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Demenzerkrankungen

Realität und (noch) Utopie

Neurodegenerative Prozesse sind die grundlegende Ursache von Demenz. Mittlerweile gibt es Biomarker, die diese Veränderungen im Blut nachweisen können. Bis sie jedoch im klinischen Einsatz sein werden, müssen sie noch präziser werden. An krankheitsmodifizierenden Substanzen wird ebenfalls mit Hochdruck geforscht.

Alzheimer ist die häufigste Ursache von Demenz im Alter. Mischpathologien sind häufig, wie etwa die Alzheimerkrankheit und Mikroangiopathie. Alzheimer in Reinform ist laut Univ.-Doz. Dr. Christian Bancher, Abteilung für Neurologie, LK Horn und LK Allentsteig, eher selten.

Neurodegeneration verstehen

„Neurodegeneration ist die Ursache beim überwiegenden Teil (80–90%, Anm.) aller Demenzfälle“, weiß Bancher. „In neuroradiologischen Untersuchungen konnten zwei Arten von neurodegenerativen Veränderungen bei Demenzpatienten festgestellt werden: neuritische Plaques und neurofibrilläre Tangles.“

Die sogenannte Amyloid-Kaskaden-Hypothese1 besagt, dass die Bildung und Ablagerung von Amyloid im Gehirn Ursache dieser Erkrankung ist. „Vieles spricht dafür, dass es sich bei den neurodegenerativen Erkrankungen um Proteinopathien handelt, weil sich verschiedene Proteine im Gehirn ablagern“, informiert Bancher. „Sinnvoller wäre es, neurodegenerative Erkrankungen nach der jeweiligen Pathophysiologie zu benennen. Demnach wäre Alzheimer eine Tauropathie und eine Amyloidose“, ergänzt Bancher. Parkinson und Parkinsonsyndrome sind demnach Alpha-Synucleinopathien.

Biomarker

„Amyloidablagerungen können im PET-Scan markiert und dargestellt werden, allerdings gibt es derzeit keine kausale Therapie“, so Bancher. Das Gleiche gilt für das Tau-Protein, eine Tau-PET-Untersuchung ist in Österreich noch nicht verfügbar. „Die Proteine – Amyloid-beta 42, Tau-Protein – können auch im Liquor cerebrospinalis gemessen werden, wobei ihre Konzentration mit der klinischen Präsentation der Erkrankung korreliert“, erläutert Bancher.

Vision Bluttest

Kürzlich wurde nachgewiesen, dass die Proteine als Biomarker im Blutplasma bestimmt werden können.2 Allerdings ist die Konzentration dieser Biomarker um das 10- bis 50-Fache niedriger als im Liquor. Bancher: „Die Tests sind noch in Entwicklung und müssen deutlich besser werden.“

„Die Diagnostik der Demenz wird sich durch die Verfügbarkeit von Bluttests deutlich verändern und eine frühe Demenzdiagnose noch in der präklinischen Phase ermöglichen“, betont Bancher.

Ursächliche Therapie?

Der Amyloid-Antikörper Aducanumab wurde in den Studien EMERGE und ENGAGE an mehr als 3000 Alzheimerpatienten in 20 Ländern getestet.3 „Beide Studien fielen primär negativ aus und wurden abgebrochen. Nach einer erneuten Analyse zeigte sich, dass der Antikörper dosisabhängig Amyloidablagerungen verhindert hat“, ergänzt Bancher. Daraufhin wurde Aducanumab von der FDA in einem umstrittenen (wegen der fraglichen Wirkung, Anm.) Entscheid in den USA 2021 zugelassen. Eine positive Bewertung durch die EMA ist bisher nicht erfolgt.

Etwa 45 Substanzen gegen Demenz sind aktuell in Entwicklung. Der Großteil der klinischen Forschung konzentriert sich auf krankheitsmodifizierende Wirkstoffe, die den Krankheitsverlauf bremsen sollen.4

Therapieleitlinien

„Für die Behandlung der Alzheimerdemenz stehen derzeit fünf Präparate zur Verfügung“, sagt Bancher5 und unterstreicht: „Cholinesterase-Hemmer wirken nicht nur im Frühstadium, sondern auch in späten Stadien, in denen es nicht mehr nur um eine Verbesserung, sondern auch um eine Verlangsamung des Verlaufes geht. Sie wirken positiv auf die Kognition und verlangsamen die psychiatrischen Symptome.“ Memantin, ein Glutamat-Rezeptor-Antagonist, wirkt auf die Kognition, Alltagsfunktion und den klinischen Gesamteindruck bei Patienten mit moderater bis schwerer Alzheimerdemenz. Bei leichter Demenz soll Memantin wegen fehlender Wirkung nicht eingesetzt werden.5 Zudem hat eine Kombinationstherapie/Add-on-Therapie mit Memantin und einem Cholinesterase-Hemmer keinen Nutzen gezeigt.5 „Das Ziel der derzeitigen Therapie ist es, die Demenz zu verhüten, wenn auch nicht vollständig“, illustriert Bancher. „Wenn es gelingen würde, modifizierbare Risikofaktoren für Demenz wie erhöhten Blutdruck im mittleren Lebensalter, Depression, soziale Isolation und Diabetes mellitus zu verhindern, könnte ein Drittel der Demenzfälle vermieden werden.“ Derzeit laufen zahlreiche Präventionsstudien, wie etwa „World Wide-Fingers“,6 die untersuchen, ob mit Multi-Problem-Interventionen eine therapeutische Wirkung erreicht werden kann.

„Diagnostik und Therapie bei Demenz – Realität bis Utopie“, Interdisziplinäres Herbstsymposium für Psychopharmakologie, 7. Oktober 2022, Wien

1 Palmqvist et al.: EMBO Mol Med 2019; 11: e11170 2 Kim et al.: Nat Commun 2020; 11: 119 3 Haeberlein et al.: J Prev Alzheimers Dis 2022; 9: 197-210 4 Cummings et al.: Alzheimers Dement 2022; 8: e12295 5 Ihl et al.: Int J Psychiatry Clin Pract 2015; 19: 2-7 6 https://wwfingers.com

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