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Herzrasen beim Zahnarzt

<p class="article-intro">Menschen mit Zahnarztangst kann eine Konfrontationstherapie helfen, die Angst loszuwerden.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Dass manche Menschen Schweissausbr&uuml;che, Atemnot oder gar Todesangst beim Zahnarzt bekommen, kann viele Ursachen haben. Michael Rufer, Professor f&uuml;r Psychiatrie am UniSpital Z&uuml;rich, erkl&auml;rt, was dabei im Hirn passiert und wie man die Angst verlernen kann.<br /> <br /> <strong>Herr Rufer, 15,4 Prozent der Frauen und 5,1 Prozent der M&auml;nner haben eine spezifische Phobie<sup>1</sup>, also Angst vor Objekten wie Spinnen oder einer bestimmten Situation &ndash; etwa dem Zahnarztbesuch. Warum ist das so?</strong><br /> <strong>M. Rufer:</strong> Das kann unterschiedliche Ursachen haben, oft kommt vieles zusammen: Traumata in der Kindheit sind m&ouml;glich, Erziehung mit zu wenig Geborgenheit oder &uuml;berfordernde Situationen als Erwachsene. Wie viele Leute Zahnarztangst haben, wissen wir nicht genau, dazu gibt es keine verl&auml;sslichen Studien.<br /> <br /><strong> Wie &auml;ussert sich die Angst?</strong><br /> <strong>M. Rufer:</strong> Unterschiedlich. Manche haben Angst vor Schmerzen, andere davor, bei einer Spritze ohnm&auml;chtig zu werden. Im Extremfall sieht das so aus wie bei meiner 34-j&auml;hrigen Patientin neulich: Schweissausbr&uuml;che, Herzrasen, Todesangst, Atemnot und Ohnmachtsgef&uuml;hle. Bei der Frau wurde die Angst vermutlich durch mehrere schreckliche Erlebnisse verursacht. 1999 war sie &uuml;berfallen worden, ihr Kiefer war gebrochen, mehrere Z&auml;hne waren ausgefallen. Es kamen noch weitere belastende Lebensereignisse hinzu, unter anderem ist ein enger Angeh&ouml;riger pl&ouml;tzlich bei einem Unfall gestorben. Kurz bevor sie zu mir kam, sollte ihr ein Abszess im Kiefer entfernt werden, was sie aber ablehnte, weil sie so grosse Angst davor hatte.<br /> <br /><strong> Was passiert im Hirn?</strong><br /> <strong>M. Rufer:</strong> Die Hauptrolle spielt die Amygdala, der Mandelkern: Wenn wir eine Situation als gef&auml;hrlich bewerten &ndash; auch wenn sie das wie beim Zahnarzt nicht ist &ndash;, gelangt diese Information blitzschnell an die Amygdala. Daraufhin werden Stresshormone ausgesch&uuml;ttet, die die typischen Angstsymptome ausl&ouml;sen.<br /> <br /><strong> Wie helfen Sie den Betroffenen?</strong><br /> <strong>M. Rufer:</strong> Eine Psychotherapie kann die &uuml;berschiessende Angstreaktion ver&auml;ndern. Das Gehirn &bdquo;lernt&ldquo;, auf die Situation beim Zahnarzt nicht mehr mit Angst zu reagieren. Die kognitive Verhaltenstherapie mit Exposition schnitt in Studien am besten ab. Ziel der Exposition ist, dass sich der Patient der Angst so lange aussetzt, bis sie nachl&auml;sst (siehe Abb. 1). Eine Besonderheit bei &Auml;ngsten vor Spritzen ist, im Unterschied zu anderen Angstst&ouml;rungen, dass die Patienten tats&auml;chlich ohnm&auml;chtig werden k&ouml;nnen. Sie lernen daher vorher auch eine Methode, die das verhindert, die sogenannte angewandte Entspannung. Dabei spannt man verschiedene Muskeln f&uuml;r mehrere Sekunden an, um den Blutdruck zu erh&ouml;hen.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Leading Opinions_Neuro_1604_Weblinks_Seite28.jpg" alt="" width="708" height="595" /></p> <p><strong>Gehen Sie mit zum Zahnarzt?</strong><br /> <strong>M. Rufer:</strong> Ja, ich versuche das. Aber das geht nicht immer. Dann erkl&auml;re ich dem Patienten, dass er wenn irgend m&ouml;glich die Angstkurve erleben muss. Er soll seine Gedanken und Gef&uuml;hle zulassen und seine K&ouml;rperreaktionen beschreiben. Er kann sie zum Beispiel in einem Heft notieren oder mit dem Zahnarzt dar&uuml;ber sprechen. Erleben die Patienten, dass die Angst zur&uuml;ckgeht, auch wenn sie nicht aus dem Sprechzimmer rennen, sind sie sehr erleichtert und stolz, es geschafft zu haben.<br /> <br /><strong> Ist die Therapie immer erfolgreich?</strong><br /> <strong>M. Rufer:</strong> Etwa 80 bis 90 Prozent der Patienten mit spezifischen Phobien profitieren erheblich von dieser Art der Psychotherapie.<sup>3</sup><br /> <br /><strong> Wie lange dauert die Therapie?</strong><br /> <strong>M. Rufer:</strong> Das kommt darauf an, was f&uuml;r Probleme der Patient neben der Angst hat. Wenn Angst das Hauptproblem ist, reichen oft schon wenige Sitzungen. <br /> <br /><strong> Wie reagierte Ihre Patientin?</strong><br /> <strong>M. Rufer:</strong> Sie bekam grosse Angst, als wir gemeinsam zum Zahnarzt gingen, aber diese legte sich in der Situation. Bei den Spritzen wurde sie nicht ohnm&auml;chtig, sondern begann heftig zu weinen und sagte: &bdquo;Mir darf keiner wehtun.&ldquo; Das waren die Gef&uuml;hle, die sie fr&uuml;her, in Zusammenhang mit dem &Uuml;berfall, hatte, und dar&uuml;ber redeten wir dann in den Wochen nach der Exposition in meiner Sprechstunde. Sie lernte, dass sie nicht immer perfekt sein muss, sondern auch einmal Schw&auml;chen zeigen darf. Das war ein weiterer Grund gewesen, warum sie jahrelang nicht zum Zahnarzt gegangen war: Sie wollte die Angst verstecken, sch&auml;mte sich daf&uuml;r. Als sie jetzt ihrem Zahnarzt davon berichtete, reagierte er sehr verst&auml;ndnisvoll, was ihr sehr dabei half, nun regelm&auml;ssig zu ihm zu gehen. Zahn&auml;rzte k&ouml;nnen Leuten mit Zahnarzt&shy;angst viel helfen.<br /> <br /><strong> Vielen Dank f&uuml;r das Gespr&auml;ch!</strong></p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Bandelow B et al: S3-Leitlinie Behandlung von Angstst&ouml;rungen. <a href="http://www.awmf.org/leitlinien.html" target="_blank">www.awmf.org/leitlinien.html</a> <br /><strong>2</strong> &Ouml;st L-G: Spezifische Phobien. In: Lehrbuch der Verhaltenstherapie. Band 2: St&ouml;rungen im Erwachsenenalter. Hg.: Margraf J, Schneider S., Springer 2009 <br /><strong>3</strong> Rufer M et al: St&auml;rker als die Angst. Ein Ratgeber f&uuml;r Menschen mit Angst- und Panikst&ouml;rungen und deren Angeh&ouml;rige. Bern: Huber, 2. Auflage 2016</p> </div> </p>
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