
Unfreiwillige Unterbringung in der Psychiatrie
Jatros
Autor:
Sophie Sagerschnig
Gesundheit Österreich GmbH<br> Wien
Autor:
Monika Nowotny
Gesundheit Österreich GmbH<br> Wien
Autor:
Joy Ladurner
Gesundheit Österreich GmbH<br> Wien
30
Min. Lesezeit
08.03.2018
Weiterempfehlen
<p class="article-intro">Die Unterbringung in psychiatrischen Abteilungen und Spitälern ist im UbG geregelt. Das Gesetz bildet einen bundesweit einheitlichen Rahmen; bei der Anwendung ergeben sich in der Praxis jedoch regionale und standortspezifische Unterschiede. Die Arbeiten der GÖG tragen zur Förderung von Transparenz, Vergleichbarkeit und Qualität in einem sehr sensiblen Versorgungsbereich bei.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Hinweis:</h2> Die aktuelle Publikation schließt an eine JATROS-Publikation zum UbG aus dem Jahr 2014 an (Hagleitner et al: JATROS Neurologie & Psychiatrie 1/2014). Hauptfokus der gegenständlichen Publikation sind die aktuelle Versorgungssituation sowie Weiterentwicklungen und Neuerungen, die sich seit der letzten Publikation ergeben haben.</div> <p>Das Unterbringungsgesetz (UbG, BGBl 1990/155) ist ein Gesetz zum Schutz der Persönlichkeitsrechte von Patientinnen und Patienten in einem äußerst sensiblen Bereich der Versorgung. Das UbG kommt in Krankenhäusern und Abteilungen für Psychiatrie zur Anwendung, in denen Personen in einem geschlossenen Bereich angehalten werden oder sonstigen Beschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit unterworfen werden.<br /> Auch wenn das Gesetz theoretisch einen österreichweit einheitlichen Rahmen bietet, bestehen in seiner praktischen Anwendung erhebliche regionale sowie auch standortspezifische Unterschiede, die auf eine Vielzahl von Faktoren zurückzuführen sind. Die Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) erhebt seit 2005 im Ministeriumsauftrag Daten zur Vollziehung des UbG. Daher liegt eine für Österreich einzigartig umfassende und bundesweit vergleichbare Datengrundlage vor.<br /> Die gegenständliche Publikation stellt einleitend den rechtlichen Rahmen (Grundzüge des UbG) dar. Danach gibt sie einen Überblick über die österreichische Versorgungssituation, wobei die Vielfalt der der GÖG vorliegenden Daten anhand konkreter Beispiele verdeutlicht wird. Die Werte ausgewählter Indikatoren werden – teilweise für mehr als ein Jahrzehnt zurückreichend – präsentiert.<br /> Für die Analyse der Unterbringungsdaten muss bedacht werden, dass das UbG nur einen Teilbereich der psychosozialen Versorgung betrifft und regelt. Zahlreiche Wirkfaktoren nehmen auf die Qualität der Versorgung Einfluss. Aus diesem Grund hat die GÖG unter Experteneinbindung eine Übersicht über mögliche Einflussfaktoren erstellt, die in diesem Artikel präsentiert und zur Diskussion gestellt wird.</p> <h2>Hintergrund und Ziele der Analyse von Unterbringungsdaten</h2> <p>Die GÖG erhebt seit 2005 im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz (BMASGK, vormals Bundesministerium für Gesundheit und Frauen, BMGF) Daten zur Vollziehung des Unterbringungsgesetzes (UbG). Das Projekt „Analyse der Unterbringungen nach UbG in Österreich“ zielt darauf ab, durch das Schaffen größtmöglicher Transparenz über Praxis und Vollzug des UbG und das Einbinden aller relevanten Akteure in den Diskurs zur Förderung der bestmöglichen Versorgungsqualität im Sinne der Patientinnen und Patienten beizutragen. Die Ergebnisse dieser Arbeiten der GÖG werden im 2-Jahres-Rhythmus publiziert. Die aktuelle Publikation (Sagerschnig S. et al., 2017) findet sich unter https://goeg. at/UbG_OE_2016.</p> <h2>Grundzüge des Unterbringungs- gesetzes</h2> <p>Das UbG definiert drei Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, um eine Person in einer psychiatrischen Abteilung oder Klinik unterzubringen:</p> <ul> <li>Die Person leidet an einer psychischen Krankheit.</li> <li>Im Zusammenhang mit der psychischen Krankheit liegt eine ernstliche und erhebliche Gefährdung des eigenen Lebens oder der eigenen Gesundheit oder des Lebens oder der Gesundheit anderer vor.</li> <li>Die betreffende Person kann nicht in anderer Weise (insbesondere außerhalb eines psychiatrischen Krankenhauses/ einer psychiatrischen Abteilung) ausreichend ärztlich behandelt oder betreut werden.</li> </ul> <p>Diese Voraussetzungen gelten für die Unterbringung ohne Verlangen (§ 8 UbG) ebenso wie für die Unterbringung auf Verlangen (§ 4 UbG), wobei im zweiten Fall die Patientin/der Patient selbst das Verlangen, untergebracht zu werden, eigenhändig schriftlich formulieren muss. Ist einer der drei Punkte nicht erfüllt, darf eine Person nicht untergebracht werden. Fällt eine der Voraussetzungen weg, ist die Unterbringung sofort aufzuheben. Seit der Novelle des UbG im Jahr 2010 ist die Rückfallwahrscheinlichkeit in die Überlegungen miteinzubeziehen (§ 32a UbG).<br /> In Zusammenhang mit dem UbG ist eine Differenzierung der Zugangs- und Aufnahmearten (wie kommt eine Person ins Krankenhaus und wie wird sie aufgenommen: jeweils mit oder ohne Anwendung des UbG) erforderlich; die Abbildung 1 zeigt die unterschiedlichen Möglichkeiten im Überblick.<br /> Der Prozess der gerichtlichen Kontrolle im Kontext des UbG variiert je nach Unterbringungsart, über jede Unterbringung ohne Verlangen muss das Gericht unverzüglich informiert werden (§ 17 UbG). Auch weitergehende Beschränkungen sowie ärztliche Behandlung im Zuge einer Anwendung des UbG unterliegen der gerichtlichen Kontrolle. Abbildung 2 zeigt den schematischen Ablauf einer Unterbringung ohne Verlangen ab dem Zeitpunkt der Aufnahmeuntersuchung im Krankenhaus.<br /><br /> Anders ist das Vorgehen für die Unterbringung auf Verlangen (§ 4 UbG), siehe Abbildung 3.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Neuro_1801_Weblinks_s43_abb1.jpg" alt="" width="2151" height="635" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Neuro_1801_Weblinks_s43_abb2.jpg" alt="" width="2150" height="1599" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Neuro_1801_Weblinks_s43_abb3.jpg" alt="" width="2151" height="806" /></p> <h2>Datengrundlagen</h2> <p>Der GÖG stehen folgende, überwiegend administrative Daten aus unterschiedlichen Quellen zur Verfügung. Die Nutzung dieser Daten ist ergiebig und schont zugleich die zeitlichen Ressourcen der Datenlieferanten.</p> <ul> <li>Eigene Erhebung aus Daten der mit der Vollziehung des UbG befassten psychiatrischen Krankenhäuser und Abteilungen</li> <li>Von der Patientenanwaltschaft (VertretungsNetz, IfS)# zur Verfügung gestellte Daten</li> <li>Daten der Bezirksgerichte, die im Auftrag des Bundesministeriums für Verfassung, Reformen, Deregulierung und Justiz (vormals Bundesministerium für Justiz) an das Bundesrechenzentrum gemeldet werden</li> </ul> <h2>Das Projekt generiert eine für Österreich einzigartig umfassende Datengrundlage</h2> <p>Zusammengeführt bilden diese Daten einerseits den gesamten Unterbringungsverlauf (Zugang, stationäre Aufnahme, Unterbringungsbeginn, gerichtliche Verfahren) in seiner Chronologie ab, andererseits ermöglichen sie ein Gesamtbild für die Anwendung des UbG in Österreich.<br /> Zahlreiche Indikatoren sind inzwischen über Jahre stabil und liefern vergleichbare Werte für ganz Österreich. Dadurch, dass die Datenquellen teilweise idente Indikatoren beinhalten, ist eine Plausibilisierung dieser über die unterschiedlichen Datenlieferanten hinweg möglich. Die von der GÖG vorgenommene Plausibilitätskontrolle zeigt Abweichungen zwischen den Datenquellen auf und fördert Klärungen sowie Anpassungen der Datensets und Meldeverfahren. All dies trägt Schritt für Schritt zu einer Qualitätssteigerung und einer größeren Vergleichbarkeit der Daten bei.<br /> Das Bundesrechenzentrum übermittelt der GÖG seit vielen Jahren die Daten der Bezirksgerichte zu Unterbringungsfällen, Anhörungen, mündlichen Verhandlungen und zu den Ergebnissen der Zulässigkeitsprüfungen.<br /> Die Krankenhäuser melden Informationen zu vollstationären Aufnahmen und Unterbringungsfällen. Soweit für die Einrichtung möglich, sind diese nach Zugangs- und Aufnahmearten differenziert (Daten zu Zugangs- und Aufnahmearten liegen nur den Krankenhäusern vor). Seit einigen Jahren erhebt die GÖG darüber hinaus auch Daten zu untergebrachten Personen sowie zu Diagnosegruppen. Immer mehr Krankenhäusern ist es inzwischen möglich anzugeben, ob Unterbringungen bei Aufnahme oder während des Aufenthalts beginnen.<br /> Die Patientenanwaltschaften (VertretungsNetz, IfS) haben seit einigen Jahren ihre Datenmeldung an die GÖG mit wenigen Ausnahmen für ganz Österreich vereinheitlicht. Das bisher gemeldete Datenset (u.a. Unterbringungshäufigkeit, -dauer, Unterbringungen nach Geschlecht und Altersgruppen, unterbringende Abteilungen) wurde erweitert um Daten, die eine nähere Beschreibung bzw. Analyse der untergebrachten Personen ermöglichen. Die Daten der Patientenanwaltschaften stellen die einzige Datengrundlage für Zwangsmaßnahmen (Beschränkungen, ärztliche Behandlung ohne/gegen den Willen von Patientinnen/Patienten) dar, die während der Unterbringung zur Anwendung kommen.</p> <h2>Daten zum Vollzug des UbG in Österreich</h2> <p>Im Jahr 2017 kam das UbG in allen österreichischen Bundesländern in insgesamt rund 30 psychiatrischen Abteilungen oder Krankenhäusern für Erwachsene und in 11 Abteilungen für Kinder und Jugendliche zur Anwendung.<br /> Im Jahr 2016 meldeten die Krankenhäuser den Bezirksgerichten etwa 25 000 Unterbringungen ohne Verlangen, was 285 Unterbringungen pro 100 000 Einwohner/ Einwohnerinnen (EW)<sup>+</sup> entspricht (vgl. Abbildung 4). Im Jahr 2000 kamen auf 100 000 EW noch 183 Unterbringungen, in den Jahren 2000 bis 2012 nahm die Rate stetig zu, allerdings in den einzelnen Jahren in einem sehr unterschiedlichen Ausmaß. Zwischen 2013 und 2014 nahm die Unterbringungsrate leicht ab, ab 2015 hingegen wieder zu. Im Bundesländervergleich variiert die Unterbringungshäufigkeit sehr stark (Bundesländer- Bandbreite: zwischen 153,7 und 413,9 Unterbringungen pro 100 000 EW<sup>++</sup>), dies ist auf zahlreiche Faktoren zurückzuführen (siehe Abschnitt zu Einflussfaktoren).<br /> Gemessen an allen von den psychiatrischen Krankenhäusern und Abteilungen im Rahmen der GÖG-Krankenhausdatenerhebung gemeldeten stationären Aufnahmen im Jahr 2016§ machen die Aufnahmen mit Unterbringung ohne Verlangen etwa ein Viertel aus (2016: 28 % ), ein sehr geringer Anteil (weniger als 2 % ) entfällt auf Unterbringungen auf Verlangen. Der größte Teil aller Aufnahmen erfolgt jedoch ohne Anwendung des Unterbringungsgesetzes (2016: 70 % ). Die genannten Anteile blieben in den letzten Jahren relativ stabil.<br /> Der Großteil der Patientinnen und Patienten kommt ohne Anwendung des UbG ins psychiatrische Krankenhaus/die psychiatrische Abteilung (2016: 88 % aller Fälle), etwa 9 % aller Fälle mit ärztlicher Bescheinigung und etwas über 3 % mit der Sicherheitsbehörde bei Gefahr im Verzug. <sup>§§</sup> Von den Fällen mit Unterbringung ohne Verlangen kommt ebenfalls der größte Teil (rund 63 % ) ohne Anwendung des UbG ins Krankenhaus, beinahe 28 % kommen mit ärztlicher Bescheinigung und knapp weniger als 10 % mit der Sicherheitsbehörde.<br /> Auch fast 90 % der Unterbringungen auf Verlangen folgen einem Zugang ohne UbG. Nur in 8,4 % der Fälle melden die Spitäler Zugänge mit ärztlicher Bescheinigung und in 2,4 % über die Sicherheitsbehörde. Wenn Personen mittels UbG-Prozedere (§§ 8, 9 Abs. 1 sowie § 9 Abs. 2) ins Krankenhaus kommen, erfolgt zumeist auch die stationäre Aufnahme gemäß UbG (Zugang nach §§ 8, 9 Abs. 1: 90 % bzw. Zugang nach § 9 Abs. 2: 88 % ).<br /> Insgesamt wurden im Jahr 2016 18 547 Personen untergebracht, davon war der Anteil der Männer (54 % ) etwas höher als der Anteil der Frauen (46 % ). Zwischen den Altersgruppen variiert die Unterbringungsrate sehr stark (Abb. 5) und zeigt einen ersten Peak bei den 14- bis 30-Jährigen und einen zweiten bei den über 80-Jährigen. Während bei Kindern und Jugendlichen bis 18 Jahre in Relation zum Anteil in der Bevölkerung mehr Mädchen als Burschen untergebracht werden, ist in allen höheren Altersgruppen die bevölkerungsbezogene Rate untergebrachter Männer höher als jene der Frauen.<br /> Von 2014 bis 2016 zeigt sich in nahezu allen Altersgruppen eine Zunahme des Anteils untergebrachter Personen pro 100 000 EW, die stärkste Zunahme war in der Altersgruppe der 14- bis 17-Jährigen zu verzeichnen (Abb. 6). Eine Abnahme des Anteils untergebrachter Personen war lediglich im Altersbereich zwischen 40 und 60 Jahren zu erkennen.<br /> Viele Unterbringungen sind von kurzer Dauer. Etwas über ein Viertel (26,5 % ) der Unterbringungen ohne Verlangen dauern nur bis zu zwei Tage. Beinahe die Hälfte (47,6 % ) aller Unterbringungen werden nach spätestens vier Tagen beendet, etwas über 60 % dauern bis zu einer Woche. Nach 18 Tagen sind rund 84 % aller Unterbringungen beendet. Rund 80 % der untergebrachten Personen wurden einmal im Kalenderjahr (2016) untergebracht, 14 % zweimal. Ein Prozent wurde mehr als fünfmal untergebracht (Quellen: VertretungsNetz, IfS).<br /> Bei rund einem Drittel der Unterbringungen kam es im Jahr 2016 zu zumindest einer Beschränkung der Bewegungsfreiheit gemäß § 33 UbG. Die Anteile der Unterbringungen mit Beschränkung sind je nach Bundesland sehr unterschiedlich (Bundesländer-Bandbreite: 21–49 % ). Eine Einschränkung des Verkehrs mit der Außenwelt gemäß § 34 UbG kommt nur selten vor (1 % der Unterbringungen). In 4 % der Unterbringungen wurde mindestens eine Verlängerung ausgesprochen (Quellen: VertretungsNetz, IfS).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Neuro_1801_Weblinks_s43_abb4_korr_3.jpg" alt="" width="1417" height="827" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Neuro_1801_Weblinks_s43_abb5_korr.jpg" alt="" width="1417" height="825" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Neuro_1801_Weblinks_s43_abb6_korr.jpg" alt="" width="1417" height="977" /></p> <h2>Daten alleine liefern nur bedingt zufriedenstellende Antworten</h2> <p>Die Arbeiten der GÖG zeigten recht bald, dass Analyse und Auswertung der Daten zu einigen Fragestellungen nur bedingt zufriedenstellende Antworten liefern. Um die vielen Einflussfaktoren auf die Unterbringungshäufigkeit oder auch potenzielle Auswirkungen gesetzlicher Änderungen auf die Praxis besser zu verstehen, wurde daher ein eigenes Format geschaffen, im Rahmen dessen die Auswertungsergebnisse präsentiert und diskutiert werden – die sogenannten Expertengespräche zur Unterbringung. Diese werden von der GÖG im Ministeriumsauftrag seit 2012 für die Erwachsenenpsychiatrie sowie seit 2013 auch für die Kinderund Jugendpsychiatrie begleitet und bringen einmal jährlich alle für die Umsetzung des UbG relevanten Akteurinnen und Akteure zusammen.<br /> Austausch und Vernetzung stehen im Vordergrund der Expertengespräche. Ihr Ziel ist, das gegenseitige Verständnis der Involvierten für ihre unterschiedlichen Standpunkte und Perspektiven zu fördern (u.a. im Lichte ihrer jeweiligen Aufgaben, ihrer täglichen Arbeitsbedingungen sowie ihres [Er-]Lebens der Umsetzung der gesetzlichen Maßnahmen). Im Rahmen eines sehr offenen Austausches werden prioritäre Anliegen identifiziert sowie unterschiedliche regionale und standortspezifische Ansätze diskutiert.<br /> Fallweise werden auch Empfehlungen formuliert. Die GÖG versteht sich als Drehscheibe zwischen den Akteuren, die den Austausch unterstützt, aber nicht für die Umsetzung möglicher Folgemaßnahmen zuständig ist. Diese Zuständigkeit liegt in der Verantwortung der einzelnen mit der Umsetzung des UbG befassten Akteure je nach deren Auftrag und Arbeitsschwerpunkt. In den vergangenen Jahren wurden u.a. folgende Themen schwerpunktmäßig diskutiert: Dokumentation und Datenlage, rechtliche Rahmenbedingungen, UbG-Novellen, Architektur, freiheitsbeschränkende Maßnahmen, unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, Interessenvertretung der Betroffenen.</p> <h2>Einflussfaktoren auf die Unterbringung</h2> <p>Unterbringungen sind ein sehr sensibler Bereich der psychiatrischen Versorgung, der unterschiedliche fachliche und berufliche Sphären berührt. Spannungsfelder ergeben sich durch die divergierenden Zuständigkeiten und die damit verbundenen Schwerpunktsetzungen, die sich maßgeblich durch gesetzliche Vorgaben, medizinische sowie patienten- und menschenrechtliche Aspekte definieren.<br /> Einflussfaktoren auf Unterbringungsraten sind vielfältig und unterliegen komplexen Wechselwirkungen. Die Anwendung des UbG ist ein spezieller Teilbereich der (psychiatrischen) Versorgung, bei dem der Gesamtkontext unbedingt zu berücksichtigen ist. Viele Sektoren (Gesundheit, Soziales, Justiz, Familie etc.) bzw. Politikbereiche sowie zahlreiche unterschiedliche Organisationen und Berufsgruppen sind betroffen. Daten über Unterbringungen sollten daher mit einem breiten Blickwinkel – über das UbG-Geschehen hinaus – interpretiert werden. Insbesondere die Erklärung von Wirkzusammenhängen bedarf einer umfassenden Betrachtung, einstweilen können dazu noch keine Aussagen gemacht werden.<br /> Die GÖG hat unter Mitwirkung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Expertengespräche zur Unterbringung einen Überblick über die möglichen Einflussfaktoren auf Unterbringungen erstellt (Abb. 7).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Neuro_1801_Weblinks_s43_abb7_korr.jpg" alt="" width="2150" height="1316" /></p> <div id="fazit"> <h2>Fazit</h2> Die Unterbringung in psychiatrischen Abteilungen und Spitälern ist durch das UbG bundesweit einheitlich geregelt. Dennoch zeigen die Analysen der GÖG große regionale und standortspezifische Unterschiede in der Anwendung des Gesetzes in der Praxis.<br /> Die Arbeiten der GÖG tragen jedenfalls zu einer größeren Transparenz hinsichtlich des Unterbringungsgeschehens bei und forcieren das Generieren vergleichbarer und valider Indikatoren. Aktuell liegt der Fokus der Datenpräsentation auf einer hochaggregierten Ebene (Gesamtösterreich, tw. Bundesländer). Im Jahr 2017 wurden mit Vertreterinnen und Vertretern der Krankenhäuser erstmals auch standortspezifische Unterschiede diskutiert.<br /> Ziel zukünftiger Arbeiten ist jedenfalls eine laufende Weiterentwicklung des „Einflussfaktorenmodells“ sowie eine vertiefende Analyse ausgewählter Einflussfaktoren und deren Wechselwirkungen unter Berücksichtigung vorliegender Studienergebnisse. Die Diskussion der Unterbringungsdaten auf Standortebene soll fortgesetzt werden. Ziel ist es auch, aus bisherigen Arbeiten Erkenntnisse abzuleiten, die von den zuständigen Akteuren aufgegriffen werden.<br /> Eine besondere Herausforderung in der Anwendung des UbG stellen die Kooperation und Kommunikation der vielen zuständigen Akteure dar, v.a. wenn diese unterschiedlichen Berufsgruppen und/oder Sektoren zugehören. Abläufe der Zuweisung und der stationären Aufnahmeuntersuchung sind besonders kritische Phasen. Die GÖG lädt im Rahmen der Expertengespräche alle Akteure dazu ein, über die eigenen Zuständigkeitsgrenzen hinauszublicken und UbG-Abläufe gesamthaft zu diskutieren. Dies trägt im Sinne der Patienten zu einem größeren Wissen über und Verständnis für das Gesamtgeschehen bei und fördert den Wissenstransfer zwischen Vertretern aus Praxis und Forschung sowie Politik und Verwaltung.</div> <p><br /> <strong>Fußnoten:</strong><br /> <sup>#</sup> VertretungsNetz: Betreuung aller österreichischen Bundesländer mit Ausnahme von Vorarlberg; die Zuständigkeit für Vorarlberg obliegt dem Institut für Sozialdienste, IfS. <sup>+</sup> Daten der Bezirksgerichte, Statistik Austria (Jahresdurchschnittsbevölkerung); Berechnung: GÖG <sup>++</sup> Quellen: Daten der Patientenanwaltschaften (VertretungsNetz, IfS), Statistik Austria (Bevölkerungsprognosen); Berechnung VertretungsNetz; Einwohnerinnen/Einwohner aus dem nördlichen Burgenland werden in der Regel für Wien, jene aus dem südlichen Burgenland für die Steiermark gezählt. <sup>§</sup> Quelle: GÖG-Krankenhausdatenerhebung. Berechnungen ohne KA Rudolfstiftung und KH Hietzing-Rosenhügel <sup>§§</sup> Nur Daten von Einrichtungen, die hinsichtlich dieser Differenzierung melden konnten, wurden für die Berechnungen herangezogen.</p></p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p>• Bundesgesetz über die Unterbringung psychisch Kranker in Krankenanstalten (Unterbringungsgesetz – UbG, BGBl 1990/155), http://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe? Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10002936 • Bundesrechenzentrum (2017): Daten der Bezirksgerichte zur Unterbringung für das Jahr 2016 • GÖG (2016): Protokoll Expertengespräche zur Unterbringung in der Erwachsenenpsychiatrie (Runde Westösterreich) am 6. 10. 2016 in Salzburg. Im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit und Frauen in Zusammenarbeit mit der Christian- Doppler-Klinik, Salzburg • GÖG (2016): Protokoll Expertengespräche zur Unterbringung in der Erwachsenenpsychiatrie (Runde Ostösterreich) am 12. 10. 2016 in Wien. Im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit und Frauen, Wien • GÖG (2016): Protokoll Expertengespräche zur Unterbringung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie am 4. 11. 2016 in Wien. Im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit und Frauen • Hagleitner J und Ladurner J: Qualität trotz Zwang – Herausforderung für die Psychiatrie. JATROS Neurologie & Psychiatrie 2014; 1: 8-10 • IfS-Patientenanwaltschaft Vorarlberg (2016): Jahresbericht 2016. Institut für Sozialdienste, Rankweil • Krankenhausdaten. Daten zur Unterbringung 2016. Erhebung der GÖG im Jahr 2017. Gesundheit Österreich GmbH, Wien • Sagerschnig S et al.: Analyse der Unterbringungen nach UbG in Österreich. Gesundheit Österreich im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit und Frauen 2017, Wien • VertretungsNetz-Patientenanwaltschaft (2016): Ausgewählte Auswertungen zu Unterbringungen für das Jahr 2016, Wien</p>
</div>
</p>
Das könnte Sie auch interessieren:
Neues und Unpubliziertes aus der psychiatrischen Forschung und Therapie
Von 7. bis 8. November 2024 fand die 26. Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Neuropsychopharmakologie und Biologische Psychiatrie (ÖGPB) in Wien statt. Im Festsaal der ...
«Wir versuchen, gegenüber den Kindern ehrlich, aber auch sehr behutsam mit der Wahrheit zu sein»
Die Psychiaterin Roksolana Jurtschischin arbeitet im St.-Nikolaus- Kinderspital in Lwiw. Seit dem Kriegsausbruch behandelt sie mit ihren Kollegen täglich im Akkord traumatisierte Kinder ...
Entwicklungen und Trends in der Behandlung der Insomnie
Schlafstörungen betreffen einen großen Teil der Bevölkerung. Die Therapie hat sich im Laufe der Zeit grundlegend gewandelt. Heute stehen neben der kognitiven Verhaltenstherapie für ...