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Krise und Depression bei Männern
Jatros
Autor:
Dr. Thomas Kapitany
Kriseninterventionszentrum Wien<br/> E-Mail: thomas.kapitany@ Kriseninterventionszentrum.at
30
Min. Lesezeit
07.03.2019
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<p class="article-intro">Die Depression gehört zu den häufigsten psychischen Erkrankungen, fast ein Viertel der Menschen erkrankt im Laufe des Lebens zumindest einmal an einer Depression. Epidemiologischen Untersuchungen zufolge leiden Frauen dabei doppelt so häufig an Depressionen wie Männer. Dem steht die Tatsache gegenüber, dass Suizide, die häufig mit einer Depression verbunden sind, bei Männern drei- bis viermal so häufig vorkommen.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Eine Depression wird bei Männern deutlich seltener diagnostiziert als bei Frauen.</li> <li>Durch Suizid sterben drei bis viermal mehr Männer als Frauen.</li> <li>Das Hilfesuch-Verhalten von Männern ist deutlich eingeschränkt.</li> <li>Geschlechtsspezifische Symptome der Depression bei Männern sind Aggressivität, Isolation, sekundärer Alkoholabusus und verstärktes Risikoverhalten.</li> <li>Gelingt es, Männer zur Inanspruchnahme von Beratungsund Behandlungsangeboten zu motivieren, kann ein positives Therapieansprechen erzielt werden.</li> </ul> </div> <p>Es sei davor gewarnt, Männern aufgrund der geringeren Depressionsrate eine bessere psychische Gesundheit zu attestieren. Im Gesamten stellt sich die Männergesundheit schlechter dar, wenn man neben der Suizidhäufigkeit berücksichtigt, dass Männer z. B. eine viermal höhere Rate an Alkoholerkrankung aufweisen, der Großteil der Personen, die vor dem 60. Lebensjahr versterben, Männer sind und die Lebenserwartung von Männern um fünf Jahre kürzer ist als die der Frauen. <br />Möller-Leimkühler sieht in einer möglichen Unterdiagnostizierung und Unterbehandlung von Depression bei Männern einen Teil der Erklärung für die geringeren Prävalenzraten. Mangelnde Hilfesuche, eine dysfunktionale Verarbeitung von Stress und eine geschlechtsunspezifische Diagnostik von Depression werden als Gründe dafür angesehen.</p> <h2>Männer nehmen Beratungs- und Behandlungsangebote seltener in Anspruch</h2> <p>Psychosoziale, aber auch medizinische Beratungs- und Therapieangebote werden in einem wesentlich größeren Ausmaß von Frauen in Anspruch genommen. Eine Erhebung in Berlin fand in den verschiedenen psychosozialen Institutionen einen Anteil von männlichen Klienten von 10 bis maximal 41 %. Im Kriseninterventionszentrum Wien beträgt der Anteil der Männer relativ konstant mit nur langsamen Steigerungen etwa ein Drittel. Als Ursache dafür werden stärkere kommunikative Kompetenzen bei Frauen angesehen. Diese zeigen sich besonders bei sozialen und persönlichen Themen. Bei retrospektiven Untersuchungen von Suizidopfern zeigt sich, dass im Zusammenhang mit dem Suizid eine Depression bei Männern und Frauen gleich häufig bestanden hat. Ein großer Teil dieser Personen (70–80 %) litt vor dem Suizid an einer Depression. Die männlichen Suizidopfer waren aber seltener mit ihren psychischen Problemen in ärztlicher oder anderer Behandlung.</p> <h2>Dysfunktionale Stressverarbeitung als Entstehungsbedingung von Depression</h2> <p>Die Entstehungsbedingungen von Depression werden heute als multifaktoriell angesehen, und die Vorstellungen, es muss streng zwischen einer vererbten Depression und einer durch äußere Umstände und Entwicklungsbedingungen verursachten Depression unterschieden werden, wurden aufgegeben. Bei der Entstehung einer Depression beim Mann spielen häufig Faktoren erhöhter Vulnerabilität (u. a. durch frühe Verluste, mangelnde oder nicht adäquate Fürsorge der ersten Bezugspersonen, aber auch eine genetische Disposition) und gesellschaftlich geprägte Rollenerwartungen zusammen. Eine Zeit erhöhter Vulnerabilität entsteht häufig ab der Lebensmitte, wenn wichtige Halt und Bedeutung gebende Faktoren wie berufliche, aber auch familiäre Verantwortung oder wichtige Beziehungen beginnen wegzufallen und situationsbedingt zunehmende Isolation entsteht. Das erklärt auch, dass mit dem Alter die Suizidrate bei Männern nochmals erheblich ansteigt (bis zum Sechsfachen). <br />Im Rahmen von Bewältigungsprozessen bei Männern in Krisen sind stärkere Tendenzen des Rückzugs und die Gefahr der Isolation zu beobachten. Männer versuchen mehr durch das Wiedererlangen von Dominanz, Krisen zu lösen. Männer definieren sich generell mehr über Leistung und Anerkennung. Die Folge davon ist eine Anfälligkeit für Gefühle des Versagens und der Beschämung.</p> <h2>Geschlechtsunterschiede in der Symptomatik der Depression</h2> <p>Die unterschiedliche Verarbeitung von Stress und persönlichen Krisen führt bei Männern bei der Entwicklung eines depressiven Zustandsbildes eher zum Auftreten von aggressivem und abweisendem Verhalten (Abb. 1). Gereiztheit, Impulsivität, Ärgerattacken und sozialer Rückzug werden als häufige primäre Reaktionen beschrieben. Die Fähigkeit, eigene, besonders negative Gefühle wahrzunehmen, scheint reduziert. Noch schwieriger ist es, diese Gefühle auch anderen mitzuteilen. Bei den Versuchen der Bewältigung kommt es eher zum Einsatz von vermehrtem Alkoholkonsum und Risikoverhalten. <br />Verwendet man adaptierte Depressionsskalen, die auch aggressive Symptome und Risikoverhalten erfassen, reduziert sich der Unterschied in den Depressionsraten zwischen den Geschlechtern.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Neuro_1901_Weblinks_a1abb1.jpg" alt="" width="1192" height="501" /></p> <h2>Positives Therapieansprechen bei Männern, die zu Beratung und Behandlung kommen</h2> <p>Wolfersdorf fand in einer Untersuchung bei mittel- bis schwergradig depressiven Patienten in stationärer Behandlung keinen Unterschied im Ansprechen auf die Behandlung zwischen den Geschlechtern. Dieses gleich gute Ansprechen war auch ein Jahr nach der stationären Behandlung gegeben. Der Umstand, dass Männer, deren Depression erkannt wurde, ebenso gut wie Frauen auf Behandlung ansprechen, ermutigt dazu, verstärkt Strategien zu verfolgen, Männer zur Inanspruchnahme von Beratungs- und Behandlungsangeboten zu bewegen. Positive Erfahrungen in diesem Sinne wurden bereits mit Depressions- Schulungen von Hausärzten in der Gotland- Studie oder im Rahmen der Aktivitäten der European Alliance Against Depression gemacht.</p> <h2>Suizid- und Gewaltprävention bei Familienvätern: vaeter-in-krisen.at</h2> <p>Das Kriseninterventionszentrum in Wien hat diese und eigene Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit Hausarztpraxen zum Anlass genommen, ein Projekt zu initiieren, das zum Ziel hat, Männer in einer psychosozialen Krise – in diesem Fall die ausgewählte Gruppe der Väter mit minderjährigen Kindern – verstärkt mit einem Kriseninterventionsangebot anzusprechen. Um die Väter besser erreichen zu können, wurden Kooperationen mit einer Reihe von sogenannten Gatekeeper-Institutionen eingegangen. Eine wichtige Gatekeeper- Gruppe für Männer stellen die Hausärzte dar, des Weiteren wurden das Jugendamt, das Arbeitsmarktservice und Mitarbeiter verschiedener psychosozialer Beratungsstellen und der sozialpsychiatrischen Versorgung mit Informationsmaterial und Gatekeeper-Schulungen in das Projekt eingebunden. Für die Internet-Erreichbarkeit wurde die Website www.vaeter- in-krisen.at für betroffene Familienväter mit einem optionalen E-Mail-Beratungszugang konzipiert. Geplant war, 100 Familienväter im Rahmen des Projekts persönlich zu betreuen. Darüber hinaus war auch eine Betreuung weiterer 200 Familienväter durch telefonische Krisenintervention und per E-Mail-Beratung vorgesehen.</p> <h2>Krisenintervention als spezifische Interventionsform</h2> <p>Persönliche Krisenintervention als spezifische Interventionsform für Menschen in akuten Krisen beinhaltet vorrangig ein Gesprächs- und Beratungsangebot mit einer psychotherapeutischen Fundierung bei einer niederschwelligen und daher kostenfreien und zeitnahe verfügbaren Erreichbarkeit. Es erfolgt eine umfassende krisendiagnostische Erfassung und Gefährdungseinschätzung, ausreichende Entlastung und Gefährdungsreduktion im Gespräch bzw. gegebenenfalls zusätzlich ärztliche und medikamentöse Versorgung. Gegebenenfalls wird mit Einrichtungen psychiatrischer Notfallversorgung kooperiert. Im Verlauf erfolgt eine bedarfsgerechte Betreuung mit Folgeterminen während der Dauer der akuten Krise, wobei im Durchschnitt vier bis fünf Versorgungskontakte stattfinden. Wenn notwendig, wird Unterstützung geleistet bei der Organisation weiterführender Behandlung. <br />Vorrangige Ziele des Kriseninterventionsangebots sind eine rasche Entlastung und Gefährdungsreduktion bei den Betroffenen, wozu die Eindämmung von Suizidgefährdung, Gewaltgefährdung, von negativen sozialen Entwicklungen und einer psychiatrischen bzw. psychosomatischen Krankheitsentwicklung gehört. In weiterer Folge werden eine psychische Stabilisierung, die Reduktion von psychischer – häufig auch depressiver – Symptomatik und die Wiederherstellung der Handlungs- und Problemlösungsfähigkeit der Betroffenen angestrebt. Nicht zuletzt geht es bei Krisenintervention um die Hilfe zur Selbsthilfe und im gelungenen Fall darum, dass Menschen mit der Bewältigung einer schweren persönlichen Krise auch einen Schritt persönlicher Reifung machen können.</p> <h2>Gesteigerte Inanspruchnahme der Krisenintervention durch Männer</h2> <p>Die für den geförderten Projektzeitraum von zwei Jahren geplante Zahl von 100 Vätern wurde weit übertroffen. Gesamt wurden 257 Väter während der Dauer der Projektlaufzeit im Rahmen der persönlichen Krisenintervention eingeschlossen. Mittels telefonischer Krisenintervention oder E-Mail-Beratung wurden 353 Väter betreut. <br />Zum Zeitpunkt des Erstgesprächs waren die Väter in einem erheblich beeinträchtigten Zustand mit einem durchschnittlichen Wert von 5,0 auf der siebenteiligen CGI-Skala (Clinical Global Impression) und mit „ernsten Beeinträchtigungen bis mittleren Schwierigkeiten in der sozialen oder beruflichen Funktionsleistung“ (SOFAS). Bei 38 % der Väter war eine Suizidgefährdung erhoben worden, bei 13 % wurde auch eine relevante Fremd- und Gewaltgefährdung festgestellt. <br />Teils deutliche Unterschiede fanden sich im Vergleich mit einer Gruppe von Müttern mit minderjährigen Kindern, die persönliche Krisenintervention in Anspruch genommen haben. So waren die Väter älter, wiesen häufiger Trennungen und Partnerschaftsprobleme sowie berufliche Probleme als Krisenanlass auf gegenüber einer Akzentuierung bei Problemen mit Erkrankung und Todesfällen bei Angehörigen sowie Problemen mit Kindererziehung und in familiären Systemen bei den Müttern (Abb. 2). <br />Aufschlussreich war, dass im Geschlechtervergleich von Personen in Lebenskrisen die Väter ein deutliches Plus bei Suizidgefährdung (38 % vs. 22 %) und Gewaltgefährdung (13 % vs. 5 %) und bei den sogenannten typisch männlichen Symptomen der Depression (nach Rutz) aufwiesen (Gereiztheit 32 % vs. 25 %, Impulsivität 19 % vs. 25 %, Aggressivität 18 % vs. 6 %, Rückzug 21 % vs. 10 %, Substanzmissbrauch 14 % vs. 3 %).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Neuro_1901_Weblinks_a1abb2.jpg" alt="" width="1195" height="560" /></p> <h2>Gutes Ansprechen von Männern auf das Angebot der Krisenintervention</h2> <p>Auch im Rahmen dieser Untersuchung waren der Behandlungserfolg, gemessen mit den Parametern CGI, CGI-Verlauf, SOFAS und anhand einer Befindlichkeitsskala im Selbstrating (von Zerssen), sowie der Rückgang von Suizidalität und Gewaltgefährdung bei beiden Geschlechtern gleich gut.<br /> Das Projekt vaeter-in-krisen.at ist insgesamt als erfolgreich anzusehen. Die Ziele des Projekts, verstärkt Männer, in diesem Fall Väter, zur Inanspruchnahme des Kriseninterventionszentrums zu motivieren, mit der Krisenintervention erfolgreich zu intervenieren und indirekt auch für die mitbetroffenen Kinder eine Entlastung zu erreichen, konnten erfolgreich realisiert werden. Die Ergebnisse ermutigen zur Fortsetzung dieser und der Umsetzung weiterer suizid- und gewaltpräventiver Aktivitäten mit der Zielgruppe der Männer.</p> <h2>Ausblick</h2> <p>Auf gesellschaftlicher Ebene ist die Voraussetzung dafür, dass es Männern zunehmend möglich wird, Hilfe – wenn nötig – in Anspruch zu nehmen, das fortgesetzte Bemühen, psychische Erkrankungen und Probleme zu enttabuisieren und zu entstigmatisieren. Es ist also notwendig, in der Öffentlichkeit „darüber zu reden“, um es Männern zunehmend zu erleichtern, selbst darüber zu reden, wenn etwas nicht stimmt. <br />Hilfreich ist, wenn relevante Kontaktpersonen betroffener Männer durch ein besseres Verständnis für die Problematik psychischer Krisen und Depressionen bei Männern in der Lage sind, bei den Betroffenen ein Problembewusstsein zu unterstützen und Schwellenängste vor Beratung und Behandlung zu reduzieren. Um diese Ziele zu erreichen sind Gatekeeper- Schulungsprogramme, die Thematisierung von Suizidprävention in den Medien, Vorträge und Informationsveranstaltungen notwendig. Und nicht zuletzt wird es notwendig sein, bereits in der Erziehung von Kindern anzusetzen, um der Entstehung von dysfunktionalen Mustern zur Bewältigung von Stress bei Männern vorzubeugen.</p></p>
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