© kasezo iStockphoto

Studie „Doping im Alltag“

Helfen sich Österreicher mit Aufputschmitteln & Co durch die Pandemie?

Jeder Dritte fühlt sich während der Pandemie psychisch belastet. Wie sich dieser Umstand auf den Gebrauch von Aufputsch-, Beruhigungs- und Schmerzmitteln niederschlägt, hielt das Anton-Proksch-Institut nun in einer Studie fest.

Geschätzte 150 000 Österreicherinnen und Österreicher sind arzneimittelabhängig. Aufgrund der vermutlich sehr hohen Dunkelziffer liegt die tatsächliche Zahl aber wesentlich höher, Schätzungen gehen von bis zu 300 000 Personen aus. Während die wissenschaftliche Literatur zu Alkohol- oder Drogenabhängigkeit sehr umfangreich ist, lagen zur Medikamentenabhängigkeit bisher kaum Forschungsergebnisse vor – eine Datenlücke, zu deren Schließung die vorliegende Studie beitragen sollte.

Fast ein Drittel fühlt sich psychisch belastet

Im ersten Teil der Studie erfolgte die Befragung der Stichprobe von 1000 Personen telefonisch durch Gallup Österreich. In einer Zusatzerhebung im Oktober 2021 wurden per Onlinebefragung speziell die pandemiebedingten Konsum- und Alltagsdopingtrends beleuchtet. Alltagsdoping umfasst den obligatorischen Morgenkaffee, die Zigarette vor der Arbeit, den Espresso in der Nachmittagspause oder auch das Gläschen Wein abends zum Entspannen auf der Couch. Doch auch Medikamente und Nahrungsergänzungsmittel werden gezielt zur Beeinflussung der Psyche und zur Leistungssteigerung eingenommen.

Die Belastungen der Bevölkerung durch die Covid-19-Pandemie erwies sich im Oktober 2021 als nach wie vor erheblich. Beinahe ein Drittel der Befragten (26%) fühlte sich psychisch belastet. Vor diesem Hintergrund wurde das Konsumverhalten für Beruhigungs- und Schlafmittel, Schmerzmittel bzw. Aufputschmittel erhoben, um den Einfluss der durch die Pandemie hervorgerufenen psychischen Belastungsfaktoren auf den Medikamentenkonsum zu beleuchten.

Medikamenteneinnahme hat sich verdoppelt und verdreifacht

Die Ergebnisse zeigen einen deutlichen Trend. „Betrachtet man jene Personengruppe, die angegeben hat, sich durch die Covid-19-Pandemie psychisch belastet zu fühlen, so zeigt sich eine signifikant stärkere Zunahme des Schmerzmittelgebrauchs. Psychisch Belastete nehmen etwa doppelt so häufig Schmerzmittel ein als jene, die sich selbst nicht als psychisch belastet erleben. Ein ähnliches Ergebnis zeigt sich bei Beruhigungs- bzw. Schlafmitteln. Aufputschmittel werden von psychisch Belasteten sogar etwa drei- bis viermal häufiger eingenommen als von Unbelasteten“, kommentiert Prim. Dr. Wolfgang Preinsperger, Ärztlicher Direktor am Anton-Proksch-Institut.

Weiters zeigt die Studie: Neben der eigentlichen Wirkung der jeweiligen Substanzklasse spielen indirekte Wirkungen als Einnahmemotiv eine große Rolle. So werden beispielsweise Schmerzmittel auch zur Selbstbehandlung depressiver Symptome eingesetzt.

Brennpunkt: Arbeit, Migration und Jugend

Gesellschaftliche Faktoren spielen eine gewichtige Rolle dabei, wer vermehrt Medikamente zu sich nimmt. So geben Personen mit häufig wechselnden Arbeitszeiten fast doppelt so häufig an, Benzodiazepine einzunehmen, als jene mit regelmäßigen (65% gegenüber 38%).

Hinsichtlich der Einnahme von Schmerzmitteln stellten die Autoren fest, dass Migranten der ersten Generation diese etwa doppelt so häufig einnehmen wie Personen ohne Migrationshintergrund bzw. in Österreich geborene Migranten der zweiten Generation.

Aufputschende Substanzen werden seit Beginn der Pandemie von 4% der Befragten eingenommen. Bei 38% der Aufputschmittel einnehmenden Personen kam es zu einer Zunahme, bei 24% zu einer Abnahme des Konsums. Aufputschende Substanzen zu sich zu nehmen, kommt bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen bis 30 Jahre nahezu doppelt so häufig vor wie bei älteren Personen (9%).

In einem immer schnelllebigeren und leistungsbezogenen Alltag greifen zahlreiche Menschen auf anregende Substanzen zurück, um bei der Bewältigung diverser Aufgaben ihr volles Potenzial ausschöpfen zu können oder um sich in einen gewünschten Gefühlszustand zu versetzen. Besonders in Belastungssituationen soll durch Alltagsdoping ein gewünschter Zustand erreicht werden. Die größten Belastungen werden laut Studie im beruflichen Kontext angegeben (ca. 70% im Beruf gegenüber 40% in Familie und Partnerschaft bzw. 30% in der Freizeit). Trotzdem überwiegt das Einnahmemotiv Enhancement im Freizeitbereich. Berufliche Belastungen scheinen demnach im Freizeitbereich und Familienleben weiter fortzubestehen. Um dort subjektive Leistungsfähigkeit bzw. Wohlbefinden zu erreichen oder aufrechtzuerhalten, werden zahlreiche Substanzen eingesetzt.

Presseaussendung der Stiftung Anton-Proksch-Institut, Wien, 17. Juni 2022

Back to top