© SCAR-Unit 2020

Erfolgreiche Behandlung durch virtuelle Realität bei spezifischen Phobien

Die Therapie psychischer Störungenmittels virtueller Realitäten

Virtual-Reality(VR)-Behandlung ist ein effizientes Behandlungstool für die Therapie psychischer Störungen, insbesondere bei der Behandlung spezifischer Phobien mittels Exposition. Kontraindikationen und mögliche Nebenwirkungen sind insbesondere kurzzeitiger Schwindel oder vorübergehende Kopfschmerzen. Vorsicht ist bei Menschen mit Dissoziationsneigung geboten. Derzeit gibt es wenig bis keine Evidenz für die Durchführbarkeit von VR-basierten Therapien bei Kindern und Jugendlichen.

Einleitung

Der rasante technologische Fortschritt hat in den letzten Jahrzehnten die Entwicklung potenter Therapieprogramme mittels Virtual Reality (VR) ermöglicht und damit eine neue Methode zur Behandlung psychischer Störungen hervorgebracht. VR sind immersive, digitale dreidimensionale Umgebungen, welche meist durch spezielle Computerbrillen oder umgebende Projektionswände den Nutzer:innen vermittelt werden. Innerhalb dieser computergenerierten Welten sind die Möglichkeiten nahezu unbegrenzt, da es möglich ist, eine Vielzahl an Situationen und Umgebungen nachzubilden. Dies stellt auch einen nicht unerheblichen Nutzen bei der Therapie psychischer Störungen dar. Allerdings stößt die Anwendung im klinischen Alltag derzeit noch auf verschiedenen Schwierigkeiten und Hürden.

Die grundlegenden Mechanismen von VR bei der Therapie wurden bereits gut erforscht, insbesondere bei Angststörungen gibt es sowohl Wirksamkeitsnachweise als auch ein gutes Verständnis von dendahinterliegenden Wirkmechanismen. Eine Vergleichbarkeit von VR-Situationen und Situationen in realen Umgebungen bzw. mit Personen in einem Face-to-Face-Setting ist gegeben, mehrere Studien konnten hier vergleichbare Reaktionen auf affektiver, kognitiver und physiologischer Ebene berichten.1 Ein zentrales Element dafür, dass virtuelle Welten als natürliche Umgebung wahrgenommen werden, ist die sogenannte Präsenz. Sie beschreibt das Gefühl, tatsächlich an einem anderen Ort zu sein, und wird durch die Vermittlung wichtiger Sinneseindrücke (z.B. visuelle und auditive Reize) erzeugt. Diese Präsenz beeinflusst Individuen auf kognitiver, emotionaler und physiologischer Ebene, während sie mit den virtuellen Inhalten in einer VR-Umgebung interagieren.2 Die folgende unsystematische Übersicht soll daher ein Update über den Stand der Forschung hinsichtlich der Wirksamkeit von VR-basierten Therapien geben und die aktuellen und zukünftigen Potenziale und Herausforderungen diskutieren.

Da VR-basierte Therapiemethoden oftmals bewährte therapeutische Ansätze lediglich in einen VR-Kontext setzen, können derartige Methoden für eine Vielzahl von Störungen angewandt werden. Besonders sinnvoll und effektiv ist die Methode allerdings bei spezifischen Phobien. Die klassische Expositionstherapie ist eine effektive Methode zur Reduktion von Angst durch Konfrontation mit dem angstbesetzten Stimulus und der anschließenden Gewöhnung an die emotionale Reaktion. Dabei werden oft Imaginationstechniken (in sensu) oder reale Stimuli (in vivo) eingesetzt. Allerdings haben viele Menschen Schwierigkeiten mit der Imagination, während reale Reize in vivo oft schwer herstellbar und wenig kontrollierbar sind. VR bietet eine innovative Variante dieser Therapieform, nämlich die VR-basierte Expositionstherapie (VRET). Dabei werden die angstauslösenden Reize in virtueller Form präsentiert, sodass die Patient:innen dennoch realitätsnah mit ihrer Umgebung interagieren können, etwa durch das Begehen einer virtuellen Klippe bei Höhenangst.

© SCAR-Unit 2020

Abb. 1: Das therapeutische Setting einer VR-Exposition

Wirksamkeit bei spezifischen Phobien

Studien zeigen, dass VRET bei der Behandlung spezifischer Phobien, wie z.B. Akrophobie, Arachnophobie und Aviophobie, ebenso wirksam ist wie die klassische In-vivo-Expositionstherapie.3–6 Eine Untersuchung berichtete zudem über den Vorteil, dass die Exposition eines angstbesetzten Stimulus, nämlich einer Spinne, bei Patient:innen mit Arachnophobie, in mehreren virtuellen Umgebungen effektiver sein kann, als wenn lediglich in einer spezifischen Umwelt eine Exposition mit dem Reiz stattfindet,6 was die Flexibilität und Kosteneffizienz von VRET unterstreicht. Es gilt allerdings zu beachten, dass bislang nur wenige Studien zur Implementierung von VRET bei Kindern und Jugendlichen durchgeführt wurden. Häufig auftretende Probleme sind fehlende Motivation und eine geringe Adhärenz. Zudem bestehen Einschränkungen durch die unsichere Übertragbarkeit von Trainingsansätzen auf diese Altersgruppe sowie eine begrenzte Datenlage zur Verträglichkeit von VRET bei Kindern und Jugendlichen.1 Dennoch gibt es erste vielversprechende Ergebnisse, etwa zu VRET bei Arachnophobie bei Kindern und Jugendlichen. Hier berichteten St.Jacques et al. 20107 eine vergleichbare Symptomreduktion durch VRET wie durch In-vivo-Exposition in der Vergleichs-gruppe.

Wirksamkeit bei sozialen Ängsten

Zudem scheint VRET auch bei der Behandlung von sozialen Ängsten wirksam zu sein. Eine Metastudie dazu berichtet Ergebnisse von Follow-up-Studien: Die Symptomreduktion war nach der Intervention mit VRET nach 3 bis 12 Monaten vergleichbar wie nach In-vivo-Expositionstherapie. Da sich durch Verwendung von VRET eine Vielzahl an sozialen Situationen kreieren lässt, erlaubt diese einen flexibleren „tailored approach“ als klassische Behandlungsansätze und schafft somit auch die Möglichkeit, personalisierter und ökonomischer zu behandeln. Trotzdem ist zu beachten, dass bis dato nur wenige Langzeitstudien existieren, was bei der Interpretation momentaner Studienergebnisse zu beachten ist.8

Wirksamkeit bei posttraumatischer Belastungsstörung

Die Expositionstherapie ist auch eine wirksame Behandlungsmethode für die posttraumatische Belastungsstörung (PTBS). Bisherige Studien zeigen eine vielversprechende Symptomreduktion bei Patient:innen mit PTBS durch VRET,9 welche besser gegenüber Wartelisten-Kontrollgruppen und vergleichbar mit klassischen aktiven Kontrollgruppen ist. VR ermöglicht es, sichere und kontrollierte Szenarien zu erstellen, über die Patient:innen im Rahmen einer Behandlung mit dem Erlebten konfrontiert werden. VRET ist auch bei Personen anwendbar, die Schwierigkeiten aufweisen, sich auf In-sensu-Konfrontationen einzulassen. Darüber hinaus hat VRET bei PTBS das Potenzial, das Stigma von PTBS-Therapien zu reduzieren.10 Dennoch ist die Evidenz zur Wirksamkeit limitiert, da vorrangig kontrollierte Studien mit Veteranen oder Militär- bzw. Einsatzkräften berichtet wurden.

Wirksamkeit bei Autismus-Spektrum-Störungen

Viele therapeutische Ansätze mit VR orientieren sich bei Autismus-Spektrum-Störungen (ASS) an Trainings für soziale Fertigkeiten. Ein Ansatz ist die Simulation von virtuellen Umgebungen für Kinder mit ASS, welche verschiedene schwierige soziale Situationen beinhalten (z.B. Morgenroutine, Einhalten von Bibliotheksregeln).11,12 Andere Ansätze konzentrieren sich auf die soziale Kognition (Emotionserkennung, Theory of Mind).13,14 Das fasst auch eine Metaanalyse von Mesa-Gresa et al. 201815 zusammen, welche schlussfolgert, dass VR effektiv für die Therapie sozialer Fähigkeiten bei ASS sein kann. Insbesondere emotionale Ausdrucksfähigkeit, Selbstregulation und interpersonelles Verständnis können bei ASS durch VR-basierte Intervention verbessert werden.

Wirksamkeit bei Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung

Die Behandlung von Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) durch kognitive Trainings ist mit VR gut erweiterbar, etwa mittels eines virtuellen Klassenzimmers, wobei durch Aufgaben zur selektiven Aufmerksamkeitssteigerung Fokus und Aufmerksamkeitsspanne verbessert wurden.16 Darüber hinaus kann VR auch als Diagnosetool dienen, da eine große Übereinstimmung zwischen Verhaltensweisen in virtuellen und realen Umgebungen existiert (z.B. provozierte Ablenkungen durch Störevents in einem Lernsetting). Insbesondere Standardtestbatterien und entsprechende Computertestsysteme haben oft den Nachteil einer eingeschränkten ökologischen Validität, was durch VR verbessert werden kann.17,18

Wirksamkeit bei psychotischen Störungen

VR wird auch im Rahmen der Behandlung von Psychosen eingesetzt: Erste Studien verwenden den VR-Ansatz für die Verbesserung sozialer Kompetenzen bei Schizophrenie. Dabei wurden unterschiedlich schwere Aufgaben trainiert, wie eine Konversation mit einem virtuellen Charakter oder das Interpretieren seiner Emotionen und Mimik. Durch den VR-Ansatz erlauben derartige Trainings einen guten Transfer zu alltäglichen Situationen und bewirken eine Steigerung sozialer Kompetenzen sowie eine Verminderung negativer Symptomatik.19,20

Kontraindikationen und Einschränkungen beim Einsatz von Virtual Reality

Trotz der vielversprechenden Erfolge von VR bei der Behandlung verschiedener psychischer Störungen kann die Nutzung von VR auch kontraindiziert sein, wie etwa bei Migräne, Kopfschmerzen und neurologischen Problemen.21 Einige Personen berichten von Schwindel und Übelkeit während oder nach der VR-Nutzung – ein Phänomen, das als „Cybersickness“ bezeichnet wird. Diese Nebenwirkungen können eventuell durch eine schrittweise Einführung in die Nutzung von VR reduziert werden. Insbesondere bei psychischen Erkrankungen, wie PTBS oder Psychosen, ist es wichtig, das Risiko für Dissoziationen, ausgelöst durch die VR, abzuwägen, da diese das Gefühl der Realität beeinträchtigen könnte.22 Der Einsatz von VR bei Patient:innen mit psychotischen Störungen muss entsprechend abgestimmt erfolgen, da VR Reizüberflutungen hervorrufen und psychotische Symptome verstärken kann.23 Neuere Forschungen legen jedoch nahe, dass technologische Fortschritte, insbesondere im Bereich der VR-Grafik, das Risiko für Dissoziation während der VR-Erfahrungen möglicherweise reduzieren könnten und diskutieren eine positive Korrelation zwischen Cybersickness und Dissoziationslevels, die in zukünftigen Studien weiter erforscht werden sollte.24

Trotz der Erfolge von VRET ist die Entwicklung und Anpassung von VR-Settings für klinische Anwendungen nach wie vor kostenintensiv und herausfordernd, da Kliniker:innen zwar in Hardware investieren können, jedoch vor der Herausforderung stehen, geeignete Softwarelösungen zu beschaffen. Es gibt nur wenige, kommerzielle klinische Anwendungen, die meist eingeschränkt und ohne Anpassungsmöglichkeiten für die Simulation verfügbar sind.

Ausblick

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass VR ein großes Potenzial zur Therapie psychischer Störungen aufweist. Insbesondere bei der Behandlung von Phobien liegen ausreichend Daten zur Effektivität der Methode vor; vielversprechende Ergebnisse gibt es auch bei einer Reihe von psychischen Störungen.

Eine der größten Chancen, welche sich aus der Integration von VR in Therapien ergibt, ist sicherlich eine höhere Akzeptanz und Motivation der Patient:innen, vor allem wenn diese von spielerischen Elementen getragen wird. Darüber hinaus stellen auch integrierte, automatisierte Prozesse, welche optimalere Anpassungen der Therapie an Patient:innen erlauben, einen großen Vorteil virtueller Interventionen dar. VR stellt eine Unterstützung für etablierte Therapieverfahren dar und muss stets mit entsprechender Vor- und Nachbereitung an Patient:innen angewandt werden. Stand-alone-Lösungen für Patient:innen sind vereinzelt getestet, können aber für sich (noch) keinen ausreichenden Wirksamkeitsanspruch vorweisen.

Hohe Anschaffungskosten von Software und eingeschränkte Daten zu Nebenwirkungen, ebenso wie der Transfer der Therapieeffekte von der virtuellen Therapiestunde in den Alltag, zählen aber sicherlich noch zu den Herausforderungen von VR-basierten Therapien.

1 Kothgassner OD, Felnhofer A: Lack of research on efficacy of virtual reality exposure therapy (VRET) for anxiety disorders in children and adolescents: a systematic review. Neuropsychiatrie 2021; 35(2): 68-75 2 Felnhofer A et al.: A virtual character’s agency affects social responses in immersive virtual reality: a systematic review and meta-analysis. International Journal of Human–Computer Interaction 2023; 40(3): 1-16 3 Bentz D et al.: Effectiveness of a stand-alone, smartphone-based virtual reality exposure app to reduce fear of heights in real-life: a randomized trial. NPJ Digit Med 2021; 4(1): 16 4 Carl E et al.: Virtual reality exposure therapy for anxiety and related disorders: a meta-analysis of randomized controlled trials. J Anxiety Disord 2019; 61: 27-36 5 Cherestal S et al.: Remotely conducted versus office-based virtual reality treatment for aviophobia: questions of feasibility and accessibility. Translational Issues in Psychological Science 2021; 7(3): 218-28 6 Shiban Y et al.: Effect of combined multiple contexts and multiple stimuli exposure in spider phobia: A randomized clinical trial in virtual reality. Behav Res Ther 2015; 71: 45-53 7 St-Jacques J et al.: Is virtual reality effective to motivate and raise interest in phobic children toward therapy? A clinical trial study of in vivo with in virtuo versus in vivo only treatment exposure. J Clin Psychiatry 2010; 71(7): 924-31 8 Horigome T et al.: Virtual reality exposure therapy for social anxiety disorder: a systematic review and meta-analysis. Psychol Med 2020; 50(15): 2487-97 9 Kothgassner OD et al.: Virtual reality exposure therapy for posttraumatic stress disorder (PTSD): a meta-analysis. Eur J Psychotraumatol 2019; 10(1): 1654782 10 Eshuis LV et al.: Efficacy of immersive PTSD treatments: a systematic review of virtual and augmented reality exposure therapy and a meta-analysis of virtual reality exposure therapy. J of Psychiatr Res 2021; 143: 516-27 11 Adjorlu A et al.: Daily living skills training in virtual reality to help children with autism spectrum disorder in a real shopping scenario. IEEE international symposium on mixed and augmented reality (ISMAR-Adjunct) 2017; 294-302 12 Ip HHS et al.: Virtual reality enabled training for social adaptation in inclusive education settings for school-aged children with autism spectrum disorder (ASD). In: Cheung S et al. (eds.): Blended learning: aligning theory with practices. 9th International Conference, ICBL 2016, Beijing, China. Lecture Notes in Computer Science, 9757. Cham: Springer, 2016 13 Chen CH: Augmented reality-based video-modeling storybook of nonverbal facial cues for children with autism spectrum disorder to improve their perceptions and judgments of facial expressions and emotions.Comput Hum Behav 2016; 55: 477-8514 Kandalaft M et al.: Virtual reality social cognition training for young adults with high-functioning autism. J Autism Dev Disord 2013; 43(1): 34-44 15 Mesa-Gresa P et al.: Effectiveness of virtual reality for children and adolescents with autism spectrum disorder: an evidence-based systematic review. Sensors (Basel) 2018; 18(8): 2486 16 Cho BH et al.: The effect of virtual reality cognitive training for attention enhancement. Cyberpsychol Behav 2002; 5(2): 129-37 17 Parsons TD et al.: A controlled clinical comparison of attention performance in children with ADHD in a virtual reality classroom compared to standard neuropsychological methods. Child Neuropsychol 2007; 13(4): 363-8118 Pollak Y et al.: The utility of a continuous performance test embedded in virtual reality in measuring ADHD-related deficits. J Dev Behav Pediatr 2009; 30(1): 2-619 Park KM et al.: A virtual reality application in role-plays of social skills training for schizophrenia: a randomized, controlled trial. Psychiatry Res 2011; 189(2): 166-72 20 Rus-Calafell M et al.: A virtual reality-integrated program for improving social skills in patients with schizophrenia: a pilot study. J Behav Ther Exp Psychiatry 2014; 45(1): 81-9 21 Gorini A, Riva G: Virtual reality in anxiety disorders: the past and the future. Expert Rev Neurother 2008; 8(2): 215-33 22 Aardema F et al.: Virtual reality induces dissociation and lowers sense of presence in objective reality. Cyberpsychol Beh Soc Netw 2010; 13(4): 429-35 23 Repetto C, Riva G: From virtual reality to interreality in the treatment of anxiety disorders. Neuropsychiatry 2011; 1(1): 31-43 24 Mondellini M et al.: Influences of a virtual reality experience on dissociation, mindfulness, and self-efficacy. Cyberpsychol Behav Soc Netw 2021; 24(11): 767-71

Back to top