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Psychopharmaka

Sind Nahrungsergänzungsmittel psychopharmakologisch aktiv?

Die Evidenzlage spricht bei Depressionen eindeutig für die Zusatzbehandlung mit Omega-3-Fettsäuren und sie wird dafür von der American Psychiatric Association seit 10Jahren empfohlen. Für leichte kognitive Beeinträchtigungen gibt es neue interessante Daten aus einer klinischen Studie mit Curcumin.

Patienten mit mentalen Problemen zeigen einen exzessiven Zucker- und Fettkonsum und dadurch einen Mangel an nährstoffreicher Ernährung. Meist gehen diese Defizite der Entwicklung von psychiatrischen Erkrankungen voraus, sie können aber auch durch die hormonellen und metabolischen NW der Psychopharmaka mitverursacht sein. Diätetische Risikofaktoren sind für Herz-Kreislauf-, metabolische Erkrankungen, Karzinome und neurologisch-psychiatrische Erkrankungen gut dokumentiert. Nährstoffe kann man nicht nur über gesunde Nahrungsmittel, sondern auch als Nahrungsergänzungsmittel (NEM) und Supplemente einnehmen.

Ob NEM die durch Mangelzustände verursachten neuropsychiatrischen Störungen verbessern können, ist ein neues naturwissenschaftliches Forschungsfeld. Dabei stellt sich die Frage, ob NEM auch psychopharmakologisch sind. Grundsätzlich sind Psychopharmaka Arzneimittel, die auf die Psyche einwirken und eine agonistische oder antagonistische Wirkung auf den zerebralen Neurotransmitter-Stoffwechsel bzw. deren Rezeptoren aufweisen. Psychoaktive Substanzen beeinflussen die neuronalen Abläufe im Gehirn und bewirken eine Veränderung der psychischen Verfassung. Psychopharmaka müssen die ADME-Kriterien (Absorption, Distribution, Metabolismus, Elimination) erfüllen.

NEM gehören hingegen zu den Lebensmitteln, ergänzen die normale Ernährung oder helfen, Mangelzustände zu vermeiden. Sie sind keine Arzneimittel und biologisch inaktiv. Die Inhaltsstoffe sind Vitamine, Mineralstoffe, Aminosäuren, Fettsäuren, pflanzliche Extrakte und Probiotika. NEM sind in ihrer Darreichung ähnlich den Arzneimitteln und sie werden als Tabletten, Kapseln und Flüssigkeiten angeboten und für die Vorbeugung und Behandlung von Krankheiten eingesetzt. Sie dürfen nur mit gesundheitsbezogenen Angaben (Health Claims) umschrieben werden. Die Akzeptanz von NEM ist in der Bevölkerung sehr hoch, v.a. in Amerika, wo mehr als die Hälfte der Bevölkerung NEM einnimmt. Allerdings ist die Evidenz, dass dadurch die Inzidenz von Erkrankungen oder eine vorzeitige Mortalität günstig beeinflusst werden könnte, gering.

Rezente wissenschaftliche Erkenntnisse bestätigen, dass neuropsychiatrische Erkrankungen mit erhöhten peripheren und zentralen Markern von oxidativem Stress und Inflammation verbunden sind und dass Lebensstilveränderungen und spezifische Interventionen diese Marker reduzieren können. Omega-III-Fettsäuren, N-Acetylcystein und Curcumin wirken antioxidativ und antiinflammatorisch.

In letzter Zeit wurden viele Metaanalysen und ein Metareview über diese Analysen zur Wirksamkeit der NEM bei mentalen Erkrankungen publiziert. In einem Metareview von Firth aus dem Jahr 2019 konnten die Daten von insgesamt 10951 Patienten aus 33 randomisierten placebokontrollierten DB-Studien ausgewertet werden. Dabei wurde die Qualität der Metaanalysen durch ein AMSTAR-2(A Measurement Tool to Assess Systematic Reviews)-Verfahren objektiviert. Die höchste Evidenzlage ergab sich für ungesättigte Fettsäuren (PUFA – „polyunsaturated fatty acids“, v.a. EPA) für die Add-on-Behandlung von Depressionen und ADHS („Attention deficit hyperactivity“-Störungen). Hoch dosierte Methyl-Folsäure konnte bei schweren Depressionen gewisse Verbesserungen nachweisen. N-Acetylcystein (NAC) zeigte eine gewisse Wirkung bei affektiven Störungen und bei Schizophrenie. Curcumin konnte neben der überzeugenden polyvalenten Wirkung die ersten Daten zur Wirksamkeit bei Gedächtnisstörungen und Alzheimerkrankheit dokumentieren. Für klinisch tätige Ärzte ist das Wissen um die Evidenzlage wesentlich. Im Psychopharmaka-Booklet der IFPA (Interdisziplinäres Forum für Psychopharmako-Therapie im Alter) aus dem Jahr 2020 sind drei medizinische NEM vertreten, die sich in der täglichen Praxis besonders bewährt haben: Libretto® wegen seiner hohen Menge an EPA (375mg) und DHA (147mg pro Kapsel) für die Zusatzbehandlung von Depressionen und affektiven Störungen; Acutil® wegen seines hohen Gehaltes an DHA (350mg) und EPA (40mg) und anderer wichtiger Nährstoffe wie Ginkgo biloba, Phosphatidylserin, Vitamin E, B12 und Folsäure für die Behandlung von MCI und als Zusatztherapie für leichte Demenzformen; Dr. Böhm Gedächtnis aktiv® mit dem Kurkuma-Extrakt Longvida, Phosphatidylserin, Pantothensäure, Thiamin, Vitamin B6 und Zink zur Behandlung von leichten kognitiven Beeinträchtigungen und zur Gedächtnisverbesserung.

Für welche Erkrankungen sind NEM wirksam?

Depressionen

50–60% des trockenen Gehirns bestehen aus Lipiden, davon sind 35% PUFA, wobei die Arachidonsäure und DHA („docosahexaenoic acid“) die höchste Konzentration zeigen. PUFA sind essenziell für die Membranfluidität, v.a. in Neuronen und deren Signalübertragung. EPA („eicosapentaenoic acid“) fördert die entzündungshemmende Wirkung durch Reduktion von entzündungsfördernden Mediatoren (wie proinflammatorische Zytokine und Eicosanoide) und Synthese von entzündungshemmenden Mediatoren (wie Resolvine und Leukotriene). EPA verbessert die Neurotransmission von Serotonin und Noradrenalin (zusammen mit DHA). DHA hat eine strukturelle und neuroprotektive Wirkung und eine wichtige Funktion für die Membranstabilität und Membranfluidität und die Neurotransmission. Die neurotrophe Wirkung ist bedingt durch Erhöhung der BDNF-Spiegel.

Bei Depressionen spricht die Evidenzlage eindeutig für die Zusatzbehandlung mit NEM (Nutrazeutika). Die APA (American Psychiatric Association) hat deshalb bereits 2010 Omega-3-FS als Begleittherapie bei affektiven Störungen empfohlen. Omega-3-FS wurden 2016 vom CANMAT (Canadian Network for Mood and Anxiety Treatments) in den Leitlinien zur Depressionsbehandlung als „second-line treatment“ einbezogen. Sie werden als Monotherapie für leichte bis mittelschwere und als Zusatztherapie für schwere Depressionen empfohlen. Supplemente, die ≥60% EPA in Tagesdosen zwischen 200 und 2200mg EPA enthalten, waren gegen Depressionen wirksam. Mit zwei Kapseln Libretto® täglich werden 750mg EPA eingenommen. Die Behandlung sollte bis zur vollständigen Remission aller depressiven Symptome als Begleitmedikation zu Antidepressiva fortgeführt werden.

ADHD („attention deficit hyperactivity disorder“)

Omega-3-FS konnten eine gewisse Wirksamkeit in Bezug auf Hyperaktivität, Impulsivität, Unaufmerksamkeit und in der Gesamtsymptomatik in placebokontrollierten Studien nachweisen.

Abb. 1: Nahrungsergänzungsmittel und Pharmaka im Vergleich

Abb. 2: Nahrungsergänzungsmittel als Zusatztherapien bei neurodegenerativen Erkrankungen, Depressionen und Psychosen

Bipolare Störungen, Angststörungen und Schizophrenie

Alle analysierten NEM konnten keine überzeugende Wirksamkeit in allen Parametern dokumentieren. Für gemischte bipolare depressive Störungen ergab sich für N-Acetylcystein in einer Dosierung von 2000–3000mg eine Besserung der Funktionalität. Auch bei Schizophrenie konnte N-Acetylcystein in einer Dosis von 1000–6000mg die Gesamtsymptomatik reduzieren. Vitamin B9 war in der Negativsymptomatik in unterschiedlichen Dosierungen wirksam. Sarcosin 2000mg und Glycin 2,8–60g waren nur für die Gesamtsymptomatik effizient, jedoch nicht für die Positiv- und Negativsymptomatik und auch nicht als Add-on zu Clozapin. Für Psychosen waren Omega-3-FS nicht erfolgreich.

Leichte kognitive Beeinträchtigung und Alzheimerkrankheit

In den letzten 15 Jahren wurden ca. 400 klinische Studien für Antidementiva gemeldet; die Versagensquote war nahezu 100%. Deshalb rückte die bereits vor ca. 30 Jahren formulierte „inflammatorische Hypothese der Demenz“ wieder in den Vordergrund. Die zentrale Neuroinflammation wurde neben der cholinergen und amyloidogenen Hypothese der Demenz in zahlreichen Studien untersucht. Ein Zusammenhang zwischen erhöhten Entzündungsparametern, aktivierten Mikroglia, Adhäsionsmolekülen und neuroinflammatorischen Prozessen wurde wissenschaftlich gut dokumentiert. Von den vielen getesteten antiinflammatorischen Substanzen zeigt nur Indomethacin eine gewisse Wirkung. Möglicherweise haben NSAR und COX-Hemmer einen protektiven Effekt bei Krankheitsbeginn. Omega-3-Fettsäuren hemmen proinflammatorische und fördern antiinflammatorische Zytokine und könnten durch ihre antioxidative Wirkung und die Regulation der BDNF-Expression therapeutisch interessant sein. In der Praxis hat sich Acutil® (2x 1 Kapsel/d enthalten 700mg DHA und 80mg EPA) für die Behandlung von MCI und als Zusatztherapie für leichte Demenzformen bewährt. Acutil® hat seine Effizienz bereits in einer offenen Studie durch Verbesserungen im Phototest und eine Verzögerung der Progression hin zur Demenz im Sinne einer sekundären Prophylaxe nachgewiesen. Eine kontrollierte Studie bei 50 Patienten mit MCI und leichter Alzheimerdemenz ist im Publikationsstadium. Auch Dr. Böhm Omega 3 complex ist wegen seines hohen Gehaltes an EPA, DHA, Vitamin D und Q10 eine gute Alternative. Curcumin wird wegen seiner antioxidativen und entzündungshemmenden Wirkung seit sehr langer Zeit geschätzt. Curcumin konnte die Überaktivierung von Mikroglia und die Ausschüttung von Entzündungsmediatoren vermindern. DiSilvestro dokumentierte in einer placebokontrollierten Studie eine Triglyzerid- und Amyloid-senkende Wirkung im Plasma und eine Erhöhung der Radikalfänger-Eigenschaften im Speichel unter 80mg Curcumin täglich. In einer rezenten placebokontrollierten klinischen Studie aus dem Jahr 2018 von Small an 40 nicht dementen Probanden mit leichten Gedächtnisdefiziten oder MCI wurde in der Curcumin-Gruppe (TheracurminTM) nach 18 Monaten im Buschke Selective Reminding Test eine statistisch grenzwertig signifikante (p=0,05) Verbesserung durch Curcumin gegenüber Placebo nachgewiesen. Im PET-Imaging mit einem FDDNP-Tracer, der sowohl Amyloid-Plaques als auch Tau-Tangles erfasste, konnte nach 18 Monaten ein signifikanter Gruppenunterschied dokumentiert werden. Die Tracerbindung im Hypothalamus war in der Placebogruppe signifikant höher (p=0,02) als in der Curcumin-Gruppe. Dies war v.a. auf ein verstärktes Amyloid/Tau-Signal in der Placebogruppe zurückzuführen.

Fazit

Die höchste Evidenzlage ergab sich für ungesättigte Fettsäuren (PUFA – „polyunsaturated fatty acids“, v.a. EPA) für die Add-on-Behandlung von Depressionen und ADHS. Hoch dosierte Methyl-Folsäure konnte bei schweren Depressionen gewisse Verbesserungen nachweisen. N-Acetylcystein (NAC) zeigte eine gewisse Wirkung bei affektiven Störungen und bei Schizophrenie. Curcumin konnte neben der überzeugenden polyvalenten Wirkung die ersten Daten zur Wirksamkeit bei Gedächtnisstörungen und Alzheimerkrankheit dokumentieren. Alle anderen NEM müssen ihre Wirksamkeit erst nachweisen.

Firth J et al.: World Psychiatry 2019; 18(3): 308-24 Sarris J et al.: Lancet Psychiatry 2015; 2(3): 271-4 Small GW et al.: Am J Geriatr Psychiatry 2018; 26(3): 266-77

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