<p class="article-intro">An der Grazer Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin setzt man mit CBASP einen stationären störungsspezifischen psychotherapeutischen Schwerpunkt in der Behandlung chronisch Depressiver. Besonders Menschen, die vor dem 21. Lebensjahr an einer chronischen Depressionsform erkranken, profitieren von dieser schulenübergreifenden Methode.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>„Störungsspezifisch“ – CBASP wurde speziell zur psychotherapeutischen Behandlung von Menschen mit chronischer Depression entwickelt.</li> <li>CBASP ist besonders für früh (vor dem 21. Lebensjahr) erkrankte chronisch depressive Patienten eine besonders geeignete Methode.</li> <li>JP McCullough: „CBASP wurde entwickelt, um das gravierende interpersonelle Dilemma des chronisch depressiven Patienten zu lösen und ihm die Übernahme von Verantwortung zu vermitteln – mit dem Ziel, von der Störung in naher Zukunft freizukommen.“</li> <li>JP McCullough: „Dem Patienten muss vermittelt werden, dass die chronische Depression letztlich nie geheilt werden kann und dass der Lernerfolg täglich umgesetzt werden muss.“</li> </ul> </div> <p>Depressive Erkrankungen, von der WHO als wichtigste Ursache von „disability“ und „global burden of disease“ eingestuft, scheinen uns im klinischen Alltag oftmals als episodische Erscheinung zu begegnen. Weniger offensichtlich ist, dass 15–30 % der Patientinnen und Patienten einen chronischen Verlauf erleiden. In klinischen Einrichtungen haben 30–40 % der Depressionen Merkmale von Chronizität.<br /> Besteht eine depressive Symptomatik über mindestens zwei Jahre, bei gleichzeitigem Fehlen einer länger als zwei Monate dauernden Vollremission, kann von einer „chronischen Depression“ gesprochen werden, wobei zwischen einem „early onset“, mit Beginn vor dem 21. Lebensjahr, und einem „late onset“, mit erstmaliger Krankheitsmanifestation nach dem 21. Lebensjahr, unterschieden wird.<br /> Die klinische Erfahrung und neuere wissenschaftliche Untersuchungen belegen die große Bedeutung von CBASP in der Behandlung chronisch depressiver Menschen mit Krankheitsbeginn vor dem 21. Lebensjahr.<br /> Die chronische Depression ist ein bedeutendes klinisches und gesellschaftliches Gesundheitsproblem, das signifikante Funktionseinschränkungen für Betroffene, großes persönliches Leid und hohe gesellschaftliche Kosten mit sich bringt. Chronisch depressive Patienten und Patientinnen erleben seltener Spontanremissionen, sprechen schlechter auf psychopharmakologische antidepressive Behandlungsstrategien und auf psychotherapeutische Interventionen an, leiden unter einem höheren Grad psychosozialer Beeinträchtigung und werden häufiger im medizinischen System stationär und ambulant behandelt als Personen mit episodisch depressiver Störung.<br /> Ein früher Beginn der Erkrankung (vor dem 21. Lebensjahr) lässt sich oftmals ebenso erkennen wie ein höherer Anteil affektiver Erkrankungen bei Verwandten ersten Grades. Als prädisponierende Faktoren gelten frühe Traumatisierung (emotionale Vernachlässigung, Misshandlung, sexueller Missbrauch), dysfunktionale Kognitionen und Copingstrategien, gestörte interpersonelle Beziehungen sowie Exposition gegenüber chronischem Stress.<br /> In der Pathophysiologie der chronischen Depression steht der Hippokampus im Fokus der depressiven Entwicklung. Eine ausgeprägte Volumenminderung hat zur Folge, dass die Betroffenen schlechter in der Lage sind, sich an geänderte Situationen flexibel anzupassen. Erhöhte Kortisolspiegel und die Verminderung des neuronalen Wachstumsfaktors BDNF scheinen dabei eine Rolle zu spielen.</p> <h2>Einführung in CBASP</h2> <p>Das „Cognitive Behavioral Analysis System of Psychotherapy“, CBASP, wurde von James P. McCullough über viele Jahrzehnte speziell für die Behandlung von Menschen mit chronischer Depression entwickelt. CBASP ist eine schulenübergreifende Psychotherapiemethode, in der kognitive, behaviorale, interpersonelle und psychodynamische Elemente eingesetzt werden. Zentrales Element ist die persönliche Gestaltung der therapeutischen Beziehung. Mit speziellen Techniken, wie der kontingenten persönlichen Reaktion (KPR) und der interpersonellen Diskriminationsübung (IDÜ), stehen therapeutische Instrumente zur Verfügung, die vor dem Hintergrund eines aufgehobenen Neutralitätsprinzips einen neuen innovativen Behandlungszugang ermöglichen.</p> <p><strong>Diszipliniertes persönliches Einlassen</strong><br /> Der Therapeut/die Therapeutin reagiert auf eine natürliche, persönliche Weise auf das Verhalten des Patienten/der Patientin, sorgfältig und vorsichtig, mit dem Ziel, dem Patienten oder der Patientin den Zusammenhang zwischen seinem/ihrem Verhalten und den Reaktionen der Umwelt zu verdeutlichen – „What you do matters!“. Diese kontingente persönliche Reaktion und die interpersonelle Diskrimination, in welcher der Patient, die Patientin den Unterschied zwischen dem verletzenden Verhalten der prägenden Bezugspersonen und dem unterstützenden, heilsamen Verhalten des Therapeuten, der Therapeutin erlebt und erkennt, werden von McCullough unter dem Terminus „diszipliniertes persönliches Einlassen“ (DPE) zusammengefasst und bilden einen neuartigen Zugang in der therapeutischen Beziehungsgestaltung.</p> <p><strong>Aufgehobenes Neutralitätsprinzip</strong><br /> Es gibt zwei Gründe für die nichtneutrale Rolle des CBASP-Therapeuten, der Therapeutin: (1) Mit dem Patienten bzw. der Patientin auf eine direkte und persönliche Art umzugehen, eine sichere und authentische menschliche Begegnung mit dem Therapeuten oder der Therapeutin ist eine neuartige Erfahrung! (2) Lerntherapie (prozedurales Lernen): Der Therapeut, die Therapeutin stellt ein Modell für angemessenes interpersonelles Verhalten dar. Unangemessenes Verhalten wird aufgezeigt, frühe Traumatisierung durch prägende Bezugspersonen wird persönlich behandelt. Ziel ist, dass der Patient, die Patientin erfolgreich zwischen dem Therapeuten und den prägenden Bezugspersonen, die ihn oder sie schlecht behandelt haben, unterscheidet.</p> <p><strong>Wichtige Therapieansätze und -ziele</strong><br /> Zu Beginn der Therapie besteht ein alles durchdringendes, interpersonelles Vermeidungsverhalten zur Abwehr der Angst, das aus der Geschichte des Patienten, der Patientin mit frühen missbräuchlich erlebten Beziehungserfahrungen hervorgeht (Prägungen). Die interpersonelle Dyade, die Beziehung zwischen dem Therapeuten/der Therapeutin und dem Arzt/der Ärztin, muss folglich zur interpersonellen Sicherheitszone werden!<br /> Die Erarbeitung der Prägungen steht daher am Anfang der Therapie – die Liste der prägenden Bezugspersonen und die Formulierung der Übertragungshypothese, beide Strategien stammen aus dem psychoanalytischen bzw. psychodynamischen Denken, eröffnen die Möglichkeit, schwierige bis traumatisierende Beziehungserfahrungen aus der Kindheit und Jugend direkt in die Therapie einzubeziehen. McCullough sieht auch, orientiert an Freud, dass das Phänomen der Übertragung in Beziehungen eine wichtige Rolle spielt. Er nimmt an, dass chronisch Depressive ihre bisherigen Beziehungserfahrungen auf neue Personen, mit denen sie in Kontakt kommen, übertragen.</p> <p><strong>Präoperatives Denken</strong><br /> Der Patient, die Patientin beschreibt ein Leben, in dem die Zeit stehen geblieben zu sein scheint. Die Gegenwart ist wie die Vergangenheit. In der Zukunft erwartet einen immer nur dasselbe. McCullough nennt dies „Schnappschussperspektive der Realität“. Diese Entkoppelung der Wahrnehmung soll mithilfe der Therapie überwunden werden. Der Patient/die Patientin soll anhand der Analyse von zwischenmenschlichen Begegnungen und Begebenheiten im Alltag, auch mithilfe der sogenannten „Situationsanalyse“ (SA), die interpersonellen Konsequenzen seines Verhaltens erkennen, eigene Kognitionen und eigenes Verhalten reformulieren und das erwünschte Ergebnis im Rollenspiel festigen – „What you do matters!“.</p> <p>Zusammenfassend lassen sich folgende CBASP-Therapieziele formulieren:</p> <ul> <li>Erkennen von Konsequenzen des eigenen Verhaltens: „What you do matters!“</li> <li>Entwicklung von authentischer Empathie</li> <li>Anwendung von sozialen Problemlösefertigkeiten und Bewältigungsstrategien im Alltag</li> <li>Interpersonelle Heilungsprozesse bzgl. früher Traumata beginnend mit der Sicherheit in der dyadischen Beziehung zwischen Therapeut/in und Patient/in</li> </ul> <p><strong>Therapiedauer und Wirksamkeit</strong><br /> Als Therapiedauer werden vor dem Hintergrund der neuen Studienergebnisse mindestens 25, in den meisten Fällen eher 50 Sitzungen empfohlen. Zusammenfassend belegen zwei Studien (Keller et al., 2000; Schramm et al., 2015) die Äquivalenz von CBASP zu einer etablierten pharmakotherapeutischen Behandlung der chronischen Depression. Auf die Überlegenheit über jeweils eine etablierte Psychotherapie der Depression, die Interpersonelle Psychotherapie (IPT) und die Mindfulness-based Cognitive Therapy (MBCT), wird in zwei weiteren Studien hingewiesen (Schramm et al., 2011; Michalak et al., 2015). Nach den aktuellen S3-Leitlinien zur unipolaren Depression deuten die Ergebnisse der Moderatorenanalysen darauf hin, dass eine kombinierte Behandlung dann zu einer höheren Wirksamkeit als eine reine pharmakologische Behandlung führt, wenn (1) die Patienten und Patientinnen unter anderen Formen chronischer Depression als Dysthymie leiden, es sich (2) bei der zugrunde liegenden pharmakologischen Intervention nicht um eine Behandlung mit SSRI handelt und (3) CBASP als psychotherapeutisches Verfahren eingesetzt wird.</p> <h2>CBASP im stationären Setting – Universitätsklinik Graz</h2> <p>Im Herbst 2015 erfolgte die Implementierung von CBASP an der Station 1b der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin in Graz. Sta tion 1b ist eine allgemeinpsychiatrische Station, an der, mit Ausnahme schwerer Suchterkrankungen, Menschen mit Störungen aus dem gesamten Spektrum psychiatrischer Erkrankungen behandelt werden. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf der psychotherapeutischen Behandlung chronisch depressiver Menschen mittels CBASP in Kombination mit Psychopharmakotherapie. Unter den klinischen Bedingungen einer psychiatrischen Station stehen zur CBASP-Therapie maximal vier Therapieplätze gleichzeitig zur Verfügung. Die Station wird von zwei Fachärztin nen/-ärzten für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin geleitet, die die Ausbildung zu zertifizierten CBASP-Therapeu ten/-Therapeutinnen nach den Richtlinien des CBASP-Netzwerks an der Psychologischen Hochschule Berlin absolviert haben. Mehrere ärztliche Kolleginnen und Kollegen haben zudem CBASP-Fortbildungen besucht und sind in der Betreuung von Patientinnen und Patienten einzeltherapeutisch unter Supervision und im Rahmen des gruppentherapeutischen Angebots engagiert. Methodische Schulungen von Pflegepersonal, Ergo- und Physiotherapeutinnen und -therapeuten sowie Psychologinnen und Psychologen, welche auf der Station arbeiten, wurden durchgeführt, sodass CBASP im stationären Setting auch interdisziplinär implementiert werden konnte. Im Oktober 2016 wurde zudem beim 47. Integrativen Seminar für Psychotherapie in Bad Gleichenberg erstmals ein CBASP-Workshop angeboten.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Neuro_1902_Weblinks_a4.jpg" alt="" width="419" height="432" /><br /> Der Ablauf des stationären CBASP-Therapieprogramms ist wie in Tabelle 1 beschrieben organisiert. Vor einer möglichen stationären Aufnahme findet ein Erstgespräch im ambulanten Setting statt, das neben der Information des Betroffenen über CBASP auch die Möglichkeit bieten soll, die Indikation zur CBASP-Therapie zu stellen. Die genaue Diagnosestellung ist für die Aufnahme ins störungsspezifisch konzipierte CBASP-Therapieprogramm unabdingbare Voraussetzung. Um in der Hauptphase der Therapie eine möglichst intensive Arbeit zu ermöglichen, werden die Schritte der Erstellung der Liste prägender Bezugspersonen, die Erarbeitung der Übertragungshypothesen und die Einführung in den Kiesler-Kreis im ambulanten Setting zeitnah vor der stationären Aufnahme durchgeführt. Die Hauptphase der Therapie im stationären Bereich umfasst unter anderem im Rahmen von zwei Einzeltherapieeinheiten pro Woche im Ausmaß von 60 bis 90 Minuten die intensive Arbeit an vom Patienten, von der Patientin eingebrachten „schwierigen“ interpersonellen Situationen mithilfe von Situationsanalysen, mit dem Ziel, interpersonell ineffektives Verhalten erkennbar und veränderbar zu machen. Alternative Lösungswege werden entwickelt und realistisch erreichbare, im Patienten/in der Patientin und in der Situation verankerte Verhaltensveränderungen sollen erzielt werden.<br /> Durch die Teilnahme an der CBASP-orientierten Kiesler-Kreisund Ressourcengruppe können erarbeitete interpersonelle Fähigkeiten im größeren Kontext der Mitpatientinnen und -patienten der gesamten Station erprobt und geübt werden. Hier werden Übungen zu interpersonellen Situationen (Nähe- Distanz-Übungen, Führen und Folgen, Halten von Blickkontakt, Alltagssituationen) ebenso durchgeführt wie z. B. die Kiesler-Kreis-Pantomime oder Selbstsicherheitstraining. In der Abschlussphase der Therapie werden die erlernten Techniken (z. B. innere Situationsanalyse, Zukunftssituationsanalyse) verstärkt geübt, mit dem Ziel, diese im Alltag selbständig durchführen zu können.</p></p>
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