
Zur Behandelbarkeit der Hypersexualität
Autor:
Dr. Patrick Swoboda
Klinische Abteilung für Sozialpsychiatrie
Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Medizinische Universität Wien
E-Mail: patrick.swoboda@meduniwien.ac.at
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Wie viel Sex ist genug? Die Unbeantwortbarkeit dieser Frage erschwert eine Definition der Hypersexualität. Dazu kommen Unklarheiten hinsichtlich der Pathogenese und unterschiedliche Kriterien, wann eine Störung durch ein gesteigertes sexuelles Verhalten vorliegt. Aus therapeutischer Sicht lohnt sich die Kombination aus psychopharmakologischer Therapie und psychotherapeutischer Intervention.
Aus der Schwierigkeit, eine konkrete Angabe zur „gesunden“ Häufigkeit von Sex zu machen, ergibt sich eine große Varianz in der Häufigkeit des Vorliegens. Gingen Autoren vor 100 Jahren davon aus, dass es sich um ein „extrem seltenes“ Geschehen handeln würde,1 so gehen jüngere Arbeiten von einer Prävalenz von bis zu 12% bei Männern aus.2 Klar ist jedoch, dass das Vorliegen für Betroffene eine erhebliche Relevanz hat, und zwar aufgrund des Risikos möglicher Folgen: Substanzabhängigkeit, sexuell übertragbare Krankheiten, ungewollte Schwangerschaften, Jobverlust, Beziehungsverlust, sexuelle Gewalt.3–7
Therapeutische Ansätze
Im ICD-11 kann die Hypersexualität unter 6C72 Psychische Störungen, Störungen der Impulskontrolle, Störung mit zwanghaftem Sexualverhalten codiert werden. Die Frage der Pathogenese ist damit jedoch nicht unbedingt beantwortet. Es wurde eine Vielzahl möglicher Genesen diskutiert, und viele dieser Ansätze finden sich in der Behandlung wieder. So wurde durch die hohe Rate an komorbiden Suchterkrankungen die Hypersexualität lange Zeit als Sexsucht betrachtet, wodurch sich Ansätze der Behandlung in der Suchttherapie z.B. mit Naltrexon wiederfinden.8 Untersuchungen im Feld der Psychoneuroendokrinologie wiesen auf einen Zusammenhang zwischen der Höhe des Testosteronspiegels und der Qualität und Quantität des Sexualverhaltens hin. Tatsächlich fand sich mit der antiandrogenen Behandlung früh eine sehr wirksame Form der allgemeinen Dämpfung. Obwohl die Erfolge dieser Behandlungsoption eindrücklich sind, kann sie aufgrund der damit verbundenen Nebenwirkungen nicht als Therapie erster Wahl angesehen werden (Verschlechterung der Stoffwechsellage, Osteoporose, Depression, …). Im Kontext des zwanghaften Charakters des gesteigerten Sexualverhaltens fand sich der Therapieansatz mit SSRIs.9 Aufgrund des wesentlichen günstigeren Nebenwirkungsprofils bei guter Wirksamkeit stellt der Einsatz von SSRIs den ersten Schritt in den meisten Behandlungsempfehlungen dar.
Auch aus dem Bereich der Psychotherapie existieren mehrere unterschiedliche Ansätze und Konzepte, die gute Erfolge vorweisen können. Allen gemein sind zentrale Prinzipien: Beschränkung der Stimuli (zumindest während der Anfangszeit der Therapie), die Identifikation von Risikofaktoren, die Entwicklung alternativer Bewältigungsstrategien und ein Fokus auf das Rückfallsmanagement. Früh wurde das 12-Schritte-Modell nach dem Vorbild der anonymen Alkoholiker adaptiert, um in der Gruppensituation eine Verbesserung der Kontrolle oder auch die Abstinenz zu erreichen.10 Bei der Reduktion der exzessiven sexuellen Aktivität und vor allem bei der Rückfallspräventionsarbeit durch Skillstraining, kognitive Interventionen und die Unterstützung von Lebensstilmodifikationen konnte die Verhaltenstherapie gute Resultate erzielen.11–13 Montaldi14 konnte mit dem Ansatz, hypersexuelle Muster analog zu Persönlichkeitsstörungen zu betrachten, Veränderungen in einem psychodynamischen Therapiesetting dokumentieren. Und auch im Setting der Paartherapie konnte durch die Bearbeitung von Defiziten in der Intimität, dem Abbau von Scham und damit verbunden einer Normalisierung des Gefühlserlebens eine Verbesserung der Beziehungsfähigkeit erreicht werden.15,16
Zusammenfassend kann also gesagt werden, dass die Diagnose der Hypersexualität aufgrund der unterschiedlichen Kriterien, wann eine Störung durch ein gesteigertes sexuelles Verhalten vorliegt, nur schwierig zu stellen ist. Für die Behandlung ist ein Zusammenspiel von psychopharmakologischer Therapie und psychotherapeutischer Intervention wesentlich. Sie ist notwendig, um eine gute Adhärenz mit dem Patienten und eine nachhaltige Verbesserung des Zustandsbildes verwirklichen zu können.
Literatur:
1 Pearl R: The biology of population growth. New York: Alfred A. Knopf 1925 2 Klein V et al.: J Sex Med 2014; 11(8): 1974-81 3 Klein V et al.: PloS One 2015; 10(7): e0129730 4 Opitz DM et al.: Sex Addict Compulsivity 2009; 16: 324-40 5 Yoon IS et al.: Curr Addict Rep 2016; 3(4): 387-99 6 Kafka MP: Arch Sex Behav 2010; 39: 377-400 7 Paunović N, Hallberg J: Psychology 2014; 5(2): 151 8 Thornton D, Knight RA: Sex Abuse 2015; 27(4): 360-75 9 Ryback RS: J Clin Psychiatry 2004; 65(7): 982-6 10 Kafka MP, Prentky R: J Clin Psychiatry 1992; 53(10): 351-8 11 Carnes PJ: Out of the shadows: understanding sexual addiction. Minneapolis: compcare 1983 12 Marlatt GA: Relapse prevention: a self-control program for the treatment of addictive behaviors. In: Stuart RB (Hg.): Adherence, compliance and generalization in behavioral medicine. New York: Brunner/Mazel. 1982. 329-78 13 Goodman A: Neurobiology of addiction. An integrative review. Biochemical Pharmacology 2008; 75: 266-322 14 Montaldi DF: Psychol Sex 2002; 14: 22-3 15 Coleman E: Psychiatr Ann 1992; 22(6): 320-5 16 Spring JA: After the affair: Healing the pain and rebuilding trust when a partner has been unfaithful. New York: Harper Collins. 1996