
„Wir retten keine Menschenleben, sind aber an der Rettung beteiligt“
Bericht:
Dr. Christine Dominkus
Die 62. Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Plastische, Ästhetische und Rekonstruktive Chirurgie (ÖGPÄRC) spannte auch dieses Jahr einen thematisch extrem weiten Bogen und begeisterte die Besucher mit einer Vielzahl an spannenden Vorträgen.
Prim. Univ.-Doz. Dr. Rupert Koller, Präsident der ÖGPÄRC und Vorstand der Abteilung für Plastische, Ästhetische und Rekonstruktive Chirurgie an den Kliniken Ottakring und Landstraße, eröffnete die Pressekonferenz anlässlich der 62. Jahrestagung der ÖGPÄRC in Linz mit launigen Worten: „Mit der plastischen Chirurgie verbinden die meisten Menschen – auch Kollegen – Schönheit … die Durchführung ästhetischer Eingriffe. Diese Säule der plastischen Chirurgie wird von uns auch unterstützt“, so Koller weiter und brachte einen amüsanten Vergleich: „Ästhetik ist eben ein Thema, das viele interessiert … im Gegensatz zur Kniearthroskopie.“
„Not very amused“
In großen Spitälern werden 80–90% der plastischen Eingriffe mit medizinischer Indikation von den Krankenkassen bezahlt, berichtete Koller. Oft handelt es sich um nicht lebensbedrohliche Eingriffe, sie verbessern aber die Lebensqualität dramatisch. Was der Präsident stark kritisierte, ist die Tatsache, dass in Zeiten der Ressourcenverknappung plastische Abteilungen als erste zugesperrt werden bzw. nicht akut notwendige Operationen nach hinten verschoben werden. Letzteres war konkret in der Pandemie der Fall.
Klassische Domänen der plastisch-rekonstruktiven Tumorchirurgie stellen folgende Malignome dar:
Mammakarzinom (häufigste Krebserkrankung der Frau; 2019: 5682 Erstdiagnosen in Österreich; Mortalität: 1665; kumulatives 5-Jahres-Überleben: 86,8%)
Tumoren des unteren Gastrointestinaltraktes (Analkarzinom/Rektumkarzinom)
Weichteilsarkom (Tumoren des Weich-/Stützgewebes; ca. 1% aller Malignome; Inzidenz ca. 3/100000)
Lymphödem als häufige Folge von Malignombehandlungen (kumulative 5-Jahres-Inzidenzrate für ein Brustkrebs-assoziiertes Lymphödem [BCRL] liegt je nach Therapieart bei bis zu 30,1%)
Plastische Tumorchirurgie mehr als nur Lappendeckung
Derzeit sind etwa 400000 Menschen in Österreich mit der Diagnose Krebs konfrontiert. Auf Brustkrebs entfielen 2022 rund 30% der Neuerkrankungsfälle bei Frauen sowie 16% aller Krebssterbefälle. Trotz des medizinischen Fortschritts in der Tumorchirurgie, der in vielen Fällen eine komplette Remission ermöglicht, stehen Patienten oft vor der Herausforderung, mit den ästhetischen und funktionellen Folgen der Operation zu leben. „Die plastisch-rekonstruktive Tumorchirurgie spielt eine zentrale Rolle in der onkologischen Versorgung“, konstatierte Prim. Priv.-Doz. Dr. Georgios Koulaxouzidis, Kongresspräsident der diesjährigen Jahrestagung und Leiter der Abteilung für Plastische, Ästhetische und Rekonstruktive Chirurgie am Ordensklinikum Barmherzige Schwestern in Linz.
Ein Weg zurück zur Lebensqualität
Ziel der onkologischen Chirurgie in der plastischen und rekonstruktiven Chirurgie ist es, funktions- und extremitätenerhaltend zu operieren. Komplexe rekonstruktive Verfahren tragen erheblich zur Verbesserung der körperlichen und psychischen Lebensqualität bei, indem sie Funktion und Form erhalten oder wiederherstellen. Fortschritte in der biologischen Extremitätenrekonstruktion ermöglichen es, Knochendefekte mit körpereigenem Knochenmaterial aus dem Becken oder Unterschenkel zu ersetzen. Auch muskuläre oder nervale Defekte, die für die Funktion entscheidend sind, können durch gezielte Muskel- oder Nerventransfers behoben werden.
Maligne Erkrankungen sind im Zunehmen, nicht zuletzt durch die steigende Lebenserwartung. Koulaxouzidis: „Die Tumorchirurgie mit extremitätenerhaltenden Rekonstruktionstechniken und die Verbesserung der Prothesentechnik können einen wichtigen Beitrag leisten. Erstes Ziel ist es, das Leben zu retten, das zweite sind der Erhalt und die Wiederherstellung von Form und Funktion durch mikrochirurgische Techniken.“
Für das Mammakarzinom gilt, dass nach Diagnose des Tumorstadiums eine individuelle Behandlungsstrategie vom interdisziplinären Tumorboard festgelegt wird. In diesem Tumorboard ist die plastische-rekonstruktive Chirurgie fix verankert. Koller führte aus: „Die Mehrheit der an Brustkrebs erkrankten Frauen kann heute brusterhaltend operiert werden. An spezialisierten Brustkrebszentren in Österreich beträgt die Brusterhaltungsrate bis zu 80%. Neue Herausforderungen, die zu vermehrten Mastektomien führen, stellen die genetisch belasteten Betroffenen dar. Gerade Frauen mit BRCA-1- und BRCA-2-Mutation sind eine besondere Risikogruppe, meist deutlich jünger mit dem hohen Anspruch eines langfristiges Ergebnisses.“ In diesen Fällen wird zu einer risikoreduzierenden Brustentfernung mit anschließender Rekonstruktion geraten.
Abb. 1: Koulaxouzidis, Radtke, Koller und Kubiena bei der ÖGPÄRC-Pressekonferenz
Grundsätzlich können Brustrekonstruktionen mit Eigengewebe, manchmal auch mit Muskeltransplantaten durchgeführt werden. Andererseits stellt die Rekons-truktion mit Implantaten, zumeist aus Silikon, die weitaus häufiger geübte Methode dar, auch wenn damit mehr Komplikationen verbunden sind, erklärte Koller. In den letzten Jahren wurden vor allem die direkten Rekonstruktionen mit Implantaten durchgeführt, bei denen bereits bei der Brustentfernung ein Implantat, zumeist verstärkt mit einem Netz oder einer dermalen Matrix, eingesetzt wird. Die Brustrekonstruktion kann idealerweise sofort bei der Mastektomie durchgeführt werden. Sollte dies nicht möglich sein, kann auch sekundär ein Wiederaufbau erfolgen.
Humanitäre Einsätze – im Namen der Christlichkeit
Univ.-Prof. Dr. Christine Radtke von der Universitätsklinik für Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie an der MedUniWien erläuterte: „Kollegen leisten durch ihre humanitären Einsätze in Krisengebieten, aber auch in jenen Ländern, in denen es an fachspezifischer Medizin mangelt, Hilfe für Menschen mit kriegsbedingten Verbrennungen und Entstellungen, Kinder mit kongenitalen Fehlbildungen sowie Patienten mit Weichteiltumoren. Da die modernen Techniken und Methoden in vielen Ländern des Globalen Südens noch nicht bekannt sind und daher auch nicht praktisch umgesetzt werden, sind auch Training und Wissensaustausch mit dem lokalen Personal besonders wichtig. Somit zeigt jeder Einsatz auch nachhaltige Wirkung.“
Vor allem bei den humanitären Einsätzen leisten Mitglieder der ÖGPÄRC Eindrucksvolles im Namen der Menschlichkeit. Dr. Harald Kubiena, Wien, der sich mit der Behandlung von „NOMA-Kindern“ in Westafrika einen Namen gemacht hat, schilderte seine Erfahrungen: „Wir als plastische Chirurgen sind bereit, unsere Freizeit zu opfern, um Gutes zu tun im Sinne der christlichen Nächstenliebe. Gerade im Bereich der plastischen Gesichtschirurgie wird man als Arzt, der in beiden Welten, jener des Schreckens angesichts der entstellten Gesichter halbverhungerter Kinder Westafrikas und der Welt der ,Schönen und Reichen‘, arbeitet, oft nach der Vereinbarkeit dieser beiden Welten gefragt. Um ehrlich zu sein, müsste man diese Frage an die Patienten weitergeben.“
In 10- bis 14-tägigen Einsätzen ohne finanzielle Unterstützung, sondern auf Spenden angewiesen, mit einem interdisziplinären Team bestehend aus plastischen Chirurgen, Anästhesisten und Pflegepersonal bemühen sich die Ärzte nicht nur um den Patienten selbst, sondern versuchen, im Sinne der Wissensvermittlung einheimische Kollegen und die Familien der Patienten einzubinden. Patienten selbst werden nur in Einzelfällen nach Österreich geholt, erzählte Kubiena: „Wir als Ärzte müssen uns auf neue politische Situationen und Standards einstellen und mit einfachsten Mitteln zurechtkommen.“ Durch die Operationen haben die Patienten die Chance, aus Krankheit und Armut herauszukommen und am gemeinschaftlichen Leben wieder teilzunehmen. Integration wird wieder möglich.
Nur 10–20% der an Noma erkrankten Kinder überleben. Durch die plastische Gesichtswiederherstellung können viele Kinder und Jugendliche erstmals wieder uneingeschränkt Nahrung zu sich nehmen. „Es ist eine besondere Stimmung im Team, man wird mit Freude erwartet und helfen ist so schön“, so Kubiena, den dieser Teil seines Berufs sichtlich erfüllt. Es sind sehr anspruchsvolle rekonstruktive Eingriffe mit Gewebstransplantationen (Knochen, Sehnen, Muskeln), um die kranke Gesichtshälfte wiederherzustellen.
Zwischen Innovationen und Handwerk
Robotik spielt in Zukunft eine Rolle, auch in der Brustkrebschirurgie, ist Koller überzeugt. 3D-Druck in der plastischen Chirurgie ist bereits ein wichtiges Thema, z.B. bei Teildefekten. Und was künstliche Intelligenz betrifft: „KI kann bei Entscheidungen helfen, doch der plastische Chirurg als Person ist nicht durch KI zu ersetzen. Die plastische Chirurgie ist weniger ein intellektuelles als ein handwerkliches Fach, es ist vielmehr manuelles Geschick, worauf es ankommt“, so der Präsident der ÖGPÄRC abschließend.
Quelle:
Pressekonferenz und Pressemappe anlässlich der 62. Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Plastische, Ästhetische und Rekonstruktive Chirurgie (ÖGPÄRC), 3.–5. Oktober, Linz
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