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Personalisierte Medizin

Pharmakogenetisches Testen bringt Revolution

Abhängig von den genetischen Eigenschaften eines Patienten, den Interaktionen mit anderen Medikamenten und der individuellen Metabolisierung wirken Arzneimittel von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Eine pharmakogenetische Testung soll einen personalisierten Einsatz von Medikamenten möglich machen und dabei die individuellen Genvarianten berücksichtigen.

Die Pharmakogenetik befasst sich mit dem Einfluss der unterschiedlichen Genvariationen von Patienten auf die Wirkung von Arzneimitteln. „Der Großteil der Medikamente wird über Cytochrom P450 (CYP450) in der Leber verstoffwechselt“, informiert Prof. PD DDr. Susanne Bengesser, Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin, MedUni Graz.

So metabolisiert z.B. CYP2D6 etwa 20 bis 30 Prozent der häufigsten Psychopharmaka, Neuroleptika und Kardiaka. Über CYP450 läuft auch die Prodrug-Aktivierung von Tramadol, Oxycodon oder Tamoxifen. Über CYP2C9 werden wiederum bestimmte nichtsteroidale Antirheumatika, Antidiabetika, Phenytoin, Losartan und Cumarin-Derivate abgebaut. CYP2C19 baut Protonenpumpenhemmer und Antipsychotika ab, in geringerer Form auch Antidepressiva. Bengesser: „CYP2C19 ist zudem wichtig für die Aktivierung von Clopidogrel.“

Interaktionen

„Wichtig sind die Wechselwirkungen von Medikamenten. Fluoxetin – ein starker Inhibitor von CYP2D6 – bewirkt in Kombination mit Amitriptylin, einem Substrat von CYP2D6, eine massive Steigerung des Plasmaspiegels von Amitriptylin“, gibt Bengesser zu bedenken.

Die Folge sind verstärktes Auftreten von anticholinergen, sedierenden und kardiotoxischen Nebenwirkungen. Paroxetin hemmt CYP2D6 sehr stark; in Kombination mit Betablockern, dem Substrat von CYP2D6, kann ihre Wirkung bis zur Bradykardie ansteigen. Grapefruitsaft ist ein starker CYP3A4-, aber auch CYP1A2-Inhibitor, Rotwein wiederum ein CYP1A2- und CYP3A4-Inhibitor. „Wenn diese z.B. mit sedierenden Medikamenten eingenommen werden, kann es zu einer starken Sedierung kommen“, erläutert Bengesser. Daher cave: Kombination mit Arzneimitteln mit CYP3A4-Substraten wie Benzodiazepinen, Trazodon, Mirtazapin, Fentanyl, Methadon etc.

Metabolisierung

Für einige CYP-Enzyme existieren wiederum genetisch bedingte Aktivitätsunterschiede. So haben langsame Metabolisierer („poor metabolizer“, PM) kein funktionsfähiges Enzym, intermediäre Metabolisierer (IM) verfügen über eine intermediäre Menge, normale Metabolisierer („extensive metabolizer“, EM) über eine normale Menge und ultraschnelle Metabolisierer (UM) über eine überschüssige Menge an funktionsfähigem CYP-Enzym.

„Genetische Veränderungen in Enzymen des Cytochrom-P450-Systems treten bei über 90 Prozent der Bevölkerung auf“,1 unterstreicht Bengesser. „Bis zu 30 Prozent der Bevölkerung weisen entweder eine zu niedrige oder eine zu hohe Metabolisierung auf.“ Am Beispiel CYP2D6-Metabolisierer zeigt sich, dass ein PM bei Einnahme von Venlafaxin schon in geringen Dosen starke Nebenwirkungen (Agitation, Übelkeit) entwickelt, weil das Medikament nicht entsprechend abgebaut wird. Umgekehrt können UM kaum Wirkstoffspiegel bilden, weil das Arzneimittel rasch wieder abgebaut wird.

„Daneben gibt es zahlreiche Genvarianten, die z.B. die Pharmakokinetik des Medikamentes beeinflussen, oder Gene, die für beabsichtigte oder unbeabsichtigte Arzneimittelziele kodieren“, berichtet Bengesser. So wurden auch Gene gefunden, die nicht direkt mit der Pharmakologie des Medikamentes in Verbindung stehen und für Toxizitäten bzw. Immunreaktionen prädisponieren können, oder auch Gene, die die Anfälligkeit für Krankheiten oder das Fortschreiten von Krankheiten beeinflussen.

Pharmakogenetisches Testen (PGx)

Im Konsensus-Statement der International Society of Psychiatric Genetics (ISPG) zum pharmakogenetischen Testen (PGx)2 wird auf die klare Evidenz für das Testen auf die drei Cytochrom-P450-Gene (CYP2D6, CYP2C19, CYP2C9) hingewiesen. „Die Vorteile, die man sich durch PGx erhofft, sind einerseits personalisierte Medizin und reduzierte Nebenwirkungen, aber auch ein rascheres Therapieansprechen, eine erhöhte Compliance und eine kürzere Spitalsaufenthaltsdauer durch die Reduktion von ‚trial and error‘“, so die Expertin.

Software für Entscheidungsfindung

Allerdings kann es laut Bengesser durchaus eine Herausforderung darstellen, die Ergebnisse des pharmakogenetischen Befunds in eine konkrete Dosierung oder eine abgestimmte Medikation zu übersetzen. Dies kann eine Software (PGx-Optimizer® von PharmGenetix) mit Unterstützung durch eine umfassende Datenbank erleichtern. „Basierend auf dem PG-Befund des Patienten werden konkrete Handlungsempfehlungen gegeben oder eine andere Medikation wird vorgeschlagen, wobei auch Komediaktionen und deren mögliche Interaktionen berücksichtigt werden“, informiert Bengesser und meint: „PGx wird die Psychiatrie durch eine personalisierte Medizin revolutionieren.“

„Therapieoptimierung mittels Pharmakogenetik in der klinischen Praxis“, Interdisziplinäres Herbstsymposium für Psychopharmakologie, 7. Oktober 2022, Wien

1 Krebs & Milani: Hum Genomics 2019; 13: 39 2 Bousman et al.: Pharmacopsychiatry 2021; 54: 5-17

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