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Fachtag Ethik 2020

Palliative Psychiatrie, KI und Medikamentenkosten interdisziplinär beleuchtet

In dem Jahr, dessen medial und gesellschaftspolitisch führendes Thema mit Worten wie Herausforderung oder Krise bzw. als Wende bezeichnet wurde, fand der 5. Fachtag Ethik in der bereits gewohnten und geschätzten Location, dem Haus der Ingenieure, statt. Zu den Themen „Palliative Psychiatrie“, „Künstliche Intelligenz in der Medizin“ und „Teure Medikamente“ fanden sich wieder exzellente Referentinnen und Referenten des deutschsprachigen Raums ein.

Prof. Florian Riese von der Universität Zürich führte in seinem Referat aus: „Die Psychiatrie kann vielen Personen sehr gut helfen. Einigen Personen aber nicht oder kaum.“ Trotzdem werden die Therapien bei dieser Minorität fortgesetzt oder sogar aggressiver – bis zur Zwangsbehandlung. Es fehlt bisher die Alternative bei psychiatrischen Erkrankungen, die sich als therapierefraktär erweisen, wie immer wieder bei Essstörungen, Suchterkrankungen oder chronischen Psychosen zu beobachten ist.

Dr. iur. Michael Halmich: Eine Besonderheit in der Psychiatrie ist, dass zur Abwehr von Lebens- oder Gesundheitsgefahren mitunter Schutzmaßnahmen ohne oder gegen den Willen einer Person erlaubt sind – auch Zwangsmaßnahmen, welche durch verschiedene Gesetze geregelt sind.

Dr. Thomas Wochele, Ärztlicher Leiter der Caritas der Erzdiözese in Wien, zeigte anhand einer realen Kasuistik, dass sich manche Betroffene zwischen Institutionen befänden, die sich allesamt als „nicht zuständig“ erklären.

Die Lösungsansätze sind für solche Problemstellungen stets komplex und entziehen sich der schnellen und effizienten Beantwortung – für derart komplex Erkrankte braucht es Networking im Sinne der holistischen Auffassung einer Palliativversorgung.

Der Beginn der digitalen Revolution

Die Coronakrise markiert den Beginn der digitalen Revolution, zitierte der Verfassungsjurist und Experte für Menschenrechte Prof. Reinhard Klaushofer und deutete an, dass mit diesem Jahr das Zeitalter der künstlichen Intelligenz (KI) den Einzug in die westliche Kultur hält. KI beschreibt die symbiotische Gemeinschaft von Mensch und Maschine, welche Verhaltensänderungen beim Menschen beabsichtigt; als Beispiele nannte er Anwendungen, die auf jedem Smartphone bereits wirksam sind, wie z.B. Gesundheits-Apps. Wegen der Tatsache, dass bereits jetzt Maschinen fehlerärmere Diagnosen und bessere Therapiealgorithmen produzieren, stellt sich in Zukunft die Frage, wer im Falle eines Dissens haftbar ist oder zu wessen Gunsten zu entscheiden ist. Prof. Nikola Biller-Andorno forderte ethische Kriterien für KI-Anwendungen in der Medizin – vom Design über die Entwicklung und Testung bis hin zum Routineeinsatz –, um diese neue Möglichkeit in der Medizin souverän und im Sinne einer guten Versorgung gestalten zu können.

„Die Behandlungskosten der neuen Krebsmedikamente korrelieren nicht mit dem klinischen Nutzen“

Dies teilte der Vorsitzende der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, Prof. Wolf-Dieter Ludwig, ein Facharzt für Hämatoonkologie, mit – und er führte weiter aus: „Es ist keine Verhältnismäßigkeit zu finden zwischen dem Nutzen für den Patienten und die Gesellschaft und dem Preis.“ Die mittleren Entwicklungskosten für ein Krebsmedikament betragen 648 Millionen USD, die mittleren Gewinnspannen betragen 1658,4 Millionen USD. Als Lösungsvorschläge für die Dilemmata der Kostenexplosionen bei neueren Arzneimitteln führte Ludwig an: eine Bewertung des Wertes für individuelle Patienten bzw. das Gesundheitssystem nach deren Zulassung, eine zentrale Verhandlung der Preise (in den USA: Medicare), das Einbeziehen von Fachgesellschaften und die Bewertung der Kostenfaktoren auch in Leitlinien. Zum Abschluss der Veranstaltung präsentierten der Ethiker Dr. Stefan Dinges und der Ökonom Dr. Florentin Grötzl einen Lösungsvorschlag für die Stadt Wien, der ein Ausweg aus der Kostenexplosion für neue teure Medikamente darstellen könnte. Dr. Dinges brachte es mit einem Zitat von Dr. Ernst Pichlbauer auf den Punkt: „Die Allokation von solidarisch finanzierten Gesundheitsleistungen ist eine politische Herausforderung, Entscheidungsgrundlagen können nicht rein logisch abgeleitet werden, sondern erfordern einen möglichst breiten und öffentlich ausgetragenen Diskurs zwischen Medizin und Pflege, Ökonomie, Recht und Ethik. Die für eine Verteilung notwendige Errichtung eines Werte- und Zielgerüsts, auf dessen Basis Prioritäten festgelegt werden können, nach der dann die Allokation erfolgt, ist unabdingbar. Drückt sich die Politik, die diese Aufgabe übernehmen muss, vor Entscheidungen, wird so gehandelt, als ob es keine Ressourcenknappheit gibt (alle kriegen alles!). Gesundheit wäre damit unendlich viel wert, was zur Folge haben muss, dass die Versorgung über kurz oder lang unendlich viel kosten wird.“

Der 5. Fachtag Ethik war eine hervorragende Jahrestagung der deutschsprachigen Medizinethik unter der bewährten Koproduktion mit Prof. Ralf Jox, Lausanne, perfekt organisiert von der convention-group unter der Leitung von Caroline Mehler. Als Bonus im Sinne des Fortbildungsauftrages wurde ein E-Learning eingerichtet, dass man auf www.conventiongroup.at abrufen kann.

Fachtag Ethik 2021

Wir freuen uns, bereits jetzt den 6. Fachtag Ethik für den 17. September 2021 im Haus der Ingenieure, Eschenbachgasse 9, 1010 Wien, mit den Themen „Assistierter Suizid“, „Kinderwunsch und Wunschkind“ und „Medizin im Klimawandel“ vorankündigen zu dürfen!

5. Fachtag Ethik, 30. September 2020, Wien

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