multimorbidität erschwert?</strong><br /> <strong>C. Duftner:</strong> Das klinische Bild ist schon sehr typisch. Und es gibt eindeutige Risikofaktoren. Bei der Polymyalgia rheumatica haben Frauen mit einer besonders hohen entzündlichen Last ein hohes Risiko für einen schweren Verlauf. Das heißt, hier spielt das Geschlecht durchaus eine gewisse Rolle für die Prognose. Bei der Sarkoidose gibt es zwei Altersgipfel: einen im jungen Lebensalter zwischen 20 und 30 und einen nach dem 50. Lebensjahr. Bei der älteren Gruppe sind Frauen häufiger betroffen und sie haben öfter einen Verlauf mit höherer Morbidität. Solche Unterschiede sollten meiner Meinung nach noch viel gezielter wissenschaftlich untersucht werden: ob sie für das Outcome eine Rolle spielen und ob es Unterschiede gibt, welche die therapeutischen Entscheidungen beeinflussen sollten, ob z. B. Frauen von einer bestimmten Therapie mehr profitieren. Bei der Polymyalgia rheumatica z. B. wissen wir, dass es wichtig ist, eine frühzeitige Basistherapie mit Methotrexat einzuleiten, wenn Risikofaktoren für einen schweren Verlauf der Erkrankung vorliegen.</p> <p><strong>Welche Botschaft möchten Sie Rheumatologen mitgeben, die ältere Patienten betreuen?</strong><br /> <strong>C. Duftner:</strong> Ein ganz wichtiger Aspekt ist, dass man der Osteoporose mehr Aufmerksamkeit widmet. Denn diese ist mit chronisch-entzündlichen Erkrankungen assoziiert und bedeutet im Alter ebenfalls eine starke Einschränkung im Alltag. Sie ist mit hoher Morbidität und stark reduzierter Lebensqualität vergesellschaftet. Und darauf wird leider viel zu wenig geachtet.</p></p>
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