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Deeskalation der Medikamente möglich, aber der Patient muss mitentscheiden
Jatros
30
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11.07.2019
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<p class="article-intro">Dank „Treat-to-target“-Behandlungsstrategien und intensivierter Therapien, insbesondere durch die Kombination aus konventionellen synthetischen und biologischen krankheitsmodifizierenden Medikamenten (csDMARDs und bDMARDs), kann man heute bei bis zu 60 von 100 Patienten mit früher rheumatoider Arthritis (RA) eine geringe Krankheitsaktivität oder sogar eine anhaltende Remission erreichen.<sup>1–4</sup> Bei Patienten, die in anhaltender Remission sind, ist daher zu erwägen, die Medikation zu deeskalieren – das sehen auch die europäische und die deutsche Leitlinie so.<sup>4, 5</sup></p>
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<p class="article-content"><p>Die Vorteile einer Deeskalation liegen klar auf der Hand: Erstens wird das Risiko für Langzeitnebenwirkungen (Immunsuppression, Infektionen) reduziert. Zweitens werden Kosten gesenkt, vor allem wenn Biologika reduziert eingesetzt werden. Drittens könnte sich die Compliance erhöhen. Auf der anderen Seite geht man mit der Deeskalation auch immer das Risiko ein, dass die RA wieder aufflammt. Bisher ist noch unklar, wie und in welcher Reihenfolge man die Medikamente am besten reduziert.</p> <h2>Neue Studie: zuerst TNF-Hemmer absetzen</h2> <p>Forscher von der Universität in Rotterdam haben in einer randomisierten Studie zwei Deeskalationsstrategien bei 189 Patienten mit RA unter Remission verglichen.<sup>6</sup> Ihr Fazit: Man solle zunächst den TNF-Inhibitor absetzen, denn das sei preisgünstiger und man reduziere die Langzeitnebenwirkungen.<br />In der randomisierten Studie wurde bei 94 Patienten das csDMARD und bei 95 Patienten der TNF-Blocker schrittweise reduziert. Die Deeskalation dauerte 6 Monate. Zu Studienbeginn wurden die Patienten angehalten, keine oralen Glukokortikoide zu nehmen; nichtsteroidale Antiphlogistika oder intraartikuläre Kortikoidinjektionen waren aber erlaubt. Primärer Endpunkt der Studie war der Anteil der Patienten mit einem Schub, dieser war definiert als ein „Disease Activity Score“ (DAS) von >2,4 und/oder ein „Swollen Joint Count“ (SJC) >1. Nach einem Jahr dokumentierten die Forscher eine kumulative Schubrate von im Schnitt 33 % in der csDMARD- Deeskalationsgruppe und 43 % bei den TNF-Deeskalationspatienten. Das bedeutet, dass nach einem Jahr bei 63 der 94 Patienten mit Reduktion des csDMARD (67 % ) und bei 54 der 95 Patienten mit Reduktion von TNF (57 % ) die RA noch gut kontrolliert war. Der Unterschied war aber nicht signifikant (p=0,17). Von den Patienten, die einen Schub erlitten und das zuletzt wirksame Medikament erhielten, erreichten 46 % innerhalb von 3 Monaten einen DAS ≤2,4; nach einem halben Jahr waren es 67 % . Bei zwei Patienten gelang es nicht, sie innerhalb eines Jahres wieder in Remission zu bringen.</p> <h2>Deeskalation in der Praxis</h2> <p>„Die meisten Patienten wollen reduzieren“, sagt Prof. Dr. Klaus Krüger, Rheumatologe in München und „Deeskalationsexperte“ bei der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh). „Einige haben aber Angst davor – dann lassen wir es bleiben.“ In seiner Praxis versucht er bei allen Patienten mit anhaltender Remission (mindestens 6 kortikoidfreie Monate in Remission) die krankheitsmodifizierenden Medikamente zu reduzieren. „Da Methotrexat meist schon niedrig dosiert ist, verlängere ich die Injektionsintervalle der Biologika vorsichtig“, sagt Krüger. Voraussetzung für die Deeskalation sei allerdings, dass die Patienten weiterhin zuverlässig und engmaschig bezüglich der Aktivität ihrer Erkrankung überwacht werden. „Ein komplettes Absetzen gelingt nur bei wenigen Patienten – ich schätze maximal 10 % “, sagt Krüger. „Meist sind das diejenigen, bei denen die Diagnose früh gestellt worden ist, die rechtzeitig Medikamente bekommen und darauf ausgezeichnet angesprochen haben.“</p> <h2>Die meisten möchten Methotrexat reduzieren</h2> <p>Was Rheumatologen bei der Deeskalation beachten müssen und wie man vorgeht, hat Krüger gemeinsam mit Kollegen in der deutschen S2e-Leitlinie zur Behandlung der RA mit krankheitsmodifizierenden Medikamenten beschrieben.<sup>5</sup> Kortikoide, so eines der übergeordneten Prinzipien, sollten bei jedem Patienten ausgeschlichen werden, sofern dies klinisch vertretbar sei. „In der Regel sollte zuerst die Kortikoidtherapie beendet werden, bevor man überhaupt an eine Deeskalation der DMARDs denken kann“, so Krüger.<br /> Eine Deeskalation muss nicht sein: Außer Nebenwirkungen gibt es keinen Grund, warum man die Medikamente ausschleichen sollte, insbesondere weil man den Krankheitsverlauf unter reduzierter Therapie nicht hinreichend voraussagen kann. „Nebenwirkungen wären sicher ein schlagendes Argument für eine Reduktion“, sagt Krüger. „Die Patienten vertragen Biologika aber meist sehr gut.“<br /> Wie neuerdings in vielen Bereichen der Medizin wird auch hier wieder betont, dass Arzt und Patient gemeinsam entscheiden sollten. „Die meisten möchten lieber Methotrexat reduzieren, weil sie die Biologika als deutlich wirksamer und besser verträglich empfinden“, erzählt Krüger. Nach welchen Kriterien man entscheiden kann, ob ein Patient für eine Deeskalation infrage kommt, lässt sich aufgrund des derzeitigen Wissensstandes nicht beantworten. In den Deeskalationsstudien wird meist eine anhaltende Remission als Kriterium gefordert, definiert als DAS28- Score <2,6 über mindestens 6 Monate. Einige Studien verwendeten auch eine anhaltend niedrige Krankheitsaktivität mit einem DAS28 <3,2 als Voraussetzung. Die Autoren der Leitlinie sehen die DAS28-Remission aber kritisch. „Der DAS28 ist fehlerhaft – wir verwenden ihn deshalb nicht mehr“, sagt Krüger. „Rechnerisch kann im DAS28 ein Patient mit 12 geschwollenen Gelenken noch eine Remission erreichen – das eignet sich überhaupt nicht, wenn man überlegen will, die Medikamente zu reduzieren.“</p> <h2>Komplettes Absetzen nur selten möglich</h2> <p>Immer solle man deshalb die Remission noch mit anderen Untersuchungen bestätigen, etwas mittels Sonografie mit Powerdoppler. Krüger verwendet zur Remissionsermittlung den SDAI. „Auch der SDAI ist nicht ohne Schwächen, aber doch deutlich zuverlässiger als der DAS28.“ In Studien wurden Faktoren identifiziert, die mit einem höheren Risiko für ein Wiederaufflammen der RA nach Deeskalation einhergehen (Tab. 1). Bisher gibt es aber wenig Evidenz, welche Patienten sich für eine Deeskalation eignen und wie man konkret vorgeht.<br />Gemäß Leitlinie könnte eine Deeskalation von bDMARDs sinnvoll sein, wenn ein Patient gleichzeitig ein csDMARD, also in der Regel Methotrexat, bekommt. Trotz der neuen Studie bleibt aber unklar, welches der Präparate man als erstes reduzieren sollte. Deeskaliert wird, indem man die Dosis reduziert oder die Applikationsintervalle verlängert. Ein komplettes Absetzen der Medikamente führte in den Studien zu hohen Rezidivraten von bis zu 80 % nach 6–18 Monaten und ist daher nur in Ausnahmefällen zu überlegen, etwa wenn trotz sehr langer Abstände zwischen den Applikationen weiterhin eine komplette Remission besteht – „auch hier allerdings nur dann, wenn der Patient sich bei erneuter Aktivität zuverlässig meldet“, so Krüger. Nehmen Patienten nur csDMARDs oder nur bDMARDs, kann man diese ebenfalls reduzieren, aber ein komplettes Absetzen ist nur selten möglich. Flammt die RA unter der Deeskalation wieder auf, kann durch Gabe der ursprünglichen Dosis wieder eine Remission erreicht werden.<br />Krankenversicherer könnten argumentieren, dass sich die Deeskalation auch preislich auszahlt. „Das kann aber nicht der entscheidende Grund sein – zumal ohnehin die Biologikakosten in der Rheumatologie um rund 30 % abgenommen haben“, meint Krüger. „Bei uns darf der Patient mitentscheiden, ob er überhaupt reduzieren will, und wenn ja, ob zuerst Methotrexat.“</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Ortho_1904_Weblinks_jatros_ortho_1904_s74_tab1_witte.jpg" alt="" width="550" height="432" /></p></p>
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<p><strong>1</strong> Kuijper TM et al.: Ann Rheum Dis 2016; 75: 2119–23 <strong>2</strong><br />Scott DL et al.: Lancet 2010; 376: 1094–108 <strong>3</strong> Singh JA et<br />al.: Arthritis Rheumatol 2016; 68: 1–26 <strong>4</strong> Smolen JS et al. :<br />Ann Rheum Dis 2017; 76: 960–77 <strong>5</strong> Fiehn C et al.: Z Rheumatol<br />2018; 77(Suppl 2): S35–53 <strong>6</strong> van Mulligen E et al.:<br />Ann Rheum Dis 2019; 0: 1–8</p>
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