
Psychotische Syndrome und deren Behandlung bei organischen Störungen
Autoren:
Dr. Elmar Windhager1
Prim. Dr. Katharina Glück1
Dr. Isabella Windhager2
Dr. Christian Behr1
1 Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin, klinische Psychologie und Psychotherapie
2 Abteilung für Innere Medizin 1
Klinikum Wels-Grieskirchen
Korrespondierender Autor:
Dr. Elmar Windhager
E-Mail: elmar.windhager@klinikum-wegr.at
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Die Diagnose „Schizophrenie“ war gestern. Ursachen für psychotische Störungen sind vielfältig, komplex und neue Erkenntnisse z.B. aus der Psychoneuroimmunologie sorgen für therapeutische Optionen über Psychopharmaka hinaus.
Keypoints
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Psychotische Störungen sind nicht nur ein passageres Symptom bei vielen körperlichen Erkrankungen, sie können auch vielfältige somatische Ursachen haben, die für eine wirksame Behandlung von großer Bedeutung sind.
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Eine umfassende Diagnostik ist daher bei jeder Erstmanifestation einer Psychose angezeigt und notwendig.
Das Konzept der organischen Psychosen hat sich über mehr als ein Jahrhundert entwickelt, sie finden sich in der ICD 11 der WHO nun in einer gemeinsamen Diagnosegruppe, wo nach möglichen kausalen Ursachen von substanzinduzierten oder körperlich bedingten Psychosen unterschieden wird. Das entspricht der klinischen Realität mit einer Vielzahl an möglichen Risikofaktoren und Krankheitsursachen, die letztlich nicht immer eindeutig bestätigt oder ausgeschlossen werden können. Eine kurze Übersicht über somatische Ursachen für psychotische Syndrome zeigt Tabelle 1.
Tab. 1: Somatische Ursachen psychotischer Syndrome (modifiziert nach Griswold KS et al.: Am Fam Physician 2015; 91: 856-63 und Tebartz van Elst et al.: Nervenarzt 2019; 90:745-61 )
Substanzinduzierte psychotische Störungen
Eine Vielzahl von Medikamenten, Toxinen und psychotropen Substanzen kann oft, aber nicht zwingend dosisabhängig, psychotische Symptome hervorrufen. Psychiater sind vor allem im Konsiliardienst damit konfrontiert. Häufig mit psychotischen Symptomen assoziierte Pharmaka sind u.a. Hormone, Antiinfektiva, dopaminerge oder anticholinerge Medikamente, Immunsuppressiva und -modulatoren.
Psychotische Symptomatik in Zusammenhang mit Ernährungsstörungen
Vitamin-B-Mangelzustände (B1, B3, B12) sind in entwickelten Staaten selten, bei manchen psychiatrischen Störungen (Alkohol, Wahn, Anorexie) und anderen, konsumierenden Erkrankungen aber möglich. Da sie durch Laboruntersuchungen leicht festzustellen und durch Substitution gut und preiswert behandelbar sind, sollten sie unbedingt in differenzialdiagnostische Überlegungen miteinbezogen werden.
Psychotische Symptomatik bei endokrinen Störungen
Psychotische Symptome können bei zahlreichen endokrinen Störungen auftreten, im klinischen Alltag am häufigsten iatrogen bei hoch dosierter Cortisontherapie. Aber auch andere, oft seltene endokrine Störungen zeigen neben den meist häufiger auftretenden affektiven Störungen eine komorbide oder isolierte psychotische Symptomatik, z.B. die Steroid-responsive Enzephalopathie assoziiert mit Autoimmunthyreoiditis (SREAT, älteres Synonym Hashimoto-Enzephalitis), eine seltene Enzephalopathie, die 5x häufiger bei Frauen auftritt, bei einem Drittel mit zusätzlichen Autoimmunkrankheiten. Die Diagnosekriterien sind: Enzephalopathie mit vielfältiger neuropsychiatrischer Symptomatik, (subklinischer) SD-Dysfunktion, normales MRT, erhöhte SD-AK im Serum, Fehlen von antineuronalen AK im Liquor und Serum. Unter einer Therapie mit Steroiden bzw. immunsuppressiven Medikamenten zeigen nach 12 Monaten >90% der Betroffenen eine partielle oder vollständige Symptombesserung.
Psychose und demyelinisierende Erkrankungen
Psychotische Symptome sind im Verlauf von demyelinisierenden Prozessen nicht selten zumindest zeitlich begrenzt zu beobachten. Für die Enzephalomyelitis disseminata (Multiple Sklerose, MS) gibt es keine sichere Korrelation mit psychotischen Störungen, sie können aber initial isoliert auftreten und zu Fehldiagnosen führen. In einer Analyse von 91 solcher Fälle war dann auch die Therapie mit Antipsychotika (AP) wenig erfolgreich. Deshalb muss bei jeder ersten Episode einer Psychose (FEP) eine umfassende neurologische Abklärung erfolgen. Speziell bei atypischen Fällen, fehlender familiärer Vorgeschichte oder schlechtem Ansprechen auf eine AP-Standardtherapie sollte gezielt eine MS ausgeschlossen werden (MRI, LP).
Metachromatische Leukodystrophie (MLD) ist eine seltene, autosomal rezessiv vererbte demyelinisierende Erkrankung. Eine Analyse von 129 definitiven Fällen ergab einen typischen Beginn zwischen dem 10. und 30. Lebensjahr, mehr als die Hälfte aller Fälle zeigten initial psychotische Symptomate (Halluzinationen, Wahn), was dazu führte, dass in 35% aller Fälle zuerst die Diagnose einer schizophrenen Störung gestellt wurde! Ähnlich treten auch bei der X-linked Adrenoleukodystrophie (X-ALD), einer ebenfalls seltenen Mutation am X-Chromosom, die psychotischen Symptome oft Jahre vor den motorischen Störungen auf.
Psychose und neurometabolische Erkrankungen (NMD, IEM)
Neurometabolische Erkrankungen, in der Literatur auch „Inborn Errors of Metabolism“ (IEM) genannt, stellen eine große Gruppe von seltenen hereditären Stoffwechselerkrankungen dar. Die Gesamtprävalenz beträgt 40 Fälle auf 100000 Lebendgeburten und zeigt steigende Tendenz. Es handelt sich zumeist um Enzymdefekte, die zu einer Akkumulation der Substrate oder der Zwischenprodukte und dem Fehlen der Endprodukte führen. Diese Störungen sind sehr häufig mit neuropsychiatrischen Symptomen und Syndromen assoziiert. Obwohl die genetischen Defizite von Geburt an bestehen und daher nahezu 80% der Diagnosen schon im frühen Kindesalter gestellt werden, findet sich bei mehr als 20% der Betroffenen ein später Beginn („late onset“). Wie bei den demyelinisierenden Störungen können auch hier die psychiatrischen Symptome den körperlichen und neurologischen Störungen jahrelang und isoliert vorausgehen.
In dieser Gruppe finden sich u.a. die Porphyrien, Störungen des Harnstoff-Zyklus (UCD), Homocysteinämie, Mb. Wilson, Mb. Niemann-Pick C und Mb. Tay-Sachs late onset.
Porphyrie: Für die Psychiatrie interessant sind die 4 Typen der akuten intermittierenden Porphyrie (AIP), die in 24–70% der Fälle psychiatrische Symptome hervorrufen, darunter Wahnsymptome (40%). Interessant ist auch der Zusammenhang zwischen AIP und Psychosen bei einem konsekutiven PGB-Deaminase-Defizit-Screening an stationären psychiatrischen Patienten (N = 3867): Die Prävalenz für AIP lag mit 0,21% fast 20x höher als in der Allgemeinbevölkerung. Die Therapie der akuten Porphyrie besteht in der Gabe von hoch dosierter Glukose, Hämin, Hämin-Arginat und Cimetidin und seit Kurzem auch in der Gabe einer „small interfering RNA“ (Givosiran) für die hepatische Form der AIP.
UCD: Partielle Enzymdefizite, die zu „Late onset“-Fällen mit spätem Beginn führen, können sich mit Verhaltensstörungen und psychotischen Symptomen präsentieren, in der Anamnese gibt es mitunter Phasen von atypischer Anorexie, Depression und Psychose. Klinisch sollte man v.a. bei gleichzeitigem Auftreten von akuter Psychose und Erbrechen an eine UCD denken.
Bei der Wilson’schen Erkrankung (WD) kommt es durch eine autosomal rezessive Mutation zu einer Akkumulation von Kupfer in Leber, ZNS, Niere und Skelett. Die Diagnose erfolgt durch die Bestimmung von Coeruloplasmin im Serum und durch den Nachweis von T2-Hyperintensitäten im MRT. Obwohl selten, sollte diese Erkrankung immer in die differenzialdiagnostischen Überlegungen bei einer ersten psychotischen Episode miteinbezogen werden, da Betroffene initial zu einem Drittel rein psychiatrische Symptome aufweisen und bei der Hälfte im Verlauf psychiatrische Symptome auftreten, die in 20 % den motorischen Symptomen vorangehen. In einer Analyse von 195 Fällen wurden mehr als 50% aller Patienten initial einer psychiatrischen Abteilung zugewiesen. Die Therapie besteht in der Gabe von Chelatbildnern und Penicillamin, die Behandlung mit Psychopharmaka ist wegen früh auftretender Nebenwirkungen (UAW) sowie geringer Wirkung schwierig. In der Literatur finden sich Hinweise auf positive Effekte von Lithium sowie gute Erfolge durch Elektrokonvulsionstherapie (ECT) bei Katatonie, Psychose und Depression.
Sphingolipidose Niemann-Pick Typ C (NP-C)
Die Diagnose erfolgt durch Hautbiopsie, Fibroblastenkultur und durch die Bestimmung von Oxysterol im Serum. Die Klinik ist extrem heterogen. Neurologisches Leitsymptom ist die supranukleäre Blickparese; progressive Ataxie, Dystonie, Dysarthrie, Dysphagie, Taubheit und Kataplexie folgen. Bei adoleszenten und adulten Formen sind psychotische Symptome allerdings häufig und können die Diagnose um Jahre verzögern. Mit Miglustat steht durch Hemmung der Ceramid-Synthetase eine spezifische Therapie zur Verfügung.
Homocystein-Metabolismusstörungen
Die Diagnose erfolgt durch den Nachweis von Methionin (erhöht bei CβS, erniedrigt bei MTHFR) und Gesamt-Homocystein im Serum sowie durch die Messung der CβS-Enzym-Aktivität. Mehr als 17% der Patienten mit CβS-Defizit zeigen psychotische und Verhaltensstörungen. Bei Patienten mit adulten Formen von MTHFR-Defizit zeigen sich akute Psychosen typischerweise postoperativ. Diese Patienten haben zudem ein deutlich erhöhtes Risiko für das Auftreten eines metabolischen Syndroms unter AP-Therapie. Interessant ist die Assoziation zwischen einer MTHFR-C677T-Gen-Variante und Schizophrenie (OR 1,44) sowie bipolarer Störung (OR 1,82). Die Therapie besteht in der Gabe von Pyridoxin (Vit. B6) mit Cyanocobalamin (Vit. B12) und Folsäure; bei Pyridoxin-Nonrespondern zusätzlich in cysteinreicher Diät und bei MTHFR Betainen.
Psychotische Störungen bei Copy Number Variations (CNV)
CNV entstehen durch Duplikation oder Deletion von Basenpaaren (kurze und lange CNV). Etwa 4,8–9,5% des menschlichen Genoms können als CNV klassifiziert werden, bei Säugetieren spielen CNV eine wichtige Rolle, um die nötigen Variationen in einer Population zu generieren, es entstehen aber auch krankheitstypische Phänotypen. Bei einer genomweiten Suche nach den CNV, die mit Schizophrenie assoziiert sind, wurden 3 Deletionen entdeckt, die das Risiko für Psychosen deutlich erhöhen: 1q21.1 (OR = 14,8), 15q11.2 (OR = 2,7), 15q13.3 (OR = 11,5). Umgekehrt weisen Personen mit schizophrenen Störungen eine erhöhte genomweite Belastung mit CNV auf. Die bestuntersuchte CNV ist die 22q11.2-Deletion, die zum velo-kardio-fazialen Syndrom führt. Der körperliche Phänotyp betrifft viele Organe und allgemein die Kognition. 25% der erwachsenen 22q11.2del-Träger leiden an chronischen Psychosen, umgekehrt liegt die Prävalenz der 22q11.2del-CNV bei Schizophrenie bei 1–2%. Aktuelle kanadische Leitlinien empfehlen daher bei FEP mit entsprechender Anamnese und phänotypischer körperlicher Ausprägung eine genetische Untersuchung. Die Diagnose einer möglichen genetischen Störung hat Auswirkungen auf zusätzliche, teils rehabilitative Therapien, soziale Frühförderung und damit auch auf den Verlauf der Psychose.
Psychotische Störungen bei hirnorganischen Erkrankungen und Demenz
Traumatische Hirnverletzungen („traumatic brain injury“, TBI) erhöhen das Risiko für psychotische und wahnhafte Störungen um das 2- bis 5-Fache. Im Verlauf von neurodegenerativen Prozessen und Demenzen kommt es häufig zu passagerem Auftreten von Wahn und Halluzinationen, psychotische Symptome waren mit rascherem kognitivem und funktionellem Abbau und gesteigerter Mortalität assoziiert. Im Gegensatz zur Demenz vom Lewy-Body-Typ oder zur Parkinson-Demenz treten bei Demenz vom Alzheimer-Typ (DAT) Halluzinationen weniger häufig auf als wahnhafte Störungen und selten isoliert. Akute Psychosen finden sich bei Mb. Parkinson bei 30–60% im Spätstadium, wobei ein Zusammenhang zwischen der Anti-Parkinson-Medikation und den mit dem Fortschreiten der Neurodegeneration zunehmenden Neurotransmitter-Störungen angenommen wird. Therapie mit AP zeigt bei Demenzkranken nur eine vergleichsweise minimale Wirkung auf die psychotische Symptomatik, ist dafür aber mit zahlreichen UAW verbunden: AP erhöhen das Risiko für Stürze und Insulte und sind nachweislich mit erhöhter Mortalität assoziiert. Ein alternatives Konzept, das „dementia psychosis“ als eine Kombination aus Gedächtnisverlust und anderen Persönlichkeitsfaktoren sieht, wird derzeit diskutiert. Klinisch gesichert ist, dass psychotische Symptome durch eine Verbesserung der Gedächtnisleistung mittels Antidementiva wie z.B. Acetylcholin-Esterase-Inhibitoren besser ansprechen als auf AP.
Psychose und entzündliche Erkrankungen
Schon seit dem Altertum sind die vielgestaltigen Beziehungen zwischen entzündlichen und psychiatrischen Erkrankungen bekannt. Psychotische Störungen, die zeitgleich entweder mit dem Beginn oder dem Abklingen von akutem Fieber auftreten, haben viele Ärzte von Hippokrates um 400 v.Chr. bis Kraepelin um 1900 beschrieben. Bei allen akuten und chronischen entzündlichen Erkrankungen des Gehirns können psychotische Symptome und Syndrome auftreten. Mit wenigen Ausnahmen wird bei all diesen Krankheitsbildern die psychotische Symptomatik aber nur passager und klinisch nicht führend sein. Bei Patienten aus Schwellen- und Entwicklungsländern sollte eine Lues-Serologie zur Standarduntersuchung gehören. Die Therapie besteht in der Behandlung der Grunderkrankung, begleitet von symptomatischer Gabe moderner AP.
Psychose und nichtinfektiöse entzündliche Erkrankungen
Schon in den 1950er-Jahren wurde beobachtet, dass bei Patienten mit Schizophrenie im Gegensatz zur Allgemeinbevölkerung manche immunologische Erkrankungen häufiger und andere seltener auftreten. Eine aktuelle Metaanalyse von 31 Studien mit Daten von >25 Mio. Individuen fand folgende Assoziationen zwischen nichtneurologischen autoimmunen Erkrankungen (NNAI-D) und Psychose: erhöhtes Risiko für Psychosen bei perniziöser Anämie, Pemphigoid, Psoriasis, Zöliakie und Mb. Basedow. Demgegenüber zeigen sich negative Assoziationen für ankylosierende Spondylitis und rheumatoide Arthritis, ein Hinweis auf die möglicherweise sehr komplexen Beziehungen zwischen immunologischen Erkrankungen und Psychosen. Umgekehrt gibt es für die Gruppe der psychotischen Störungen zunehmend epidemiologische Hinweise auf Zusammenhänge mit inflammatorischen und immunologischen Prozessen. In einer großen dänischen Registerstudie, in der 20317 Patienten mit Schizophrenie und insgesamt 39076 Fälle mit nichtaffektiven Psychosen erfasst wurden, fand sich eine gegenüber der Allgemeinbevölkerung um nahezu 50% erhöhte Lebenszeitprävalenz für autoimmune Erkrankungen. 6% der Patienten mit einer schizophrenen Störung hatten Krankenhauskontakte wegen autoimmuner Erkrankungen.
Autoimmune Enzephalitis/Enzephalopathien (AIE)
Um 1930 hat man erstmals die Hypothese aufgestellt, dass Schizophrenie das Ergebnis einer autoimmunen Reaktion sein könnte, bei der Antikörper (AK) Hirngewebe attackieren. Als wenig später die erste Kreuzreaktion von AK mit Hirngewebe entdeckt wurde, begann die breite Forschung auf dem Gebiet der Psychoneuroimmunologie. Seit 2006 die ersten Autoantikörper (Auto-AK) gegen neuronale Antigene (AG) sowohl an der Zelloberfläche als auch intrazellulär nachgewiesen worden waren, die nicht im Rahmen einer paraneoplastischen limbischen Enzephalitis zu erklären waren, wurden zahlreiche weitere Auto-AK und damit verbundene Syndrome entdeckt und beschrieben. Eine epidemiologische Studie aus den USA ergab 2014 keine Unterschiede in der Gesamtprävalenz infektiöser Enzephalitiden im Vergleich zu AIE. Vergleicht man die klinische Symptomatik der unterschiedlichen AK-Gruppen, dann ergibt sich bei Oberflächen-AK deutlich häufiger eine psychiatrische Symptomatik als bei intrazellulären AK, während neurologische Symptome bei allen annähernd gleich häufig sind.
Stellvertretend für viele AIE, die bereits bekannt sind oder noch entdeckt werden, steht in dieser Arbeit die Anti-N-Methyl-D-Aspartat-Rezeptor(NMDA-R)-AIE, weil hier die psychiatrische Symptomatik sehr häufig im Vordergrund steht. Entscheidend ist, dass AK direkt im Gehirn vorliegen, sie also entweder durch lokale (intrathekale) Produktion oder durch eine (vorübergehende) Beeinträchtigung der Blut-Hirn-Schranke aus dem Blut dorthin gelangen. Der positive Nachweis antineuronaler Antikörper im Liquor gilt deshalb grundsätzlich als pathologisch.
Klinik, Diagnose, Verlauf und Therapie der Anti-NMDA-R-AIE
Sie ist mit 20% der häufigste Subtyp aller bekannten AIE, typischerweise sind mit 60% mehr junge Frauen, mit 35% Kinder und seltener Männer und Ältere betroffen. Bei 70% der Fälle lassen sich 1−2 Wochen vor Beginn der neuropsychiatrischen Symptomatik Zeichen eines Virusinfekts (Fieber, Nausea, Diarrhö) erheben. Generell ist die Wahrscheinlichkeit für eine AIE deutlich höher, wenn man FEP-Patienten untersucht, und sie steigt weiter, wenn atypische psychiatrische Symptome auftreten. Da vor allem junge Frauen mit einem mittleren Alter um die 20 Jahre betroffen sind, inkludiert das im Besonderen Patientinnen mit postpartalen Psychosen (PPP), da es nach der Entbindung zu einer Rebound-Aktivierung des Immunsystems kommt, die mit dem erstmaligen Auftreten oder mit Exazerbationen von multiplen Autoimmunerkrankungen in Zusammenhang gesehen wird. Da gerade bei PPP klinisch häufig affektive und kognitive Störungen in wechselnder Folge auftreten können, wie das auch typischerweise bei AIE zu beobachten ist, sollte bei jungen Frauen mit postpartal akut aufgetretenen psychotischen oder manischen Störungen eine AK-Bestimmung in Betracht gezogen werden.
Die klinische Präsentation ist heterogen: paranoider Wahn oder Größenwahn, Halluzinationen (optisch, akustisch), bizarres Verhalten, Agitiertheit, Angst, Insomnia, Verwirrtheit und, als wichtige Differenzialdiagnose zu „primären Psychosen“, auffallende Störungen des Kurzzeitgedächtnisses. Eine retrospektive Analyse gesicherter Fälle hat ergeben, dass 80–100% der Betroffenen initial vorwiegend psychiatrische Symptome zeigten und daher 60–80% der Patienten zuerst an einer psychiatrischen Abteilung vorgestellt wurden. Obwohl anfangs neurologische Symptome vereinzelt tatsächlich gänzlich fehlen können, waren sie bei einer retrospektiven Analyse bei zumindest 50% diskret vorhanden und wurden übersehen. Im Verlauf kommen zu den psychotischen Symptomen typischerweise sehr schnell kognitive Störungen, Anfälle, Dyskinesien und vegetative Störungen hinzu. Unbehandelt kommen die Patienten rasch in eine komatöse Phase, Todesursache sind meist respiratorische Komplikationen.
Therapeutisch zeigen sich Psychopharmaka langfristig wenig hilfreich, besonders der Einsatz von AP ist problematisch, weil 50% der Patienten rasch eine Intoleranz gegen AP entwickeln, die klinisch ein malignes Neuroleptika-Syndrom (MNS) vermuten lässt und spätestens dann zu einer AK-Bestimmung führen sollte. Die Therapie der Wahl sind Corticosteroide, i.v. verabreichte Immunglobuline und Plasmapherese, womit bei über 50% eine Besserung erreicht wird. Als zweite Linie stehen Immunsuppressiva wie Rituximab in Kombination mit Cyclophosphamid zur Verfügung, mit denen ein Ansprechen bei über 65% erreicht werden kann. Die Tumorsuche ergibt bei 50% der jungen Frauen in 94% Ovarialteratome. Das klinische Outcome ist heutzutage in 80% (mit Tumor) bzw. 48% (ohne Tumor) gut, auffallend aber die mitunter lange Rekonvaleszenz von bis zu 2 Jahren. Bei <25% kommt es zu Rückfällen.
Konsequenzen für die Akutpsychiatrie
Allgemein sollten bei akuten psychotischen Störungen alle Untersuchungen durchgeführt werden, die zum Ausschluss der häufigsten Differenzialdiagnosen notwendig sind. Die klinische Diagnose einer psychotischen Störung erfolgt anhand der in ICD 10 bzw. DSM 5 definierten klinischen Kriterien und nach orientierender Ausschlussdiagnostik (alkohol-/drogenassoziierte, systemische bzw. hirnorganische Ursachen). Die jedenfalls notwendige diagnostische Abklärung bei einer ersten psychotischen Episode ist in Tabelle 2 angeführt.
Der Umstand, dass manche AIE von einer Erstmanifestation einer psychotischen Störung offenbar klinisch nicht zu unterscheiden sind, stellt die Akutpsychiatrie vor neue differenzialdiagnostische Aufgaben. Neurologische Autoren fordern eine LP bei jeder FEP, an der Universitätsklinik für Psychiatrie der LMU München z.B. wird allen Ersterkrankten eine LP angeboten. Wir unterstützen diese Empfehlungen und schlagen deshalb vor, dass man bei einer FEP die LP von der derzeit erforderlichen richterlichen Bewilligung im Unterbringungsgesetz-Verfahren explizit ausnimmt. So können zeitliche Verzögerungen durch das Verfahren und damit mögliche Schäden für die Betroffenen verhindert werden. Psychiatrische Patientinnen sollten medizinisch nicht schlechtergestellt werden als andere.
Interessenkonflikte
Die Autoren geben an, dass keine Interessenkonflikte bestehen.
Literatur:
bei den Verfassern