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6. Fachtag Ethik

Suizidhilfe in Österreich: neue Rahmenbedingungen, praktische Aspekte

Seit 1. Jänner 2022 ist die Suizidhilfe in Österreich unter bestimmten Voraussetzungen rechtlich erlaubt. Damit sind Fragen verbunden; diese zu bedenken zählt zu einer verantwortungsbewussten medizinischen Praxis.

Keypoints

  • Die beiden Aspekte der Entscheidungsfähigkeit und der Krankheitsvoraussetzungen verdeutlichen, dass die Neuregelung der Suizidhilfe hohe Anforderungen an jene Ärzt*innen stellt, die sich auf die damit verbundene ärztliche Aufklärung einlassen.

  • Zugleich bleiben die bereits zuvor geltenden Grundsätze der ärztlichen Betreuung am Lebensende bestehen, insbesondere jene der Suizidprävention und der Palliative Care.

  • Nur ein gut informierter, reflektierter Umgang mit den alten und neu hinzugekommenen Aspekten kann den Anforderungen an eine professionelle, verantwortungsbewusste ärztliche Praxis der Sorge am Lebensende gerecht werden.

Sterbeverfügung

Der Gesetzgeber hat versucht, die Suizidhilfe so zu regulieren, dass Rechtssicherheit besteht und Missbrauch abgewehrt wird. Dazu hat er im „Sterbeverfügungsgesetz“ ein Verfahren entworfen, das hier kurz skizziert werden soll:

  • Zugänglich ist das Verfahren für Personen ab 18 Jahren, die an einer unheilbaren, zum Tod führenden Krankheit oder an einer schweren, dauerhaften Krankheit mit anhaltenden Symptomen leiden, deren Folgen die betroffene Person in ihrer gesamten Lebensführung beeinträchtigen.

  • Die betroffene Person muss entscheidungsfähig sein und den Suizidwunsch freiwillig und selbstbestimmt äußern.

  • Die suizidwillige Person muss eine umfassende ärztliche Aufklärung in Anspruch nehmen.

  • Nach dieser Aufklärung kann sie in einem Notariat oder einer Patientenanwaltschaft eine „Sterbeverfügung“ errichten. Diese Urkunde dokumentiert das Vorliegen der erforderlichen Voraussetzungen für den Bezug eines tödlichen Präparats.

  • Mit der Sterbeverfügung kann sich die suizidwillige Person in einer Apotheke das tödliche Präparat (Natrium-Pentobarbital) besorgen, mit dem sie die Selbsttötung durchführen kann.

Für alle an diesem Verfahren Beteiligten gilt der Grundsatz der Freiwilligkeit: Niemand muss eine ärztliche Aufklärung im Sinn des Sterbeverfügungsgesetzes durchführen oder eine Sterbeverfügung beurkunden, niemand muss ein tödliches Präparat abgeben oder stellvertretend besorgen, und niemand muss bei der Durchführung des Suizids assistieren. Umgekehrt darf niemand in irgendeiner Weise benachteiligt werden, wenn er sich zu einer dieser Handlungen entschließt, oder daran gehindert werden, diese Handlungen rechtskonform auszuüben. Das gesamte Geschehen soll nach dem Willen des Gesetzgebers ein selbstbestimmtes, höchstpersönliches, möglichst privates sein. Das entspricht der zentralen Bedeutung des Gewissens, das hier auf dem Spiel steht.

Praktische Aspekte

Für die medizinische Praxis im Allgemeinen und jene der Neurologie und Psychiatrie im Speziellen hat die Neuregelung einige Implikationen. Unabhängig davon, wie man persönlich zur Option einer Suizidhilfe steht, kann es als Teil der professionellen, verantwortungsbewussten Praxis gelten, über diese Implikationen Bescheid zu wissen.

Entscheidungsfähigkeit

Das bereits vom Verfassungsgerichtshof und nun im Gesetz prominent vertretene zentrale Kriterium ist das der Entscheidungsfähigkeit einer sterbewilligen Person. „Entscheidungsfähig“ ist, wer in Hinblick auf die Suizidfrage die faktischen Umstände (z.B. seiner Krankheitssituation) versteht, seine Optionen (z.B. Alternativen zu einem Suizid) bewerten kann und sich entsprechend verhalten kann (d.h. schlüssig handelt). Diese Entscheidungsfähigkeit muss im Rahmen der ärztlichen Aufklärung gemäß Sterbeverfügungsgesetz zweifelsfrei festgestellt werden, sie muss zum Zeitpunkt der Errichtung einer Sterbeverfügung bestätigt werden, und sie muss auch zu Beginn der Durchführung des Suizids noch vorhanden sein. Andernfalls würde es sich im Rechtssinn nicht um einen selbstbestimmten Suizid handeln (siehe Infokasten). Angesichts der Dynamik, der die Entscheidungsfähigkeit unterliegen kann, erfordert dies eine sorgfältige Auseinandersetzung im konkreten Fall. Gerade neurologische und psychiatrische Erkrankungen können die Entscheidungsfähigkeit einschränken, ohne dass eine entsprechende Diagnose die Entscheidungsfähigkeit pauschal ausschließen würde.

Krankheitsvoraussetzungen

Eine rechtskonforme Suizidhilfe setzt u.a. das Vorliegen einer qualifizierten Erkrankung voraus. Entweder muss eine unheilbare, zum Tod führende Krankheitdiagnostiziert sein (z.B. amyotrophe Lateralsklerose) oder eine schwere, dauerhafte Krankheit mit anhaltenden Symptomen, deren Folgen die betroffene Person in ihrer gesamten Lebensführung dauerhaft beeinträchtigen (z.B. Morbus Parkinson). Auch psychiatrische Erkrankungen können die Voraussetzungen grundsätzlich erfüllen. Erforderlich ist, dass die Person, die einen Suizid erwägt, im Rahmen der ärztlichen Aufklärung über den individuellen Krankheitsstatus und die damit verbundenen (Be-)Handlungsoptionen ins Bild gesetzt wird.




Begrifflichkeiten

  • „Suizid“ im rechtsethischen Sinn ist eine Selbsttötung nur dann, wenn der dafür entscheidungsfähige Mensch freiwillig und selbstbestimmt den Tod an sich selbst unmittelbar verursacht (z.B. ein tödliches Präparat einnimmt).

  • „Suizidhilfe“ ist die physische Unterstützung bei der Durchführung des Suizids (z.B. ein tödliches Präparat zur Verfügung zu stellen). Diese Suizidhilfe ist unter bestimmten Voraussetzungen nunmehr straffrei.

  • „Tötung auf Verlangen“ ist die Tötung einer entscheidungsfähigen Person, die dies ernstlich und eindringlich verlangt, durch eine andere Person (z.B. die Injektion eines tödlichen Präparats in eine sterbewillige Person durch jemand anderen). Diese Fremdtötung ist weiterhin strafrechtlich verboten.

  • „Sterben zulassen“ ist der Verzicht auf oder die Beendigung von lebenserhaltenden Maßnahmen – entweder weil sie medizinisch nicht mehr indiziert sind oder weil sie die betroffene Person ablehnt (z.B. die Beendigung einer maschinellen Beatmung). Dieses Sterben-Zulassen war und ist erlaubt.

  • „Symptomlinderung am Lebensende“ ist die Behandlung von Schmerzen und anderen Leidenszuständen, selbst wenn dies eine Beschleunigung des krankheitsbedingten Sterbevorgangs bedeuten könnte (z.B. eine palliative Sedierung). Diese Palliative Care am Lebensende war und ist erlaubt.

beim Verfasser

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