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DGRh 2023

Effektive Therapie ist auch im höheren Alter möglich

Die höhere Zahl von Komorbiditäten, die geringere Verlässlichkeit üblicher Testverfahren oder auch die veränderte Pharmakokinetik können das Therapiemanagement bei älteren Patient:innen erschweren. Die Folge: Viele ältere Rheumakranke erhalten keine ausreichende Therapie. Expert:innen verweisen in diesem Zusammenhang aber darauf, dass auch in dieser Gruppe eine Therapieeskalation mit Biologika möglich ist. Die Effektivität ist nachweislich so hoch wie bei Jüngeren.

Praktische Empfehlungen für die Medikation bei älteren Menschen

Das medikamentöse Management kann sich bei älteren Menschen„komplex“ gestalten, erklärt Prof. Dr. Anja Strangfeld vom Deutschen Rheuma-Forschungszentrum in Berlin. Zu nennen ist hier etwa die veränderte Kinetik z.B. aufgrund einer verzögerten renalen Elimination. Gleichzeitig kann eine höhere Empfindlichkeit gegenüber sedierenden Effekten vorliegen, was dazu führt, dass viele Medikamente bei Älteren nur eingeschränkt oder gar nicht geeignet sind.

Praktische Hilfe kann hier die deutsche PRISCUS-Liste geben: Sie enthält 83 häufig verordnete Substanzen, die für ältere Patient:innen potenziell inadäquat sind, und nennt mögliche Alternativen.1 „Aus dieser Liste geht auch hervor, dass wahrscheinlich sehr viele Patient:innen über 65 Jahre potenziell ungeeignete Wirkstoffe erhalten“, so Strangfeld. „Bei manchen geht es sicherlich nicht anders, aber wahrscheinlich gibt es auch einen großen Anteil an Betroffenen, die mit der Alternative besser fahren würden.“

<< Bei den älteren Patient:innen findet man den höchsten Anteil an Patient:innen ohne Basistherapie.>>
A. Strangfeld, Berlin

Auf der PRISCUS-Liste befinder sich allerdings keines der in der Rheumatologie verwendeten krankheitsmodifizierenden Antirheumatika (DMARDs). Die Expertin empfiehlt daher auch eine kürzlich publizierte Stellungnahme zur Bewertung von Wechselwirkungen synthetischer DMARDsund Dosierungsempfehlungen, die nach Alter, aber auch nach Nierenfunktion gestaffelt sind.2 Zu den klinisch relevanten Wechselwirkungen zählen etwa Penicillin, das die Plasmakonzentration von Methotrexat (MTX) erhöht, oder das hohe Risiko für Retinopathie bei gleichzeitiger Gabe von Hydroxychloroquin und Tamoxifen. Ein Cave gilt auch bei Metamizol: In der PRISCUS-Liste als Alternativpräparat angegeben, liegt hier bei gleichzeitiger Gabe von MTX ein erhöhtes Risiko für Agranulozytosen vor. „Ab 80 Jahren ist das Risiko sogar achtfach erhöht – häufig mit fatalem Ausgang“, sagt Strangfeld.

Bei der Wahl der Medikation spielen auch Komorbiditäten eine wichtige Rolle. „Sie können die Optionen einschränken, etwa bei einem Patienten mit Bedarf für Antikoagulation, bei dem schon mehrere Blutungen aufgetreten sind, oder einer Patientin mit Bedarf für Steroide, aber hohem Diabetesrisiko oder manifester Osteoporose“, so Strangfeld.

Es ist auch ganz generell die Tatsache zu beachten, dass viele Medikamente eine gute Compliance voraussetzen, die nicht immer gegeben ist. Prof. Strangfeld empfiehlt in solchen Fällen – z.B. bei Vorliegen einer Demenz oder einer Depression – die Einbeziehung der Familienangehörigen.

Weniger DMARDs, häufiger Steroide, seltener Basistherapie

Im therapeutischen Bereich gibt es ein gewisses Paradoxon zu beobachten: „Obwohl ältere Patient:innen eine höhere Krankheitslast, geringere Funktionsfähigkeit und stärkere Schmerzen und Erschöpfung als andere Altersgruppen zeigen, erhalten sie am wenigsten bDMARDs (Biologika) und csDMARDs“, berichtet Strangfeld. Gleichzeitig werden Glukokortikoide, Analgetika und Opioide in dieser Altersgruppe am häufigsten verordnet. „Bei den älteren Patient:innen findet man außerdem den höchsten Anteil an Patient:innen ohne Basistherapie“, zitiert Strangfeld aus einer aktuellen Publikation.3 Denn das Alter alleine gilt häufig als Hinderungsgrund, um auf eine effektivere Therapie zu eskalieren, wie eine Untersuchung an rund 17500 RA-Patient:innen ergab.4 Laut Prof. Strangfeld ist dieses Vorgehen allerdings nicht gerechtfertigt: „Auch ältere Patient:innen mit schwerer Funktionseinschränkung können unter Biologikatherapie nach zwölf Monaten eine funktionelle Unabhängigkeit erreichen.“ Diese Chance ist unter Biologika vierfach höher als unter csDMARDS.5 Zudem zeigen ältere Patient:innen ein vergleichbares EULAR-Ansprechen und ähnliche Therapiekontinuität unter Biologika wie Jüngere.6

Ältere Patient:innen haben ein hohes Infektionsrisiko durch Glukokortikoide, wie eine große kanadische Studie mit 86000 RA-Patient:innen nachwies:7 Bereits bei geringeren Dosierungen von <5mg war das Risiko für schwerwiegende Infektionen mit Hospitalisierung um fast das Vierfache erhöht. Daten aus Japan zeigen ein ähnliches Ergebnis.8 Zum Thema Sicherheit zeigt eine weitere japanische Untersuchung von älteren RA-Patient:innen, dass Biologika oder JAKi im Vergleich zur csDMARD-Therapie mit keinem höheren Infektionsrisiko assoziiert sind.9 Prof. Strangfeld sieht daher „keinen Grund, nicht zu eskalieren, wenn es nötig ist“.

Deutscher Rheumatologiekongress, 30. August – 2. September 2023, Leipzig

1 Holt S et al.: Potentially inappropriate medications in the elderly: the PRISCUS list. Dtsch Ärztebl Int 2010; 107(31–32): 543-51 2 Fiehn C et al.: [Assessment of interactions and dosage recommendations of synthetic DMARDs-Evidence-based and consensus-based recommendations based on a systematic literature search]. Z Rheumatol 2023; 82(2): 151-62 3 Albrecht K et al.: Therapiespektrum älterer Menschen mit rheumatoider Arthritis. Arthritis Rheuma 2022; 42: 8-14 4 George MD et al.: Biologic and glucocorticoid use after methotrexate initiation in patients with rheumatoid arthritis. J Rheumatol 2019; 46(4): 343-50 5 Listing J et al.: Clinical and functional remission: even though biologics are superior to conventional DMARDs overall success rates remain low--results from RABBIT, the German biologics register. Arthritis Res Ther 2006; 8(3): R66 6 Freitas R et al.: Safety and effectiveness of biologic disease-modifying antirheumatic drugs in older patients with rheumatoid arthritis: a prospective cohort study. Drugs Aging 2020; 37(12): 899-907 7 Widdifield J et al.: Serious infections in a population-based cohort of 86,039 seniors with rheumatoid arthritis. Arthritis Care Res (Hoboken) 2013; 65(3): 353-61 8 Kawashima H et al.: Long-term use of biologic agents does not increase the risk of serious infections in elderly patients with rheumatoid arthritis. Rheumatol Int 2017; 37(3): 369-76 9 Sakai R et al.: Unincreased risk of hospitalized infection under targeted therapies versus methotrexate in elderly patients with rheumatoid arthritis: a retrospective cohort study. Arthritis Res Ther 2022; 24: 135

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